KAPITEL II

 

Angesichts dieses herrischen Gebarens brachte Fernando nicht den Mut auf, sich zu widersetzen, denn das hätte sicherlich zu einem heftigen Wortwechsel geführt, und so kehrte er resigniert in das Studierzimmer seines Herrn zurück.

Der Maler bereitete sich indessen darauf vor, von dem berühmten Gelehrten empfangen zu werden, das heißt, er gab seiner äußeren Erscheinung den letzten Schliff, soweit das eben möglich war. Er legte den Umhang ordentlicher um seine breiten Schultern und zupfte an den Falten, damit die Flicken und gestopften Stellen möglichst wenig zu sehen waren. In einem Spiegel an der Wand betrachtete er sich kritisch, setzte den großen Hut noch ein wenig schräger auf und prüfte, ob sein Schnurrbart auch gut saß. Nach diesen Handgriffen warf er einen letzten Blick auf sein Spiegelbild und fand es alles in allem zufriedenstellend.

Er besuchte Pater Kircher bereits geraume Zeit, seit dieser ihn mit einer Reihe von Zeichnungen für eine Veröffentlichung über ägyptische Obelisken beauftragt hatte. In den letzten Jahren herrschte in Rom eine rege Bautätigkeit. Es wurden neue Kirchen, neue Palazzi, neue Sitze für die verschiedenen Kongregationen errichtet, und jedes Mal, wenn die Bauarbeiter alte Gebäude abrissen oder Fundamente für die neuen aushoben, brachten sie Überreste des antiken Rom aus dem Bauch der Erde ans Licht. Schon seit einigen Jahren war aufgrund dieser Funde ein neues Interesse am klassischen Altertum erwacht, und Gelehrte aus ganz Europa eilten herbei, um die Rätsel und Geheimnisse dieser untergegangenen Welt zu ergründen. Das bestgehütete unter den zahlreichen Geheimnissen der antiken Welt war zweifellos das der Hieroglyphen, welche die ägyptischen Obelisken schmückten, und Pater Kircher widmete einen großen Teil seiner Forschungskraft dem Studium und der Entzifferung dieser mysteriösen Schriftzeichen.

Die Interessen des Deutschen beschränkten sich jedoch nicht allein auf das alte Ägypten, sondern erstreckten sich auf so vielfältige Bereiche wie die Metallurgie und die Musik, die Astronomie und die Alchemie, die Vulkanologie und die Optik. Im Laufe eines seiner vielen Gespräche mit dem Jesuiten geschah es denn auch, dass Sacchi ihm die ungewöhnliche Behinderung gestand, unter der er litt, weil er hoffte, dass der Universalgelehrte ein Heilmittel dafür finden könne.

Bereits seit seiner frühen Jugend plagte den Maler ein merkwürdiger Sehfehler. Solange er sich mit kleineren Bildern und Zeichnungen beschäftigte, war seine Sehfähigkeit so gut wie vollkommen, aber sobald er es mit Arbeiten größeren Ausmaßes zu tun hatte, verzerrte sich seine Sicht auf eine Weise, dass man beim Betrachten des fertigen Bildes den Eindruck gewann, die Figuren seien auf unnatürliche Weise in die Länge gezogen, als wäre der Untergrund, auf den sie gemalt worden waren, gedehnt oder gestreckt worden.

Natürlich schränkte ihn dieses Problem bei seiner künstlerischen Tätigkeit stark ein, besonders in einer Zeit, in der vor allem großformatige Gemälde und Fresken verlangt wurden.

Pater Kircher hatte sich an Sacchis Fall interessiert gezeigt und ihm angeboten, ein Paar Augengläser zu entwickeln und von seinen Gehilfen schleifen zu lassen, mit denen er wieder richtig sehen können würde. Er hatte ihm erklärt, dass mehrere Anproben nötig sein würden, um die Konvexität der Gläser Schritt für Schritt anzupassen, bis sie das gewünschte Ergebnis erzielen würden.

Seit einigen Wochen suchte der Maler den Gelehrten daher regelmäßig zu diesen Anproben auf, bei denen Kircher Instrumente verwendete, von deren Existenz Sacchi bislang nicht einmal etwas geahnt hatte. Obwohl er von den optischen Phänomenen, die ihn persönlich betrafen, praktisch nichts verstand, glaubte er, dass die Behebung seines Problems zum Greifen nahe war. Die letzten Gläser, die Kircher ihm zum Probieren gegeben hatte, schienen seinen Sehfehler schon fast vollständig zu korrigieren, und er war zuversichtlich, dass sie bald ein optimales Resultat erzielen würden.

Während der Maler diesen Gedanken nachhing, klopfte der Diener an Kirchers Tür, trat ein und legte seinem Herrn dar, warum er sich erlaubte, ihn in diesem unpassenden Moment zu stören.

»Ach Gott«, sagte der Jesuit, »die Verabredung mit diesem Sacchi hatte ich ganz vergessen. Ich bin jetzt nicht in der Stimmung, ihn zu sehen. Sag ihm, er soll morgen wiederkommen. Ich bin zu erschüttert, ich muss allein sein.«

»Ich fürchte, er wird darauf bestehen, empfangen zu werden, Pater.«

»Das ist mir egal. Denk dir etwas aus. Sag ihm, ich sei krank, ich hätte Fieber. Schick ihn weg.«

Wenig erfreut darüber, dem Maler diese Nachricht überbringen zu müssen, schlich Fernando hinaus und suchte nach einer Erklärung, mit der er nicht den zu erwartenden Zorn auf sich ziehen würde.

Am Ende beschloss er, Sacchi einfach die Wahrheit zu sagen und zu hoffen, dass er die Bestürzung seines Herrn verstehen und sich damit abfinden würde, morgen wiederzukommen.

»Erschüttert?«, platzte der Maler heraus, kaum dass er die Worte des Dieners vernommen hatte. »Von was ist er erschüttert, von der Gnade Gottes?«

»Habt Ihr es nicht gehört?«

»Was gehört, zum Donnerwetter? Red schon, ich bin nicht in der Stimmung zum Rätselraten.«

»Von dem Verbrechen in Santa Maria Maggiore, Signore. Ein Mönch ist ermordet worden, ein deutscher Jesuit. Ich glaube, er war ein Freund von Pater Kircher, auch wenn ich ehrlich gesagt bis heute noch nie von ihm gehört hatte. Es heißt, er sei enthauptet worden.«

»Beim Barte des Teufels, enthauptet? Diese Stadt wird immer gefährlicher. Ich habe ja schon viel gehört, von Dieben, Huren, Betrügern, Teufelsanbetern. Auch von dieser Bande von Straßenräubern auf der Via Appia Antica, direkt vor den Toren Roms. Aber ein enthaupteter Priester in einer Kirche, das ist ein starkes Stück. Er war ein Freund von Kircher, sagst du?«

»Ja, so schien es mir, auch wenn mein Herr es nicht ausdrücklich gesagt hat. Aber er hat zugegeben, ihn gekannt zu haben. Im Vertrauen gesagt habe ich ihn noch nie so verstört gesehen.«

»Das glaube ich gern!«, rief der Maler. »Ein geköpfter Mönch in einer unserer Kirchen. Es ist nicht zu fassen! Ich verstehe seine Bestürzung und kann mir gut vorstellen, dass er jetzt lieber allein sein möchte. Richte ihm meine Ehrerbietung aus und versichere ihm, dass ich ihn nicht mehr stören werde, bis er sich von dem Schrecken erholt hat. Ich werde morgen wiederkommen, um mich nach seinem Befinden zu erkundigen.«

Damit machte der Künstler auf dem Absatz kehrt, wobei sein geflickter Mantel um ihn herumschwang, und entfernte sich mit energischen Schritten durch den Flur.

»Ein geköpfter Mönch in einer Kirche«, murmelte er vor sich hin, während er das Collegium Romanum verließ, »es ist nicht zu glauben!«

In der Tat handelte es sich um einen außergewöhnlichen Vorfall, selbst für eine so verdorbene und unsichere Stadt wie Rom. Hier durfte man mit allem Schindluder treiben, musste aber den Klerus unbehelligt lassen, wenn man nicht in Schwierigkeiten so groß wie die Kuppel von Sankt Peter geraten wollte.

Fulminacci beschloss, sich den Ort des Geschehens mit eigenen Augen anzusehen.

In einer Zeit, in der es wenig Zerstreuung für das einfache Volk gab, war eine derartige Sensation durchaus den Fußmarsch nach Santa Maria Maggiore wert. Neben der morbiden Neugier, die solche Bluttaten immer auslösten, hegte der Maler aber auch ein berufliches Interesse. Man hatte schließlich nicht jeden Tag die Gelegenheit, eine echte Enthauptungsszene zu zeichnen, und früher oder später würden ihm die angefertigten Skizzen gewiss von Nutzen sein.

Es war ein strahlend schöner Frühlingstag, wie man ihn nur in Rom genießen konnte.

Der Himmel leuchtete klar und wolkenlos; in der Nacht hatte es geregnet, und jetzt erstrahlten die Häuser, Paläste und Straßen in einem reinen, kristallenen Licht. Die Kontraste zwischen den Bereichen, die im Schatten, und denen, die in der Sonne lagen, waren so scharf, dass sie mit einem Kohlestift gezeichnet zu sein schienen.

Alles duftete nach Sauberkeit.

Der Maler schritt kräftig in Richtung des Esquilinhügels aus, auf dem sich die Kirche erhob. Innerhalb weniger Minuten überquerte er den vom Palazzo Doria beherrschten Platz und erreichte die Kirche Santissimi Apostoli, hinter der man die dicht belaubten Hügel des Parks der Villa Colonna erblickte.

Der schöne Tag hatte alle Römer hinaus auf die Straßen gelockt, die daher noch belebter und überfüllter waren als gewöhnlich. Kinder rannten im Zickzack zwischen den Beinen der Erwachsenen herum und spielten das beliebte Spiel des »Wachtelsprungs«, das der Maler als Kind selbst mit Begeisterung betrieben hatte. In Rom wurde es jedoch etwas anders gespielt, vor allem bestanden die Mannschaften aus Dutzenden von Kindern statt aus nur wenigen wie bei ihm zu Hause. Außerdem legten die Teilnehmer eine Wildheit an den Tag, die in seinen Augen übertrieben war und so weit ging, dass die Sicherheit der Passanten gefährdet wurde.

Mehr als einmal riskierte er es auf seinem Weg, von diesen schreienden Horden umgerannt zu werden. Er reagierte seiner Gewohnheit gemäß jedes Mal äußerst energisch darauf, überhäufte die hohnlachenden Rotzgören mit deftigen Beschimpfungen und teilte hier und da ein paar Fußtritte aus, die zu seiner großen Befriedigung manchmal sogar ihr Ziel trafen.

Das Durcheinander wurde noch dadurch vergrößert, dass ihm aus der anderen Richtung Herden von Schafen und Ziegen entgegenkamen, die von ihren Hirten aus dem Umland auf die vielen, in jedem Stadtteil abgehaltenen Märkte getrieben wurden. An den Straßenrändern boten Bratereistände ihre einfachen, duftenden Gerichte an. Laute Gruppen von jungen Wäscherinnen gingen munter schwatzend auf den Fluss zu und erregten die Aufmerksamkeit des Malers, der sich nicht das Vergnügen versagte, ihnen ein paar anzügliche Scherzworte zuzurufen.

Wie es sich für echte Bewohner Roms gehörte, die genauso flink mit der Zunge wie mit den Händen waren, zeigten sich die Mädchen keineswegs beleidigt oder verlegen über die Worte des jungen Mannes mit dem entschlossenen Auftreten und dem großen Schnurrbart, sondern zahlten es ihm mit gleicher Münze zurück.

Je weiter er die Apostelkirche hinter sich ließ, desto spärlicher wurden die Häuser und machten bald ganz einigen Obst- und Gemüsegärten Platz, in denen man Bauern und Tagelöhner bei der Arbeit sehen konnte. Hier und dort kündete dichtes Strauchwerk von einer dahinterliegenden Villa. Unter den Villen des Viertels war die Villa Aldobrandini gewiss die prächtigste, weshalb der Maler wie immer davor stehen blieb, um ihre harmonische, eindrucksvolle Bauweise zu bewundern.

Es war ein angenehmer Spaziergang, und im Nu, beinahe ehe er sich’s versah, fand sich der Künstler auf dem Platz vor Santa Maria Maggiore wieder.