KAPITEL LIII

 

Habt Ihr Neuigkeiten?«, fragte der Skorpion. »Nichts zu machen, tut mir leid. Ich habe jeden Mann, jede Frau, jeden Burschen darauf angesetzt und die ganze Stadt Zoll für Zoll durchkämmen lassen. Ich habe all meine Informationsquellen bis über die Grenzen der Vorsicht hinaus ausgeschöpft. Kein Hinweis, keine Andeutung. Absolut nichts.«

»Das war zu erwarten. Aber das ist kein großes Problem. Meine Vorgehensweise steht fest.«

»Ihr wollt Euren Plan wirklich ausführen?«, erkundigte sich Fieschi.

»Selbstverständlich. Mein Bernstein befindet sich dort. Und auch die Patres.«

»Das ist Selbstmord, das ist Euch hoffentlich bewusst. Wollt Ihr es Euch nicht noch einmal überlegen? Vielleicht könnte man einen anderen Aktionsplan ins Auge fassen, das Ende des Festes abwarten und dann zuschlagen…«

»Das wäre zwecklos«, unterbrach ihn der Skorpion. »Sie erwarten mich dort, und ich will sie nicht enttäuschen. Alles wird wie vorgesehen ablaufen.«

»Ich finde immer noch, dass es Wahnsinn ist. Es sind zu viele, selbst für Euch.«

»Wenn Ihr tut, worum ich Euch gebeten habe, wird es keine Schwierigkeiten geben. Ist das Boot bereit?«

»Es wartet auf Euer Kommen. Der Fährmann weiß Bescheid, er ist ein erfahrener Mann.«

Der Skorpion erhob sich von seinem Schemel.

»Kein Grund also, weiter zu zögern.«

»Ich fürchte, das ist das letzte Mal, dass ich Euch sehe.«

»Unterschätzt mich nicht. Das haben schon zu viele getan.« Capitaine de la Fleur ging mit großen Schritten über den gepflasterten Hof an der Hinterseite des Palazzos. Es blieb nicht mehr viel Zeit. Bald würden die ersten Gäste eintreffen, und es gab immer noch einige Details zu klären.

Die Männer waren dabei, die ihnen zugewiesenen Posten einzunehmen, aber die Waffen mussten noch an den festgelegten Plätzen verstaut werden, wo sie im Bedarfsfall leicht zugänglich waren.

Die Königin hatte zugestimmt, wenn auch widerwillig und nach viel Theater, den Palast bewachen zu lassen, dabei aber unnachgiebig darauf beharrt, dass die Wachen im Hintergrund bleiben und vor allem keine Waffen tragen sollten. Nur die fünfzehn Mitglieder ihrer Leibwache hatten die Erlaubnis, im Palast selbst Waffen zu tragen, denn auf dieses Privileg wollte die Monarchin nicht verzichten. Der Umstand, dass man ihr die Gründe für die Notwendigkeit eines ansehnlichen bewaffneten Wachkorps nicht offen darlegen konnte, hatte selbst für den diplomatisch geschickten Bischof de Simara ein unüberwindliches Hindernis dargestellt, der am Ende diesen Kompromiss hatte akzeptieren müssen.

Die Leibwache der Königin war ungefähr so nützlich wie ein Hund mit drei Schwänzen: aufgeputzte, schleifengeschmückte Gecken, hübsch anzusehen, aber ohne Courage und militärische Ausbildung. Wenn eintraf, was der Bischof und Kardinal Azzolini prophezeiten, würden diese Nichtsnutze sich im Nu aus dem Staub machen.

Unter diesen Umständen hatten sich die Musketiere damit abfinden müssen, ihre Degen an ein paar strategischen Punkten im Palast und dem umgebenden Park zu verstecken und darauf gefasst zu sein, sie beim ersten Anzeichen von Gefahr zu ergreifen.

Ein anderer Streitpunkt war der der Kleidung gewesen.

De la Fleur hatte gewollt, dass seine Musketiere Masken trugen, um sich unter die Gäste mischen zu können, aber auch bei diesem Thema hatte sich die Königin vollkommen unvernünftig gezeigt und verlangt, dass sie die kunterbunte Livree ihrer Diener anzogen.

Musketiere gekleidet wie Lakaien!

De la Fleur hatte protestiert, aber der Bischof hatte sich nach langer Diskussion damit abgefunden, den Wünschen der starrköpfigen Königin nachzukommen.

Nun, da fast alles bereit war, spürte der Capitaine, wie die Anspannung in ihm wuchs.

Niemand konnte voraussehen, was der Skorpion unternehmen würde; nur eines war sicher, nämlich dass er etwas unternehmen würde.

Zwischen Erfolg und Fehlschlag der Operation verlief nur ein schmaler Grat.

Die beiden Jesuiten, die letzten Überlebenden von einer langen Liste, hielten sich bereits im Palazzo auf, doch diesmal fand man es zu riskant, sie unter Geleitschutz an einem scheinbar sicheren Ort abzuschotten. Der Skorpion hatte bewiesen, wie leicht er solche Vorsichtsmaßnahmen zu umgehen wusste. Daher war beschlossen worden, dass die beiden Mönche sich zu den vielen Gästen des Abends gesellen sollten. Nach Meinung des Bischofs war es einfacher, ihre Sicherheit zu garantieren, wenn sie sich inmitten der Menschenmenge bewegten, und der Capitaine hatte ihm nach den vorhergehenden katastrophalen Erfahrungen nicht widersprechen können.

Die beiden alten Patres im Auge zu behalten stellte allerdings eine weitere riskante Unwägbarkeit dar, zusätzlich zu den vielen, die ihm bereits den Schlaf raubten.

Zu allem Übel hatte er sich noch nicht wieder von der Schulterverletzung erholt, die ihm der Skorpion zugefügt hatte, und war außerstande, seinen Degen zu benutzen. Aus diesem Grund hatte er sich mit zwei Pistolen bewaffnet, die er unter seinem Wams trug. Sie waren viel kleiner als die langen Pistolen, die man üblicherweise im Kampf verwendete, aber auf kurze Distanz genauso tödlich.

Während er in Gedanken alles noch einmal durchging, machte der Offizier einen letzten Kontrollgang durch den Palast und den Park, um sich davon zu überzeugen, dass nichts übersehen worden war und jeder sich auf seinem Posten befand, um im entscheidenden Moment eingreifen zu können.

Nichts war dem Zufall überlassen worden; jede Möglichkeit war in Erwägung gezogen worden; für jeden eventuellen Vorstoß des Gegners hatte man eine geeignete Abwehrmaßnahme vorbereitet.

Trotzdem ließ die innere Unruhe, die ihn peinigte, nicht nach.

Wie würde der Skorpion sich diesmal verhalten?

Bernardo Muti schritt ungeduldig in seinem Arbeitszimmer auf und ab und wartete auf Nachricht.

Seit seiner Befreiung und Rückkehr in den Palast des Heiligen Offiziums hatte er keine freie Minute mehr gehabt.

Sogar während er sich wusch, um den Mistgestank loszuwerden, war er von einer Schar Mitarbeiter umgeben gewesen, die kamen und gingen und die Befehle ausführten, die er mit rasender Geschwindigkeit erteilte.

Die Zeit war knapp, und es gab viel zu erledigen, aber er bezweifelte nicht, dass im richtigen Moment alles in die Wege geleitet sein würde.

Dann würde er Rache nehmen.

Schon vor einigen Tagen hatte er die Einladung zu diesem Frühlingsfest erhalten, das die Königin von Schweden gab.

Normalerweise wäre das nur eine höfliche Formalität gewesen, und er hätte nicht einmal in Erwägung gezogen, eine solche Einladung anzunehmen. Er verabscheute weltlich-frivole Vergnügungen dieser Art, die für ihn ein Ausdruck des sittlichen Verfalls und der Verderbtheit waren, der sich so viele hohe Würdenträger der Kirche schon allzu lange hingaben.

Umgekehrt erwartete und wünschte die Königin nicht, dass ein sittenstrenger Mönch wie er gewillt war, an den Festlichkeiten teilzunehmen. Diesmal jedoch würde Bernardo Muti zusagen.

Allein die Vorstellung, dem großen Bankett und den darauf folgenden kindischen Belustigungen beizuwohnen, stieß ihn zutiefst ab. Die Hohlheit dieser zügellosen Zerstreuungen stellte für ihn eine Beleidigung des Blutes Jesu Christi dar, das für die Sünden der Menschheit vergossen worden war. Nur die Buße, die Kasteiung des Fleisches und der Verzicht auf weltliche Freuden konnten den Menschen dem unsagbaren Geheimnis des allmächtigen Gottes und der Heiligen Dreifaltigkeit näherbringen.

Dennoch würde er hingehen.

Er würde seine beste Kutte anziehen, würde die Kutsche mit dem Abzeichen seines hohen Amtes besteigen, den prunkvollen Palast betreten und Wohlwollen und freundliche Geneigtheit zur Schau stellen. Er würde sich auf das eitle Geschwätz dieser aufgeblasenen Leute einlassen, an ihren albernen Spielen teilnehmen und mit all diesen als große Damen gekleideten Huren scherzen. Er würde sogar, ohne mit der Wimper zu zucken, die Königin selbst, diesen personifizierten Skandal, ertragen, die nicht nur frech mit ihren sapphischen Liebschaften prahlte, sondern auch eine schändliche Beziehung zu einem Kirchenfürsten unterhielt.

Auf die erzwungene Mitarbeit Fieschis würde er zwar verzichten müssen, da es dem Spion gelungen war, seine Tochter der longa manus der Inquisition zu entziehen, aber das hatte keine große Bedeutung mehr. Die Ereignisse der vergangenen Stunden, so demütigend und beleidigend sie auch gewesen waren, hatten ihm das Werkzeug geliefert, um dieses Vipernnest mit einem einzigen Handstreich auszuheben.

Alles war vorbereitet, jede Einzelheit genauestens bedacht, nichts dem Zufall überlassen worden.

Und wenn der Zeitpunkt gekommen war, würde die Falle zuschnappen, blitzartig und unerbittlich.

Die Personen, die ihn entführt, misshandelt und eingesperrt hatten, würden in den Verliesen des Heiligen Offiziums landen, wo man über genügend Zeit und Mittel verfügte, um ihnen ein volles Geständnis abzuringen, auf das die unvermeidliche und gerechte Strafe folgen würde.

Der Scheiterhaufen.

Dieser Skandal würde die schwedische Königin, ihren verderbten, liederlichen Hofstaat und auch Kardinal Azzolini und seine Anhänger mit ins Verderben reißen.

So gesehen konnte er den unbesonnenen Dummköpfen, die es gewagt hatten, Hand an ihn zu legen, regelrecht dankbar sein. Sie hatten ihm den Vorwand geliefert, nach dem er schon seit Monaten suchte, um mit eisernem Besen den wurmstichigen Klüngel hinauszukehren, der den Heiligen Stuhl Petri zu einem widerlichen Marktplatz der Seelen und Gewissen gemacht hatte.

Er wusste, dass viele Menschen sich nach einem Aufbruchssignal sehnten. All die, denen die heilige, erlösende Mission der Kirche am Herzen lag und die bisher verwirrt und in alle Winde zerstreut die Zähne zusammengebissen hatten, weil sie sich den weltlichen und korrupten Kräften, die das Sagen hatten, nicht zu widersetzen wussten, würden sich unter dem Banner des wahren Glaubens zusammenfinden und eine gemeinsame Front bilden, um eine Veränderung herbeizuführen.

Dann, dann endlich würde die Geschichte eine neue Wendung nehmen.

Eine reinigende Welle würde über ganz Europa hinwegschwappen, die Ketzereien hinwegspülen, dem Irrtum ein Ende machen und den Leib der heiligen Kirche des Erlösers von den Schlacken befreien, die sich in diesem lasterhaften, eitlen Zeitalter angesammelt hatten und ihre klare, unverbiegbare Botschaft erstickten.

Der strafende Arm der heiligen Inquisition würde wie der Flügel eines Racheengels auf die Schlupfwinkel der Ungläubigen niedergehen und mit gewaltigem Schlag die Abertausend Sündenpfuhle vernichten, in denen sogenannte »Wissenschaftler«, beschützt von Laxheit und Gleichgültigkeit, den Willen des Schöpfergottes durch die »Vernunft« zu ersetzen beabsichtigten.

Eine gewaltige Aufgabe lag vor ihm, ein ungeheures Werk der Läuterung, doch er würde nicht zögern und nicht schwanken, um es in Angriff zu nehmen.

Das Feuer würde die Bastionen derjenigen reinigen, die durch die Herrschaft des Zweifels die unverbrüchlichen Gewissheiten des wahren Glaubens und mit ihnen seine weltliche Festung, die Kirche Christi, untergraben wollten.

Das Nachdenken über die große Mission, die der Allmächtige ihm anvertraut hatte, ließ den zerbrechlichen Leib des Dominikaners vor Erregung beben und trieb ihn fast zur Raserei vor Ungeduld, endlich zur Tat schreiten zu können.

Nicht einmal die alten Rivalen seines heiligen Ordens, diese sogenannten Streiter Christi, welche die erhabene Aufgabe, die ihnen vom heiligen Ignatius von Loyola übertragen worden war, verraten hatten, indem sie Glauben und Vernunft, Gehorsam und Erkenntnis durcheinanderbrachten – nicht einmal sie würden von dem läuternden Strafgericht verschont werden.

Niemand, niemand würde entkommen.

Es würde keine Gnade, keine Ruhe, kein Entrinnen geben, bis das reine Banner des Lammes Gottes triumphiert hatte.

Die Stunde war nicht mehr fern.