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St. Francisville, Louisiana

Laura Hayward folgte dem Streifenwagen aus der Stadt, auf einer Serpentinenstraße, die nach Süden zum Mississippi führte. Sie hatte den Eindruck, allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen, außerdem fühlte sie sich ziemlich unwohl in ihrer Haut am Steuer von Helen Pendergasts altem Porsche-Cabrio. Doch Pendergast hatte ihr den Wagen seiner Frau derart höflich angeboten, dass sie es nicht über sich gebracht hatte, abzulehnen. Während sie die abschüssige, von Eichen und Walnussbäumen gesäumte Straße entlangfuhr, schweiften ihre Gedanken zurück zu ihrer ersten Stelle bei der Polizei in New Orleans. Sie hatte damals nur als Aushilfe in der Einsatzzentrale gearbeitet, aber die dortigen Erfahrungen hatten sie in ihrem Berufswunsch bestärkt. Das war vor der Zeit gewesen, als sie in Richtung Norden, nach New York, aufbrach, wo sie aufs John Jay College of Criminal Justice ging und anschließend ihre erste Stelle als Verkehrspolizistin antrat. In den fast fünfzehn Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte sie ihren Südstaaten-Akzent größtenteils eingebüßt und war obendrein zu einer überzeugten New Yorkerin geworden.

Doch der Anblick von St. Francisville – weißgestrichene Häuser mit langen Veranden und Blechdächern, dazu die schwüle Luft, die nach Magnolien duftete – brach die Kruste, die sie sich in New York zugelegt hatte, mühelos auf. Ihre Erfahrungen mit der örtlichen Polizei waren, bislang jedenfalls, besser als das Herumgereiche zwischen den Abteilungen, das sie in Florida bei ihrem Versuch, an Informationen über den Mordfall Blast heranzukommen, erlebt hatte. Die vornehme Art des Alten Südens hatte eben doch etwas für sich.

Der Streifenwagen bog auf die Einfahrt vor einem Haus. Hayward fuhr hinterher und parkte daneben. Als sie ausstieg, sah sie ein bescheidenes Farmhaus, mit gepflegten Blumenbeeten davor und eingerahmt von zwei Magnolien.

Die beiden Polizisten, die sie zum Haus von Blackletter eskortiert hatten, ein Sergeant vom Morddezernat und ein Streifenbeamter, stiegen aus ihrem Wagen, zogen die Gürtel hoch und kamen auf sie zu. Der Weiße, Officer Field, hatte karottenfarbenes Haar, ein rotes Gesicht und schwitzte stark. Der andere, Sergeant Detective Cring, verströmte eine fast übermäßige Ernsthaftigkeit; ein Mann, der seine Pflicht erfüllte, auf jedes i einen Punkt setzte und bei keinem t den Querstrich vergaß.

Das Häuschen war, so wie die angrenzenden Häuser, weiß gestrichen, hübsch und gepflegt. Ein Absperrband, vom Wind losgerissen, flatterte über den Rasen oder ringelte sich um die Verandasäulen. Das Schloss der Haustür war mit orangefarbenem Tatort-Klebeband versiegelt.

»Captain«, sagte Cring, »möchten Sie das Grundstück untersuchen oder sich lieber im Haus umschauen?«

»Erst einmal das Haus, bitte.«

Sie betrat hinter den beiden Beamten die Veranda. Ihr unangekündigtes Eintreffen in der Polizeiwache von St. Francisville war ein großes Ereignis gewesen, allerdings zunächst kein freudiges. Man war gar nicht glücklich, dass ein Captain – und zwar ein weiblicher! – des New Yorker Morddezernats in einem schicken Sportwagen aufkreuzte und ohne Vorwarnung oder Status als Verbindungsoffizier, ja ohne einen höflichen Anruf aus dem hohen Norden, anfing, in einem lokalen Mord zu ermitteln. Doch Hayward war es gelungen, den Argwohn mit freundlichem Smalltalk über ihre Zeit bei der Polizei in New Orleans zu zerstreuen, und so waren sie alle ziemlich bald gute Kumpel. Zumindest hoffte sie das.

»Wir schauen uns alle Räume an«, fuhr Cring fort, als er vor die Haustür trat. Er holte ein Taschenmesser hervor und durchtrennte das Klebeband. Weil das Schloss aufgebrochen worden war, schwang die Tür auf.

»Was ist mit der hier?«, fragte Hayward und zeigte auf eine Beweismittel-Kiste, die neben der Tür stand.

»Der Tatort wurde bereits gründlich durchsucht«, sagte Cring. »Sie müssen nichts mehr tun.«

»Okay.«

»Der Fall ist ziemlich klar«, sagte Cring, als sie das Haus betraten, in dem es abgestanden und ein wenig modrig roch.

»Klar in welcher Hinsicht?«

»Es war ein Raubüberfall, der schiefgegangen ist.«

»Und woraus schließen Sie das?«

»Das Haus wurde durchwühlt, mehrere elektronische Geräte wurden gestohlen – ein Flachbildschirm, zwei Computer, die Stereoanlage. Sie können sich das ja gleich selber ansehen.«

»Vielen Dank.«

»Die Tat hat sich zwischen zehn und elf Uhr abends ereignet. Der Täter hat, wie Sie vermutlich bemerkt haben, die Haustür mit einem Stemmeisen aufgebrochen und ist durch diesen Flur in den Hobbyraum gegangen, wo Blackletter an seinen Robotern herumbastelte.«

»Robotern?«

»Blackletter war ein Roboterfan. Es war sein Hobby, solche Dinge herzustellen.«

»Der Täter ist also geradewegs von hier in den Hobbyraum gegangen?«

»So sieht’s aus. Er hat offenbar gehört, dass sich Blackletter in dem Zimmer befand, und beschlossen, ihn erst auszuknocken, bevor er das Haus leer räumt.«

»Stand Blackletters Wagen vorm Haus?«

»Ja.«

Hayward betrat hinter Cring den Hobbyraum. Auf einem langen Tisch lagen Metall- und Plastikteile, Drähte, Leiterplatten und diverse kleine Geräte. Auf dem Fußboden darunter prangte ein großer dunkler Fleck, die Wand aus Betonschalsteinen war mit Blut bespritzt und durchsiebt von Schrotkugeln. Die Markierhütchen und Pfeile der Spurensicherung waren noch an ihrem Platz.

Schrotflinte, dachte Hayward. Genau wie bei Blast.

»Es war eine abgesägte Flinte«, sagte Cring. »Kaliber zwölf, auf Grundlage der Analyse der Blutspritzer und der gefundenen Schrotkügelchen. Gewicht: acht Kugeln pro Unze.«

Hayward nickte. Sie inspizierte die Tür zum Hobbyraum: dickes Metall mit einer Schicht aus harter Schallisolierung, die von innen daran festgeschraubt war. Wände und Decke waren ebenfalls gut schallisoliert. Ob Blackletter wohl bei offener oder bei geschlossener Tür gearbeitet hatte? Falls er pingelig war – was offenbar zutraf –, hielt er die Tür vermutlich geschlossen, damit kein Staub und Schmutz aus der Küche ins Zimmer drangen.

»Nachdem der Täter das Opfer erschossen hat«, fuhr Cring fort, »ist er zurück in die Küche gegangen – wir haben kleine Flecken sekundäres Blut von Schuhabdrücken gefunden – und dann über den Flur zurück ins Wohnzimmer.«

Hayward war kurz davor, etwas darauf zu erwidern, verkniff es sich aber. Es handelte sich hier nicht um einen Einbruch, aber jetzt darauf hinzuweisen würde auch nichts bringen. »Könnte ich mir mal das Wohnzimmer ansehen?«

»Natürlich.« Cring ging ihr voran durch die Küche auf die Diele, dann ins Wohnzimmer. Nichts war angerührt worden; es herrschte noch immer totale Unordnung. Ein Rolltop-Schreibtisch war durchwühlt worden, Briefe und Fotos waren umhergeworfen, Bücher aus Regalen gezogen, ein Sofa mit einem Messer aufgeschlitzt worden. In der Wand, dort, wo die Stützen des fehlenden Flachbildschirms befestigt waren, prangte ein Loch.

Haywards Blick fiel auf einen antiken Brieföffner aus Sterlingsilber mit einem eingelegten Opal im Griff, der auf dem Fußboden lag, wohin er vom Schreibtisch heruntergefegt worden war. Als sie den Blick schweifen ließ, entdeckte sie recht viele kleine handgearbeitete Gegenstände aus Silber und Gold: Aschenbecher, kleine Truhen und Kästchen, Teekannen, Teelöffel, Tabletts, Kerzenlöscher, Tintenfässer und Figürchen, alle wunderschön ziseliert. Einige wiesen Intarsien aus Edelsteinen auf. Alle waren offenbar kurzerhand zu Boden gefegt worden.

»Wurden aus der Sammlung dieser Silber- und Goldgegenstände welche gestohlen?«, fragte sie.

»Nicht, dass wir wüssten.«

»Es käme mir aber wahrscheinlich vor.«

»Solche Sachen sind schwer zu verkaufen, vor allem hier in der Gegend. Bei unserem Einbrecher handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen Drogensüchtigen, der einfach nur irgendwas gesucht hat, um sich schnell einen Schuss setzen zu können.«

»Alle diese Silbergegenstände sehen wie Sammlerstücke aus.«

»Ja, das stimmt. Dr. Blackletter hat im Heimatverein mitgearbeitet und von Zeit zu Zeit eins von seinen Sammlerstücken gespendet. Er hatte sich auf amerikanisches Silber aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg spezialisiert.«

»Und womit hat er sein Geld verdient?«

»Er war Arzt.«

»Wie ich gehört habe, hat er für Doctors With Wings gearbeitet, eine gemeinnützige Organisation, die nicht viel Geld hatte. Die Silbergegenstände müssen ein kleines Vermögen wert sein.«

»Nach seiner Arbeit für die Hilfsorganisation hat er als Berater für diverse Pharmafirmen gearbeitet. Es gibt hier in der Gegend ziemlich viele davon. Die Branche zählt zu den Hauptstützen der lokalen Wirtschaft.«

»Haben Sie eine Akte über Dr. Blackletter? Ich würde sie mir gern mal anschauen.«

»Die Akte befindet sich auf der Wache. Ich gebe Ihnen eine Kopie, sobald wir hier fertig sind.«

Hayward blieb im Wohnzimmer stehen. Sie empfand eine schwer definierbare Unzufriedenheit, so als könnte sie mehr Informationen aus dem Tatort beziehen. Ihr Blick fiel auf mehrere Fotos in Silberrahmen, die offensichtlich von einem der Bücherregale heruntergefegt worden waren.

»Darf ich?«

»Nur zu. Die Leute von der Spurensicherung sind quasi mit der Zahnbürste hier durchgegangen.«

Hayward kniete sich hin und hob mehrere Fotos auf. Sie zeigten vermutlich verschiedene Familienangehörige und Freunde. Einige Aufnahmen zeigten wahrscheinlich Blackletter selbst: in Afrika, als Pilot eines Flugzeugs, Einheimische impfend, vor einer Buschklinik stehend. Auf mehreren Fotos stand er neben einer attraktiven, einige Jahre jüngeren Blondine; auf einem Foto hatte er den Arm um sie gelegt.

»War Dr. Blackletter verheiratet?«

»Keinmal«, antwortete Cring.

Hayward drehte das letzte Foto um. Beim Sturz auf den Boden war das Glas im Rahmen gesprungen. Hayward zog es aus dem Rahmen. Auf der Rückseite stand eine mit großzügiger, schwungvoller Schrift verfasste Widmung. FÜR MORRIS. IN ERINNERUNG AN DEN FLUG ÜBER DEN SEE. IN LIEBE, M.

»Darf ich das behalten? Nur das Foto, meine ich.«

Ein Zögern. »Ja, aber wir müssten das eintragen.« Noch ein Zögern. »Darf ich fragen, warum Sie es haben möchten?«

»Es könnte für meine Ermittlungen relevant sein.« Hayward hatte darauf achtgegeben, den Kollegen vor Ort nicht zu verraten, worum es bei ihren Ermittlungen genau ging, und nach ein paar halbherzigen Versuchen, dahinterzukommen, hatten sie das Thema taktvollerweise fallengelassen.

Jetzt aber brachte Cring es doch wieder zur Sprache. »Bitte nehmen Sie mir die Frage nicht übel, aber meine Kollegen und ich sind ein wenig erstaunt, dass sich ein Captain des New Yorker Morddezernats für einen ziemlich gewöhnlichen Raubmord hier bei uns im tiefen Süden interessiert. Wir wollen Ihnen nicht nachspionieren, aber es wäre doch nützlich zu erfahren, wonach Sie suchen – damit wir Ihnen helfen können.«

Hayward war klar, dass sie der Frage nicht weiter aus dem Weg gehen konnte, und entschied sich deshalb für eine Irreführung. »Es geht um Ermittlungen im Bereich Terrorismus.«

Schweigen. »Ah ja, verstehe.«

»Terrorismus«, wiederholte Field, der hinter ihr stand und sich zum ersten Mal zu Wort meldete. Er war ihnen derart leise gefolgt, dass Hayward fast vergessen hatte, dass er auch noch da war. »Davon gibt’s da oben in New York ja ’ne ganze Menge, wie ich höre.«

»Richtig«, antwortete Hayward. »Und Sie haben sicherlich Verständnis dafür, wenn ich nicht in die Details gehen kann.«

»Absolut.«

»Wir halten uns in dieser Angelegenheit bedeckt. Was auch der Grund dafür ist, dass ich in inoffizieller Mission hier bin, wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Ja, natürlich«, sagte Field. »Wenn ich fragen darf – haben die Roboter etwas mit der Sache zu tun?«

Hayward lächelte ihn kurz an. »Je weniger gesagt wird, desto besser.«

»Ja, Ma’am.« Field wurde ganz rot vor Freude, weil er richtig geraten hatte.

Hayward hasste sich selbst wegen ihrer Lüge. Es war eine schlimme Vorgehensweise, die sie, sollte sie je herauskommen, den Job kosten könnte.

»Geben Sie mir das Foto«, sagte Cring und warf seinem Untergebenen einen warnenden Blick zu. »Ich sorge dafür, dass es eingetragen wird und sofort wieder in Ihre Hände gelangt.« Er steckte das Foto in einen Beweismittel-Umschlag, versiegelte ihn und schrieb seine Initialen darauf.

»Ich denke mal, dann wären wir hier fertig«, sagte Hayward und sah sich um; gleichzeitig hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie die Kollegen derart hinters Licht geführt hatte. Sie hoffte nur, dass Pendergasts Vorgehensweise nicht schon auf sie abgefärbt hatte.

Sie trat aus dem dunklen Haus in den hellen Sonnenschein und die schwüle Luft. Als sie sich umsah, fiel ihr auf, dass die Straße knapp achthundert Meter entfernt am Mississippi endete. Spontan wandte sie sich zu Cring um, der gerade die Haustür versiegelte.

»Detective?«

Er wandte sich um. »Ma’am?«

»Sie verstehen doch sicherlich, dass Sie über das, was wir gerade besprochen haben, mit niemandem reden dürfen?«

»Ja, Ma’am.«

»Aber wahrscheinlich wissen Sie jetzt auch, warum ich diesen Einbruch für inszeniert halte.«

Cring rieb sich das Kinn. »Inszeniert?«

»Vorgetäuscht.« Hayward wies mit einem Nicken die Straße hinunter. »Ich würde sogar wetten, dass Sie, wenn Sie nachschauten, die fehlenden elektronischen Geräte dort unten, am Ende der Straße, auf dem Grund des Mississippi finden.«

Cring blickte von ihr zum Fluss und wieder zu ihr. Er nickte langsam.

»Ich komme heute Nachmittag kurz wegen des Fotos vorbei«, sagte Hayward, während sie sich in den engen Porsche zwängte.