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Malfourche, Mississippi
Mike Ventura legte am verrotteten Anleger vor Tiny’s Bait ’n’ Bar an. Es war ein windschiefes, wackeliges altes Holzgebäude auf Pfählen, und Ventura konnte bereits die Country-Musik, das Geschrei und das rauhe Gelächter hören, die über das Wasser zu ihm herüberschwebten.
Er steuerte sein Sportfischerboot mit geringem Tiefgang in einen der wenigen leeren Liegeplätze, stellte den Motor ab, sprang heraus und machte fest. Es war Mitternacht, und im Tiny’s ging es hoch her, der Anleger war voll mit Booten, von hochmotorisierten Sportfischerbooten bis hin zu billigen Sperrholz-Ruderbooten. Malfourche mochte eine vom Pech verfolgte Stadt sein, aber die Leute hier wussten immer noch, wie man richtig feierte. Er leckte sich die Lippen. Ein kühles Bier und ein Schuss Jack Daniels, das war jetzt angesagt – bevor es mit der richtigen Arbeit losging.
Er schob die Tür auf, und sofort schlugen die Geräusche und Gerüche über ihm zusammen: die lärmende Musik, das Bier, die Sägespäne, die Feuchtigkeit und der Geruch des Sumpfwassers, das gegen die Pfähle unter ihnen schwappte. Der Angelshop links und die Theke rechts waren in den scheunenähnlichen Raum integriert. Wegen der späten Stunde war das Licht im Angelshop ausgeschaltet, in dem in Kühlschränken und Badewannen die verschiedenen Lebendköder gehalten wurden, für die Tiny’s so berühmt war: Tauwürmer, Bachkrebse, Egel, Wachswürmer, Georgia-Springwürmer, Laich und Maden.
Ventura ging schnurstracks zum Tresen. Und sofort stellte Tiny höchstpersönlich, der Barkeeper und Besitzer – ein riesiger Fettkloß von einem Mann –, eine eiskalte Dose Coors auf die Theke, unmittelbar darauf gefolgt von einem doppelten Jack Daniels.
Ventura bedankte sich mit einem Nicken, hob das Whiskyglas, kippte den Inhalt runter und genehmigte sich sofort danach einen ordentlichen Schluck Coors.
Verdammt noch mal, genau das hatte ihm der Arzt empfohlen. Er lebte schon zu lange hier am Sumpf. Während er sein Bier trank, sah er sich in dem alten Schuppen mit einem aufsteigenden Gefühl der Zuneigung um. Es war einer der letzten Läden, wo man keine Schwarzen, keine Schwulen oder Yankees zu Gesicht bekam. Nur Weiße kamen hierher, und niemand musste reden, das wussten hier alle im Saal, und so war es und würde es bleiben bis in alle Ewigkeit. Amen.
Die Wand hinter dem Tresen war mit Hunderten von Postkarten geschmückt, Fotos von Waldarbeitern mit Äxten, neueren Fotos mit prämierten Fischen und Booten, ausgestopften Fischen, signierten Dollarscheinen, einem Luftbild von Malfourche aus den Tagen, als der Ort noch ein blühendes Zentrum für alle gewesen war, von Sumpfzypressen-Baumfällern bis zu Alligatorenjägern. Damals, als alle noch ein anständiges Boot, einen Pick-up und ein Haus besaßen, das wirklich was wert war. Bevor der Sumpf zur Hälfte in ein Naturschutzgebiet umgewandelt worden war.
Scheiß Naturschutzgebiet.
Ventura putzte sein Bier weg. Und ehe er bestellen konnte, bekam er noch eins hingeknallt, dazu einen einfachen Jack Daniels. Tiny wusste, was er wollte. Aber anstatt sich sofort darüber herzumachen, dachte Ventura über die dringende Aufgabe nach, die er zu erledigen hatte. Die Sache würde ihm Spaß machen, außerdem würde er da richtig Kohle rausziehen – sich aber gleichzeitig nicht die Hände schmutzig machen. Sein Blick schweifte zu den zahlreichen Anti-Umweltschutz-Slogans, die an die Wand gepinnt waren. IHR SIERRA CLUB-LEUTE – SCHERT EUCH ZUM TEUFEL! RETTET DIE NATUR – VERFÜTTERT EINEN ÖKO AN DIE ALLIGATOREN, und so weiter. Ganz bestimmt, es war ein guter Plan.
Er beugte sich über den Tresen und winkte den Besitzer zu sich. »Tiny, ich hab ’ne wichtige Ansage zu machen. Kannst du mal die Musik leiser drehen?«
»Klar, Mike.« Tiny ging zur Stereoanlage hinüber und stellte sie leiser. Fast augenblicklich wurde es still im Raum, alle Blicke richteten sich auf die Theke.
Ventura rutschte vom Barhocker herunter und schlenderte in die Mitte der Bar, wobei er mit seinen Cowboystiefeln auf den abgewetzten Dielen laut auftrat.
»Ey, Mike!«, brüllte jemand. Außerdem ertönte ein wenig Geklatsche und Gepfeife von den Besoffenen. Aber Ventura nahm keine Notiz davon. Er war eine bekannte Figur in der Gegend, ehemals County-Sheriff, ein vermögender Mann, aber nie von oben herab. Andererseits hatte er immer Wert darauf gelegt, nicht allzu sehr mit den Knalltüten und Rednecks zu fraternisieren, und hielt eine gewisse Distanz. Die Leute respektierten das.
Er hakte die Daumen in den Gürtel und ließ den Blick in die Runde schweifen. Alle warteten. Es geschah schließlich nicht alle Tage, dass Mike Ventura das Wort an sie richtete. Erstaunlich, wie schnell es ruhig in dem Laden wurde. Es erfüllte Ventura mit einer gewissen Befriedigung, dem Gefühl, einen Punkt erreicht zu haben, an dem ihm Respekt gezollt wurde, er etwas darstellte im Leben.
»Wir haben da ein Problem«, sagte er und ließ das einige Sekunden sacken; dann fuhr er fort. »Ein Problem in Gestalt von zwei Leuten. Umweltschützer. Die kommen undercover hier runter, um sich dieses Ende vom Black Brake anzusehen. Um das Naturschutzgebiet auf den Rest vom Black Brake und den Lake End auszudehnen.«
Er blickte finster in die Menge. Gemurmel, Gezische, unartikulierte Rufe der Ablehnung. »Den Lake End?«, rief jemand. »Die sind doch nicht ganz dicht!«
»Ganz richtig. Kein Barschfischen mehr. Keine Jagd mehr. Nichts. Nur ein Naturschutzgebiet, damit die Blödmänner von der Wilderness Society mit ihren Kajaks hier runterkommen und die Vögel beobachten können.« Er spuckte die Worte förmlich aus.
Ein lauter Chor von Buhrufen und Pfiffen. Ventura hob die Hand, Schweigen gebietend. »Zuerst haben die das Holzfällen verboten. Dann die Hälfte des Brake einkassiert. Jetzt reden sie davon, den Rest einzukassieren, und den See noch dazu. Es wird nichts mehr übrig bleiben. Erinnert ihr euch an das letzte Mal, als wir uns nach denen gerichtet haben? Wir sind zu den Anhörungen gegangen, wir haben friedlich demonstriert, wir haben Briefe geschrieben. Wisst ihr noch? Und was ist dabei rausgekommen?«
Wieder laute Rufe der Ablehnung.
»Ganz richtig. Die haben uns über den Tisch gezogen. Und wisst ihr was?«
Ein Aufschrei. Mehrere Leute waren von ihren Hockern aufgestanden. Wieder hielt Ventura die Hände in die Höhe. »Hört mal alle zu. Die werden morgen hier sein. Ich weiß nicht genau, wann, aber bestimmt ziemlich früh. Ein hochgewachsener, schlanker Mann im schwarzen Anzug und eine Frau. Die wollen in den Sumpf fahren, um Recherchen anzustellen.«
»Räschärschen?«, wiederholte jemand.
»Wollen sich mal umsehen. So wie richtige Forscher. Nur die beiden. Aber sie kommen undercover – die feigen Dreckskerle wissen, dass sie es nicht wagen dürfen, hier ihre wahren Gesichter zu zeigen.«
Jetzt drückte die Stille geradezu Hass aus.
»Ganz genau. Ich weiß ja nicht, wie ihr darüber denkt, aber ich hab’s satt, Briefe zu schreiben. Ich hab’s satt, zu Anhörungen zu gehen. Ich hab’s satt, mir von diesen Yankee-Proleten sagen zu lassen, was ich mit meinen Fischen, meinem Holz und meinem Land tun soll.«
Ein jähes, neues Aufbranden von Rufen. Die Leute merkten, worauf er hinauswollte. Ventura griff in die Gesäßtasche, zog ein Bündel Geldscheine heraus und schüttelte es. »Das ist die Anzahlung, und es wird mehr geben von der Seite, die sie geleistet hat. Ihr kennt ja das Sprichwort: Was im Sumpf versinkt, steigt nie wieder auf. Ich möchte von euch allen, dass ihr das Problem löst. Macht es allein. Weil wenn ihr das nämlich nicht macht, macht’s keiner, und dann könnt ihr euch von dem, was von Malfourche übrig geblieben ist, verabschieden, eure Knarren verscherbeln, eure Häuser verschenken, eure Chevys packen und zu den Schwulen in Boston und San Francisco ziehen. Wollt ihr das?«
Ein Aufschrei der Ablehnung, noch mehr Leute sprangen auf. Ein Tisch fiel krachend um.
»Ihr seid bereit für diese Umweltschützer, ja? Kümmert euch um sie. Und zwar gründlich. Was im Sumpf versinkt, steigt nie wieder auf.« Er blickte in die Runde, dann hielt er eine Hand hoch und neigte den Kopf. »Danke, meine Freunde, und damit gute Nacht.«
In dem Laden war der Teufel los, genauso wie Ventura es vorausgesehen hatte. Er ignorierte den Radau, ging mit langen Schritten zur Tür, stieß sie mit einem Fußtritt auf, trat hinaus in die schwüle Abendluft und auf den Anleger. Er hörte den Höllenlärm, der drinnen in der Kneipe herrschte, die zornigen Stimmen, die Flüche, dass die Musik wieder lauter gestellt wurde. Aber wenn die beiden ankamen, würden ein paar von den Jungs garantiert wieder so nüchtern sein, dass sie das Nötige tun konnten. Tiny würde schon dafür sorgen.
Er klappte sein Handy auf und wählte. »Judson? Ich hab gerade unser kleines Problem gelöst.«