KAPITEL XXXI

 

Von den schwärzesten Gedanken niedergedrückt verließ Fieschi den Palast der Inquisition. Seine Clarissa, seine Tochter, die einzige Freude seines trostlosen Lebens, war in Gefahr, diesem herzlosen Ungeheuer Bernardo Muti in die Hände zu fallen, der finsteren Seele der weiß gekleideten Bruderschaft. Und er, was konnte er dagegen tun?

Was konnte er gegen die Bedrohung unternehmen, die über dem Haupt dieses unschuldigen Mädchens schwebte?

Auf dem Nachhauseweg dachte Fieschi sich Hunderte von Plänen aus und verwarf sie wieder, weil keiner ihm ausreichend Erfolg versprechend schien.

Sobald er sein Haus betreten hatte, ein zweistöckiges, bescheidenes, um nicht zu sagen heruntergekommenes Gebäude, fing er an zu brüllen, als wäre er von einem Dämon besessen.

»Guglielmo, Vanni, her zu mir, sofort! Wir dürfen keine Minute verlieren!«

Fieschis Mitarbeiter kamen herbeigelaufen, erschrocken über dieses Verhalten ihres Chefs, den sie als einen ruhigen und ausgeglichenen Mann kannten.

»Alle in den großen Saal, so schnell wie möglich!«, fuhr er fort zu schreien. »Trommelt die Männer zusammen, lasst sie aus ganz Rom herbeikommen!«

Gefolgt von seinen Leuten stürmte der Meisterspion in den weitläufigen Raum im hinteren Teil des Erdgeschosses, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her.

Das runde Dutzend Männer versammelte sich um einen wurmstichigen, wackeligen Tisch. Sie setzten sich auf die einfachen Holzbänke und warteten darauf, dass ihr Oberhaupt seine Befehle gab.

»Azzolini hat etwas vor«, begann Fieschi. »Ich will wissen, was, wie, wer, wann, wo und warum. Ich will alles wissen, und zwar sofort!«

Nach einigen Augenblicken verlegenen Schweigens nahm einer der Spione seinen Mut zusammen und sprach.

»Azzolinis Leute durchkämmen die Stadt, Herr. Sie scheinen jemanden zu suchen. Es sind auch Franzosen darunter, viele Franzosen.«

Nun, da das Eis gebrochen war, berichtete ein anderer weiter.

»Die Franzosen und Azzolinis Wachen haben Kopien von der Zeichnung eines Mannes dabei. Sie zeigen sie den Ladenbesitzern, den Wäscherinnen, den Straßenhändlern, den Fährmännern und fragen, ob jemand diesen Mann gesehen hat und weiß, wo er sich aufhält. Ich habe gehört, dass der Hauptmann der Franzosen ein gewisser de la Fleur ist. Vor ein paar Stunden sind sie in eine Herberge eingedrungen, wo sie zwei Männer getötet und einen gefangen genommen haben. Den Gesuchten scheinen sie aber nicht gefunden zu haben, denn sie patrouillieren immer noch durch das Viertel. Außerdem haben sie Wachen an den Brücken aufgestellt und halten jeden an.«

Bei dieser Flut von Informationen wurde Fieschi etwas ruhiger, auch wenn es in seinen Augen nach wie vor hektisch blitzte.

»Wir müssen diesen Mann, den Azzolini sucht, um jeden Preis finden.«

Die Spitzel wechselten verdutzte Blicke untereinander.

»Das wird nicht ganz einfach sein, Herr«, verlieh der mutigste den Zweifeln seiner Kumpane Ausdruck. »Der Kardinal hat über zweihundert Männer ausgeschickt, ohne die Franzosen einzurechnen, die auch etwa vier Dutzend sind, und wie es aussieht, haben sie noch nichts erreicht. Es ist, als würde man eine Stecknadel im Heuhaufen suchen. Außerdem wissen wir noch nicht einmal, wie er aussieht, während die anderen offenbar ein Porträt besitzen. Kurzum, diese Aufgabe übersteigt unsere Möglichkeiten.«

»Ich bitte euch nicht, diesen Mann zu finden«, sagte Fieschi mit samtweicher Stimme, die ein sicheres Zeichen dafür war, dass er gleich einen seiner seltenen, aber berüchtigten Zornesausbrüche bekommen würde, »ich befehle es euch!« Die letzten Worte brüllte er so laut, dass die Männer unwillkürlich zurückwichen, als könnte das Dröhnen seiner Stimme sie wie eine Sturmbö hinwegfegen.

»Ich will mich jetzt nicht in Einzelheiten verlieren, aber ihr sollt wissen, dass unsere Organisation und vor allem meine Person ins Visier der heiligen Inquisition geraten sind! Ihr seid euch hoffentlich darüber im Klaren, was das bedeutet. Hier geht es nicht darum, ein paar Soldi zu verdienen oder nicht, sondern um unsere eigene Haut. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt? Die Dominikaner wollen diesen Mann, und wir werden ihnen den Gesuchten noch vor Sonnenuntergang liefern. Darüber gibt es kein weiteres Wort zu verlieren.«

Der gefürchtete Name der Inquisition löste erschrockenes Gemurmel bei diesen Männern aus, die es doch gewohnt waren, jeden Tag ihr Leben aufs Spiel zu setzen.

»Dann lasst uns mal in Ruhe überlegen«, fuhr ihr Anführer beherrschter fort. »Wenn die Franzosen und Azzolinis Männer diese Herberge gestürmt haben, bedeutet das, dass sie einen konkreten Hinweis hatten. In Rom wimmelt es von Herbergen, Tavernen, Gasthäusern, weshalb die Aktion kein Zufall gewesen sein kann. Sie haben den Gesuchten nicht gefasst, weil er schneller und gerissener war als sie, was uns nicht weiter verwundert, so wie wir Azzolinis Leute kennen. Der Kardinal lässt mit Sicherheit auch die Stadttore bewachen, also können wir davon ausgehen, dass der Mann sich noch in Rom befindet. Die Schergen des Kardinals sind zwar wenig mehr als ein Haufen hirnloser Aufschneider, aber die Mitwirkung der Franzosen lässt vermuten, dass die Suche mit einem Mindestmaß an Methode durchgeführt wird. Wenn ich der Einsatzleiter wäre, würde ich nach der fehlgeschlagenen Erstürmung der Herberge die Suche in konzentrischen Kreisen fortsetzen. Die Brücken und Anleger werden überwacht, daher ist es unwahrscheinlich, dass unser Mann inzwischen das andere Flussufer erreicht hat. Und wenn die Leute des Kardinals sich so verhalten, wie ich denke, bedeutet das, dass der Gesuchte früher oder später mit dem Rücken zum rechten Tiberufer stehen wird.«

Fieschi nahm ein Stöckchen und zeigte seinen Mitarbeitern auf einem Stadtplan den Bereich, auf den sich die Suche konzentrieren würde.

»Wenn ich in der Haut des Verfolgten steckte, würde ich in einer der vielen Osterien der Gegend untertauchen, hier, im PonteViertel, und darauf warten, dass der Kreis enger wird, um dann zu versuchen, durch die Reihen der Verfolger hindurchzuschlüpfen. Setzt alle ein, die uns zur Verfügung stehen, und bringt mir diesen Mann noch vor dem Abend. Aber seid auf der Hut: Wenn Azzolini ihn mit einem derart großen Aufgebot suchen lässt, heißt das, dass er gefährlich ist. Habt ihr ihn gefunden, müsst ihr ihm sofort zu verstehen geben, dass wir Freunde sind und ihm helfen wollen, sich in Sicherheit zu bringen. Jetzt geht und besorgt euch als Erstes eine dieser Zeichnungen.«

»Haben wir die Erlaubnis, Gewalt anzuwenden?«, fragte einer der Männer. »Falls einer das Porträt nicht freiwillig herausrücken will, meine ich.«

»Mir ist es lieber, wenn ihr die herkömmliche Methode anwendet. Azzolinis Schergen sind gierige Hunde. Ich glaube, ein paar Scudi wirken überzeugender als ein Schwerthieb.«

Es war noch früh am Morgen, als Beatrice die französische Gesandtschaft verließ.

Als sie durch die Seitentür in den Hof treten wollte, war sie einem hohen Geistlichen begegnet, den sie zwar noch nie aus der Nähe gesehen, in dem sie aber sofort den stellvertretenden Staatssekretär Kardinal Azzolini erkannt hatte.

Der mächtige Kardinal war viel jünger, als sie gedacht hatte. Er konnte nicht viel älter als vierzig sein, soweit sich das nach einem flüchtigen Blick beurteilen ließ.

Außerdem war er ein gut aussehender Mann, wenn auch ein wenig zu klein für ihren Geschmack.

Mit raschen Schritten bog die Kartenlegerin in die Straße ein, die am linken Tiberufer entlang zu ihr nach Hause führte. Es wurde langsam Zeit, den armen Nanni ins Bild zu setzen, obwohl auch sie längst nicht über alle Einzelheiten Bescheid wusste.

Während sie der Uferstraße folgte, stellte sie fest, dass etwas Seltsames in der Luft lag – und das war nicht nur der Wind, der über Nacht aufgefrischt hatte.

Auf den sonst so quirligen, lauten Straßen war es merkwürdig still und leer, wenn man von ein paar vereinzelten, eiligen Passanten absah.

Beatrice kannte die Römer gut genug, um zu wissen, dass diese Ruhe nicht allein vom schlechten Wetter hervorgerufen wurde.

Es musste etwas Ernsteres im Gange sein.

Ein Grund mehr, sich mit dem Nachhausekommen zu beeilen, dachte sie. Nun, da sie ihre Aufgabe erledigt hatte, war es für sie und Zane, ganz zu schweigen vom Maler, das Beste, sich möglichst bedeckt zu halten. Sie konnten jetzt sowieso nichts anderes tun, als abzuwarten, dass die Wachen des Kardinals und de Simaras Musketiere die Angelegenheit erledigten.

Beatrice wusste, dass es nicht leicht sein würde, Fulminacci vor weiteren Schwierigkeiten zu bewahren. Er war ein Dickkopf mit einem angeborenen Talent, sich Ärger einzuhandeln. Sein stürmischer Charakter glich eher dem eines Draufgängers als eines Künstlers, obwohl er in seltenen Momenten auch eine ganz unerwartete Feinfühligkeit an den Tag legen konnte.

Trotzdem war er ein unverbesserlicher Streithammel und notorischer Schürzenjäger, der sich unwiderstehlich von den zwielichtigsten und verrufensten Gegenden der Stadt angezogen fühlte.

Beatrice zählte sich die vielen Fehler des Malers auf und konnte doch nicht umhin, mit einer gewissen Zärtlichkeit an ihn zu denken, die sie leicht verstörte.

Sie schüttelte den Kopf, um diese Gefühlsduselei zu vertreiben. Das war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich auf ein Abenteuer einzulassen, noch dazu mit so einem Kerl.

Niemals!

Besser gar nicht daran denken.

Andererseits mussten Nannis künstlerische Begabung und Sensibilität doch bedeuten, dass er in seinem tiefsten Innern einen guten Kern hatte. Erst neulich hatte sie ein Bild von ihm gesehen, eine reuige Magdalena, das sie tief berührt hatte.

Hin- und hergerissen zwischen dem Entschluss, sich solche Gedanken zu verbieten, und der Versuchung, ihnen nachzuhängen, hatte Beatrice nicht bemerkt, dass die breite Uferstraße inzwischen noch verlassener war als zuvor.

Als sie sich dessen bewusst wurde, war es schon zu spät.

Sie stieg über ein antikes Trümmerstück hinweg und sah sich plötzlich vier Männern gegenüber, die ihr den Weg versperrten.

Ein Blick genügte ihr, um zu erkennen, dass es sich nicht um gewöhnliche Schergen handelte, die sie nach ein paar zotigen Scherzen unbehelligt weiterziehen ließen.

Das war eine ganz andere Sorte von üblen Halunken.

Zuerst fürchtete sie, an eine Räuberbande geraten zu sein, verwarf diese Annahme aber gleich wieder. Eine Räuberbande auf der Tiberpromenade, und das am helllichten Tag? Höchst unwahrscheinlich. Schlagartig stand ihr die Wahrheit vor Augen.

Heiliger Himmel! Das waren die Häscher der Inquisition.

All das schoss ihr in einem einzigen Augenblick durch den Kopf, denn im nächsten Augenblick hatten zwei der Männer sie auch schon an den Armen gepackt und hielten sie fest.

Beatrice versuchte sich zu befreien, aber vergeblich.

»Sieh mal einer an, was uns da ins Netz gegangen ist«, sagte ein anzüglich grinsender Kerl mit einem schielenden Auge und fauligen Zähnen, der anscheinend der Anführer war, »eine hübsche kleine Zigeunerin.«

»Geh zum Teufel, du Widerling! Ich bin keine Zigeunerin«, rief Beatrice mit einem Mut, den sie nicht wirklich empfand. »Und nehmt eure dreckigen Pfoten von mir weg. Ich habe keine Zeit für Nichtstuer wie euch.«

»Oho, das Kätzchen fährt die Krallen aus«, entgegnete der Schielende. »Die Inquisitoren werden schon dafür sorgen, dass du sie wieder einziehst, meine Kleine. Eigentlich schade, dass wir dich diesen bösen Männern übergeben müssen, wo du doch so niedlich bist.«

»In Ordnung, ich habe verstanden«, sagte die Kartenlegerin und griff nach dem letzten Strohhalm. »Wie viel?«

»Ich glaube, ich habe Euch nicht richtig verstanden, mein Fräulein«, verspottete sie der Schielende unter dem Gelächter seiner ruchlosen Kumpane.

»Du hast mich sehr gut verstanden, du Dreckskerl. Wie viel wollt ihr, damit ihr mich gehen lasst? Ich kann nicht viel bezahlen, aber wir werden uns schon einig…«

Das letzte Wort wurde ihr durch eine heftige Ohrfeige abgeschnitten, die ihren Kopf zur Seite fliegen ließ.

»Halt’s Maul, du Zigeunerhure! Bindet ihr die Hände auf den Rücken. Die Inquisitoren werden sich freuen, ihre Gottesliebe auf dem zarten Fleisch dieser Dirne austoben zu können. Lasst das Boot kommen. Ich schätze, für diesen Fang kriegen wir eine dicke Belohnung.«