KAPITEL XLII

 

Habt ihr verstanden, was zu tun ist?«, fragte der Großmeister Baldassarre Melchiorri, während er sich mit geübten Bewegungen die lange dunkle Kutte überzog.

Seine beiden Begleiter nickten bloß stumm, weil sie vollauf damit beschäftigt waren herauszufinden, wo bei dem merkwürdigen, unförmigen Kleidungsstück, das sie gerade anzulegen versuchten, vorne und hinten war.

»Es ist wichtig, dass ihr alles bis ins Kleinste begriffen habt. Wenn wir erst mal da drin sind, kann jeder Fehler tödlich sein. Giovanni, ist alles klar?«, wiederholte er.

»Ja doch, ich bin schließlich nicht blöd! Sobald wir im Palazzo des Heiligen Offiziums sind, darf ich kein Wort mehr sagen und muss dir die ganze Zeit mit gesenktem Kopf folgen. Herrgott, das ist wirklich nicht schwer!«

»Ich bezweifle nicht, dass du meine Anweisungen verstanden hast. Was mir ein wenig Sorge bereitet, ist, ob du deine verdammte Zunge im Zaum halten kannst, denn falls nicht, sind wir erledigt. Ich hoffe, das geht in deinen Quadratschädel hinein.«

»Jetzt reicht’s! Ich hab’s kapiert und werde den Mund halten. Für Zane ist das natürlich viel einfacher.«

»Sehr schön, dann können wir ja gehen. Möge Merkur, der Beschützer der Diebe und Gauner, uns beistehen!«

Die drei Männer zogen die spitzen Kapuzen über und verließen im Gänsemarsch den Palazzo, welcher der Sitz der alten Bruderschaft von San Pancrazio war.

Die vergangenen zwölf Stunden waren ziemlich hektisch gewesen.

Nachdem sie die Ruine der Aureliansthermen verlassen hatten, waren Melchiorri und Fulminacci mit einem Boot zum Palazzo Riario gefahren. Dort hatten sie sich eiligst in das Laboratorium des Großmeisters begeben, das sich in der oberen Etage eines etwas abseits vom Hauptgebäude stehenden Pavillons befand.

Melchiorri hatte einen seiner Assistenten losgeschickt, Zane zu suchen, der vermutlich noch in der nicht weit entfernt gelegenen französischen Gesandtschaft wartete. Der Großmeister hatte erfahren, dass de Simara sich in diesem Moment in Gesellschaft von Kardinal Azzolini und Königin Christine im Palazzo Giraud aufhielt, weshalb man davon ausgehen konnte, dass der riesenhafte Slawe immer noch in irgendeinem Vorzimmer herumsaß.

Unterdessen lief Melchiorri wie besessen in dem großen Laboratorium herum und suchte etwas, das er einfach nicht finden konnte.

»Wo zum Teufel ist dieses verflixte Fläschchen hingekommen?«, brummte er und suchte verzweifelt die vielen hohen Regale ab.

Fulminacci hatte schon zuvor einmal ein wissenschaftliches Labor gesehen, nämlich das von Pater Kircher, doch dieser Raum konnte nicht verschiedener von dem sein, in dem der deutsche Mönch seinen Forschungen nachging.

So reinlich und ordentlich Kirchers Arbeitsstätte war, so ein wildes Durcheinander der verschiedensten, kunterbunt aufeinandergetürmten Gegenstände stellte Melchiorris dar. Der große Saal, der immerhin ein ganzes Stockwerk einnahm, wirkte geradezu eng und stickig, weil er derart mit Werkzeugen, Geräten und Apparaten jeder Form und Größe vollgestopft war. Der größte Teil dieser Ausstattung schien in aller Eile zusammenmontiert worden zu sein, und nur die wenigsten Gerätschaften machten einen fertigen und vollständigen Eindruck. Die Tische waren übersät mit Destillierkolben, Retorten und Reagenzgläsern, die auf mehreren Ebenen übereinandergestapelt standen; dazwischen lagen dicke aufgeschlagene Bände und nachlässig in jede Lücke geschobene Pergamente. Die Wände säumten Reihen um Reihen hoher Regale, in deren Fächern sich Bücher, große und kleine Schachteln, mit Kordeln verschnürte Päckchen, Manuskriptbündel, ausgestopfte Tiere, Uhren und Kessel jeglicher Größe und Machart drängten. Dieses Sammelsurium wirkte schmutzig und unheimlich, so als könnte alles jeden Augenblick herunterstürzen und den Unglücklichen unter sich begraben, der sich gerade in der Nähe aufhielt. Hinter einer Kommode mit halb durchgebrochenem Boden ragten zwei ägyptische Mumien hervor, deren Anblick dem bestürzten Maler einen Schauer über den Rücken jagte.

»Es war hier irgendwo, da bin ich sicher«, tobte derweil der Großmeister und wühlte in den Regalen herum. »Jacopo, bei allen Mächten der Hölle, wo hast du das verfluchte Ding hingetan?«

»Was sucht Ihr, ehrwürdiger Meister?«, fragte Salinari in beinahe gelangweiltem Ton, als sei er an solche Ausbrüche gewöhnt.

»Dieses blaue Päckchen, das mir Pater de la Perna aus den Kolonien geschickt hat. Beim Donner des Zeus, ich bin mir ganz sicher, es heute Morgen noch gesehen zu haben. Irgendwann finde ich heraus, wer mir das Laboratorium durcheinanderbringt, wenn ich nicht da bin!«

»Hier ist es, Meister. Es lag auf Eurem Schreibtisch«, sagte Salinari und reichte ihm ein Bündel.

»Ach ja… Danke, Jacopo, ich wüsste nicht, was ich ohne dich täte. Komm her, Giovanni, dieses Päckchen enthält die Lösung deiner Probleme. Das hoffe ich zumindest…«

Der Maler trat neben seinen Freund, der das Päckchen öffnete und eine Ampulle mit einer trüben, zähen Flüssigkeit herausholte.

»Sieh nur, das ist der Schlüssel, der uns die Tür zum Kerker deiner Liebsten öffnen wird!«

»Beatrice ist nicht meine Liebste, das möchte ich mal klarstellen. Sie ist nur eine gute Freundin. Und außerdem verstehe ich nicht, wie…«

»Du Kleingläubiger«, unterbrach ihn Melchiorri, »diese Ampulle hat mir ein guter Freund geschickt, ein spanischer Jesuit, der auf der Insel Hispaniola lebt. Pater de la Perna sagt, das sei ein überaus lieblicher Ort, ein wahres Paradies. Irgendwann muss ich da mal eine Stippvisite machen. Die Substanz in dieser Ampulle wird von den afrikanischen Sklaven bei ihren heidnischen Riten verwendet, aber sie ist auch für uns ein kostbares Hilfsmittel.«

»Ich verstehe immer noch nicht…«

»Pass auf, ich erkläre dir den Plan.« Melchiorri senkte vertraulich die Stimme. »Diese Flüssigkeit, die aus den Innereien eines tropischen Fisches gewonnen wird, bewirkt einen vorübergehenden Stillstand aller Lebensfunktionen. Ich hatte noch keine Zeit, sie genau zu analysieren, aber ich glaube, dass sie die Körperflüssigkeiten verlangsamt, indem sie diese austrocknet. Jedenfalls fällt derjenige, der sie in der richtigen Dosis einnimmt, in einen mehrere Stunden anhaltenden Zustand des Scheintods, und bei jeder Untersuchung seines Körpers während dieser Zeit kann nur sein Ableben festgestellt werden. Wenn es uns also gelingt, ein Stück Brot oder sonst einen Happen Essen, der mit dieser Flüssigkeit getränkt wurde, in Beatrices Zelle zu schmuggeln, und deine Freundin nach entsprechender Instruktion eine ausreichende Menge davon isst, wird man sie nach kurzer Zeit ohne jeden Zweifel für tot erklären. Danach brauchen wir nur noch hineinzugehen und den angeblichen Leichnam herauszutragen. Fertig ist der Lack!«

»Entschuldige, Ard… äh, Baldassarre, aber das hört sich ziemlich idiotisch an. Erstens, wie sollen wir ihr diese Substanz zukommen lassen? Und zweitens, wie den Leichnam herausholen? Das ist doch blanker Unsinn…«

»Für den zweiten Teil des Plans sehe ich keine Schwierigkeiten. Jeden Tag haucht jemand in den Kerkern der Inquisition sein Leben aus. Die guten Dominikaner wenden recht drastische Methoden bei ihren Verhören an. Um die sterblichen Überreste kümmert sich eine verdienstvolle Bruderschaft, die Gesellschaft von San Pancrazio, bei der ich glücklicherweise Ehrenmitglied bin. Königin Christine ist in ihrer sprichwörtlichen Großzügigkeit eine der Hauptwohltäterinnen der Bruderschaft und hat es für zweckmäßig erachtet, mich in den Großen Rat der Brüder einzuführen, damit ich darauf achte, dass ihre Scudi auch wirklich für gute Werke verwendet werden und nicht für Wein und Dirnen, wie es allzu häufig vorkommt. Was die Ausführung des ersten Teils angeht, bin ich mir darüber selbst noch nicht im Klaren, muss ich gestehen. Es wird uns schon was einfallen. Ich schätze, man kann es mit Bestechung versuchen…«

»Vielleicht wüsste ich da etwas«, sagte der Maler, der trotz aller Skepsis allmählich von der Kühnheit des Plans eingenommen wurde. »Dir ist sicher bekannt, dass es in Rom zahlreiche Bettlergilden gibt. Durch Beatrices Vermittlung habe ich Giovanni da Camerino kennengelernt, das Oberhaupt der Compagnia degli Sbasiti. Er und Beatrice sind anscheinend sehr gute Freunde. Und die Straßenbettler können sich überall Zugang verschaffen, von den Gefängnissen der Engelsburg bis hin zu den päpstlichen Gemächern. Wenn ich ihm erzähle, in welcher Gefahr Beatrice schwebt, wird Giovanni uns bestimmt helfen.«

»Gute Idee«, rief Melchiorri, »der alte Giovanni… Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?«

»Kennst du ihn?«

»Aber ja. Ich bin nicht das erste Mal in Rom, weißt du, und bei den früheren Gelegenheiten war ich weniger vornehm gekleidet als heute. Ja, das könnte funktionieren. Wo ist jetzt sein Gebiet?«

»Am Campo dei Fiori«, antwortete der Maler.

»Aha, dann hat er es also auch zu etwas gebracht. Als ich ihn das letzte Mal sah… Aber lassen wir die alten Geschichten. Jacopo, hast du Gerlando irgendwo gesehen?«

»Als wir zurückkamen, war er unten in der Küche, wie immer«, antwortete Salinari.

»Hol ihn her, ich habe einen Auftrag für ihn. Wollen doch mal sehen, ob er sich nicht ausnahmsweise mal nützlich machen kann.«

Der Assistent stieg die Treppe zum unteren Stockwerk hinunter.

»Gerlando ist einer meiner Diener«, erklärte der Großmeister, »ein Faulpelz, wie er im Buche steht, aber er kennt die Stadt in- und auswendig. Wenn einer den alten Giovanni zu dieser Abendstunde finden kann, dann er.« Wenig später kehrte Jacopo in Begleitung eines kleinen, spindeldürren Männchens zurück, das leicht humpelte und so finster und verschlagen dreinblickte, dass der Maler einen Schreck bekam.

Schnell erteilte Melchiorri dem Diener seine Anweisungen, worauf dieser, ohne eine Frage zu stellen, wieder ging und aussah, als wisse er genau, wohin er seine Schritte lenken musste.

»Gerlando macht auf den ersten Blick wahrlich keinen guten Eindruck«, sagte der Großmeister, als das Männchen draußen war, »und ich muss hinzufügen, dass dieser erste Eindruck nicht trügt. Ich hätte ihn schon längst wegschicken sollen, aber aus dem einen oder anderen Grund konnte ich mich nie dazu durchringen. Dieses Kerlchen ist so nützlich wie Viertagefieber und ungeachtet seiner klapperdürren Gestalt mit einem unersättlichen Appetit gesegnet. Ein echter Plagegeist. Hoffen wir, dass er sich wenigstens bei dieser Gelegenheit sein Brot verdient. Nun aber verspüre ich selbst ein gewisses Leeregefühl im Magen. Jacopo, lass uns etwas zu essen kommen.«

Die drei gingen in die untere Etage hinunter und setzten sich an einen reich gedeckten Tisch, der sich bald vor warmen Speisen bog, sodass sie kräftig zulangten.

Der Maler nahm gerade seinen zweiten Rebhuhnschenkel in Angriff, als Zane hereinkam, der sich auf die Einladung des Großmeisters hin zu ihnen gesellte und dazu beitrug, die üppige Menge der Speisen auf dem schneeweißen Tischtuch zu reduzieren.

Zwischen dem einen oder anderen Bissen berichtete Fulminacci dem Slawen, was in seiner Abwesenheit passiert war und vor allem, was für einen Plan sich Melchiorri zu Beatrices Befreiung ausgedacht hatte.

Der Hüne nickte mehrmals, ohne auch nur einmal von der großen Fleischpastete auf seinem Teller abzulassen.

Als sie fertig gegessen hatten, kehrten sie in das obere Stockwerk zurück, um dort darauf zu warten, dass Gerlando mit Giovanni da Camerino zurückkehrte. Es hatte keinen Sinn, weiter Pläne zu schmieden, bevor sie nicht sicher waren, das Brot mit dem Trank in den Kerker der Inquisition einschmuggeln zu können.

Es wurde ein langes, enervierendes Warten, bei dem der Maler nichts anderes tat, als den Raum mit langen Schritten zu durchmessen, während Melchiorri sich mithilfe seines Assistenten an einer seltsam anmutenden Vorrichtung mit lauter Zahnrädern zu schaffen machte.

Zane dagegen ließ sich in einen großen Sessel sinken und schlief sofort ein.

»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee war, einen Krüppel zu dieser Stunde durch Rom zu schicken«, grummelte der Maler nervös. »Bei seinem Hinkefuß braucht er wahrscheinlich die ganze Nacht, allein um es über den Hof zu schaffen.«

»Mach dir keine Gedanken wegen Gerlando. Er hinkt nicht wirklich. Dieses Männchen gehörte einst einer gefürchteten Bettlergilde an, die auf Taschendiebstahl und Trickdiebereien spezialisiert war, eine echte Landplage. Und Gerlando war der geschickteste Teufel der ganzen Bande. Wendig, flink, schlau und verwegen – er konnte dir den Stuhl unter dem Hintern wegklauen, ohne dass du etwas davon gemerkt hättest. Um sich einen harmlosen Anstrich zu geben, spielte er den Lahmen, und dieses Laster hat er beibehalten, auch wenn er die Dieberei aufgegeben hat. Manche Angewohnheiten wird man eben schwer wieder los. Also keine Bange, in diesem Augenblick saust Gerlando wie ein Frettchen durch die Gassen der Stadt. Setz dich lieber hin und ruh dich ein bisschen aus, die kommenden Stunden werden bestimmt anstrengend.«

Doch Fulminacci fand keine Ruhe.

Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um Beatrice und das, was sie gerade durchmachen mochte; um die höllischen Qualen, die die heimtückischen Dominikaner sich ausdachten, um ihr ein falsches Geständnis abzupressen. Aus eigener Erfahrung wusste er zwar nichts über die Inquisition, aber die Gerüchte, die man über die Vorgänge in ihren unheimlichen Verliesen hörte, verursachten auch dem abgebrühtesten Schurken eine Gänsehaut. Außerdem fand er mit jeder Minute, die verging, neue Mängel an ihrem kühnen Plan. Zu viele Schritte hingen von Eventualitäten ab, zu viele entscheidende Informationen mussten als lückenhaft und unvollständig angesehen werden, in zu vieler Hinsicht mussten sie sich auf den Zufall verlassen oder auf ihr Glück vertrauen. Wenn es stimmte, dass das Glück den Wagemutigen half, dachte der Maler angstvoll, so war es ebenso wahr, dass es den Unvorsichtigen und Leichtsinnigen gern ein Bein stellte.

Fulminacci erging es wie allen Tatmenschen: Solange er handeln konnte und das Gefühl hatte, die Situation zu beherrschen, fühlte er sich unbesiegbar, aber sobald er aus irgendeinem Grund innehalten und nachdenken musste, war er hilflos.

Erst die Ankunft Gerlandos und Giovanni da Camerinos erlöste ihn von seinen Grübeleien.

Melchiorri übernahm es, dem Oberhaupt der Bettlergilde zu berichten, was geschehen war und was sie sich zu Beatrices Rettung überlegt hatten.

»Ein gewagter Plan, kein Zweifel. Ich habe einen Cousin, der als Wärter in den Gefängnissen der Inquisition arbeitet. Er schuldet mir einen Gefallen so groß wie die Kuppel des Petersdoms, und ich glaube nicht, dass er wegen eines kleinen Wagnisses auf eine Entschädigung von, sagen wir, fünfzehn Scudi verzichten würde. Bereitet das Brot und die Botschaft für Beatrice vor. Ich kann ihr beides innerhalb einer Stunde zukommen lassen.«

Melchiorri nahm ein kleines rundes Brot von seinem Schreibtisch und bohrte mit einem spitzen Messerchen ein Loch in die Unterseite, indem er die Kruste vorsichtig abhob und ein wenig Krume herauskratzte.

»Wenn ich’s recht bedenke, ist es besser, ihr eine Ampulle mit der exakten Dosis zu schicken, statt das Brot damit zu tränken. Dann können wir sicher sein, dass sie die richtige Menge einnimmt«, sagte Melchiorri, während er das Brot mit der Fingerfertigkeit eines Mannes bearbeitete, der es gewohnt ist, mit empfindlichen Gegenständen umzugehen.

Anschließend schob der Großmeister ein winziges Fläschchen aus dünnem Glas, in das er einen Teil der Flüssigkeit aus der größeren Phiole gegossen hatte, in das Loch und fügte noch eine Nachricht mit Anweisungen für die Flucht in sehr kleiner, aber gut leserlicher Handschrift hinzu.

»Gut«, sagte er und übergab Giovanni da Camerino das in ein Leintuch gewickelte Brot, »möge das Glück mit uns sein!«