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New York City
Captain Laura Hayward vom Morddezernat der Polizei New York ließ die Tür zu ihrem Büro gern offen, um damit zu signalisieren, dass sie ihre Wurzeln als einfacher Cop, der in U-Bahnen Streife gegangen war, nicht verleugnete. Sie hatte im Dezernat eine steile Karriere gemacht. Sie wusste zwar, dass sie gut war und die Beförderungen verdiente, trotzdem war ihr auf unbehagliche Weise bewusst, dass es nicht geschadet hatte, eine Frau zu sein, zumal nach den zahlreichen Skandalen wegen Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz in der vorhergehenden Dekade.
Doch an diesem Morgen, als sie um sechs im Büro erschienen war, schloss sie widerstrebend die Tür, obwohl sonst niemand da war. Die Ermittlungen im Zusammenhang mit einer Serie von Drogenmorden der russischen Mafia auf Coney Island kamen einfach nicht von der Stelle und hatten nichts als eine Riesenmenge an Papierkram und zahllose Sitzungen mit sich gebracht. Schließlich war man übereingekommen, dass sich jemand – also sie – mit den Akten hinsetzte und alles noch einmal durchsah, damit wenigstens einer durchblickte und die Ermittlungen vorantreiben konnte.
Gegen Mittag war ihr beinahe schwindlig wegen der sinnlosen Gewalt der ganzen Geschichte. Hayward stand vom Schreibtisch auf und nahm sich vor, ein wenig frische Luft zu schnappen und im kleinen Park neben dem Polizeihochhaus etwas spazieren zu gehen. Sie öffnete ihre Tür, verließ das äußere Büro und stieß auf eine Gruppe von Beamten, die auf dem Flur herumlungerten.
Die Männer grüßten sie ein wenig beflissener als sonst, wobei sie sich verlegen Seitenblicke zuwarfen.
Hayward erwiderte die Grüße und blieb stehen. »Also gut, was ist los?«
Verräterisches Schweigen.
»Ich habe noch nie einen Haufen schlechterer Schauspieler gesehen«, sagte sie leichthin. »Ehrlich, wenn ihr euch zu einer Pokerrunde zusammensetzen würdet, ihr würdet alle verlieren.«
Der Witz kam nicht an; nach kurzem Zögern meldete sich ein Sergeant zu Wort. »Captain, es geht da um einen, äh, FBI-Agenten. Einen gewissen Pendergast.«
Hayward stutzte. Ihre Abneigung gegen Pendergast war unter ihren Kolleginnen und Kollegen weithin bekannt, ebenso seine Beziehung zu ihrem Lebensgefährten D’Agosta. Pendergast hatte Vincent tief in die Scheiße geritten, und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass der derzeitige Ausflug nach Louisiana genauso katastrophal enden würde wie die früheren. Vielleicht bahnte sich ja gerade eine Katastrophe an … Und während ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, versuchte sie ihre Gesichtszüge zu beherrschen und einen völlig gelassenen Eindruck zu machen. »Was ist denn mit Special Agent Pendergast?«, fragte sie kühl.
»Es geht da eigentlich nicht um Pendergast«, sagte der Sergeant. »Sondern um eine Verwandte von ihm. Eine gewisse Constance Greene. Sie sitzt unten in der Zentralaufnahme und hat Pendergast als ihren nächsten Angehörigen angegeben. Anscheinend ist sie seine Nichte oder so was Ähnliches.«
Wieder betretenes Schweigen.
»Und?«, soufflierte Hayward.
»Die Frau war im Ausland. Hat eine Überfahrt auf der Queen Mary Zwei von Southampton nach New York gebucht, ist mit ihrem Baby an Bord gegangen.«
»Ihrem Baby?«
»Richtig. Höchstens ein paar Monate alt. Nachdem das Schiff angelegt hatte, wurde sie an der Passkontrolle festgehalten, weil das Baby gefehlt hat. Der Zoll hat uns per Funk verständigt, und wir haben sie in Gewahrsam genommen. Sie steht unter Mordverdacht.«
»Mordverdacht?«
»Ganz genau. Wie’s aussieht, hat sie ihr Baby irgendwo mitten auf dem Atlantik über Bord geworfen.«