KAPITEL LI
Seit die Vorbereitungen für das große Frühlingsfest begonnen hatten, war es im Palazzo Riario nicht mehr auszuhalten. Nirgends fand man mehr ein stilles Eckchen, um sich ein wenig auszuruhen; alle Köche und Küchenmägde waren Tag und Nacht damit beschäftigt, das riesige Bankett vorzubereiten, sodass man sich keinen guten Bissen nebenher mehr beschaffen konnte; bei Tag wie bei Nacht herrschte überall ein fürchterliches Gehämmere, Gesäge und Gehobele.
Kurzum, das Leben war für den armen Gerlando zur Hölle geworden.
Gütiger Gott, dachte er, ein armer alter Mann sollte doch das Recht haben, seine letzten Tage in Frieden zuzubringen, ohne ständig belästigt zu werden!
Vergeblich suchte Gerlando nach einem Plätzchen, wo er die warme Sonne genießen und ein kleines Nickerchen halten konnte, denn sowohl im Park als auch im Pavillon machten sich Dienstboten und Handwerker zu schaffen, und kaum hatte er einen ruhigen Winkel entdeckt, kam auch schon wieder jemand und vertrieb ihn, weil er dieses oder jenes Möbelstück verrücken, eine Nippesfigur abstauben oder eine Goldverzierung nachmalen musste.
Aber das war noch nicht das Schlimmste!
Aus irgendwelchen Gründen hatten es sich einige dieser Besessenen in den Kopf gesetzt, dass auch er tatkräftig mithelfen sollte. Daher diente sein verzweifeltes Umherstreifen nicht nur der Suche nach einem Ruheplatz - er wollte es auch vermeiden, irgendeinem übereifrigen Lakaien in die Fänge zu geraten, der ihn garantiert damit beauftragen würde, zentnerweise Silberbesteck zu putzen oder, schlimmer noch, die Fußböden zu schrubben. Gerlando bereute es inzwischen stark, vor etwa zwei Jahren das Angebot Melchiorris angenommen zu haben. Damals war es ihm ausgesprochen verlockend erschienen: ein Dach über dem Kopf, drei gesicherte Mahlzeiten am Tag und nur wenige, unbedeutende Pflichten. Eine schöne und bequeme Art, nach einem Leben voller Abenteuer und Sorgen seine letzten Jahre zuzubringen. Solange die Renovierungsarbeiten im Palazzo angedauert hatten, hatte die Wirklichkeit auch durchaus seinen Erwartungen entsprochen, aber jetzt… Jetzt war sich Gerlando nicht mehr so sicher, dass die Vorteile dieser Existenz die Nachteile überwogen. Vielleicht sollte er doch besser sein früheres Leben wieder aufnehmen, das zwar weniger sicher, dafür aber freier war.
Immer öfter dachte er in letzter Zeit außerdem an sein heimatliches Kalabrien, das er vor fast einem halben Jahrhundert verlassen hatte, und malte sich aus, wie schön es wäre, dorthin zurückzukehren und zur letzten Ruhe an dem Ort gebettet zu werden, wo er geboren worden war. Doch Kalabrien war genauso karg und arm, wie es schön war. Von was sollte er dort leben? Ach Gott, das waren nur die Träume eines alten Mannes, die niemals wahr werden konnten.
Mit solcherlei Gedanken beschäftigt schlüpfte Gerlando hinter eine Hausecke, um sich vor einem Diener zu verstecken, der wild entschlossen schien, ihn mit irgendeiner undankbaren Arbeit zu betrauen.
Das Gelände hinter dem Pavillon war noch nie mit einer Gartenschere in Berührung gekommen, wahrscheinlich weil es weder vom Haupthaus noch vom Park aus eingesehen werden konnte. Niemand hatte es in diesen geschäftigen Tagen für nötig befunden, Hand an den kleinen Dschungel zu legen, in dem die Natur sich ungehindert ausbreiten konnte.
Es war nicht einfach, sich einen Weg durch dieses Dickicht wild wuchernder Sträucher zu bahnen, das von einem Geflecht aus Winden noch undurchdringlicher gemacht wurde, aber Gerlando baute darauf, dass die kleine Mühe mit einem für aufdringliche Personen unerreichbaren Zufluchtsort belohnt werden würde. Endlich gelangte er zu einer Stelle, wo die Vegetation weniger dicht war, ging um die verkrüppelten Stämme zweier Akazien herum und fand den Ort, nach dem er schon den ganzen Morgen suchte: eine kleine Lichtung an der Rückwand des Pavillons, eine Insel aus Sonne und Wärme inmitten der dunklen Schatten des Laubwerks. Die Hauswand bildete dort eine kleine Auskragung, wenige Handbreit über der Erde, eine Art Verstärkung für das Fundament vermutlich, die Gerlando höchst willkommen war. Was wollte man mehr? Ein abgeschiedener Winkel, eine breite, bequeme Bank und niemand, der einem auf die Nerven ging. Das Leben konnte so angenehm sein, wenn man es verstand, sich zu begnügen.
Wohlig seufzend ließ das Männchen sich mit seinen dürren Hinterbacken auf die Bank nieder und genoss die im Stein gespeicherte Wärme, die seinen alten Knochen guttat. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und schloss die Augen im Vertrauen, dass der Schlummer ihn in Kürze in sein magisches Reich entführen würde.
»Ist jemand dort oben? Ist da jemand? Antwortet mir, Herrgott noch mal!«
Gerlando fuhr auf, als er die Stimme hörte, die aus dem Nichts zu kommen schien.
Hatte er geträumt?
Er sah sich um, aber da war niemand.
»So antwortet doch!«, rief die Stimme. »Ich weiß, dass da jemand ist. Antwortet, um Himmels willen!«
Nein, das war kein Traum, da rief tatsächlich jemand.
»Wer bist du? Wo bist du?«, murmelte er und fürchtete, dass dieser scheinbar so friedliche Ort von Geistern heimgesucht wurde.
»Ich bin hier unten! Hier unten!«
Gerlando blickte auf seine Füße, aber die Bank, auf der er saß, hatte kein »Unten«. Offenbar trieben da tatsächlich ein paar übermütige Geister ihre Scherze mit einem armen alten Mann.
»Da unten ist nichts«, sagte er. »Doch, ich bin hier unten, seht genau hin. Im Keller! Durch ein kleines Fenster kann ich eines Eurer Beine erkennen.«
Gerlando bückte sich und sah wirklich auf der Höhe seiner linken Ferse eine kleine Fensteröffnung, einen Luftschacht, den er wegen des hohen Grases zuerst nicht bemerkt hatte. Die Entdeckung wurde von Erleichterung begleitet: Offenbar war die Stimme, die ihn geweckt hatte, doch nicht übernatürlichen Ursprungs.
»Was machst du dort im Keller?«, fragte er. »Wer bist du?«
»Ich bin Pater Bernardo Muti, der stellvertretende Inquisitor. Holt mich um Gottes willen hier raus!«
»Ja, ja, und ich bin der König von Frankreich!«, erwiderte Gerlando. »Ich mag alt sein, aber ich lass mich trotzdem nicht gerne auf den Arm nehmen.«
»Bitte hört mir zu«, fuhr die Stimme etwas weniger hochmütig fort. »Ihr müsst mir glauben, ich bin wirklich Bernardo Muti. Wenn Ihr kein Ungläubiger seid, müsst Ihr mir helfen.«
»Und wie bist du dort in den Keller gekommen?«, wollte Gerlando wissen.
»Ich bin von irgendwelchen Schurken entführt worden. Befreit mich bitte, wenn Ihr ein gläubiger Christ seid.«
»Irgendwie ist mir die Sache nicht ganz klar«, beharrte Gerlando. »Wenn du tatsächlich der bist, der du zu sein behauptest, wie zum Teufel konnte man dich dann in den Keller sperren?«
»Ich sage Euch doch, ich bin entführt worden! Ich weiß nicht, wer diese Unholde sind, aber sobald ich frei bin, werde ich es herausfinden. Und dann wird es ihnen schlecht ergehen!«
»Setzen wir mal für einen Moment voraus, dass du die Wahrheit sagst«, erwiderte Gerlando darauf, »und setzen wir ebenfalls voraus, dass ich mir die Mühe mache, dich zu befreien… Was hätte ich davon? Schließlich geht mich diese Sache nichts an. Wenn jemand dich in den Keller gesperrt hat, wird er schon seine Gründe dafür haben, schätze ich.«
»Ich flehe Euch an, lasst nicht zu, dass Euer durchaus verständliches Misstrauen Euch davon abhält, mir zu helfen. Wenn Ihr mich aus diesem verhassten Gefängnis herauslasst, ist Euch die ewige Dankbarkeit der heiligen römischen Kirche sicher!«
»Von Dankbarkeit kann man nicht runterbeißen«, entgegnete der Alte dickköpfig.
»Da habt Ihr recht, Signore. Deshalb werde ich dafür sorgen, dass Ihr außer unserer Dankbarkeit auch eine Belohnung erhaltet, die Eurer guten Tat angemessen ist.«
»Ah, jetzt reden wir endlich vernünftig«, sagte Gerlando. »Erzähl mir mehr von dieser Belohnung. Was meinst du, wie viel du ausspucken… äh, erübrigen kannst, wenn ich dir heraushelfe?«
»Herrgott, keine Ahnung… Habt Ihr denn kein bisschen Verständnis für das Unglück, das einen Bruder in Christo befallen hat? Kennt Ihr keine Nächstenliebe?«
»In letzter Zeit nicht so sehr, nein. Aber schweifen wir nicht ab, sondern sprechen lieber wieder über die Belohnung. Ich nehme jede Währung: Scudi, Dukaten, Lire, hölländische Gulden…«
»Wie Ihr wollt. Also, wenn Ihr die Tür zu diesem grässlichen Loch öffnet, werde ich Euch fünfzig Scudi bar auf die Hand auszahlen lassen.«
»Habt Ihr hundert gesagt? Ich habe es nicht recht verstanden, weil ich ein wenig taub bin.«
»Ja, meinetwegen hundert! Aber jetzt beeilt Euch und lasst mich heraus.«
»Die Hälfte im Voraus«, feilschte Gerlando weiter.
»Ich habe kein Geld bei mir«, antwortete die Stimme, »aber wenn Ihr die Freundlichkeit habt, mich zum Palast des Heiligen Offiziums zu begleiten, werde ich Euch vom Schatzmeister einhundertfünfzig frisch geprägte Scudi übergeben lassen.«
»Na, dann sagen wir doch gleich zweihundert! Aber du musst warten, bis es dunkel wird. Jetzt sind hier zu viele Leute unterwegs, und außerdem muss ich mir erst den Schlüssel besorgen. Ich bin wirklich nicht sicher, ob ich dabei ein gutes Geschäft mache. Die Risiken sind hoch, und wer weiß, ob du überhaupt bezahlen kannst…«
»Dreihundert! Dreihundert klingende Scudi, wenn Ihr mich hier rausholt. Aber Ihr müsst Euch sputen, ich kann nicht länger warten.«
»Für dreihundert Scudi hole ich dich sogar aus der Hölle. Trotzdem müssen wir auf die Dunkelheit warten, jetzt ist es unmöglich. Hier oben herrscht ein Durcheinander, das glaubst du nicht. Sobald es Nacht wird, schließe ich dir die Tür auf. Du wartest schön hier.«
»Wo soll ich denn auch hingehen?«
Es kam keine Antwort auf Mutis gereizte Entgegnung. Gerlando hatte sich schon hinkend in Bewegung gesetzt.
Er wusste, wo er den Kellerschlüssel fand, und auch, wie er unbemerkt daran kommen konnte.
Während er die Lichtung überquerte und sich durch das Gestrüpp schlug, malte er sich bereits das herrschaftliche Leben aus, das er mit der für ihn ungeheuren Summe von dreihundert Scudi würde führen können.
Er dachte wieder an sein Kalabrien, das auf einmal gar nicht mehr so unerreichbar schien.
»Kommt überhaupt nicht infrage!«, schrie Fulminacci, »Schluss mit diesen Hanswurstverkleidungen. Davon habe ich die Schnauze voll!«
»Komm schon, Giovanni, sei vernünftig«, versuchte Melchiorri ihn zu besänftigen. »Es ist doch ein Kostümfest. Wenn wir nicht auffallen wollen, müssen wir uns halt kostümieren.«
»Schlag dir das aus dem Kopf. Ohne mich.«
»Siehst du?«, zischte Beatrice. »Ich habe es dir ja gesagt. Er ist unvernünftig und störrisch wie ein Maulesel.«
»Ich bin weder störrisch noch unvernünftig«, erwiderte der Maler. »Ich will einfach nur meine Würde wahren.«
»Würde, ha! Dürfte ich mal erfahren, wo deine Würde bleibt, wenn du in den schlimmsten Spielhöllen und schmutzigsten Bordellen verkehrst?«
»Das sind Männerangelegenheiten, das verstehst du nicht«, antwortete Fulminacci mit stolzer, selbstzufriedener Miene. »Außerdem hat es nichts mit dem zu tun, worüber wir gerade reden. Ich werde kein Kostüm anziehen, und damit basta.«
»Baldassarre, red du mit ihm«, knurrte Beatrice, die vor unterdrückter Wut ganz rot im Gesicht geworden war. »Red du mit ihm, bevor ich ihm etwas an den Kopf werfe.«
»Also, Giovanni, versuch doch mal, vernünftig zu denken…«
»Vernünftig, der! Ha!«, warf Beatrice ein.
»Wenn wir uns nicht verkleiden, werden wir uns nicht frei unter den anderen Gästen bewegen können. Dir liegt doch auch etwas daran, diese Angelegenheit endlich zum Abschluss zu bringen, oder? Außerdem verstehe ich nicht, was daran so schlimm ist. Diese Kostüme sind doch sehr schön.«
»Baldassarre, ich bitte dich, hör auf damit. In der vergangenen Woche habe ich mich der Reihe nach wie folgt verkleidet: als Türke, als griechischer Soldat und als Mitglied einer Bruderschaft, die Leichen abtransportiert, und in allen drei Fällen bin ich nur knapp mit heiler Haut davongekommen! Deshalb ist jetzt Schluss mit den Maskeraden. Ich habe nichts weiter dazu zu sagen.«
Der Großmeister hob hilflos schnaubend die Arme.
»Messer Sacchi«, schaltete sich Jacopo ein, »erlaubt mir, Euch darauf hinzuweisen, dass das für Euch bestimmte Kostüm von einem ausgezeichneten Schneider angefertigt worden ist, der auch das Kostüm für die Königin von Schweden konfektioniert hat. Wenn Ihr die Güte haben wollt, es einmal anzuprobieren, werdet Ihr feststellen, dass es sich keineswegs um eine vulgäre Larve handelt, sondern um ein ausgesprochen elegant gearbeitetes Gewand, für das nur die besten Stoffe verwendet wurden. Habt Ihr es erst einmal an, wird es gewiss Euren Beifall finden, davon bin ich überzeugt.«
»Ich würde es auch nicht anziehen, wenn es ganz aus Goldmünzen bestünde«, beharrte der Maler, der jedoch nicht mehr ganz so unnachgiebig klang.
Weil er eine Chance sah, die Abwehrhaltung des Malers aufzuweichen, versuchte es Salinari erneut.
»Lasst Euch nicht von Vorurteilen beirren. Denkt daran, dass die gesamte feine Gesellschaft Roms an diesem Fest teilnimmt und alle ausnahmslos kostümiert sein werden. Wie würdet Ihr denn in normaler Straßenkleidung dastehen? Und wenn ich Eure wohlproportionierte Gestalt so sehe, kann ich mir vorstellen, dass das fragliche Kostüm Euch eine gewisse aristokratische Vornehmheit verleihen und Euch zu einem der elegantesten Männer des Festes machen wird. Probiert es doch einmal an, ich bitte Euch.«
Mit seiner schmeichlerischen Zungenfertigkeit gelang es dem Gehilfen tatsächlich, den Maler von seiner strikten Weigerung abzubringen. Fulminacci nahm das gebügelte und ordentlich gefaltete Kostüm nun etwas genauer in Augenschein.
»Also schön, meinetwegen«, sagte er. »Aber nur, um Euch einen Gefallen zu tun. Gebt her.«
Fulminacci nahm das Kleiderbündel und verschwand mit gemessenen, würdevollen Schritten hinter dem Paravent, der in einer Ecke des Zimmers aufgestellt war.
Die anderen mussten geraume Zeit warten und lauschten gespannt auf sein Herumhantieren und Grunzen beim Umziehen.
»Wie sehe ich aus?«, fragte er schließlich, als er hinter dem Wandschirm hervortrat.
»Einfach fantastisch, Messer Sacchi«, antwortete Salinari prompt. »Es sitzt wie angegossen.«
Der Maler drehte sich um die eigene Achse und breitete den weiten Domino aus weicher Seide aus. Unter dem Cape trug er einen schwarzen, mit fächerartig angeordneten Federn geschmückten Rock, der bis zur Mitte der Oberschenkel fiel. Die eng anliegenden, nicht ganz so dunklen Hosen steckten in prächtigen Stiefeln aus glänzendem Kalbsleder, die bis über die Knie reichten und am Spann mit zwei flügelförmigen Metallspangen verziert waren. Über dem Gesicht trug er eine Maske aus Leder und Pappmaschee, welche die Züge eines Raubvogels nachahmte, eines Falken oder Habichts, mit einer Federhaube in schillernden Farben obenauf. Der hohe, steife Kragen des Capes betonte das edle Profil des fliegenden Räubers zusätzlich.
»Ein prachtvolles Kostüm, Messer Sacchi«, schwärmte der Assistent. »Es hebt, wenn Ihr mir die Bemerkung erlaubt, die edle Kühnheit Eurer natürlichen Haltung hervor. Glaubt mir, Ihr werdet einen großartigen Eindruck machen.«
»Findet Ihr nicht, dass der Rock hier hinten etwas kneift? Wäre es möglich…«
»Ich lasse sofort die Schneiderin rufen, Messere.« »Männer, puh!«, ließ sich Beatrice vernehmen.