KAPITEL XIX

 

Zuerst wollte Fulminacci die Stimme überhören, zumal er nicht sicher war, ob er gemeint war, aber die Hand auf seinem Arm ließ keinen Zweifel zu, und er war gezwungen, sich umzudrehen.

Er sah sich einem der Gehilfen des Bühnenmeisters gegenüber, einem bartlosen jungen Mann mit auffallend rundem Gesicht, das im Kontrast zu seiner schmächtigen Statur stand. Sein Blick war neugierig und unverschämt.

Der Gehilfe legte eine Hand ans Kinn und neigte den Kopf schräg, als wollte er sein Gegenüber begutachten, und dabei breitete sich ein maliziöses Lächeln auf seinen fleischigen, geschminkten Lippen aus, die aus dem weiß gepuderten Gesicht hervorstachen.

»Was für ein stattliches Mannsbild, was für ein schöner Krieger!«, sagte er. »Wie ist es möglich, dass du mir bei den Proben nicht aufgefallen bist?« Er machte eine vage Handbewegung in Richtung der am linken Rand aufgestellten Komparsengruppe. »Wie kann ich dich in dieser Horde von Flegeln nicht bemerkt haben?«

Unter seinem vergoldeten Pappmascheehelm, der innen mit dickem Filz ausgeschlagen war, begann der Maler kräftig zu schwitzen, teils der Hitze wegen, zum größeren Teil aber aufgrund der zweideutigen Anspielungen dieses affektierten Assistenten.

»Ich… äh… springe für einen Freund ein. Er hat Tertianafieber und muss im Bett bleiben.«

Der Assistent hakte sich mit einer Vertraulichkeit, die Fulminacci gar nicht behagte, bei ihm unter und spazierte langsam und ohne die Augen von ihm abzuwenden mit ihm einher, als hätten sie alle Zeit der Welt.

»Weißt du«, fuhr der geschminkte junge Mann fort, »es ist ja so schwierig, Komparsen mit den richtigen Voraussetzungen zu finden, um die Helden des Altertums zu verkörpern, mit der physique du rôle, wie die Franzosen sagen. Sieh dich nur um: nichts als gedrungene, unwissende, vulgäre Kerle, die bloß der Bezahlung wegen kommen und keinerlei Interesse an der Kunst haben. Du bist ganz anders, das erkennt man gleich. Schon wie du die Rüstung trägst und den Schild hältst, deine stolze, kühne Haltung, all das zeigt, dass du aus einem anderen Holz geschnitzt bist, ein Mann von Persönlichkeit mit einer echten Liebe zur Kunst. Ah, die Kunst! Unser Glück und unser Verderben. Eine mühevolle Existenz, die vollkommene Hingabe und große Opferbereitschaft verlangt, aber welche Befriedigungen hält sie für einen schöpferischen Geist bereit! Ich kann viel für dich tun, verstehst du? Ich bin der erste Assistent von Maestro Corbelli, dem Bühnenmeister. Ein Wort von mir genügt, um dich nach oben zu bringen, ganz nach oben!«

Während dieser schmeichelnden Rede befühlte der Assistent den in der Tat gut entwickelten Bizeps des peinlich berührten Malers, der verzweifelt nach einer Möglichkeit suchte, sich aus der Affäre zu ziehen. Andererseits würde ihn die Gesellschaft eines Bühnenangestellten sicher vor unangenehmen Fragen und Überraschungen bewahren.

Der Geck setzte seine Lobrede auf die schönen Künste fort, was Fulminacci dazu nutzte, ihn mit einem leichten, aber konstanten Druck seiner rechten Hüfte auf das abseits gelegene Kulissenlager zuzulenken.

Der Gehilfe bemerkte das Manöver, leistete aber keinen Widerstand, sondern schien ausgesprochen erfreut darüber und ließ sich willig führen.

Sobald sie den Lagerraum betreten hatten, der auf den ersten Blick leer schien, schob Fulminacci den Riegel vor. Das Geräusch des Einrastens wurde von einem entzückten Auflachen des Galans begleitet, dessen vermeintlich schmeichelndes Gebaren ein jähes Ende fand, als ihn ein kräftiger Haken des Malers direkt am Kinn traf. Ohne etwas zu merken, ging er vom Wachen in den Schlaf über.

Fulminacci riss sich den Helm vom Kopf, der sein Gesicht in eine Maske aus Schweiß verwandelt hatte.

Als er sich umsah und nach einer Schnur suchte, mit der er seinen bewusstlosen Verehrer fesseln konnte, tauchte hinter einem Frontgiebel im ionischen Stil der zerzauste Kopf Valocchis auf.

»Mijn God, was ist hier los?«, rief der Flame in seiner Muttersprache. Hinter ihm ließ sich die halb nackte Gestalt eines rothaarigen Mädchens erahnen.

»Valocchi, heilige Muttergottes, dich habe ich gesucht!«

»Godverdamme, Fulminacci, konntest du nicht warten, bis ich hier fertig bin?«

»Pietro, es geht um Leben und Tod«, beharrte sein Freund, der indessen ein Stück Schnur gefunden hatte und die Handgelenke des Assistenten zusammenband. »Eine Sache, die sich nicht aufschieben lässt. Tut mir leid, wenn ich dich im falschen Moment störe, aber als ich vor zwei Tagen bei dir war, habe ich eine Zeichnung liegen lassen, die wahrscheinlich in deiner Skizzenmappe gelandet ist. Ich muss sie unbedingt zurückhaben. Mein Leben ist in Gefahr. Jetzt habe ich keine Zeit, aber wenn das hier überstanden ist, erkläre ich dir alles.«

Seufzend zog Valocchi ein mit Farbe bekleckstes Hemd über und bedeutete Fulminacci, ihm in die andere Ecke des Zimmers zu folgen, weiter weg von den Ohren der jungen Frau, die sich mit einem enttäuschten Schnauben wieder zwischen die Bühnengerätschaften legte.

»Die Skizzenmappe ist oben, im vierten Rang, in einer kleinen Kammer, in der ich meine Werkzeuge aufbewahre. Geh rauf und sieh nach.«

»Das Problem ist, dass sie mich suchen. Wenn mich die Gehilfen des Bühnenmeisters erwischen, bin ich geliefert.«

»Ich kann jetzt nicht mitkommen, ich muss hier hinter der Bühne bleiben. Wenn sie mich brauchen und nicht finden, gibt es Ärger, und sie zahlen am Ende nicht, das verstehst du doch, oder?«, erwiderte der Flame.

»So viel verlange ich gar nicht. Gibt es keine Möglichkeit, unbemerkt in den vierten Rang zu gelangen? Einen Dienstbotenaufgang oder so etwas?«

»Hier, nimm diesen Schlüssel, er ist für die Kammer. Du gehst jetzt zur rechten Bühnenseite – hinter dem Bild eines Tempels findest du eine kleine Tür, die zu einer Treppe führt. Die steigst du hinauf und kommst so ungesehen in den vierten Rang. Kann ich jetzt weitermachen?«

»Danke, Pietro, du bist ein wahrer Freund. Das werde ich dir nicht vergessen.«

Fulminacci fesselte noch die Fußknöchel des nach wie vor bewusstlosen Assistenten und knebelte ihn. Dann setzte er seinen Helm wieder auf, öffnete die Tür des Lagers einen Spaltbreit und spähte in alle Richtungen, ob die Luft rein war.

Auf der Hinterbühne tummelten sich immer noch zahlreiche Menschen, aber niemand achtete auf seine Ecke. Der Moment war günstig, um sich davonzumachen.

Er schlüpfte hinaus, hielt sich an die Beschreibung des Freundes und fand auch sofort die fast unsichtbare, hinter einer festen Kulisse verborgene Tür. Es war kein Problem, sie zu öffnen, und dahinter herrschte absolute Dunkelheit.

Mit einem Seufzer der Erleichterung tauchte er in die schützende Finsternis des kleinen Treppenabsatzes ein, wo er sich einen Moment Ruhe gönnte. Seine Schultern und die Halsmuskeln schmerzten von der Anspannung und vom Tragen des verdammten, einen halben Meter hohen Helms, den er jetzt abnahm, um sich den Schweiß vom Gesicht zu wischen.

Als er sich besser fühlte, tastete er mit dem Fuß nach der ersten Stufe, fand sie und begann den Aufstieg.

Es war eine Wendeltreppe, eng und niedrig. Er war versucht, Schwert und Schild, die ihn nur behinderten, zurückzulassen, aber seine Vernunft sagte ihm, dass es besser war, sie mitzuschleppen. Er würde sie noch brauchen, falls ihn oben jemand fragte, was er hier zu suchen habe. Denn dann konnte er behaupten, ein Komparse zu sein, der sich im Gewirr der Gänge und Flure verlaufen hatte.

Bei jedem Schritt fluchend erreichte er endlich den vierten Rang, wo er ein Ohr an die Tapetentür hielt und lauschte.

Von der anderen Seite drang das Fußgescharre und Stimmengewirr der Besucher zu ihm, die sich gegenseitig aufforderten, ihre Plätze einzunehmen.

Fulminacci beschloss zu warten, bis die Musik einsetzte, um dann unbemerkt zu der Foyerkammer eilen zu können.

Zu jener Zeit war es gang und gäbe, dass sich die Zuschauer während der Aufführung auch anderweitig beschäftigten. Es wurde gegessen und getrunken, geredet, Karten gespielt und häufig auch amourösen Vergnügungen nachgegangen. Nur die berühmtesten Arien oder gelungensten Orchesterstücke zogen die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums auf sich. Aus diesem Grund schoben die Impresarios zahlreiche Zwischenspiele wie Balletteinlagen oder heitere allegorische Szenen ein, um die Leute zu unterhalten oder ihnen Gelegenheit zu geben, sich den verschiedensten anderen Dingen zu widmen. Es ging also immer sehr lebhaft zu in den Theatern, und Momente der Stille und Konzentration waren eher selten. Fulminacci hatte genug Opern besucht, um mit diesen Gegebenheiten vertraut zu sein.

Die Ouvertüre war einer dieser Momente, in dem alle ruhig auf ihren Plätzen blieben. Gewisse Connaisseurs behaupteten nämlich, dass man bereits an der Ouvertüre erkennen könne, ob die Oper ein Erfolg würde, weshalb niemand sie verpassen wollte.

Der Maler wartete geduldig hinter der Tür, bis er die ersten schmetternden Töne hörte.

Dann öffnete er sie einen Spalt, um zu sehen, ob der Flur auch wirklich leer war, und wollte gerade hinausschlüpfen, als er am anderen Ende eine verhüllte, sich verstohlen bewegende Gestalt erblickte. Er hielt inne und zog die schon halb aufgerissene Tür wieder zu, bis dieser letzte Nachzügler aus dem Weg wäre, wobei er nicht umhinkonnte, etwas Vertrautes am Gang des Mannes zu bemerken. Seine Haltung war leicht gebeugt, doch nicht das hatte ihn stutzen lassen, sondern das kaum merkliche Nachziehen des rechten Beins. Er war sicher, dieses leichte Hinken erst kürzlich irgendwo gesehen zu haben, wenn ihm auch nicht gleich einfiel, wo und unter welchen Umständen. Dann war die vermummte Gestalt auch schon über die Treppe, die zum unteren Stockwerk führte, verschwunden.

Fulminacci stieß die Tür auf und huschte mit flinken, geräuschlosen Schritten auf die Kammer zu.