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Während D’Agosta den Vorschlaghammer in der Hand wog, inspizierte Pendergast das alte Mauerwerk, klopfte erst auf einen Stein, dann auf einen anderen, angestrengt lauschend. Die Beleuchtung war schummerig, und D’Agosta musste die Augen zusammenkneifen, um etwas erkennen zu können. Nach ein paar Augenblicken gab der FBI-Agent einen leisen, befriedigten Laut von sich und richtete sich wieder auf.

»Hier«, verkündete er und deutete auf einen Ziegelstein etwa in der Mitte der Wand.

D’Agosta kam herbei und schwang probehalber den Vorschlaghammer wie ein Schlagmann beim Baseball.

»Ich habe uns fünf Minuten erkauft«, sagte Pendergast. »Allerhöchstens zehn. Dann wird unser Freund, der Filialleiter, ohne Zweifel zurück sein. Diesmal möglicherweise in Gesellschaft.«

D’Agosta schlug mit dem Vorschlaghammer gegen die Wand. Zwar verfehlte er die angegebene Stelle um ein paar Ziegel, aber das Eisen traf die Mauer mit einer Wucht, die durch seine Hände und den Arm hochfuhr. Ein zweiter Schlag traf besser, der dritte ebenfalls. D’Agosta setzte den Vorschlaghammer ab, wischte sich die Hände an der Rückseite seiner Hose ab, fasste erneut zu und machte sich wieder an die Arbeit. Nach etwa einem Dutzend heftiger Schläge bedeutete Pendergast ihm mit einer Geste, er solle aufhören. Keuchend trat D’Agosta zurück.

Der FBI-Agent wedelte die Wolke von Zementstaub beiseite, ließ den Strahl einer Taschenlampe über die Wand gleiten und beklopfte wieder die Ziegel, einen nach dem anderen. »Sie lösen sich. Machen Sie weiter, Vincent.«

D’Agosta trat erneut vor und versetzte der Wand eine weitere Serie wuchtiger Schläge. Beim letzten Schlag hörte man etwas bröckeln, und einer der Backsteine zerbrach. Pendergast schoss vor, einen Kaltmeißel in einer Hand, einen Hammer in der anderen. Er betastete kurz die bröckelnde Mauer, setzte den Meißel an, hob den Hammer und griff mit ein paar wohlgesetzten Schlägen die umgebende Schicht aus Mörtel und altem Zement an. Weitere Ziegel wurden gelockert, andere löste Pendergast mit den Händen heraus. Er ließ Meißel und Hammer fallen und den Strahl der Taschenlampe über die Wand gleiten. Ein Loch, ungefähr so groß wie ein Beachball, war sichtbar geworden. Pendergast schob den Kopf hindurch und ließ die Taschenlampe hierhin und dorthin gleiten.

»Was sehen Sie?«, fragte D’Agosta.

Statt zu antworten, trat Pendergast zur Seite. »Noch ein paar, bitte«, sagte er und deutete auf den Vorschlaghammer.

Diesmal zielte D’Agosta mit seinen Schlägen auf die Ränder des ausgezackten Lochs, wobei er sich auf die obere Kante konzentrierte. Steine, Ziegelbruch und alter Mörtel regneten herab. Endlich gab Pendergast erneut das Signal zum Aufhören. D’Agosta, der vor Anstrengung keuchte, tat es nur zu gern.

Hinter der abgesperrten Kellertür oben an der Treppe war etwas zu hören. Der Filialleiter war wieder da.

Pendergast trat an das klaffende Loch in der Backsteinwand, D’Agosta zwängte sich hinter ihm durch. Durch die Staubwolken hindurch enthüllten die Strahlen ihrer Taschenlampen einen flachen Hohlraum hinter den zerborstenen Ziegeln. Es war eine Kammer, etwa vier Meter breit und einen Meter zwanzig hoch. Plötzlich stockte D’Agosta der Atem. Der gelbe Strahl seiner Taschenlampe war auf eine flache Lattenkiste gefallen, die an der gegenüberliegenden Wand lehnte, auf beiden Seiten durch Holzstreben verstärkt. Genau die Größe, dachte D’Agosta, die man von einem Gemälde erwarten würde. Ansonsten war die Kammer, soweit man das durch die Staubwolken erkennen konnte, leer.

Über ihnen wurde am Türknauf gerüttelt. »He!«, ertönte die Stimme des Filialleiters. Sie hatte viel von ihrer ursprünglichen Aggressivität zurückgewonnen. »Was zum Teufel treiben Sie da unten?«

Pendergast blickte sich rasch um. »Vincent«, sagte er, drehte sich um und richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf den Stapel Plastikplanen in der gegenüberliegenden Ecke. »Beeilen Sie sich.«

Es brauchte nichts weiter gesagt zu werden. D’Agosta eilte zu dem Stapel und durchwühlte ihn nach einer Plastikplane in passender Größe, während Pendergast sich durch das frisch geschlagene Loch in der Wand duckte.

»Ich komm runter«, brüllte der Filialleiter und rüttelte an der Tür. »Machen Sie die Tür auf!«

Pendergast zerrte die Holzkiste aus ihrem Versteck. D’Agosta half ihm, sie durch das Loch zu bugsieren, und zusammen wickelten sie sie in die Plastikplane.

»Ich habe das Franchisebüro in New Orleans angerufen«, ertönte die Stimme des Filialleiters. »Sie können hier nicht einfach reinkommen und mir den Laden dichtmachen! Niemand hat was von diesen sogenannten Inspektionen gehört, die Sie durchführen.«

D’Agosta packte ein Ende der Lattenkiste, Pendergast das andere, und sie erklommen die Treppe. D’Agosta konnte hören, wie ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde. »Machen Sie Platz!«, brüllte Pendergast, als sie aus der Staubwolke ins schwache Kellerlicht traten, die Holzkiste, verdeckt durch die Plastikplane, in den Händen. »Aus dem Weg! Sofort!«

Der Tür flog auf, der rotgesichtige Filialleiter blockierte den Ausgang. »Was zum Teufel haben Sie da in der Hand?«, fragte er scharf.

»Beweismittel in einem möglichen Kriminalfall.« Sie waren oben an der Treppe angekommen. »Es sieht noch sehr viel schlechter für Sie aus als vorher, Mr. …« Pendergast schaute auf das Namensschild des Filialleiters. »Mr. Bona.«

»Für mich? Ich bin hier erst seit sechs Monaten, ich wurde hierher versetzt.«

»Sie sind derjenige, dessen Name in den Akten steht. Wenn es hier kriminelle Umtriebe gegeben hat – und ich bin mir zunehmend sicher, dass dem so war –, wird es auch Ihr Name sein, der auf dem Haftbefehl steht. Also, treten Sie jetzt zur Seite, oder muss ich Behinderung einer laufenden Ermittlung der Liste der potentiellen Anklagen hinzufügen?«

Es folgte ein kurzer Moment des Stillstands. Dann trat Bona widerstrebend zur Seite. Pendergast schob sich an ihm vorbei, die verhüllte Lattenkiste im Arm, und D’Agosta folgte ihm schleunigst.

»Wir müssen uns beeilen«, sagte Pendergast leise, als sie zur Tür hinausstürmten. Der Filialleiter stieg bereits in den Keller hinab und tippte dabei eine Nummer in sein Handy.

Sie rannten die Straße hinunter bis zum Rolls. Pendergast öffnete den Kofferraum, sie stellten die Holzkiste, eingehüllt in ihre schützende Plane, hinein. Die Bauhelme folgten, zusammen mit D’Agostas Werkzeugtasche. Dann knallten sie den Kofferraum zu und stiegen eilig vorne ein. Pendergast hatte nicht einmal den Werkzeuggürtel abgenommen.

Als Pendergast den Motor anließ, sah D’Agosta den Filialleiter aus dem Doughnut-Laden auftauchen, das Handy immer noch fest umklammert. »Hey!«, hörten sie ihn noch einen Block entfernt brüllen. »Hey, Sie da! Anhalten!«

Pendergast legte den Vorwärtsgang ein und trat auf das Gaspedal. Der Rolls wendete mit quietschenden Reifen und raste die Straße hinunter, in Richtung Court Street und Autobahn.

Pendergast schaute D’Agosta an. »Gut gemacht, mein lieber Vincent.« Und diesmal war sein Lächeln nicht geisterhaft. Es war echt.