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Die unbefestigte Straße wand sich durch den Kiefernwald und endete an einer großen Wiese am Rande des Mangrovensumpfs. Der Schütze stellte den Range Rover auf der Wiese ab, nahm Langwaffenkoffer, Mappe und Rucksack aus dem Kofferraum, brachte alles zu einer kleinen Anhöhe in der Mitte der Wiese und stellte es im verfilzten Gras ab. Er holte eine Papierzielscheibe aus der Mappe und ging zum Sumpf hinunter, wobei er seine Schritte zählte. Die Mittagssonne drang durch die Zypressen und warf Lichtflecken auf das grünlich-braune Wasser.
Der Schütze suchte sich einen glatten, breiten Baumstamm aus, befestigte die Zielscheibe daran und nagelte sie mit einem Zweckenhammer fest. Für den Winter war es ein milder Tag, fast zwanzig Grad, aus dem Sumpf wehte der Geruch von Wasser und verrottendem Holz hinüber, und eine Schar Krähen krächzte und lärmte in den Zweigen. Das nächste Haus war zehn Meilen entfernt. Es wehte kein Lüftchen.
Er kehrte zu der Stelle zurück, wo seine Ausrüstung lag, und zählte wieder seine Schritte, um sicherzugehen, dass die Zielscheibe wirklich etwa hundert Meter entfernt war.
Er klappte den harten Pelican-Koffer auf und nahm das Gewehr heraus, eine Remington 40 XS T-Rifle. Ein schwerer Brocken mit seinen fast sieben Kilo, aber der Vorteil war eine Treffgenauigkeit von unter 0,75 MOA. Der Schütze hatte die Waffe seit geraumer Zeit nicht mehr abgefeuert, aber sie war gereinigt, geölt und einsatzbereit.
Er kniete sich hin, legte die Waffe über die Knie, klappte das Zweibein aus, stellte die richtige Höhe ein und ließ es einrasten. Dann legte er sich ins verfilzte Gras, setzte das Gewehr vor sich ab und bewegte es hin und her, bis es eine stabile Lage hatte. Er schloss ein Auge und fixierte durch das Leupold-Zielfernrohr die am Baum befestigte Scheibe. So weit, so gut. Er griff in die Hosentasche, fischte eine Schachtel 308-Winchester-Munition heraus und legte sie zu seiner Rechten ins Gras. Nachdem er eine Patrone entnommen hatte, führte er sie in die Kammer ein, was er dreimal wiederholte, bis das Magazin voll war. Er spannte den Schlagbolzen und schaute erneut durch das Zielfernrohr.
Als er das Ziel erfasst hatte, atmete er langsam, bis sein Puls möglichst niedrig war. Die leichte Bewegung der Waffe, die sich durch ein Schwanken des Ziels im Fadenkreuz zeigte, ließ nach, als er seinen ganzen Körper zur Ruhe brachte. Er legte den Finger an den Abzug, erhöhte leicht den Druck, ließ den Atem ausströmen, zählte seine Herzschläge und löste zwischen zwei Herzschlägen den Schuss aus. Ein Krachen, ein leichter Stoß. Er entnahm die leere Patronenhülse, ließ den Atem kommen, entspannte sich wieder und übte erneut leichten Druck auf den Abzug aus. Wieder ein Stoß und ein Krachen, das im flachen Sumpfland rasch verhallte. Noch zwei Schüsse, dann war das Magazin leer. Er stand auf, sammelte die vier abgeschossenen Patronenhülsen ein, steckte sie in die Tasche und ging die Zielscheibe inspizieren.
Die Schüsse waren nicht exakt am gleichen Punkt aufgetroffen, aber dicht genug am Zentrum, um links und etwas unterhalb davon ein unregelmäßiges Loch zu schlagen. Er holte ein Plastiklineal aus der Tasche, maß die Abweichungen und ging über die Wiese zurück, langsam, um die Anstrengung möglichst gering zu halten. Er legte sich flach auf den Boden und verdrehte am Zielfernrohr die Stellschrauben für die Höhen- und die Seitenkorrektur.
Erneut, mit großer Bedachtsamkeit, gab er vier Schüsse auf das Ziel ab. Diesmal waren die Schüsse zentriert, alle vier Kugeln steckten mehr oder weniger im gleichen Loch. Zufrieden nahm er die Zielscheibe vom Baumstamm, knüllte sie zusammen und stopfte sie in die Tasche.
Er kehrte in die Mitte der Wiese zurück und nahm wieder Feuerposition ein. Jetzt war Zeit für ein bisschen Spaß. Als er begonnen hatte zu feuern, hatten sich die Krähen lärmend erhoben, um sich etwa zweihundertfünfzig Meter entfernt am Rande der Wiese niederzulassen. Er entdeckte sie am Boden unter einer großen gelben Kiefer, wo sie in den abgefallenen Nadeln umherstolzierten und die Samen aus den verstreuten Zapfen pickten.
Der Mann spähte durch das Zielfernrohr, suchte sich eine Krähe aus und folgte ihr mit dem Fadenkreuz, während sie an einem Zapfen pickte und ihn mit dem Schnabel schüttelte. Sein Zeigefinger legte sich fester um den gebogenen Stahl, der Schuss ertönte, und die Krähe verschwand in einem Sprühregen aus schwarzen Federn und bespritzte einen nahen Baumstamm mit Fetzen von rotem Fleisch. Der Rest des Schwarms flatterte lärmend auf, stieß ins Blaue und stob über die Baumwipfel davon.
Der Mann hielt Ausschau nach einem neuen Ziel; diesmal richtete er das Zielfernrohr auf den Sumpf. Langsam suchte er den Sumpfrand ab, bis er es fand: einen dicken Ochsenfrosch, etwa hundertvierzig Meter entfernt, der auf einem Wasserlilienblatt in einem kleinen Fleckchen Sonne ruhte. Wieder zielte der Schütze, entspannte sich und feuerte. Eine rosa Wolke, vermischt mit grünlichem Wasser und Stückchen des Lilienblatts, stieg auf, beschrieb einen Bogen im Sonnenlicht und fiel anmutig zurück ins Wasser. Der dritte Schuss schnitt einer Wassermokassinschlange den Kopf ab, die sich im verängstigten Bemühen wegzukommen wild durchs Wasser schlängelte.
Noch ein Schuss. Er brauchte eine echte Herausforderung. Er sah sich mit bloßem Auge im Sumpf um, doch die Schüsse hatten die Tiere aufgeschreckt, es war nichts in Sicht. Er würde warten müssen.
Er kehrte zum Range Rover zurück, nahm eine Gewehrtasche aus weichem Segelstoff aus dem Kofferraum, zog den Reißverschluss auf und holte eine zweiläufige CZ Bobwhite 12-Kaliber mit einem nach seinen eigenen Wünschen beschnitzten Kolben heraus. Es war die preiswerteste Flinte, die er besaß, aber es handelte sich trotzdem um eine ausgezeichnete Waffe, und das, was er jetzt tun musste, war ihm verhasst. Er wühlte im Rover herum und holte einen tragbaren Schraubstock sowie eine Bügelsäge mit brandneuem Sägeblatt heraus.
Er legte sich die Schrotflinte über die Knie, streichelte die Läufe, rieb sie mit ein wenig Waffenöl ein und legte einen Messstreifen aus Papier daneben. Nachdem er eine Stelle mit einem Nagel markiert hatte, machte er sich mit der Bügelsäge an die Arbeit.
Es war eine lange, mühselige, erschöpfende Angelegenheit. Als er damit fertig war, feilte er die rauhe Kante mit einer Rundfeile, fräste sie kurz ab, bürstete sie mit Stahlwolle und ölte sie dann erneut. Er kippte die Läufe ab und reinigte sie sorgfältig von losen Spänen, dann führte er zwei Schrotpatronen ein. Mit der Flinte und den abgesägten Enden schlenderte er zum Sumpf hinunter, warf die Läufe so weit ins Wasser hinaus, wie er konnte, setzte die Waffe auf die Hüfte und betätigte den vorderen Abzug.
Der Knall war ohrenbetäubend, der Rückstoß wie von einem Maulesel. Grob, bösartig und verheerend. Auch der zweite Lauf ließ sich anstandslos abfeuern. Der Schütze kippte die Läufe nach vorne, steckte die leeren Patronenhülsen in die Tasche, wischte das Gewehr sauber und lud erneut. Auch beim zweiten Mal funktionierte alles einwandfrei. So schmerzlich es sein mochte, er war zufrieden.
Wieder beim Auto angelangt, schob er die Schrotflinte in ihre Tasche zurück, verstaute die Tasche und holte ein Sandwich und eine Thermoskanne aus seinem Rucksack. Er aß langsam, genoss die getrüffelte Gänseleberpastete und trank dazu eine Tasse heißen Tee mit Milch und Zucker aus der Thermoskanne. Er bemühte sich, die frische Luft und die Sonne zu genießen und nicht an das anstehende Problem zu denken. Als er sein Picknick beendete, stieg ein Rotschwanzbussard aus dem Sumpf auf, ein Weibchen, zweifellos von einem Nest, und begann, träge über den Baumwipfeln zu kreisen. Etwa zweihundertdreißig Meter entfernt, schätzte er.
Also das war jetzt endlich eine Herausforderung, die seines Könnens würdig war.
Erneut ging er mit dem Scharfschützengewehr in Anschlag und zielte auf den Vogel, aber das Sichtfeld des Zielfernrohrs war zu schmal, er konnte ihn nicht im Visier behalten. Er würde stattdessen das elektrische Zielgerät benutzen müssen. Er spähte durch die Visiereinrichtung und versuchte, den Bewegungen des Vogels zu folgen. Ging auch nicht; das Gewehr war zu schwer und das Bussardweibchen zu schnell. Es zog eine Ellipse, und wenn er es treffen wollte, dann musste er auf einen Punkt auf dieser Ellipse zielen, warten, bis der Vogel ihn erreicht hatte, und den Schuss genau timen.
Kurz darauf stürzte das Bussardweibchen vom Himmel, ein paar Federn wehten hinter ihm her, vom Wind davongetragen.
Der Schütze klappte den Zweifuß ein, sammelte die abgeschossenen Patronenhülsen ein und zählte alle noch mal durch, legte das Präzisionsgewehr in den Koffer zurück, packte den Imbiss samt Thermosflasche weg und schulterte seinen Rucksack. Er schaute sich noch einmal gründlich um, aber der einzige Hinweis auf seine Anwesenheit war ein Flecken niedergedrücktes Gras.
Mit einem Gefühl tiefer Befriedigung kehrte er zum Range Rover zurück. Endlich konnte er seinen Gefühlen freien Lauf lassen – zumindest für eine Weile –, konnte zulassen, dass sie durch seinen Körper strömten und seinen Adrenalinspiegel hochtrieben als Vorbereitung auf das kommende Töten.