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Pendergast ließ das Funkgerät sinken und sah Margo an. »Das Monster hat eben fast das gesamte Sondereinsatzkommando ausgelöscht. Und Dr. Wright dazu, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Coffey hat alle Überlebenden abgezogen, und er antwortet nicht, wenn ich ihn anfunke. Anscheinend glaubt er, daß ich für das alles verantwortlich bin.« »Aber er muß Sie anhören«, rief Frock. »Wir wissen doch jetzt, wie man mit der Kreatur fertig wird. Sie müssen bloß mit starken Lampen hereinkommen!«

»Ich kann Coffey irgendwie verstehen«, sagte Pendergast. »Er ist einfach überfordert und sucht verzweifelt nach einem Sündenbock. Auf seine Hilfe können wir uns ab jetzt nicht mehr verlassen.«

»Mein Gott«, sagte Margo. »Dr. Wright –« Sie hielt sich eine Hand vor den Mund. »Wenn mein Plan doch nur funktioniert hätte – wenn ich alles nur etwas sorgfältiger durchdacht hätte –, wären diese Menschen vielleicht alle noch am Leben.«

»Aber dafür wären vielleicht Lieutenant D’Agosta, der Bürgermeister und all die anderen Leute im unteren Keller jetzt tot«, sagte Pendergast und blickte den Gang entlang. »Ich schätze, es ist meine Pflicht, Sie beide jetzt in Sicherheit zu bringen«, sagte er. »Vielleicht sollten wir die Route nehmen, die ich D’Agosta vorgeschlagen habe. Falls die Blaupausen überhaupt stimmen.«

Dann warf er einen Blick auf Frock. »Nein, ich glaube, das würde nicht funktionieren.«

»Gehen Sie zu«, rief Frock. »Wegen mir müssen Sie nicht hierbleiben.«

Pendergast lächelte schwach. »Das ist es nicht, Doktor. Es geht um den Gewittersturm draußen. Sie wissen ja, daß bei längeren Regenschauern die Stollen im unteren Keller überflutet werden. Ich habe vorhin über Polizeifunk gehört, daß der Regen draußen schon vor einer Stunde monsunartige Stärke erreicht hat und der Hudson bereits zwei Zentimeter angestiegen ist. Vorhin, als ich die Fasern hinunter in den unteren Keller geworfen habe, war das Wasser schon mindestens einen halben Meter tief und floß mit starker Strömung nach Osten. Jetzt ist es bestimmt noch höher, wir könnten also nicht hinunter, selbst wenn wir wollten.« Pendergast hob die Augenbrauen. »Wenn D’Agosta es bis jetzt noch nicht nach draußen geschafft hat, dann stehen seine Chancen ziemlich schlecht.«

Er wandte sich an Margo. »Vielleicht wäre es das beste für Sie beide, wenn Sie hier in der Sicherheitszone bleiben würden. Von dieser Tür hier wissen wir wenigstens, daß die Kreatur sie nicht aufbrechen kann. In ein paar Stunden wird es sicherlich wieder Strom geben. Soviel ich weiß, sind noch mehrere Leute in der Sicherheitszentrale und im Computerraum eingeschlossen. Die sind jetzt möglicherweise in Gefahr. Sie beide haben mir eine Menge über die Kreatur erzählt, und ich kenne jetzt ihre Schwächen und ihre Stärken. Die Sicherheitszentrale und der Computerraum befinden sich in einem Teil des Museums, in dem es lange, durchgehende Gänge gibt. Wenn ich Sie hier in Sicherheit weiß, kann ich den Spieß einmal umdrehen und nun meinerseits das Monster jagen.«

»Nein«, sagte Margo. »Das können Sie nicht allein.«

»Vielleicht kann ich das wirklich nicht, Miß Green, aber einen Versuch muß ich zumindest wagen.«

»Ich komme mit Ihnen«, sagte Margo bestimmt.

»Tut mir leid, aber das ist völlig unmöglich.« Pendergast stand abwartend an der offenen Tür zum Sicherheitsbereich.

»Dieses Ding ist hochintelligent, das ist Ihnen doch hoffentlich klar. Ich glaube nicht, daß Sie allein dagegen ankommen werden. Und wenn Sie mich nur deshalb nicht mitnehmen wollen, weil ich eine Frau bin, dann –«

Pendergast sah Margo überrascht an. »Miß Green, es schokkiert mich geradezu, daß Sie mir so etwas unterstellen. Aber eines dürfte ja wohl zutreffen: Sie waren bisher noch nie in einer solchen Situation. Und ohne eine Waffe können Sie ohnehin nicht das geringste ausrichten.«

Margo sah ihn kämpferisch an. »Ich habe Ihnen doch vorhin auch die Haut gerettet, als ich Ihnen sagte, Sie sollten Ihre Lampe anschalten«, forderte sie ihn heraus.

Pendergast zog eine Augenbraue hoch.

Aus der Dunkelheit meldete sich Frock zu Wort. »Pendergast, nun spielen Sie nicht den Gentleman aus dem Süden. Seien Sie nicht dumm und nehmen Sie Margo mit.«

Pendergast wandte sich an Frock. »Sind Sie denn sicher, daß Sie hier allein zurechtkommen, Doktor?« fragte er. »Wir müßten beide Taschenlampen und die Helmlampe mitnehmen, wenn wir auch nur eine kleine Chance auf Erfolg haben wollen.«

»Natürlich!« sagte Frock und machte eine geringschätzige Handbewegung. »Nach all dieser Aufregung wird mir etwas Ruhe guttun.«

Pendergast zögerte noch einen Augenblick, dann gab er nach. »Na schön«, sagte er. »Margo, schließen Sie den Doktor in der Sicherheitszone ein, nehmen Sie seine Schlüssel mit und das, was von meinem Jackett noch übrig ist. Und dann gehen wir.«

 

Smithback schüttelte energisch die Taschenlampe. Das Licht flackerte, wurde einen Augenblick lang heller und brannte dann so schwach wie zuvor.

»Wenn diese Lampe jetzt auch noch ausfällt«, sagte D’Agosta, »dann sind wir am Ende. Schalten Sie sie aus und nur dann kurz wieder ein, wenn wir nach dem Weg sehen müssen.«

In völliger Dunkelheit gingen sie weiter. Das Geräusch des rauschenden Wassers füllte das niedrige Gewölbe vollständig aus. Smithback ging voran; hinter ihm kam D’Agosta, der die linke Hand des Journalisten hielt, die nun, wie der Rest seines Körpers auch, vor Kälte fast vollständig taub geworden war.

Plötzlich spitzte Smithback die Ohren. Langsam wurde er sich eines neuen Geräusches bewußt, das aus der Dunkelheit zu ihm drang.

»Hören Sie das?« fragte Smithback.

D’Agosta lauschte. »Irgendwas höre ich schon«, antwortete er. »Aber ich kann nicht genau sagen, was.«

»Mir kommt es ja vor wie –« Smithback verstummte.

»Wie ein Wasserfall«, sagte D’Agosta definitiv. »Es ist ein gottverdammter Wasserfall. Aber er ist noch ein ganzes Stück weit entfernt, diese Stollen leiten Geräusche sehr gut weiter. Erzählen Sie bloß den anderen nichts davon.«

Schweigend schleppte sich die Gruppe weiter.

»Licht!« sagte D’Agosta.

Smithback schaltete die Lampe ein und ließ ihren schwachen Strahl über den leeren Gang vor sich gleiten, bevor er sie wieder ausschaltete. Das Geräusch war jetzt bereits viel lauter, und Smithback spürte einen starken Sog.

»Mist!« sagte D’Agosta.

Hinter ihnen entstand Unruhe.

»Hilfe!« schrie eine weibliche Stimme. »Ich bin ausgerutscht. Laßt mich nicht los!«

»Haltet sie fest!« rief der Bürgermeister.

Smithback schaltete die Taschenlampe an und drehte sich um. Eine Frau in mittleren Jahren zappelte hilflos im Wasser, wobei ihr langes Abendkleid sich wie ein Segel blähte.

»Stehen Sie auf«, rief der Bürgermeister. »Versuchen Sie, die Füße auf den Boden zu bekommen!«

»Ich kann nicht!« kreischte die Frau.

Smithback schob die Lampe in die Tasche und stemmte sich gegen den Strom. Die Frau trieb direkt auf ihn zu. Er sah ihre Arme wild in der Luft herumschlagen. Dann schlangen sie sich auf einmal so fest wie ein Schraubstock um seine Hüften. Smithback wurde nach vorn mitgerissen, und der Strahl der Taschenlampe zuckte über die Decke.

»Hören Sie auf zu zappeln!« schrie er. »Und lassen Sie mich los, ich habe Sie ja!«

Die unkontrolliert zappelnden Beine der Frau schlangen sich um seine Knie. Smithback mußte D’Agostas Hand loslassen und um sein Gleichgewicht kämpfen. Gleichzeitig wunderte er sich über die Kraft der Frau.

»Sie ziehen mich nach unten«, schrie er und wurde bis zur Brust ins Wasser gerissen. Er spürte, wie die Strömung an ihm riß. Aus dem Augenwinkel sah er, wie D’Agosta auf ihn zugewatet kam. Die Frau klammerte sich noch immer in wilder Panik an ihn und zerrte seinen Kopf unter Wasser. Als Smithback wieder nach oben kam, befand er sich mit dem Gesicht unter ihrem nassen Kleid. Er konnte nichts sehen und hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. Auf einmal überkam ihn eine tiefe Müdigkeit. Als er ein zweites Mal unter Wasser gezogen wurde, erfüllte ein seltsam hohles Brüllen seine Ohren.

Plötzlich befand er sich würgend und hustend wieder über Wasser. Aus dem Stollen vor ihm erscholl ein markerschütterndes grauenvolles Kreischen. Smithback spürte, wie D’Agostas starke Arme ihn festhielten.

»Die Frau ist verloren«, sagte D’Agosta. »Stehen Sie auf.«

Die Schreie der Frau, die schwächer wurden, je weiter sie sich von der Gruppe entfernte, hallten noch immer durch den dunklen Stollen. Einige aus der Gruppe riefen ihr etwas nach, andere schluchzten hemmungslos.

»Schnell!« rief D’Agosta. »Drücken Sie sich ganz dicht an die Wand. Gehen Sie langsam weiter, und lassen Sie unter gar keinen Umständen die Kette abreißen!« Unhörbar für die anderen murmelte er Smithback zu: »Und jetzt sagen Sie mir bitte, daß Sie die Taschenlampe noch haben.«

Smithback griff in seinen Hosenbund. »Da ist sie«, sagte er und probierte sie aus. Sie funktionierte.

»Wir müssen weitergehen, sonst machen die einer nach dem anderen schlapp«, murmelte D’Agosta. Dann ließ er ein kurzes, freudloses Lachen hören. »Sieht so aus, als hätte ich eben Ihr Leben gerettet. Damit sind wir quitt, Smithback.«

Smithback entgegnete nichts darauf. Er versuchte, die schrecklichen, angsterfüllten Schreie nicht zu hören, die nur noch verzerrt aus dem Tunnel kamen. Das Geräusch brüllenden Wassers war lauter und bedrohlicher geworden.

Der Vorfall hatte die Gruppe demoralisiert. »Wenn wir uns nur fest an den Händen halten, kann uns nichts passieren«, hörte Smithback den Bürgermeister auf die anderen einreden. »Halten Sie die Kette fest geschlossen.«

Smithback packte D’Agostas Hand, so fest er nur konnte. Sie wateten weiter stromabwärts in die Dunkelheit hinein.

»Licht!« sagte D’Agosta wieder.

Smithback schaltete die Lampe an, und auf einmal kam es ihm vor, als verschwände der Boden unter seinen Füßen.

Etwa hundert Meter vor ihm ging die Decke des Stollens in einen schmalen, halbkreisförmigen Trichter über, unter dem sich das dunkle Wasser schäumend im Kreis drehte, bevor es in einem tiefen, schwarzen Abgrund verschwand. Ein feuchter Nebel stieg von dem herabstürzenden Wasser auf und hing schwer über dem düsteren, moosbewachsenen Rachen dieses tiefen Schlunds. Smithback klappte der Unterkiefer herunter, und seine Hoffnungen auf einen Bestseller schienen, ebenso wie alle seine Träume und sogar sein Überlebenswille, auf Nimmerwiedersehen in diesem dunklen, gurgelnden Strudel zu verschwinden.

Dann wurde ihm nach und nach bewußt, daß das Brüllen der Leute hinter ihm kein Angst-, sondern ein Triumphgeschrei war. Er blickte sich um und sah, wie alle über seinen Kopf hinweg nach oben blickten. Dort, wo die gewölbte Ziegeldecke auf die Wand des Stollens traf, gähnte ein dunkles Loch von etwa einem Meter Durchmesser. Und aus diesem Loch ragte das Ende einer alten, rostigen Leiter heraus, die in dem gemauerten Schacht nach oben führte.

Der Jubel legte sich so rasch, wie er aufgebrandet war, als den Leuten eine schreckliche Gewißheit dämmerte.

»Die ist viel zu hoch oben«, sagte D’Agosta enttäuscht. »Da kommen wir nicht ran.«