KAPITEL LXIX

 

Der Skorpion strich zum zigsten Mal über den glatten, warmen Bernstein in der Tasche seines Überrocks und fühlte sich gestärkt. Der Schachzug zur Wiedererlangung seines Talismans war ein voller Erfolg gewesen. Die Musketiere waren sofort auf den Trick hereingefallen und hatten blindlings die Verfolgung der beiden Männer aufgenommen, die Fieschi als Komplizen gedungen hatte. Der erste hatte sich heimlich in den Saal geschlichen, die Wachen in die Irre geführt und sich in das hohe, dichte Gebüsch geflüchtet, wo der zweite ihn abgelöst hatte, um die Verfolger vom Palast und dem so gut wie unbewachten Saal wegzulocken.

Es war nicht schwer gewesen, dem einzigen zurückgebliebenen Musketier die Kehle durchzuschneiden, den Bernstein herauszuholen und zum Fest zurückzukehren, wo er in der Menge der Gäste verborgen darauf wartete, den letzten Teil seines Plans auszuführen.

Wie erhofft, war die Vergiftung des einen Jesuiten erfolgreich verlaufen. Aus hier und dort aufgeschnappten Gesprächsfetzen hatte er erfahren, dass ein Mönch kurz vor dem Beginn des Feuerwerks von einer plötzlichen Übelkeit befallen worden war. Die Ursache sei offenbar in dem übermäßigen Weingenuss des Jesuiten zu suchen, hieß es; niemand sprach von Gift. Der Zwischenfall schien sogar eine gewisse Heiterkeit ausgelöst zu haben, zumindest unter den zynischeren Gästen, die ihre Gesprächspartner mit den üblichen Scherzen über die besondere Neigung der Kirchenmänner zu den Freuden des Bacchus unterhielten. Aus weiteren Unterhaltungen, die er belauschte, erfuhr der Skorpion, dass der Mönch in das Laboratorium des Großmeisters Baldassarre Melchiorri gebracht worden war. Die Dinge entwickelten sich noch besser als erwartet.

Der Skorpion hatte damit gerechnet, dass man den Jesuiten in den Palast tragen würde, um ihn zu behandeln, doch dass er nun in dieses Nebengebäude gebracht worden war, stellte einen unverhofften Glücksfall dar.

In sicherer Entfernung von neugierigen Blicken und der Menschenmenge würde es ihm noch leichter fallen, den Auftrag zu Ende zu führen, den er vor so vielen Jahren übernommen hatte.

Außerdem bestand nach wie vor die Möglichkeit, dass das Gift, das die ebenfalls von Fieschi engagierte Frau dem Mönch verabreicht hatte, seiner irdischen Existenz ein Ende bereitete. Falls nicht, war das auch kein Problem; Hauptsache, man hatte die beiden Jesuiten vom Gros der Geladenen weggebracht.

Nun musste er nur noch in den Pavillon eindringen und diese beiden letzten Überlebenden ausschalten.

Keine einfache Aufgabe, das wusste er.

Azzolini und de Simara würden ein ansehnliches Wachkorps zu deren Schutz abgestellt haben, aber er baute auf den Überraschungseffekt und auf seine Fechtkunst. Schon früher hatte er das stärkste militärische Aufgebot auf diese Weise überlistet.

Diesmal würde es nicht anders sein.

Der Skorpion sah sich um, spähte durch die schmalen Schlitze seiner Maske hindurch. Gruppen von Männern gingen mit verräterisch aufmerksamem Gesichtsausdruck in der Menge herum. Seine Gegner mussten den Diebstahl des Bernsteins bereits bemerkt haben und hatten die als Diener verkleideten Musketiere ausgeschickt, um nach ihm zu suchen.

Das war ein weiterer günstiger Umstand für sein Vorhaben: Je mehr Männer nach ihm Ausschau hielten, desto weniger standen für die Bewachung der Mönche zur Verfügung.

Er musste jetzt nur darauf achten, nicht den Verdacht dieser Spürhunde zu erregen. Er musste Geduld haben, den günstigsten Moment abwarten.

In aller Ruhe, ohne Eile.

Der Auftragsmörder ging auf eine Gruppe von vergnügt schwatzenden Leuten neben einem Tisch zu, an dem livrierte Diener Wein und Häppchen servierten, und führte eine der typischen Einlagen seiner Figur auf. Er richtete die Flinte auf die belustigten Gäste und sagte mit tiefer, drohender Stimme: »Geld her oder Leben, meine Herrschaften! Auf mein Wort, ich verwandele Euch sonst alle in Drosseln am Spieß!« Einen deutschen Akzent nachzuahmen fiel ihm nicht schwer. Unter dem Gelächter der Umstehenden legte der angebliche Capitan Spingarda seine Waffe an, aus der eine Rauchwolke hervorpuffte. Er täuschte einen gewaltigen Rückstoß vor und taumelte tollpatschig zu Boden, was erneut stürmische Heiterkeit hervorrief.

Während er sich noch auf dem Boden wand, sah er aus dem Augenwinkel drei vorbeigehende Musketiere, die sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen konnten.

Begleitet vom Gespött der Zuschauer rappelte der Skorpion sich mühsam auf die Beine und begann auf den Pavillon zuzugehen, der sein eigentliches Ziel darstellte, als ihn plötzlich ein seltsames Gefühl überkam und ihn kurz erstarren ließ.

Als Fulminacci seine sorgenvollen Gedanken verdrängt hatte, wandte er sich wieder bewusst seiner Umgebung zu, gerade noch rechtzeitig, um etwas zu bemerken, das all seine Sinne mit einem Schlag hellwach werden ließ.

Es war nur eine Kleinigkeit, die Andeutung einer Bewegung, die seine überreizte Wahrnehmung aus den zahllosen Eindrücken ringsum herausfilterte.

Ein leichtes Hinken.

Eine kaum merkliche Asymmetrie der Hüfte, die zu einem nicht ganz flüssigen Gang führte.

Ein Humpeln, das er schon einmal gesehen hatte.

Es bedurfte einiger Augenblicke angestrengten Nachdenkens, bis er sich erinnerte, wo. Sein Gedächtnis arbeitete mit höchster Geschwindigkeit, unterstützt von seiner langjährigen Erfahrung als Porträtmaler und einer natürlichen Begabung dafür, Besonderheiten aus dem Allgemeinen herauszuschälen und die wenigen charakteristischen Züge zu erfassen, die ein mittelmäßiges Bild in ein Werk verwandeln, das vom Leben des Dargestellten erzählt.

Ein leichtes Hinken. Ein Gang, den er bereits in einer überfüllten Kirche bemerkt hatte, einer Kirche, in der ein schreckliches Verbrechen geschehen war; den er im Gassenlabyrinth des Ghettos wieder gesehen hatte, in einer Nacht voll Tod und Hinterhalten; und den er – das wurde ihm erst jetzt bewusst – erneut in einem Theater während einer Opernaufführung beobachtet hatte.

Der Skorpion!

Die Augen des Malers schnellten durch die Menge, um dieses besondere Merkmal wiederzufinden, das ihm gerade aufgefallen war.

Sein Blick richtete sich auf einen der Schauspieler der Commedia dell’Arte, diesen Capitan Spingarda, der ihn so amüsiert hatte.

Der Mann, der ihm den Rücken zukehrte, war plötzlich stehen geblieben, wie von unsichtbaren Bändern zurückgehalten, mit steifen Schultern, mitten im Schritt. Es dauerte nur einen Augenblick. So abrupt, wie er innegehalten hatte, löste sich der Komödiant aus seiner kurzen Erstarrung und ging weiter.

Der Maler brauchte nur wenige seiner Schritte zu sehen, um unzweifelhaft den gefürchteten Mörder in ihm zu erkennen. Trotz des voluminösen Überrocks, den er trug, trotz des großen Federhuts, trotz des falschen Bauchs, trotz des langen schwarzen Bartes. Er war sicher, dass sich unter diesem Kostüm sein unversöhnlicher Feind verbarg.

Der Skorpion!

Fulminacci packte seinen Begleiter am Arm, der gerade woanders hinsah, und deutete mit dem Kopf auf den sich entfernenden Schauspieler.

»Der ist es«, sagte er knapp.

»Seid Ihr sicher?«

»Todsicher. Ich würde all meine kostbaren Pinsel aus Marderhaar darauf verwetten.« »Dann nichts wie hinterher. Er darf nicht in der Menge untertauchen.«

Inzwischen hatte die Musik gewechselt. Die Liebesarien von eben waren von einer lärmenden Fanfare abgelöst worden, die offenbar den Beginn einer neuen Vorführung ankündigte. Am Rand der Festwiese beeilte sich ein Heer von Dienern, die Laternen abzuschirmen, während in dem Wäldchen, das an die äußerste Terrasse grenzte, einige weiße Stoffbahnen herabgelassen wurden. Die Fanfare endete mit schallenden Trompetenstößen, worauf eine leise, schmelzende Musik die laue Nachtluft erfüllte. Das laute Stimmengewirr wurde gedämpfter, und alle Köpfe wandten sich in dieselbe Richtung. Langsam strömten die Gäste auf das Wäldchen zu.

Auf den Stoffbahnen begannen bewegte Bilder aufzuflackern, während die Orchestermelodie von der hellen Stimme eines Countertenors oder Kastraten übertönt wurde, der eines der berühmtesten Musikstücke der Epoche anstimmte, eine Arie nach dem Drama Das befreite Jerusalem von Torquato Tasso. Dieser ersten Stimme antwortete bald eine zweite, höher noch und melancholischer, eine Sopranstimme, und zugleich konnte man auf der Leinwand die Umrisse zweier Krieger erkennen, die mit den Waffen in der Hand einen tödlichen Zweikampf ausfochten.

Derweil Tancredi und Clorinda ihr herzzerreißendes Duett von Liebe und Tod schmetterten, folgten der Maler und der Bischof dem maskierten Mörder, der sich weiter von der Zuschauermenge entfernte.

Keiner der anderen Suchtrupps war in der Nähe zu sehen. Offenbar patrouillierten de Simaras Männer dort, wo die Menschenansammlung am dichtesten war, weil sie davon ausgingen, dass der Mörder versuchen würde, in der Masse der Gäste unterzutauchen, statt sich in einer einsameren Gegend des Parks in die Enge treiben zu lassen.

Fulminacci erkannte, dass sie allein mit ihm fertig werden mussten.

Er akzeptierte diese Tatsache mit fatalistischer Resignation, weil er schon die ganze Zeit geahnt hatte, dass er und der Skorpion sich früher oder später wieder begegnen und mit offenem Visier gegeneinander kämpfen würden, Mann gegen Mann, bis zum bitteren Ende. Dabei zog er es gar nicht in Erwägung, Hilfe vonseiten des Bischofs zu erwarten. Stets darauf bedacht, den Skorpion nicht aus den Augen zu verlieren, musterte er seinen Begleiter kritisch. De Simara wirkte zwar noch sehr rüstig, musste aber die sechzig schon überschritten haben, wenn man nach dem Netz von Falten ging, das sein Gesicht überzog. Und überhaupt, welchen Nutzen konnte ein Geistlicher schon bei einem Kampf mit Hieb- und Stichwaffen haben? Fulminacci seufzte, versuchte ruhig zu bleiben und war überzeugt, dem Tod noch nie so nahe gewesen zu sein.

Der Mörder hatte inzwischen seine Schritte beschleunigt, war an den letzten, zur Aufführung eilenden Nachzüglern vorbeigegangen und hielt auf den nördlichen Teil des Parks zu, wo der Pflanzenbewuchs dichter und üppiger war.

»Seid auf der Hut«, warnte der Bischof. »Ich bin sicher, dass er irgendeine Finte versuchen wird, sobald wir zwischen den Bäumen sind.«

»Was soll er schon groß versuchen? Wir sind ihm dicht auf den Fersen und haben ihn immer im Blick. Er kann höchstens anfangen zu laufen, aber er ist nicht mehr der Jüngste, und ich werde ihn im Nu eingeholt haben.«

»Unterschätzt ihn nicht, Messer Sacchi. Das wäre ein Fehler, der Euch teuer zu stehen kommen könnte.«

»Ich unterschätze ihn gewiss nicht, Monsignore. Vergesst nicht, dass ich bereits gegen ihn gekämpft habe. Das ist eine Erfahrung, die man nicht so schnell vergisst.«

»Am besten, wir treiben ihn noch weiter von den Gästen fort. In einem entlegenen Winkel können wir fern vom Fest die Rechnung mit ihm begleichen.«

»Ich glaube, er denkt genauso, und das finde ich nicht gerade beruhigend.«

»Ist er wirklich so gut?« »Er ist höllisch gut, ein unvergleichlicher Fechter, der jeden schmutzigen Trick kennt. Genügt Euch das? Obendrein hat er dieses Schwert, schmal, kurz und leicht gebogen. Sieht fast aus wie ein Kinderspielzeug, nur dass es in seinen Händen zu einem tödlichen Spielzeug wird.«

»Ich habe davon gehört. Es heißt, es komme aus Japan und sei nach einem geheimen, komplizierten Verfahren geschmiedet worden, wodurch es härter und zugleich biegsamer sei als jede europäische Waffe.«

»Ich weiß nicht, ob es aus Japan kommt oder von den Inseln der Seligen oder aus dem Land des Priesters Johannes. Jedenfalls ist es rasiermesserscharf und kann einem mühelos das Haupt vom Rumpf trennen.«

»Schön, das werden wir ja bald sehen.«

Der Skorpion war in einen von hohen Buchsbaumhecken gesäumten Pfad eingebogen, der zu einem Rondell mit dichter Bepflanzung führte. In diesem Teil des Parks waren die Wege still und verlassen. Nur das Rascheln der Blätter in dem sanften Windhauch und das Knirschen des Kieses unter den Stiefelsohlen begleiteten die leisen Bewegungen der drei maskierten Gestalten. Hin und wieder trug der Wind ein paar Töne der fernen Musik herüber. Der Mond war gerade aufgegangen und hing weiß schimmernd über dem Horizont. Sein blasses Licht warf lange Schatten auf die Pfade und Lichtungen und verwandelte eine Parklandschaft, die bei Tag von idyllischer Schönheit war, in eine düstere, fast schaurige Umgebung.

Die Rufe der Nachtvögel waren eine passende Untermalung für diesen letzten Akt des finsteren Schauspiels, an dessen Ende, anders als im Theater, die Besiegten sich nicht von den Bühnenbrettern erheben würden, um den Applaus der Zuschauer entgegenzunehmen.

K apitel lxx

Die beiden Verfolger und der Verfolgte drangen in eine Gegend vor, wo der ordentlich angelegte und sorgfältig gepflegte Park die wildere Gestalt eines echten, naturbelassenen Waldes annahm.

Hier machten die Zypressen, die Weiden und Buchsbaumhecken dicht belaubten Eichen Platz, deren riesenhafte Schirme große, dunkle Schattenflächen schufen. Nur hier und da gab es schmale Lichtungen, auf denen das geisterhafte Mondlicht kleine, von Moos und Flechten bedeckte Brunnen und zerbrochene Statuen beschien. Von der Schaufel irgendeines Antiquitätenhändlers aus ihrer jahrtausendealten Ruhestatt ausgegraben, waren sie sogleich wieder der Vergessenheit dieser grünen Alkoven anheimgegeben worden.

De Simara und der Maler hielten etwa zwanzig Schritt Abstand zu dem Flüchtigen und warteten darauf, dass er sich zum Kampf stellte.

Anfangs waren sie noch vereinzelten Liebespaaren begegnet, die sich ungeachtet des Festes an einsame Stellen zurückgezogen hatten, um weniger vergängliche Freuden zu genießen. Je weiter sie jedoch in die dunklen Randgebiete des Parks eindrangen, desto seltener trafen sie auf andere Menschen.

Der Skorpion legte ein zügiges Tempo vor, schien aber seine Beschatter nicht abhängen zu wollen und genau zu wissen, wohin er ging. Auf einmal verschwand seine durch das Kostüm plump wirkende Silhouette blitzschnell in einem dicht bewachsenen Hain.

»Jetzt geht’s los!«, rief de Simara. »Der Skorpion hat seinen Köder ausgeworfen, und wir müssen anbeißen. Folgt ihm, Maestro Sacchi, ich werde um die Baumgruppe herumgehen. Versuchen wir, ihm jeden Fluchtweg abzuschneiden.« Der Bischof lief auf die rechte Seite des Wäldchens zu.

Dem Maler blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen, und mit einem flauen Gefühl im Magen nahm er die Verfolgung auf.

Die Vegetation wucherte hier ungezähmt, sodass sein Lauf bald gebremst wurde und er sich mühselig durch ein Gewirr von Kletterpflanzen hindurchkämpfen musste, das die nahe beieinanderstehenden Bäume in unauflösliche Fesseln geschlagen zu haben schien. Fulminacci fürchtete schon, die Spur des Feindes in diesem Dickicht zu verlieren, doch der Skorpion hatte andere Pläne, denn plötzlich löste sich der Urwald aus Schmarotzerpflanzen und verkrüppelten Stämmen auf und gewährte dem keuchenden Verfolger Zugang zu einer kleinen, grasbewachsenen Lichtung.

Mitten auf dieser Ebene wartete die im Mondlicht bläulich schimmernde Gestalt des Mörders mit gezücktem Schwert auf ihn.

Fulminacci blieb stehen, zog, nicht ohne eine gewisse Verlegenheit, den geliehenen Degen aus der Scheide und riss sich zugleich die Maske vom Gesicht.

In dem opalisierenden Halbdunkel schien es ihm, als lächelte der Skorpion zufrieden.

Er ließ ihm keine Zeit für ein Vorgeplänkel. Kaum hatte Fulminacci die Ausgangsstellung eingenommen, ging der Skorpion zum Angriff über.

Die ersten Hiebe hagelten mit geradezu übermenschlicher Geschwindigkeit und Kraft auf die Klinge des Malers herab, und nur ein günstiges Schicksal rettete ihn vor dieser vehementen Attacke. Dem Skorpion stand nicht der Sinn nach Spielchen an diesem Abend. Er hatte offensichtlich vor, sich des einen Gegners schnellstmöglich zu entledigen, damit er den Rücken freihatte, um es dann mit dem zweiten aufzunehmen.

Nachdem Fulminacci dem ersten Ansturm standgehalten hatte, bemühte er sich um eine saubere Deckung, damit er dem Mörder besser die Stirn bieten konnte.

Dieser Taktikwechsel zeigte jedoch nicht die erhoffte Wirkung. Im Gegenteil, der Skorpion attackierte noch schneller, so dass der Maler, um sich vor den von allen Seiten kommenden Hieben und Ausfällen in Sicherheit zu bringen, immer weiter zurückwich und bald mit dem Rücken zu dem undurchdringlichen Gestrüpp stand.

Fulminacci musste all seine Fähigkeiten aufbieten und erneut die Strategie ändern, weil er wusste, dass er auf diese Weise nicht mehr lange Widerstand leisten konnte. Er setzte seine nicht geringe Körperkraft ein, die der seines Gegners überlegen war, und verlieh seinen Abwehrschlägen mehr Wucht, um die Distanz zwischen ihnen zu verringern. Bei einem Duell aus nächster Nähe konnte er seine Jugend und überlegene Kraft besser zu seinem Vorteil nutzen.

Der Skorpion schien auf seine verzweifelte List hereinzufallen, und bald kämpften sie Schulter an Schulter, nur durch die gekreuzten Griffe ihrer Waffen voneinander getrennt. Zum ersten Mal empfand Fulminacci so etwas wie leise Zuversicht. Aus der Nähe konnte er all die schmutzigen Tricks anwenden, die er als einer der Hauptakteure bei vielen Wirtshausraufereien gelernt hatte: Schulterstöße, Beinstellen, Ohrfeigen mit dem Rücken der freien Hand, Fußtritte und Spucken. Doch der Skorpion wusste offenbar auch mit dieser Art von Kampftechnik umzugehen. Er wich geschickt all seinen Schlägen und Attacken aus, erwiderte sie ebenso kraftvoll und führte seinerseits ein paar unfeine Kniffe ins Feld, mit denen der Maler nicht gerechnet hatte.

Mittlerweile wusste Fulminacci nicht mehr, welchen Heiligen er noch anrufen sollte. Jeder Dreh, jeder Kniff, jede Finte, die er sich ausdachte, lief an der Klinge des Gegners ab wie Brunnenwasser am Waschbrett.

In dieser schwierigen Lage griff er zu einem verzweifelten Mittel, einem Stoß, den ihm sein Fechtlehrer einmal beigebracht hatte, allerdings mit der Warnung, ihn nur im Falle höchster Gefahr zu wagen. Mit einer heftigen Drehung des Unterarms, in die er übermenschliche Kraft legte, entwand er sich seinem Gegenüber, der ihn mit gekreuzter Klinge abgeblockt hatte, ging plötzlich in die Knie, als die feindliche Waffe nicht auf ihn zielte, und stieß mit seinem Degen von unten zu, in der Absicht, den Skorpion direkt ins Herz zu treffen. Dieser Stoß war zweifach gefährlich. Erstens musste man dazu ein Knie auf dem Boden absetzen, wodurch man sich im Falle eines Misserfolgs dem Gegenschlag aussetzte, ohne zurückweichen zu können. Zweitens blieb dabei die gesamte linke Körperhälfte ohne Deckung. Und selbst wenn der Stoß ins Ziel traf, hatte der Gegner, falls er genauso schnell war und die Absicht erahnte, einen Bruchteil einer Sekunde Zeit, um selbst noch einen Hieb anzubringen. Sein Fechtlehrer hatte ihm damals, in seinen fernen Jugendjahren in Pavia, erzählt, wie es schon so manches Mal vorgekommen sei, dass zwei Kontrahenten sich gegenseitig aufgespießt hätten.

Das Schwert des Skorpions wurde durch die kraftvolle seitliche Drehung seines Degens ein paar Handbreit zurückgeschoben und gab ihm Gelegenheit, auf ein Knie zu fallen und den Stoß auszuführen.

Die Reaktionsgeschwindigkeit des Mörders war erstaunlich.

Statt durch eine Lücke in dessen Deckung ins Ziel zu treffen, krachte Fulminaccis Degen erneut gegen das Schwert des Skorpions. Der Aufprall von Stahl auf Stahl war klirrend und schrill, und die Klinge des Malers brach eine Handbreit über dem Griff ab und machte ihn vollkommen wehrlos gegenüber dem unvermeidlichen Gegenangriff.

Der Skorpion schlug nicht sofort zu, sondern hielt einen Augenblick inne und lächelte; dann, nachdem er die Wirkung seines Hiebs im Voraus ausgekostet hatte, hob er sein Schwert, um dem Maler den Garaus zu machen.

Dieses kleine Zögern erwies sich als entscheidend.

Die Klinge des Skorpions, die zischend auf Fulminaccis ungeschützten Hals zusauste, traf auf ein unerwartetes Hindernis.

Bischof de Simara, der inzwischen das Dickicht umrundet und die Lichtung von der anderen Seite betreten hatte, war mit seiner Waffe vorgestürzt und hatte die tödliche Bahn des Mörderschwerts unterbrochen. Der Skorpion war jedoch kein Fechter, der sich leicht überrumpeln ließ. Mit einem schnellen Satz entfernte er sich von seinem neuen Widersacher und ging sofort wieder in die Ausgangsstellung.

Der Maler blieb keuchend auf dem Boden liegen. Sein Herz schlug in einem so wilden Rhythmus wie maurische Musik, und er wusste, dass er um die sprichwörtliche Haaresbreite davongekommen war.

Nicht, dass die momentane Situation Anlass zu großem Optimismus gegeben hätte.

Was konnte ein Bischof, ein Kirchenmann, obendrein noch ein alter, gegen den gefährlichsten Meuchelmörder Europas ausrichten?

Nein, das böse Ende war nur aufgeschoben, sagte sich Fulminacci, während er sich wieder hochrappelte, fest entschlossen, das Weite zu suchen.

Der Bischof aber schien dem Skorpion unerwarteterweise standzuhalten, und das mit größerer Gewandtheit als er selbst. Die schnellen, genauen Hiebe des Mörders trafen jedes Mal auf die Klinge des Geistlichen, der sogar mit schöner Regelmäßigkeit die Möglichkeit hatte, einen ebenso wirkungsvollen Gegenstoß zu führen.

Fasziniert von diesem Schauspiel unvergleichlicher Meisterschaft in einem Kampf auf Leben und Tod, schob Fulminacci seine Fluchtpläne vorerst auf. Er konnte die Augen nicht von diesen beiden wirbelnden Klingen lösen, die tödlich in der Mondnacht blitzten.

Als der Skorpion merkte, dass er es auf einmal mit einem ebenbürtigen Gegner zu tun hatte, gab er die Taktik der schnellen Attacken auf und ging zu einem aufmerksameren und zielgerichteteren Fechtstil über, bei dem er weniger Hiebe austeilte, um eine Schwachstelle in der Deckung des Gegners zu finden und den alles entscheidenden Stoß anbringen zu können. Der Bischof stellte sich schnell darauf ein, und das Duell wurde zu einer Art Tanz, bei dem jeder Schritt, jeder Hieb, jeder Stoß, jede Parade, jeder

Ausfall die Entscheidung bringen konnte. Jeder Hieb des einen Gegners wurde vom anderen sofort erwidert; die Klingen sausten und zischten in der lauen Nachtluft auf der Suche nach ihrem Ziel, aber keiner von beiden schien die Oberhand zu gewinnen.

Der Skorpion war es nicht gewohnt, gegen einen ebenbürtigen Fechter zu kämpfen. So etwas war in all den Jahren kaum je vorgekommen, und seine vorsichtigere Haltung spiegelte seine Ratlosigkeit gegenüber diesem unerwarteten Umstand wider.

Der Mörder versuchte, die Distanz zu verringern, wie es der Maler kurz zuvor bei ihm getan hatte, musste aber feststellen, dass der Bischof auch auf diese Kampftechnik vorbereitet war und sie ihm sogar noch mehr behagte als ein Duell auf Abstand.

Das Kräfteverhältnis hatte sich umgekehrt. Wie zuvor der Maler, wagte nun auch der Skorpion eine gefährliche Finte.

Mit einem Sprung entfernte er sich von seinem Gegner, stürzte mittels einer Drehung auf dem rechten Fuß jäh wieder auf ihn zu, wechselte das Schwert von der rechten in die linke Hand und stieß zu.

All das spielte sich im Bruchteil einer Sekunde ab, kaum mehr als ein Wimpernschlag.

Die Klinge des Mörders schnellte vor, aber de Simara war genauso schnell. Er durchschaute die Absicht des anderen, warf sich zur Seite, bog gleichzeitig den Oberkörper nach hinten und stieß seinen Degen dem Gegner in den Bauch.

Die beiden Gestalten, die im Schein des schon fast untergegangenen Mondes nur noch schemenhaft zu erkennen waren, verharrten so, während die Zeit stillstand.

Dieser Moment der Reglosigkeit, der dem Maler wie nicht von dieser Welt vorkam, schien ewig zu dauern. Dann sank einer der beiden Schemen in einer fließenden, ergebenen Bewegung zu Boden.

Das Duell war vorbei.