KAPITEL XXXIX

 

Die schwere, eisenbeschlagene Tür schloss sich quietschend und mit hohlem Knall hinter Beatrice, während sie noch in die winzige Zelle taumelte. Ihre Beine trugen sie nicht mehr, und sie sank auf dem schmutzigen Lager zusammen.

Plötzlich, vor ein paar Stunden, waren sie gekommen.

Die Bluthunde des Herrn.

Ohne ein Wort hatten sie sie aus der Zelle geholt, ohne jede Gefühlsregung, die Gesichter starr wie Wachs, ausdruckslos, undurchdringlich. Sie hatten sie in einen kahlen, kalten Raum mit niedriger, gewölbter Decke geführt und sie dort eine Ewigkeit allein gelassen.

Wartend.

Dann war ein Mönch hereingekommen und hatte mit dem Verhör begonnen.

Mit leiser, monotoner Stimme hatte der Dominikaner ihr Fragen über Fragen gestellt, ohne auch nur einmal auf ihre Unschuldsbeteuerungen einzugehen.

Der Teufel, immer wieder.

»Wann bist du ihm begegnet? Was hat er dir versprochen? Wie hast du ihn beschworen?«

»Ich weiß nicht, wovon Ihr redet, Pater«, hatte sie geantwortet und versucht, so gut es ging, ruhig Blut zu bewahren. »Ich bin keine Hexe. Ich lege nur ein paar Leichtgläubigen die Tarotkarten, es ist nur ein Spiel, ein Mittel, meinen Lebensunterhalt zu verdienen.«

»Welchen Dämon hast du gerufen? Astaroth, Abraxas, Baphomet? Wo haltet ihr eure Teufelsmessen ab?«

»Keine Dämonen, Pater. Nur Tarotkarten und Heilkräuter.«

»Wer sind deine Verbündeten? Wo finden wir sie?« »Ich habe keine Verbündeten. Ich habe nichts Schlechtes getan. Ich bin nur eine Kartenlegerin, wie es sie in Rom zu Hunderten gibt.«

Der Teufel.

»Wann bist du ihm begegnet? Was hat er dir versprochen? Wie hast du ihn beschworen?«

Und immer so weiter, in endloser Abfolge.

Es nützte überhaupt nichts, sich zu verteidigen. Der Mönch hörte ihr noch nicht einmal zu.

»Welchen Dämon hast du gerufen? Astaroth, Abraxas, Baphomet? Wo haltet ihr eure Teufelsmessen ab?«

Angesichts der Sinnlosigkeit ihrer Unschuldsbeteuerungen hatte sie schließlich aufgehört zu antworten. Mit gesenktem Kopf hatte sie darauf gewartet, dass die Litanei aufhörte, und sich danach gesehnt, in ihre stille, dunkle Zelle zurückgebracht zu werden.

»Wer sind deine Verbündeten? Wo finden wir sie?«

Die Fragen waren immer dieselben und wurden in ausdruckslosem, zwanghaftem Ton ohne Unterbrechung wiederholt.

Beatrice wusste nicht mehr, wie lange es in dieser hypnotisierenden Leier weitergegangen war.

Irgendwann hatte der Mönch aufgehört. Er hatte sie am Arm gepackt, von ihrem Hocker hochgezogen und ans andere Ende der Kammer geführt, wo er einen Vorhang beiseitezog und sie in einen angrenzenden größeren Raum zerrte. Dort erwartete sie ein baumlanger, kräftiger Mann, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte.

Der Mann stand vor einem langen Holztisch mit mehreren Dutzend Gegenständen darauf, die Beatrice nicht sofort einzuordnen wusste.

»Da du keine Bereitschaft zeigst, zu bereuen und zu gestehen, sehen wir uns gezwungen, dich dem Arm der weltlichen Gerichtsbarkeit zu übergeben, damit das Verhör mit anderen, wirksameren Mitteln fortgesetzt werden kann. Gehe in dich, meine Tochter, denn was du da im Begriff bist, auf dich zu nehmen, ist keine angenehme Erfahrung. Das Herz unseren Herrn Jesus blutet bei der Vorstellung, dass dir diese Qualen zugefügt werden müssen, und doch ist es zu Seiner größeren Ehre unvermeidlich.«

Beatrices Augen weiteten sich bei dem Anblick, der sich ihr bot. Der Tisch war übersät mit Folterwerkzeugen: Haken, Kneifzangen, Spitzeisen, weitere Zangen in seltsamen und beängstigenden Formen. Erst jetzt sah sie auch, dass neben dem Tisch ein brennendes Kohlenbecken stand, in dem mehrere dieser schaurigen Instrumente glühend heiß gemacht wurden.

Ihre Beine gaben nach, doch der Mönch stützte sie behände am Arm, den er immer noch festhielt, und zwang sie, ihr Gesicht, das sie unwillkürlich abgewandt hatte, wieder der Folterbank zuzukehren.

»Glaub nicht, dass es uns Freude macht, solche Maßnahmen zu ergreifen«, fuhr der Dominikaner fort, »doch es ist unsere Pflicht, der wir uns nicht entziehen dürfen, sosehr dies uns betrübt. Unser einziges Ziel ist es, die Seelen der uns anvertrauten Sünder zu retten und der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen.« Während er diese schrecklichen Worte sprach, verzog sich sein Mund zu einem Lächeln, das seine Rede Lügen strafte.

»Sieh genau hin«, forderte er Beatrice auf, »damit du dich auf das vorbereiten kannst, was dich erwartet.«

Der kräftige Mann nahm eine der Zangen vom Tisch und fing an, sie mit gewohnheitsmäßiger Selbstverständlichkeit vor den angstvoll aufgerissenen Augen der jungen Frau zu bewegen. Dann griff er nach einem anderen Werkzeug und führte seine makabre Funktion vor, und dann nach einem weiteren und noch einem. Eine Kneifzange mit zugespitzten Klemmbacken, eine Eisen spitze, Daumenschrauben, ein Holzkeil.

Trotz ihrer Furcht konnte Beatrice den Blick nicht von dieser Parade von Hölleninstrumenten, dieser Zurschaustellung bösartigen Einfallsreichtums lösen. Ihr Geist eilte voraus und nahm die Wirkung dieser grässlichen Gegenstände auf ihren Körper vorweg, stellte sich lebhaft und in allen Einzelheiten den Moment vor, in dem sie sie zu spüren bekommen würde. Ohne ein Wort zu sagen und mit regloser Miene führte der Folterknecht seine ganze Meisterschaft in der Handhabung der Torturwerkzeuge vor, als wäre er ein gelangweilter Stoffhändler, der seine Ware einer wenig kaufwilligen Kundin präsentiert.

»Nun, da du gesehen hast, was auf dich zukommt«, sprach der Dominikanermönch weiter, »sollst du in deine Zelle zurückkehren. Dort wirst du Gelegenheit haben, gründlich über die Fragen, die ich dir gestellt habe, nachzudenken und zu beten. Ich hoffe, dass du dich das nächste Mal mehr bereit zeigst, mit mir, einem bescheidenen Diener Gottes, zu sprechen.«

Zwei andere Mönche kamen herein und brachten sie in die Zelle zurück.

In der Dunkelheit ihres engen Gefängnisses kreisten Beatrices Gedanken immer wieder um die Erfahrung in der Folterkammer. Sie war so erschöpft, dass sie ihren Kopf nicht von der groben Pritsche heben konnte, aber es gelang ihr trotzdem nicht, in einen barmherzigen Schlaf zu fallen, denn der Anblick der Folterinstrumente verfolgte sie.

Wie sollte sie sich diesem grausamen Schicksal entziehen? Wie dieser Tortur entkommen?

Beatrice war eine tapfere Frau, zumindest hatte sie sich immer dafür gehalten, doch sie wusste, dass sie nicht die Kraft haben würde, solch grausame Folterungen zu ertragen. Das Wissen um ihre Unschuld half ihr nicht und verschärfte ihr Elend nur noch. Ein Schuldiger hätte angesichts der angedrohten Qualen Zuflucht in einem Geständnis seiner Vergehen suchen und so der Folter entkommen können. Aber was hatte sie schon zu gestehen?

Sicher, sie konnte zugeben, Umgang mit dem Teufel gehabt zu haben, aber die Inquisitoren würden sich nicht mit Aussagen allgemeiner Natur zufriedengeben. Sie würden vorgeben, die Namen ihrer Komplizen zu kennen, und Beatrice würde ihnen irgendwelche Namen nennen. Sie würde andere unschuldige Menschen denunzieren müssen; andere Unglückliche würden mitten in der Nacht aus ihren Wohnungen geholt und in die finsteren Verliese des Heiligen Offiziums verschleppt werden, wo man sie der gleichen Behandlung unterziehen würde wie sie. Diese Denunzierten würden wiederum andere angebliche Verbündete ans Messer liefern und so weiter, ein endloser makabrer Reigen. Das war das System, auf das sich die Prozesse der Inquisition gründeten.

Wie konnte sie diesem perfiden, vorherbestimmten Szenario entgehen? Wie konnte sie es vermeiden, dass anderen das gleiche Unheil zugefügt wurde, das sie erwartete?

Es gab nur eine Lösung.

Sosehr sie vor diesem letzten Ausweg zurückschreckte, sah Beatrice keine andere Möglichkeit, als ihrem Leben selbst ein Ende zu bereiten.

Selbstmord.

Das Wort an sich erfüllte sie mit Abscheu, aber nicht aus religiösen oder moralischen Bedenken. Sie war einfach jung und liebte das Leben. Ein frisches Lüftchen an einem Sommermorgen, der Wind in den Winternächten, der Gesang der Vögel, das Murmeln des Flusses, die Spiele der Kinder, das Schwatzen der Weiber – alles, was sich auf dieser Erde bewegte, bereitete ihr Vergnügen.

Allein der Gedanke, eigenhändig ihren vorzeitigen Tod herbeizuführen, war ihr unerträglich.

Und doch musste es sein.

Denn schlimmer noch war die Vorstellung, dass sie am Ende Zane und den Maler anschwärzen würde. Natürlich würde sie versuchen, die Qualen so lange wie möglich auszuhalten, aber früher oder später würde sie ihre Freunde verraten. Dieser Gedanke war wirklich unerträglich.

Sie musste Selbstmitleid und Zaudern überwinden und sich schnell ein Ende bereiten, ehe sie durch die Schwachheit ihres Fleisches den Menschen, die sie liebte, Schaden zufügte.

Aber wie sollte sie das tun?

In der Zelle gab es keinerlei Geräte oder Gegenstände, die ihr zu diesem Zweck dienen konnten.

Zwar trug sie als Vorsichtsmaßnahme, weil die Straßen Roms nach Sonnenuntergang so gefährlich waren, immer eine lange, spitze Haarnadel in ihrer üppigen Mähne, doch diese kleine Waffe war ihr zusammen mit den wenigen anderen Besitztümern, die sie bei sich hatte, abgenommen worden.

Es blieb nur eines übrig.

Beatrice erhob sich mühsam, zog ihren Unterrock aus und begann, ihn mit zitternden Fingern in lange Streifen zu reißen, wobei sie auch ihre Zähne zu Hilfe nahm, um den festen Stoff zu zerteilen. Anschließend flocht sie die Streifen zu einem groben Zopf, um ein Seil zu erhalten, das fest genug war, ihr Gewicht zu tragen.

Das alles nahm geraume Zeit in Anspruch. Wegen der beinahe vollständigen Dunkelheit musste sie sich auf ihren Tastsinn verlassen, was nicht einfach war, da Kälte und Verzweiflung ihre Finger steif und gefühllos gemacht hatten.

Nach den schrecklichen Erlebnissen des Tages war sie außerdem mit ihren Kräften am Ende und musste immer wieder pausieren und sich zusammenreißen, um weitermachen zu können. Ab und zu, wenn die Anstrengung zu viel wurde, fiel sie in einen leichten, unruhigen Halbschlaf, aus dem sie sich nur mit größter Willenskraft wach rütteln konnte.

So vergingen mehrere Stunden im Wechsel von fieberhafter Aktivität und längerer Bewusstlosigkeit, in denen ihr Geist zwischen Visionen von unsäglichen Qualen und wirren Erinnerungen aus ihrem Leben umherirrte.

Als sie endlich den primitiven Strick in den Händen hielt, stellte sich ein neues Problem.

Woran sollte sie die Schlinge befestigen?

Die Zelle war kahl und nackt, und sie erinnerte sich nicht, irgendwo einen Haken gefühlt zu haben, an dem sie das Stoffseil aufhängen konnte. Diese neue Schwierigkeit, die sie nicht bedacht hatte, versetzte ihrer wankenden Entschlossenheit einen schweren Schlag. Lange hockte sie in sich zusammengesunken da, während ihre müden Gedanken auf der Suche nach einer Lösung für das Problem ins Leere liefen. Alles schien vergeblich. Sie konnte nichts tun, um sich ihrem Schicksal zu entziehen. Doch dann schreckte sie aus ihrer Benommenheit auf, und das Wissen, dass ihre Kapitulation den Tod für ihre Freunde bedeuten würde, verlieh ihr neue Energie.

Auf einmal fiel ihr das Lüftungsloch wieder ein, und sie hievte sich mit schmerzenden Gliedern auf die Pritsche und tastete mit den Fingerspitzen die Öffnung in der Decke nach einem Haken oder sonstigen Aufhänger ab.

Das Loch wies keinen Vorsprung auf, aber es war schmal genug, dass man einen Gegenstand hineinklemmen konnte, um den Strick daran festzubinden.

Hektisch begann Beatrice, die Zelle nach irgendetwas abzusuchen, das dafür infrage kam. Die zweite Durchsuchung verlief jedoch nicht erfolgreicher als die erste. Die Pritsche war an der Wand und am Boden festgeschraubt, und es war nicht daran zu denken, mit bloßen Händen eines der dicken Bretter herauszureißen, die auf das Gestell genagelt waren. Die einzigen anderen Gerätschaften in diesem Gefängnis waren die beiden Terrakottagefäße. Der Wasserkrug war zu klein, kaum größer als eine Tasse, aber der für die Notdurft bestimmte hatte die richtige Größe und vor allem einen ausreichend langen Henkel.

Beatrice nahm den Krug und warf ihn mit ihrer verbleibenden Kraft gegen die Wand. Er prallte ab und kullerte über den Boden. Mit bebenden Händen suchte sie in der Finsternis, bis sie ihn wiederhatte. Tief enttäuscht stellte sie fest, dass er so gut wie heil geblieben war.

Ohne Zögern versuchte sie es erneut.

Ihre kaum noch vorhandenen Kräfte nahmen rasch ab. Trotzdem schleuderte sie den Krug zum dritten Mal gegen die Mauer, wohl wissend, dass sie keinen neuerlichen Versuch schaffen würde.

Diesmal zerbrach das Gefäß. Das Klirren der umherfliegenden Scherben hörte sich in ihren Ohren wie himmlische Harfen an. Der Henkel war glatt von dem Behältnis abgebrochen und landete wenige Zentimeter vor ihren Füßen.

Vollkommen erschöpft hob sie ihn auf und band das Stoffseil mit drei Knoten daran fest, damit es sich auf keinen Fall löste, wenn der Griff in dem kleinen Kamin steckte. Dann zwängte sie diesen, so gut es ging, in den Lüftungsschacht und prüfte mehrmals, ob das Seil auch festhing und ihr Gewicht aushalten würde.

Jetzt war sie für den großen Schritt bereit.

Sie legte sich die Schlinge um den Hals, schloss die Augen und schickte sich an, von der Pritsche zu springen, um ihrer schrecklichen Lage ein Ende zu bereiten.

Schon standen ihre Füße am rauen Rand des Lagers, fertig zum tödlichen Abstoß, als das jämmerliche Quietschen des Türriegels ertönte.

Zu spät, dachte die unglückliche Kartenlegerin. Zu spät.

Die Mönche waren gekommen, sie zu holen.