KAPITEL XII
Ein Diener führte Capitaine de la Fleur zu einem Gemach im ersten Stock, wo er diskret anklopfte und auf die Erlaubnis des Bischofs wartete, den Besucher anmelden zu dürfen.
Als er sie erhalten hatte, öffnete er die Tür und ließ den Capitaine mit einer Verbeugung eintreten.
Der Bischof stand vor einem hohen Fenster, das auf die Piazza unten hinausging, hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und betrachtete den Mondschein auf den Dächern der Ewigen Stadt. Er trug nicht den üblichen Talar, sondern einen eleganten Rock aus blauer Brokatseide mit Goldstickerei an den Ärmeln. Nur die violette Kalotte auf seinem Kopf wies ihn als einen hochrangigen Vertreter der katholischen Kirche aus.
De la Fleur durchquerte den großen Raum und blieb wenige Schritte vor dem Geistlichen stehen, der keine Anstalten machte, sich umzudrehen und ihn zu begrüßen.
Der Hauptmann näherte sich dem Kamin, in dem ein schon ziemlich niedergebranntes Feuer flackerte. Außer den wenigen glimmenden Holzscheiten spendete einzig ein Kerzenleuchter Licht, der auf einem kleinen Tisch mit schönen Intarsien neben dem Fenster stand.
Im Unterschied zum Bischof trug er nur einfache Reisekleidung, die jedoch gut geschnitten war und aus hochwertigem Stoff bestand. Seine Stiefel reichten bis zum Oberschenkel und waren mit einer dicken Staubschicht bedeckt, und an seiner Seite hing ein langer Degen in einer Scheide aus abgenutztem Leder.
De la Fleur nahm seinen großen, mit Federn verzierten Hut ab, legte ihn auf einen Sessel und wartete darauf, dass der Bischof sich ihm zuwandte.
»Capitaine«, begann dieser endlich, »auf dem Tisch findet Ihr einen guten Burgunder. Schenkt Euch ein, Ihr werdet nicht enttäuscht sein.«
Der Soldat folgte der Einladung und goss Wein in einen Kelch.
»Wirklich ausgezeichnet«, bemerkte er, nachdem er ihn gekostet hatte. »Schon lange habe ich keinen so guten Tropfen mehr getrunken. Die Weine, die man gewöhnlich in Rom bekommt, variieren von schlecht über miserabel bis hin zu völlig ungenießbar. Und was Deutschland angeht – puh, nichts als bitteres Bier, Ketzer und Regen, Regen, Regen.«
»Er stammt vom Weingut eines geschätzten Freundes. Seit ich in Rom bin, schickt er mir jedes Jahr ein paar Fässer durch einen speziellen Kurier. Es freut mich, dass er Euch schmeckt. Wie war die Reise?«
»Die übliche Strapaze«, antwortete der Offizier. »Deutschland ist zu dieser Jahreszeit eine einzige Schlammgrube, die Durchquerung Norditaliens wird durch die Pedanterie der Spanier erschwert, und was das Großherzogtum Toskana angeht… Das solltet Ihr erleben! Den Zollbeamten steckt noch die Angst vor der Pest in den Knochen, weshalb sie alles und jeden endlosen Kontrollen unterziehen. Ansonsten gab es keine Schwierigkeiten, wenn man mal davon absieht, dass ich nichts erreicht habe.«
Bei diesen Worten beschloss der Bischof, dass es an der Zeit war, dem Capitaine, der inzwischen seinen Kelch geleert und neu gefüllt hatte, seine volle Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Da de la Fleur nun die Gesichtszüge seines Gesprächspartners sah, bemerkte er, dass dieser um mehrere Jahre gealtert zu sein schien, seit er ihm vor einigen Wochen zuletzt begegnet war. Obwohl der Bischof über das mittlere Alter hinaus war, hielt er sich würdevoll aufrecht und war von schlanker Gestalt, sodass er auf den ersten Blick einem wesentlich jüngeren Mann glich. Jetzt jedoch trat das feine Netz aus Falten, das sein Gesicht überzog, deutlicher hervor, und seine Augen waren von dunklen Ringen umgeben, die auf viele schlaflose Nächte schließen ließen. Nur sein Blick war noch genauso, wie der Capitaine ihn in Erinnerung hatte: geradeaus wie ein Arkebusenschuss.
»Dann sind wir also wieder gescheitert«, sagte der Bischof. Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Zu meinem großen Bedauern«, bestätigte der Offizier und stellte sein Glas auf dem Tischchen ab. »Ich habe mein Bestes getan, aber inzwischen ist zu viel Zeit vergangen. Die Spur ist erkaltet. Außerdem hat dieser Teil Deutschlands am meisten unter dem Krieg gelitten. Ganze Gemeinden sind buchstäblich ausgelöscht worden. Girondet und Leblanc sind trotzdem dortgeblieben, um weitere Nachforschungen anzustellen, aber ich hege keine großen Hoffnungen hinsichtlich eines Erfolgs.«
»Ich stimme Euch zu. Auch ich habe mich keinen Illusionen über das Gelingen Eurer Mission hingegeben. Im Übrigen sind in den vergangenen Tagen hier in Rom Ereignisse eingetreten, welche die ganze Angelegenheit in einem neuen Licht erscheinen lassen. Habt Ihr gehört, was passiert ist?«
»Ich bin gerade erst in der Stadt angekommen, Monsieur.«
»Er ist hier!«, informierte ihn der Geistliche knapp.
»Er? Seid Ihr ganz sicher?«
»Es gibt keinen Zweifel. Zwei deutsche Jesuiten sind ermordet worden, der zweite erst heute Morgen. Die Taten tragen seine Handschrift. Die ganze Stadt ist in Aufruhr, und schon wird gemunkelt, dass der Heilige Vater, sollten die Mörder nicht schnell gefasst werden, der Inquisition freie Hand lassen wird.«
»Oh Gott, wenn die Inquisition sich einmischt, wird sich diese Stadt in ein wahres Irrenhaus verwandeln!«
»Es kommt noch schlimmer. Der Inquisitor, Kardinal Cybo, ist schwer erkrankt und kann praktisch nicht mehr das Bett verlassen. Seine Aufgaben werden von einem Dominikanermönch namens Bernardo Muti wahrgenommen, so einer Art grausamem und fanatischem Savonarola. Wenn er sich einschaltet, wird man nicht mehr in Ruhe das Haus verlassen können. Wir müssen schleunigst handeln. Versammelt Eure Männer, zerrt sie aus den Bordellen heraus, wenn nötig. Haltet Euch bereit, auf ein Zeichen von mir loszuschlagen. In der Zwischenzeit werde ich mit Kardinal Azzolini sprechen. Vielleicht kann er das Heilige Offizium in Schach halten. Dieser Mann ist ein erstklassiger Politiker, aber etwas zu vorsichtig und überlegt für meinen Geschmack. Und da es jetzt schon so weit ist, dass er sich frei in der Stadt herumtreibt, bleibt uns keine Zeit zum Zaudern. Das Problem liegt bei Christine, der Königin von Schweden, der der Kardinal sehr nahesteht. Etwas zu nahe, wie manche behaupten. Die Königin weiß natürlich nichts von dieser Sache, aber ich fürchte, dass sie Verdacht schöpfen wird, wenn wir diese Krise nicht bald beilegen.«
»Die Königin hat nicht die Absicht, nach Schweden zurückzukehren?«
»Aber nein, sie denkt nicht daran, trotz Azzolinis Drängen. Im Moment bereitet sie ein großes Fest vor und hat nichts anderes im Sinn. Während er in der Stadt ist!«
»Aber wenn der Kardinal sie überzeugen könnte…«
»… würde er für uns die Kastanien aus dem Feuer holen, keine Frage. Doch diese Frau ist stur wie ein Maulesel. Sie will keine Vernunft annehmen. Karl XI. liegt allem Anschein nach im Sterben, die Generalstände sind für Juni einberufen worden, und sie denkt nur an ihr Fest!«
»Ich werde Anweisung geben, die Männer zusammenzurufen«, sagte der Capitaine. »Morgen früh bei Sonnenaufgang sind sie bereit. Wie lauten Eure Befehle, Monsieur?«
»Im Moment können wir nichts anderes tun, als alle wichtigen Orte zu überwachen. Mit der größten Diskretion, wohlgemerkt. Wie es scheint, hat einer meiner Agenten eine interessante Spur entdeckt, aber wir wissen noch zu wenig. Ich werde die anderen Spitzel noch einmal zusammenstauchen, damit sie sich anstrengen, einen Hinweis, einen Zeugen oder sonst etwas zu finden, das uns auf die Spur unseres Mannes führen könnte. Er ist schlau und überlässt nichts dem Zufall. Gewiss wird er wieder zuschlagen, das spüre ich, und noch früher, als uns schwant. Wenn wir nur wüssten, wo wir suchen sollen, was wir suchen sollen!«
»Niemand hat je sein Gesicht gesehen«, bemerkte de la Fleur, »oder hat noch lange genug gelebt, um es beschreiben zu können.
Manche behaupten, er besitze übernatürliche Kräfte und habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen…«
Der Bischof unterbrach ihn mit einer herrischen Geste.
»Redet keinen Unsinn! Der Skorpion ist ein ganz gewöhnlicher Mensch, so raffiniert und kühn er auch sein mag. Und da er ein Mensch ist, können wir ihn fassen. Dazu müssen wir allerdings raffinierter und kühner vorgehen als er!«
»Vielleicht sollte Christine doch informiert werden«, schlug der Capitaine vor. »Wenn sie den Ernst der Lage begreift, könnte sie entsprechend handeln. Das würde uns zumindest etwas mehr Zeit verschaffen…«
»Das kommt überhaupt nicht infrage!«, rief der Bischof. »Denkt nicht einmal daran. Ihr kennt diese Frau nicht. Sollte sie auch nur ahnen, was da im Busch ist, wird sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um das ganze Unternehmen scheitern zu lassen. Christine weiß nichts und darf nichts wissen!«
»Aber sie hat schließlich auf den Thron verzichtet. Ich verstehe nicht, wieso…«
»Insistiert nicht weiter, ich bitte Euch. Kümmert Euch um Eure Aufgaben und überlasst mir die politischen Überlegungen. Christine hat zwar abgedankt, das stimmt, aber nie wirklich die Hoffnung aufgegeben, das Szepter Schwedens wieder in die Hand zu bekommen. Sie schmiedet nach wie vor Ränke mithilfe eines Teils der schwedischen Aristokratie, der sie vielleicht nicht offen unterstützt, ihr aber immer noch treu ergeben ist.«
De la Fleur schüttelte frustriert den Kopf über die Vergeblichkeit aller bisherigen Anstrengungen und auch über die Argumente seines Befehlshabers, die ihn wenig überzeugten.
Der Bischof ging auf ihn zu, und obwohl ein solches Verhalten in seiner Stellung nicht angebracht war, legte er ihm mit fast kameradschaftlicher Gebärde die Hand auf die Schulter.
»Vertraut mir, de la Fleur, und greift entschlossen ein, wenn der Zeitpunkt gekommen ist.«
Ermuntert von dieser unerwarteten Geste nickte der Capitaine.
»Geht jetzt«, sagte der Geistliche darauf, »und erwartet meine Befehle.«
De la Fleur nickte erneut, nahm seinen großen Hut und verließ das Zimmer mit einer nur leicht angedeuteten Verbeugung.
Der Bischof sah ihm nach und dachte, dass der Offizier sich nicht eben ehrerbietig verhielt, wenn man den Rangunterschied zwischen ihnen beiden bedachte. Andererseits war es charakteristisch für die Musketiere des Königs, so freimütig und direkt aufzutreten, dass es manchmal wie Gehorsamsverweigerung wirkte. Und letzten Endes verzieh er ihnen sowieso immer alles. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der er selbst… Aber das war jetzt nicht der Moment, um sich sentimentalen Erinnerungen hinzugeben. Die Situation wurde mit jeder Stunde bedenklicher und erforderte seine ganze Geistesgegenwart. Der große Plan, den er mit viel Geduld und Sorgfalt ausgearbeitet hatte, stand so kurz vorm Scheitern wie noch nie.
Der Bischof trat wieder ans Fenster, um das nächtliche Panorama zu betrachten. Wer wird der Nächste sein?, fragte er sich, während er den Blick über die von einer bleichen Mondsichel schwach beleuchteten Dächer der Stadt schweifen ließ. Wer wird der Nächste sein?