34
Unten in seiner improvisierten Kommandozentrale hielt D’Agosta inne, als er gerade ans Glasfenster von Pendergasts Bürotür klopfen wollte. Statt dessen blickte er hinein.
Ein großer Mann in einem häßlichen Anzug machte sich in Pendergasts Büro zu schaffen. Sein sonnengebräuntes Gesicht war feucht vom Schweiß, und er nahm, während er mit in den Hosentaschen klimperndem Kleingeld kreuz und quer herumlief, Papiere vom Schreibtisch und legte sie woanders wieder ab.
»Moment mal, Freundchen«, sagte D’Agosta, während er die Tür öffnete und in das Büro trat, »Sie vergreifen sich da an Papieren, die dem FBI gehören. Wenn Sie auf Mr. Pendergast warten wollen, dann tun Sie das gefälligst draußen auf dem Gang.«
»Von nun an, äh, Lieutenant«, sagte der Mann mit einem Blick auf D’Agostas an seinem Gürtel hängende Dienstmarke, als wolle er die darauf eingestanzte Nummer entziffern, »werden Sie dem hier arbeitenden FBI-Personal gegenüber einen etwas respektvolleren Ton anschlagen, verstanden? Ich bin Special Agent Coffey und leite ab heute diese Operation.«
»Soviel ich weiß, Special Agent Coffey, ist Mr. Pendergast der Leiter dieser Operation, und solange ich von offizieller Seite nichts Gegenteiliges höre, bleibt er das für mich auch. Sie bringen ihm gerade den Schreibtisch durcheinander.«
Coffey bedachte D’Agosta mit einem dünnen Lächeln, griff in sein Jackett und zog einen Umschlag heraus.
D’Agosta las das darin enthaltene Schreiben. Es stammte von dem mit dem Fall befaßten Untersuchungsrichter und besagte, daß das New Yorker FBI-Büro, vertreten von Special Agent Spencer Coffey, nunmehr die Leitung der Untersuchungen übertragen bekommen habe. An das Blatt Papier waren zwei Notizen geklammert. Eine kam aus dem Büro des Gouverneurs, der diese Änderung verlangte und ausdrücklich die volle Verantwortung dafür übernahm. Die zweite faltete D’Agosta ungelesen wieder zusammen, nachdem er den Briefkopf des Senats der Vereinigten Staaten gesehen hatte.
Er gab Coffey den Umschlag zurück. »Jetzt seid ihr Burschen also doch noch durch die Hintertür hereingekommen.«
»Wann kommt Pendergast zurück, Lieutenant?« fragte Coffey, während er den Umschlag wieder einsteckte.
»Woher soll ich das wissen?« entgegnete D’Agosta. »Wenn Sie schon auf seinem Schreibtisch herumschnüffeln, können Sie auch gleich in seinem Terminkalender nachsehen.«
Bevor Coffey antworten konnte, ertönte Pendergasts Stimme durch die Tür.
»Agent Coffey! Schön, Sie zu sehen.«
Coffey griff wieder nach seinem Umschlag.
»Lassen Sie nur«, sagte Pendergast. »Ich weiß, warum Sie hier sind.« Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Lieutenant D’Agosta, machen Sie es sich doch bitte bequem.«
D’Agosta, der nur einen weiteren Stuhl in dem Büro entdeckte, setzte sich grinsend. Zuzusehen, wie Pendergast mit Leuten umging, bereitete ihm mittlerweile tierisches Vergnügen.
»In diesem Museum ist offenbar ein Wahnsinniger auf freiem Fuß, Mr. Coffey«, sagte Pendergast. »Deshalb sind Lieutenant D’Agosta und ich zu dem Schluß gekommen, daß die Eröffnungsfeier morgen abend nicht stattfinden darf. Der Mörder arbeitet ausschließlich nachts, und es ist zu befürchten, daß er demnächst wieder zuschlagen wird. Wir können die Verantwortung für einen neuen Mord nicht übernehmen, bloß weil das Museum aus – sagen wir mal – finanziellen Gründen diese Eröffnung durchziehen will.«
»Das kann ich gut verstehen«, sagte Coffey, »aber Gott sei Dank müssen Sie ja jetzt die Verantwortung nicht mehr übernehmen. Meine Befehle lauten, die Eröffnung der Ausstellung wie geplant zum vorgesehenen Termin stattfinden zu lassen. Dafür werden wir die Polizei mit zusätzlichen FBI-Agenten verstärken und dieses Museum noch sicherer machen als eine Herrentoilette im Pentagon. Und noch eines kann ich Ihnen versprechen, Pendergast: Wenn diese kleine Party erst einmal vorüber ist und die hohen Tiere wieder nach Hause gegangen sind, dann werden wir uns diesen Burschen schnappen. Man sagt ja, Sie seien ein ausgebuffter Kerl, aber wissen Sie, was? Mich beeindruckt das nicht im geringsten. Sie hatten vier Tage Zeit, und alles, was Sie gefaßt haben, ist ihr eigener Schniedelwutz. Jetzt ist Schluß mit der Zeitvergeudung, das kann ich Ihnen sagen.«
Pendergast lächelte. »Ja, das habe ich in etwa so erwartet. Wenn Sie diese Entscheidung getroffen haben, bitte. Aber Sie sollten auch wissen, daß ich eine offizielle Eingabe an den Direktor des FBI machen werde, in der ich ihm meine Einschätzung des Falles unterbreiten werde.«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, sagte Coffey. »Aber bitteschön in Ihrer Freizeit. Inzwischen werden meine Leute sich unten in der Halle einrichten. Bis zur Sperrstunde erwarte ich Ihren Bericht.«
»Mein Abschlußbericht ist bereits fertig«, sagte Pendergast sanft. »Gibt es sonst noch etwas, Mr. Coffey?«
»Ja«, antwortete Coffey. »Ich erwarte Ihre uneingeschränkte Mitarbeit, Pendergast.«
Coffey ging hinaus und ließ die Tür offen stehen.
D’Agosta sah ihm zu, wie er den Gang entlangstapfte. »Er sieht irgendwie viel frustrierter aus als vorhin, bevor Sie hereingekommen sind«, sagte er. Dann drehte er sich um zu Pendergast und fragte: »Sie werden doch diesem Pißkopf nicht nachgeben, oder?«
Pendergast lächelte. »Ich fürchte, das wird sich nicht vermeiden lassen, Vincent. In gewisser Hinsicht bin ich sogar erstaunt, daß es nicht schon früher passiert ist. Schließlich bin ich Wright in dieser Woche nicht zum ersten Mal auf den Schlips getreten. Warum sollte ich mich dagegen wehren? Es nützt doch sowieso nichts. So kann uns wenigstens niemand vorwerfen, wir hätten Coffey unsere Mitarbeit verweigert.«
»Aber ich dachte, Sie hätten mehr Mumm in den Knochen«, sagte D’Agosta und versuchte, die Enttäuschung in seiner Stimme zu verbergen.
Pendergast breitete die Arme aus. »Ich habe eine ganze Menge Mumm, das können Sie mir glauben. Aber denken Sie daran, daß ich mich hier nicht in meinem angestammten Revier bewege. Ich bin nur deshalb hier, weil die Morde im Museum ähnlich sind wie die vor ein paar Jahren in New Orleans, aber das geht nur solange gut, wie es keine Kontroverse mit dem Museum und damit einen triftigen Grund gibt, das hiesige FBI einzuschalten. Ich wußte von Anfang an, daß Dr. Wright und der Gouverneur sich seit dem Studium kennen, und wenn der Gouverneur offiziell eine Intervention des New Yorker FBI-Büros verlangt, dann dürfen Sie dreimal raten, was geschieht.«
»Aber was ist jetzt mit unserem Fall?« fragte D’Agosta. »Coffey wird auf die Arbeit aufbauen, die wir bisher geleistet haben, und dann ganz allein die Lorbeeren dafür ernten.«
»Damit nehmen Sie an, daß es überhaupt Lorbeeren geben wird«, sagte Pendergast. »Ich habe bei dieser Ausstellungseröffnung ein schlechtes Gefühl, Lieutenant, ein sehr schlechtes sogar. Ich kenne Coffey schon ziemlich lange und weiß, daß er eine solche Situation gewaltig verschlimmern kann. Aber haben Sie bemerkt, Vincent, er hat mich nicht ausdrücklich nach Hause geschickt. Das kann er nämlich gar nicht.«
»Sagen Sie mir jetzt bloß nicht, daß Sie froh sind, die Verantwortung los zu sein«, sagte D’Agosta. »Es mag ja vielleicht mein Lebensziel sein, mir soviel wie möglich vom Leib zu halten, aber bei Ihnen hatte ich bisher eigentlich immer den gegenteiligen Eindruck.«
»Vincent, Sie erstaunen mich«, sagte Pendergast. »Es kann doch keine Rede davon sein, daß ich mich vor der Verantwortung drücken will. Aber ob ich es nun will oder nicht, dieses Arrangement verschafft mir ein größeres Maß an Freiheit als vorhin. Es stimmt zwar, daß Coffey jetzt hier das letzte Wort hat, aber über meine persönlichen Aktivitäten kann er nur in relativ engen Grenzen bestimmen. Daß ich die Leitung dieses Falles übernommen habe, war für mich die einzige Möglichkeit gewesen, überhaupt hierher nach New York zu kommen. Und dabei mußte ich auf sehr vieles Rücksicht nehmen. Jetzt kann ich wieder mehr meinem eigenen Instinkt vertrauen.« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah D’Agosta an. »Ich wäre froh, wenn ich auch weiterhin auf Ihre Hilfe zählen könnte, Vincent. Es wäre gut, jemanden bei der Polizei zu haben, dem ich vertrauen kann und der mir bei gewissen Dingen hilft. Natürlich nur, wenn Coffey das erlaubt.«
»Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.« D’Agosta blickte eine Weile nachdenklich drein. »Und eines habe ich diesem Coffey gleich auf den ersten Blick angesehen.«
»Was denn?«
»Der Kerl muß als Kind mal in eine Odelgrube gefallen sein.«
»Ach Vincent«, sagte Pendergast, »was haben Sie nur manchmal für eine blumige Ausdrucksweise!«