KAPITEL XX
Das unaufhörliche Schwatzen der Königin begann Kardinal Azzolini heftige Kopfschmerzen zu bereiten, die er mit häufigem Lächeln und gelegentlichen amüsanten Bemerkungen zu überspielen versuchte. Er konnte es kaum erwarten, dass die Aufführung ihren Anfang nahm. Sogar das Dröhnen der Blechblasinstrumente würde eine Erleichterung für sein geplagtes Gehör bedeuten.
Endlich schien sich etwas auf der Bühne zu regen. Der Vorhang ging auf, und das Orchester beendete das langwierige Stimmen der Instrumente. In ebendiesem Moment öffnete sich die Tür der Loge, und herein kam ein vornehm gekleideter Mann mittleren Alters mit ernstem, würdevollem Gesichtsausdruck.
»Majestät«, sagte der Herr und verneigte sich tief, »ich bitte vielmals um Verzeihung für meine unentschuldbare Verspätung, aber ich wurde von schwerwiegenden und unerwarteten Entwicklungen aufgehalten. Die Zukunft zu deuten und Horoskope zu erstellen erfordert höchste Konzentration, und der Ritus, den ich heute Abend in Eurem königlichen Interesse zelebriert habe, hat sich als länger und komplizierter erwiesen, als vorausgesehen. Wie Ihr wisst, darf der Vorgang der Beschwörung nicht unterbrochen werden, wenn er einmal begonnen wurde, da man sich andernfalls ernsten Gefahren aussetzt.«
Der Mann verbeugte sich erneut, um die Vergebung der Königin zu erbitten, die sie ihm mit einem knappen Nicken und einem nachsichtigen Lächeln gewährte.
Azzolini musterte den Neuankömmling flüchtig, der nun auf einem Klappsitz hinter der Königin Platz nahm. Er kannte ihn nur allzu gut.
Baldassarre Melchiorri, Ehrwürdiger Großmeister des höchsten Ordens der Erleuchteten, so nannte er sich. Er war der Wahrsager und Leibastrologe der Königin von Schweden. Ein Aufschneider und Hochstapler ohne Zweifel, einer der vielen Scharlatane, die an den Fürsten- und Königshöfen Europas ihr Glück suchten. Er war vor ein paar Jahren nach Rom gekommen, nachdem ihm großer Ruhm vorausgeeilt war, für dessen Entstehung und Verbreitung er gewiss selbst gesorgt hatte. In kürzester Zeit war er zum Liebling der römischen Aristokratie aufgestiegen, die er mit seinen angeblichen Wundertaten bezauberte. Christine hatte ihn nach einer seiner Darbietungen zu sich rufen lassen und sich fortan nicht mehr von ihm getrennt.
Azzolini zeigte sich von Natur aus skeptisch gegenüber solchen schmarotzenden Marktschreiern, aber als vernünftiger Mann hatte er gar nicht erst versucht, den Einfluss zu bremsen, den der angebliche Hellseher auf die kapriziöse Monarchin ausübte. In einem geeigneten Moment hatte er sich den Großmeister vorgeknöpft und zu seiner Freude und nicht geringen Verwunderung festgestellt, dass er es mit einem klugen Mann zu tun hatte, der durchaus bereit war, der Sache der heiligen Mutter Kirche dienlich zu sein. Von da an hatte der Kardinal von der Sonderstellung des Wahrsagers profitiert, um die Meinung und die politischen Entscheidungen der Königin zu beeinflussen.
Leider war es bisher auch dem hartnäckigen Melchiorri nicht gelungen, Christine anlässlich der Einberufung der Generalstände zu einer Rückkehr nach Schweden zu bewegen, und das, obwohl er in letzter Zeit ein paar gut ausgetüftelte Possen inszeniert hatte.
»Majestät«, murmelte der Mann, als die ersten Töne aus dem Orchestergraben aufstiegen, »bedauerlicherweise werde ich mich im Laufe der Aufführung wieder entfernen müssen. Es geht um eine dringende Angelegenheit, die mit Eurem königlichen Wohlergehen zu tun hat.«
Er zog eine kostbare Uhr aus seiner Rocktasche und betrachtete versunken das mit Edelsteinen besetzte Zifferblatt.
»Die Stunde für das Ritual ist fast gekommen. Die Gestirne sind dabei, eine besondere Konstellation einzunehmen, die ich mir nicht entgehen lassen darf. Die Elementargeister manifestieren sich nur bei bestimmten, seltenen Konjunktionen, durch die sich die goldenen Pforten öffnen, die eine Verbindung von unserer Welt zu diesen körperlosen Wesen herstellen. Die Schlussfolgerungen, die ich aus meinen Beobachtungen gezogen habe, lassen wenig Raum für Zweifel, doch nur das mich führende Geistwesen kann sie endgültig bestätigen.«
»Fürchtet Ihr etwa, die Königin könnte sich in Lebensgefahr befinden?«, fragte Azzolini den Astrologen und bemühte sich, nicht ironisch zu klingen. Es fiel ihm stets schwer, bei diesen Komödien mitzuspielen, die er doch selbst erdachte, um Christine zur Vernunft zu bringen.
»Das Schicksal der gekrönten Häupter hängt immer an einem seidenen Faden, Eminenz, selbst wenn sie wie die Königin aus freien Stücken auf die Macht verzichtet haben, um dem Ruf des allmächtigen Gottes zu folgen. Dunkle Mächte schmieden Ränke hinter dem Rücken Ihrer Majestät. Die Sterne lügen nicht, wie Ihr wisst, und noch nie haben sie so deutlich das Wesen der Bedrohung angezeigt wie in den letzten Wochen. Die beiden Fühler des Skorpions sind in den Mars eingetreten, was nur eines bedeuten kann: Eine tödliche Bedrohung schwebt über uns allen und besonders über dem erhabenen Haupt Ihrer Majestät.«
Bei der Erwähnung des Skorpions verging dem Kardinal jäh die ironische Belustigung, mit der er den düsteren Prophezeiungen des Wahrsagers gelauscht hatte. Sogar sein gewohnter Skeptizismus wurde von dem, was er gerade vernommen hatte, erschüttert. Das konnte doch wohl kein Zufall sein, sagte ihm sein misstrauischer Verstand, am Ende wusste Melchiorri mehr, als er durchblicken ließ. Rom war ein Tummelplatz für Spione, Ränkeschmiede und Intriganten jeder Art, und man konnte nicht ausschließen, dass auch der Großmeister auf irgendeine Weise in die Sache verwickelt war, so unwahrscheinlich das sein mochte. Melchiorri hatte im Grunde zu viel zu verlieren und würde sich hüten, sich in ein Komplott gegen Christine hineinziehen zu lassen, doch er verkehrte in den verschiedensten Kreisen, und es konnte durchaus sein, dass ihm beiläufig etwas zu Ohren gekommen war. Sein Erfolg beruhte schließlich darauf, dass er stets Augen und Ohren offenhielt und sich auch die geringste Information zunutze machte.
Blieb herauszufinden, ob die Anspielung auf den Skorpion zufällig oder beabsichtigt war, um Azzolinis Reaktion zu testen. In jedem Fall bestätigte die Bemerkung den Kardinal darin, dass eilends und mit größter Entschlossenheit gehandelt werden musste. Die Nachrichten verbreiteten sich immer unkontrollierter, und früher oder später würde eine Andeutung ein ihm feindlich gesonnenes Lager erreichen. Seine Gegner, deren Zahl nicht gering war, würden frohlocken, wenn sie diesen Schwachpunkt entdeckten. Sie würden ihn dafür büßen lassen und seine Karriere ruinieren.
Mit diesen Gedanken beschäftigt hatte der Kardinal nicht bemerkt, dass die Ouvertüre zu Ende war und der Chor der Soldaten die Bühne betreten hatte.
Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Königin, die vollkommen hingerissen zu sein schien.
Fulminacci erreichte auf Zehenspitzen die Kammer, wobei er sorgsam darauf achtete, dass die Ausrüstung, die er mit sich herumschleppte, nicht gegen die Wände schlug.
Er musste eine Weile an dem Riegelschloss herumhantieren, und als die Tür endlich aufging, schlüpfte er aufatmend hinein und zog sie leise hinter sich zu.
Drinnen war es zur Abwechslung mal wieder stockdunkel.
Der Maler lehnte seine falschen Waffen an die Wand, entledigte sich des Helms und tastete mit ausgestreckten Armen die Umgebung nach etwas ab, womit er Licht machen konnte. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er die Umrisse verschiedener Gegenstände im Raum ausmachen, was ihn aber nicht daran hinderte, wiederholt gegen irgendwelche Gerätschaften zu stoßen, die kreuz und quer auf dem Boden verstreut lagen. Schließlich gelangte er zur anderen Wand, wo seine Hände auf den groben, staubigen Stoff eines Vorhangs trafen, den er sogleich aufzog.
Hinter dem Vorhang gab es ein kleines Fenster, das auf den Platz vor dem Theater hinausging. Der Platz wurde von den Fackeln und Öllampen der Kutschen erhellt, die dort auf die Rückkehr ihrer Besitzer warteten, und dieses Licht genügte dem Maler, um sich zurechtzufinden.
In der Mitte des Raums thronte ein großer Arbeitstisch, eine einfache Holzplatte auf zwei Böcken, auf der ein Sammelsurium von Malwerkzeugen angehäuft war: Pinsel, Spachtel, Tassen für die Farben, Gläser, Töpfchen mit Pigmenten und anderer Kleinkram.
Auf einem der um den Tisch verteilten Schemel entdeckte der Maler die Mappe mit Valocchis Skizzen. Er nahm sie und legte sie auf die Arbeitsplatte, wobei er inständig hoffte, dass seine Zeichnung sich tatsächlich unter denen des Freundes befand. Er würde es nicht ertragen, all diese Risiken umsonst eingegangen zu sein. Auf dem Tisch stand auch eine kleine Öllampe, und er machte sich mit dem Feuerstahl zu schaffen, bis es ihm gelang, den Docht anzuzünden.
In fieberhafter Eile ging er die Blätter durch. Vor seinen Augen zogen Skizzen von Säulen, Giebeln und Büsten vorbei und auch, zu seiner nicht übermäßig großen Überraschung, einige Zeichnungen ausgesprochen erotischen Charakters, die nicht viel mit der Gestaltungsarbeit des Flamen zu tun hatten. Trotz des anspruchsvollen Auftrags, die Bühnenbilder zu entwerfen, hatte Valocchi Zeit für ein wenig Zerstreuung gefunden. Interessiert betrachtete Fulminacci die fantasievollen Verrenkungen, denen der Freund die wohlgeformten weiblichen Körper unterworfen hatte, und fand sie gut ausgeführt. Allerdings fiel ihm auf, dass Valocchi eine ausgeprägte Vorliebe für üppige Frauen hatte, die er persönlich nicht teilte.
Er hatte den Stapel schon fast durchgeblättert, als er endlich seine eigene Zeichnung fand.
Jetzt brauchte er nur noch zur Hinterbühne zurückzukehren und mit Beatrice und Zane einen Weg zu finden, das Theater unbeobachtet zu verlassen.
Das war leichter gesagt als getan.
Vor allem musste er erst einmal diese hinderliche Verkleidung loswerden. Auch wenn die Vorsicht ihm dazu riet, hatte er keine Lust, diese steile Wendeltreppe noch einmal im vollen Ornat eines achäischen Kriegers hinunterzusteigen.
Er kramte ein wenig in der Kammer herum, bis er in einer Ecke einen Stapel mit lackbeschmierten Kleidungsstücken fand, vermutlich Valocchis Arbeitskleidung. Der Freund würde es ihm bestimmt nicht übel nehmen, wenn er sich etwas davon auslieh. Er befreite sich nicht ohne Mühe aus seinem Kostüm und probierte die Kleider an. Valocchi war mindestens eine Handbreit größer als er und um einiges korpulenter, sodass er lange suchen musste, bis er eine Hose herausfischte, die ihm nicht bei jedem Schritt herunterzurutschen drohte. Er benutzte ein Stück Schnur als Gürtel und band sie damit um die Taille fest. Über seine kurze Tunika zog er einen fleckigen und an mehreren Stellen zerrissenen Rock von undefinierbarer Farbe, der ihm zwar zu groß war, ihn aber nicht in seinen Bewegungen behinderte. Auch einen Hut mit breiter Krempe und ausgefranstem Rand zog er aus dem Kleiderhaufen.
So angetan hätte der Maler ohne Weiteres einer der vielen Bettlerbruderschaften der Stadt beitreten können, aber er legte in diesem Moment wenig Wert auf sein Äußeres und dachte nur daran, dorthin zurückzukehren, von wo er gekommen war, und zwar ohne unerwünschte Begegnungen.
Fulminacci steckte die Zeichnung in eine Rocktasche, überzeugte sich davon, dass sie nicht herausrutschen konnte, und ging zur Tür, um festzustellen, ob die Luft rein war.
Kaum hatte er sein Ohr an das Holz gedrückt, hörte er, dass es im Flur von lachenden, schwatzenden Menschen nur so wimmelte.
Vielleicht war der erste Akt schon zu Ende, oder, was ihm wahrscheinlicher vorkam, da noch nicht genug Zeit vergangen war, es hatte eines der vielen Zwischenspiele begonnen.
Er würde warten müssen, bis das Publikum auf seine Plätze zurückgekehrt war, um die Kammer verlassen und die Treppe erreichen zu können.
Sehr ärgerlich, aber nicht zu ändern.