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Beauregard beendete den Eintrag und steckte das Notizbuch zurück in die hintere Hosentasche. Er wußte, daß er den Vorfall eigentlich hätte melden müssen. Aber zum Teufel damit. So verschreckt, wie das Mädchen ausgesehen hatte, hatte es bestimmt nichts Böses im Schilde geführt. Er würde seinen Bericht schon noch abstatten, später, am Ende seiner Schicht. Beauregard war schlecht gelaunt. Er mochte diesen Türsteherdienst eigentlich überhaupt nicht. Aber immer noch besser, als an einer kaputten Ampel den Verkehr zu regeln, und außerdem konnte er damit in seiner Stammkneipe Eindruck schinden. Ja, würde er sagen, ich war für den Museumsfall abgestellt. Tut mir leid, aber ich darf nicht darüber reden.

Für ein Museum ist es hier verdammt still, dachte Beauregard. Er hatte immer geglaubt, daß in einem normalen Museum tagsüber geschäftige Betriebsamkeit herrschen müsse. Aber in diesem Museum war seit Sonntag nichts mehr normal. Bis vor kurzem hatte wenigstens in den Räumen der neuen Ausstellung hektische Betriebsamkeit geherrscht, aber seitdem diese bis zur Eröffnung geschlossen worden war, durfte ohne schriftliche Erlaubnis von Dr. Cuthbert niemand mehr hinein, außer Polizei oder Leute vom Wachpersonal in offiziellem Auftrag. Nun, Gott sei Dank war Beauregards Schicht um sechs Uhr vorbei, und er konnte dem Museum für zwei volle Tage den Rücken kehren. Beauregard ließ seine Hand über das Halfter seines Smith and Wesson .38 special gleiten. Der Revolver war einsatzbereit, wie immer. Außerdem steckte an der anderen Seite seines Gürtels eine Schrotpistole, mit der er, wenn’s sein mußte, auch einen Elefanten in die Knie zwingen konnte.

Hinter sich in der Ausstellung hörte Beauregard ein gedämpftes, trappelndes Geräusch.

Er fuhr herum, und sein Herz schlug auf einmal rasend schnell. Er holte einen Schlüssel aus der Hosentasche, sperrte die Doppeltür auf und spähte hinein in die Dunkelheit.

»Ist da jemand?«

Nichts. Nur ein kühler Luftzug strich ihm ums Gesicht.

Beauregard ließ die Türen wieder zufallen und kontrollierte das Schloß. Man konnte durch sie die Ausstellung zwar verlassen, aber um hineinzugelangen, benötigte man einen Schlüssel. Das Mädchen vorhin mußte wohl durch den Vordereingang hineingekommen sein. Aber sollte dieser denn eigentlich nicht auch verschlossen sein? Na ja, vielleicht auch nicht. Ihm sagte man ja nie etwas.

Da war das Geräusch schon wieder.

Zum Teufel, dachte Beauregard, es ist nicht mein Job, da drinnen nach dem Rechten zu sehen. Ich darf bloß niemanden in die Ausstellung lassen. Davon, daß jemand rauskommen könnte, war nie die Rede.

Beauregard fing an, leise vor sich hinzusummen und trommelte mit zwei Fingern den Takt auf dem ledernen Revolverhalfter mit. Noch zehn Minuten, und er konnte dieses verdammte Spukhaus verlassen.

Das Geräusch war abermals zu hören.

Beauregard schloß die Türen ein zweites Mal auf und steckte seinen Kopf weiter hinein. Im Dunklen konnte er undeutlich ein paar Schaukästen und einen düsteren Durchgang erkennen. »Hallo, hier spricht die Polizei. Sie da drinnen, antworten Sie bitte.«

Die Schaukästen waren dunkel, die Wände bloße Schatten. Keine Antwort.

Beauregard ging wieder nach draußen und schaltete sein Funkgerät ein. »Beauregard an Operationszentrale. Hört ihr mich?« »Klar und deutlich. Was ist los?«

»Ich höre Geräusche am Hintereingang zur Ausstellung.«

»Was für Geräusche?«

»Undefinierbare. Es klingt, als wäre jemand da drin.«

Beauregard hörte aus dem Lautsprecher, wie im Hintergrund gesprochen wurde, dann ein unterdrücktes Lachen.

»Äh – Fred?«

»Ja, was ist?« Beauregard wurde von Sekunde zu Sekunde nervöser. Der Mann am Funkgerät in der Operationszentrale war ein ausgemachtes Arschloch.

»Geh besser nicht hinein.«

»Warum nicht?«

»Weil es vielleicht das Monster ist, Fred. Paß bloß auf, daß es nicht über dich herfällt.«

»Leck mich doch«, murmelte Fred mehr zu sich selbst. Ohne Verstärkung durfte er sowieso nichts erkunden, das wußte der Mann in der Zentrale genausogut wie er selbst.

Von hinter den Türen war jetzt ein kratzendes Geräusch zu hören, als mache sich jemand mit den Fingernägeln daran zu schaffen. Beauregard spürte, wie er immer hastiger atmete.

Das Funkgerät krächzte. »Hier Zentrale«, ließ sich die Stimme vernehmen. »Hast du das Monster schon gesichtet?«

Beauregard versuchte, seine Stimme so neutral wie möglich zu halten und sagte: »Ich wiederhole: Unidentifizierbare Geräusche aus der Ausstellung. Bitte um Verstärkung, damit ich nachsehen kann.«

»Er fordert Verstärkung an.« Wieder war gedämpftes Gelächter aus dem Lautsprecher zu hören. »Wir haben keine Verstärkung, Fred. Die Leute haben alle was zu tun.«

»Hör mal«, sagte Beauregard, dem langsam der Geduldsfaden riß. »Wer ist denn bei dir? Warum schickst du mir den nicht her?«

»Das ist McNitt. Er macht gerade Kaffeepause. Stimmt’s, McNitt?«

Beauregard hörte noch mehr Gelächter. Er schaltete das Funkgerät aus. Die können mich mal, dachte er. Das sind mir vielleicht Profis. Er hoffte nur, daß der Lieutenant auf dieser Frequenz mitgehört hatte.

Dann wartete er in dem dunklen Gang. Noch fünf Minuten, und ich bin raus hier.

»Zentrale ruft Beauregard. Hörst du mich?«

»Ich höre«, sagte Beauregard.

»Ist McNitt schon bei dir?«

»Nein«, sagte Beauregard. »Ist er denn schon mit seiner Kaffeepause fertig?«

»Hey, ich habe doch bloß Spaß gemacht«, sagte der Mann in der Zentrale ein wenig nervös. »Natürlich habe ich ihn sofort losgeschickt.«

»Dann muß er sich wohl verlaufen haben. Und mein Dienst endet in fünf Minuten, dann habe ich die nächsten achtundvierzig Stunden frei. Da soll mir bloß nichts dazwischenkommen. Am besten funkst du ihn an.« Du meine Güte.

»Er meldet sich nicht«, sagte der Mann in der Zentrale.

Beauregard kam eine Idee. »Was hat McNitt denn für einen Weg genommen? Den Aufzug in Sektion Siebzehn, gleich hinter der Zentrale?«

»Ja, da habe ich ihn hingeschickt. Zum Aufzug in Sektion Siebzehn. Ich habe denselben Plan, den du anscheinend auch hast.«

»Dann muß er doch durch die Ausstellung, um zu mir zu kommen. Das war echt schlau von dir! Du hättest ihn mit dem Essensaufzug raufschicken müssen.«

»Hey, sag du mir nicht, was schlau ist, Freddyboy. McNitt ist selbst dafür verantwortlich, wenn er sich verläuft. Funk mich an, wenn er bei dir auftaucht.«

»Ganz egal, was passiert, ich haue in fünf Minuten hier ab«, sagte Beauregard. »Danach kann sich Effinger über die Sache den Kopf zerbrechen. Over und Ende.«

Da hörte Beauregard, wie sich in der Ausstellung etwas rasch bewegte. Dann ein Geräusch, das wie ein dumpfer Schlag klang. Mein Gott, dachte er, das ist McNitt. Er schloß die Türen auf, nahm den Revolver aus seinem Halfter und ging hinein.

 

Der Mann in der Zentrale nahm noch einen Bissen von seinem Doughnut, kaute genüßlich und spülte ihn mit einem Schluck Kaffee hinunter. Das Funkgerät zischte.

»McNitt an Zentrale. Bitte melden.«

»Hier Zentrale. Wo, zum Teufel, steckst du denn?«

»Ich bin jetzt am Hintereingang. Aber Beauregard ist nicht hier. Ich kann ihn nirgendwo entdecken.«

»Laß es mich probieren.« Er drückte einen Knopf am Funkgerät. »Zentrale ruft Beauregard. Fred, melde dich. Zentrale ruft Beauregard – Hey, McNitt, ich glaube, er hat sich verpißt und ist heimgegangen. Seine Schicht ist gerade zu Ende. Wie bist du überhaupt dort hingekommen?«

»So, wie du mir gesagt hast, aber als ich zum Vordereingang der Ausstellung kam, war die Tür zugesperrt, und ich mußte außenrum, weil ich meine Schlüssel nicht dabei hatte. Ich habe mich wohl ein bißchen verlaufen.«

»Halt die Ohren steif, okay? Die Ablösung müßte jeden Moment kommen. Effinger, steht auf meinem Plan. Funk mich an, wenn er da ist, und komm dann zurück in die Zentrale.«

»Da kommt Effinger gerade. Willst du die Sache mit Beauregard melden?«

»Soll das ein Witz sein? Ich bin doch nicht sein Kindermädchen.«