KAPITEL LVIII

 

Das Erscheinen der Königin setzte die angestauten Energien frei. Die großen Terrassentüren, die bis dahin verschlossen geblieben waren, wodurch sich der Saal nach und nach in ein tropisches Gewächshaus verwandelt hatte, wurden nun weit geöffnet, sodass die Gäste hinaus auf die weiten Grünflächen schwärmen konnten. Dort standen die Zeltpavillons, die weitere Erfrischungen und Annehmlichkeiten zur Verschönerung des Abends boten.

Der Auftritt der Königin war exakt so inszeniert worden, dass er die eindrucksvollste Wirkung erzielte. Denn kaum hatten die Eingeladenen den Park betreten, begann die Sonne in einer triumphalen Farbexplosion aus Rot und Violett am Horizont unterzugehen. Aufgrund der Lage des Palasts sah es zu dieser Jahreszeit so aus, als hätte das Himmelsgestirn sich den Tiber als Kulisse für seinen dramatischen Abgang gewählt. Sobald der untere Teil der Scheibe auf die Wasseroberfläche traf, wurden die nur leicht von der Strömung gekräuselten Fluten in ein tiefes, leuchtendes Rot getaucht.

Obwohl der Anblick dieses Naturereignisses den Bewohnern Roms durchaus vertraut war, löste er bei den meisten Anwesenden ein beeindrucktes Murmeln aus. Da der Einzug der Königin so berechnet worden war, dass er mit dem Höhepunkt des Naturschauspiels zusammenfiel, waren die Gemüter der Gäste auf Erstaunen und Bewunderung eingestimmt.

Nur der Maler empfand das Spektakel als zu makaber für seinen Geschmack. Dieser Triumph von Rot, dieser purpurn gefärbte Fluss löste Assoziationen von strömendem Blut bei ihm aus - von solchem, das bereits geflossen war, und solchem, das noch vergossen werden würde. In dem Gedränge der aus dem Saal strömenden Gäste hatte Fulminacci zwar darauf geachtet, nicht von Beatrice getrennt zu werden, dafür aber seinen Freund Melchiorri aus den Augen verloren. Sobald die beiden im Freien waren, machten sie sich auf die Suche nach ihm.

Es wurde Zeit, dass Melchiorri wie versprochen mit einem Ausweg aus ihrem Dilemma aufwartete. Das Fest würde nicht ewig dauern, es wimmelte überall vor möglichen Hinterhalten und tödlichen Gefahren, und eine geniale Idee, wie man sich aus dieser verdammten Klemme befreien könnte, käme jetzt genau recht.

Der Maler konnte nicht ahnen, dass sein Freund längst tätig geworden war. Der lange und gelehrte Disput mit den beiden vortrefflichen Wissenschaftlern über astronomische Phänomene hatte dazu geführt, dass er seine heitere Gelassenheit und ruhige Urteilskraft wiedergefunden hatte, die ihm im Verlauf der letzten aufgeregten Stunden etwas abhandengekommen waren.

Mit der inneren Ruhe hatte der Großmeister auch seine besondere Fähigkeit zurückgewonnen, brillante Lösungen für die kompliziertesten Probleme zu finden.

Die Erleuchtung war ihm ganz plötzlich gekommen, als er zusammen mit der großen Gästeschar durch die hohen Terrassentüren in den Park entschwunden war. Es war eine Art Geistesblitz gewesen, der alle Zweifel und Unschlüssigkeiten vertrieben hatte.

Wie so häufig besaß der Plan, der in seinem Kopf Gestalt angenommen hatte, den schönen Vorzug der Einfachheit. Seit Stunden hatte er sich den Kopf zerbrochen, hatte immer kompliziertere Ideen entwickelt und schließlich wieder verworfen, weil sie allzu viele Vorbereitungen erforderten oder schlichtweg undurchführbar waren.

Nicht, dass sein Vorhaben völlig frei von Risiken gewesen wäre. Im Gegenteil, auch der verwegenste Abenteurer hätte es wohl als Husarenstück angesehen, aber der Verstand des Großmeisters arbeitete eben nur auf diese Weise. Hatte er einmal einen Plan gefasst, so waghalsig und verrückt er auch scheinen mochte, führte er ihn ohne Rückzieher, ohne Zaudern und Schwanken angesichts der Gefahren durch. Je höher die Risiken, desto größer seine Erregung in Erwartung der Schritte, die zur Erlangung des Ziels unternommen werden mussten.

Der Großmeister ließ keine Minute zwischen der Idee und ihrer Ausführung verstreichen. Sogleich setzte er sich in Bewegung und durchdachte dabei die noch unklaren Einzelheiten, die nötige Zeit, die genaue Vorgehensweise sowie die Abfolge der Ereignisse und passte den Plan entsprechend an, damit er gelingen konnte.

Es war noch früh, das Fest hatte gerade erst begonnen und würde die ganze Nacht weitergehen. Melchiorri sagte sich, dass er an Bernardo Mutis Stelle abwarten würde, bis die Trinkgelage und anderen Vergnügungen ihren Höhepunkt erreicht hatten. Wenn der Wein erst einen Großteil der Gäste trunken gemacht hatte, würde es ein Leichtes sein zuzuschlagen. Nach dem Feuerwerk, den Gesellschaftsspielen, den musikalischen Darbietungen und dem großen Bankett würde sich die Festgesellschaft langsam zerstreuen, die Älteren würden auf irgendeiner Chaiselongue einschlafen und die Liebestollen würden sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ihre zügellosen Affären zu verfolgen – das wäre der richtige Moment, um die Missetat zu begehen.

Folglich hatte Melchiorri noch mehrere Stunden zur Verfügung, um alles Nötige zu veranlassen.

Mit lässiger Haltung schlenderte er auf den Rand der großen Rasenfläche zu. Die untergehende Sonne tauchte gerade endgültig in den purpurnen Wassern des Tibers ab, doch die Dienerschaft hatte die Laternen und Fackeln noch nicht entzündet, sodass die Dämmerung eine ideale Deckung bot, um sich unbemerkt davonzustehlen.

Niemand hielt ihn auf, da alle in die andere Richtung blickten, und so konnte Melchiorri unbehelligt um die linke Ecke des Palasts biegen und schnelleren Schritts auf sein Laboratorium zueilen.

Seinen Assistenten und dem Dienstpersonal war es verboten worden, den Pavillon zu verlassen, damit sie sich nicht unter die hochwohlgeborenen Gäste der Königin schmuggelten, aber sie waren verständlicherweise neugierig und drängten sich an den Terrassenfenstern, um einen Blick auf die angekündigten wundersamen Vorführungen werfen zu können.

Daher musste Melchiorri nicht erst nach den Leuten schicken, die er brauchte, denn er fand sie alle an einem Ort versammelt vor.

Er winkte Jacopo herbei, der sich als erster Gehilfe den besten Platz ganz vorne gesichert hatte. Der junge Mann wusste die Gesten und die Mimik seines Meisters genau zu deuten und begriff sofort, dass es sich um etwas Dringendes handelte, worauf er seinen Logenplatz schweren Herzens aufgab.

»Jacopo, schnell«, sagte der Großmeister atemlos, »es gibt viel zu tun, und die Zeit ist knapp. Ich brauche alle Männer, die wir haben.«

»Sie werden enttäuscht sein, wenn sie das Feuerwerk verpassen«, erwiderte der Gehilfe.

»Das ist jetzt egal. Außerdem können sie es vielleicht trotzdem sehen, wenn wir uns beeilen. Vor allem müssen wir auf der Stelle jemanden losschicken, um Giovanni da Camerino zu holen. Jemanden, dem wir absolut vertrauen können.«

»Ich glaube, Battistino wäre da der Richtige.«

»Er ist erst fünfzehn. Bist du sicher, dass er das kann?«

»Er ist zwar noch ein Junge, aber sehr aufgeweckt und mit einem guten Gedächtnis. Wir können uns auf ihn verlassen.«

»Gut, dann lass ihn rufen.«

Jacopo gab den Befehl an einen Diener weiter, der in der Nähe der Tür stand. Melchiorri beobachtete ihn zufrieden; trotz seiner Jugend und seiner zur Schau getragenen Lässigkeit war sein Gehilfe in steter Dienstbereitschaft.

»Er wird gleich hier sein, Meister.«

»Gut, gehen wir solange ins Laboratorium. Wir müssen einen Trank zubereiten.«

»Ein Gift?«, erkundigte sich Jacopo. »Nicht wirklich ein Gift, auch wenn seine Wirkung manchmal tödlich sein kann.«

In diesem Moment kam der Junge herein, nach dem geschickt worden war.

»Zu Befehl, Herr«, sagte der Knabe und strich sich die widerspenstigen Locken aus der Stirn.

»Ah, da bist du ja. Habe ich dir nicht schon hundertmal gesagt, dass du mich nicht ›Herr‹ nennen sollst? Die Gemeinschaft der Wissenschaftler wird von freien Männern gebildet, und die Rangordnung unter ihnen beruht allein auf Wissen und Fähigkeit und nicht auf sonstigem Blödsinn.«

»Jawohl, Herr… äh, Meister.«

»So ist es besser. Kannst du dir eine Nachricht merken?«

»Selbstverständlich, Meister.«

»Auch wenn es eine lange Nachricht ist?«

»Stellt mich auf die Probe.«

»Dann hör mir gut zu und präg dir Wort für Wort ein, was ich dir sage. Weißt du, wo du Giovanni da Camerino findest?«

»Wenn er nicht mehr auf dem Campo dei Fiori ist, treffe ich ihn bestimmt im Wirtshaus zur Gans.«

»Also, sperr gut die Ohren auf. Jacopo, ich wäre dir dankbar, wenn du inzwischen Zane holen könntest.«

Fulminacci fing an, sich Sorgen zu machen. Melchiorri war wie vom Erdboden verschluckt.

In Beatrices Begleitung war er schon zweimal den gesamten Platz vor dem Palast abgegangen, aber umsonst.

Nun gab es zwei Möglichkeiten: Entweder hatte Melchiorri endlich den genialen Ausweg gefunden, der sie vor dem Scheiterhaufen retten würde, oder… oder der heimtückische Dominikaner war ihm zuvorgekommen und hatte ihn aus dem Verkehr gezogen.

So oder so wirkte sich diese Ungewissheit nicht gerade beruhigend auf seine armen Nerven aus.

Die Anspannung führte zu ständiger unterschwelliger Gereiztheit zwischen ihm und Beatrice, und obwohl sie sich beide bemühten, ungezwungen und vergnügt zu wirken, gifteten sie sich immer wieder an, sobald sie allein waren.

Lächelnd und nickend gingen sie durch die Menschenmenge, um sich im nächsten Moment heimlich schmerzhaft zu kneifen und gemeine Beleidigungen an den Kopf zu werfen.

Schließlich stieß das Paar auf ein Grüppchen, in dessen Mitte Bischof de Simara das Wort führte und die Umstehenden mit dem neuesten Klatsch vom französischen Hof unterhielt, über den er gut informiert zu sein schien.

Die Gruppe der Zuhörer bestand aus Pater Kircher, der sich ein wenig abseits hielt, Pater Ricci, dem Kunsthändler Bellori und zwei weiteren Jesuiten, die der Maler noch nie gesehen hatte und die sich im Gegensatz zu ihrem Mitbruder vor Lachen ausschütteten.

Der eine war groß, mager und glatt rasiert, der andere klein, rundlich und sein Gesicht nach der aktuellen Mode mit Oberlippen- und Kinnbart geziert. Das mussten die beiden letzten Überlebenden von der Liste sein, die der Bischof erwähnt hatte.

Es war schwer vorstellbar, dass einer von diesen beiden der schwedische Thronerbe sein sollte. Sie wirkten eher wie zwei Landpröpste, die rein zufällig in eine Gesellschaft hineingeraten waren, der sie sich nicht ganz gewachsen fühlten.

Fulminacci konnte seinen müßigen Gedanken nicht weiter nachhängen, denn der laute Knall eines Schusses aus einer Feuerwaffe ließ alle aufschrecken.