26
D’Agosta befand sich gerade auf der anderen Seite des Museums, als wieder ein Anruf in der Zentrale einging. In der Sektion Achtzehn, in der Nähe des Computerraums, sollte sich etwas Verdächtiges herumtreiben.
D’Agosta seufzte, steckte das Funkgerät in sein Halfter und dachte an seine müden Füße. Überall in diesem verdammten Museum sah man auf einmal Gespenster.
Im Gang vor dem Computerraum stand ein gutes Dutzend Leute, die nervöse Witze rissen. Zwei uniformierte Polizisten standen vor der geschlossenen Tür. »Okay«, sagte D’Agosta und holte eine Zigarre aus der Tasche. »Wer hat was gesehen?«
Ein junger Mann trat vor. Er hatte nach vorn gekrümmte Schultern und trug einen weißen Laborkittel und eine dicke Brille. Ein Piepser hing an seinem Gürtel. Prost Mahlzeit, dachte D’Agosta. Wo sie bloß immer solche Burschen herbekommen?
»Ich habe eigentlich nichts gesehen«, sagte der Mann, »aber aus dem Elektroraum kam auf einmal so ein komisches Klopfen. Es klang wie ein Hämmern, als wollte jemand durch die Tür brechen –«
D’Agosta wandte sich an die beiden Polizisten. »Los, prüfen wir das nach.«
Er drehte am Türknauf, bis jemand einen Schlüssel hervorzog und erklärte: »Wir haben es eingesperrt. Wir wollten nicht, daß es herauskommt –«
D’Agosta winkte ab. Das Ganze wurde langsam lächerlich. Die Leute hier fingen regelrecht an durchzudrehen. Wie, zum Teufel, sollte da morgen abend die große Eröffnungsparty für die Ausstellung stattfinden? Man hätte das Museum gleich nach den ersten Morden zusperren sollen.
Der Raum war groß, rund und blitzsauber. In der Mitte stand, beleuchtet von hellen Neonröhren, auf einem Podest ein eineinhalb Meter hoher weißer Zylinder, von dem D’Agosta annahm, daß er der Zentralrechner des Museums war. Das Ding summte inmitten von Terminals, Workstations, Tischen und Bücherregalen leise vor sich hin. An den Wänden befanden sich zwei geschlossene Türen.
»Seht euch gründlich um, Leute«, sagte D’Agosta zu den beiden Polizisten und steckte eine unangezündete Zigarre in seinen Mund. »Ich gehe inzwischen raus, rede noch mal mit dem Knaben und erledige den Papierkrieg.«
»Wie heißen Sie?« fragte er, als er wieder draußen auf dem Gang war, den Mann, der die Geräusche gehört haben wollte. »Roger Thrumcap. Ich bin der Schichtleiter.«
»Okay«, sagte D’Agosta müde und notierte sich den Namen. »Sie saßen also in der Datenverarbeitung und haben irgendwelche Geräusche gehört.«
»Nein, Sir. Die Datenverarbeitung befindet sich ein Stockwerk weiter oben. Das hier ist der Computerraum. Wir kümmern uns um die Hardware und das Betriebssystem.«
»Gut, dann eben im Computerraum.« D’Agosta schrieb das auf. »Wann haben Sie die Geräusche gehört?«
»Ein paar Minuten nach zehn. Wir waren gerade mit den Sicherungen fertig.«
»Was haben Sie denn an den Sicherungen zu schaffen gehabt? Hatten Sie einen Kurzschluß?«
»Nein, Sir. Wenn ich Sicherung sage, dann meine die Sicherungskopien der Daten. Die überspielen wir in regelmäßigen Abständen auf Magnetbänder.«
»Ach so. Aber wie können Sie um zehn Uhr mit dieser Arbeit fertig sein, wo doch niemand vor zehn das Museum betreten darf?«
»Die Sicherungskopien können wir nicht während der Arbeitszeit anfertigen, Sir. Wir haben eine Spezialerlaubnis, daß wir um sechs Uhr früh anfangen dürfen.«
»Haben Sie ein Glück! Und wo haben Sie die Geräusche gehört?«
»Sie kamen aus dem Elektroraum.«
»Und der ist wo?«
»Die Tür links vom MP-3. Der MP-3 ist der Computer, Sir.«
»Ich habe zwei Türen gesehen. Was befindet sich hinter der anderen?«
»Ach, das ist die Dunkelkammer. Deren Tür hat ein Magnetkartenschloß, da kann niemand hinein.«
D’Agosta warf dem Mann einen seltsamen Blick zu.
»In der Dunkelkammer sind die Festplatten, die 3390er und ähnliche Dinge. Sie wissen schon, die Datenspeicher. Wir nennen den Raum die Dunkelkammer, weil alles dort drin automatisch und im Dunklen abläuft. Außer zu Wartungsarbeiten geht dort niemand hinein.« Er nickte stolz. »Wir haben hier nämlich eine Anlage, die völlig ohne Operator auskommt. Verglichen mit uns befindet sich die Computerabteilung des Polizeipräsidiums praktisch noch in der Steinzeit. Da müssen sogar die Magnetbänder immer noch von Hand eingelegt werden.«
D’Agosta sagte nichts und ging wieder in den Computerraum. »Die Geräusche kamen also von der Tür da hinten links. Die sehen wir uns einmal an.« Dann schickte er Thrumcap wieder hinaus und sagte: »Sorgen Sie dafür, daß niemand hier hereinkommt.«
Als D’Agosta die Tür zum Elektroraum öffnete, schlug ihm und den beiden Polizisten ein Geruch nach Kurzschluß und Ozon entgegen. D’Agosta tastete an der Wand nach einem Lichtschalter und knipste ihn an.
Ganz nach Vorschrift verschaffte er sich erst einmal einen Überblick über den Raum. Transformatoren. Kabel. Mehrere große Lüftungsgitter der Klimaanlage. Viel heiße Luft. Aber sonst nichts.
»Schauen Sie hinter diese Geräte da«, befahl D’Agosta.
Die beiden Polizisten spähten in jeden Winkel. Dann drehte sich einer von ihnen um und zuckte mit den Achseln.
»Okay«, sagte D’Agosta und ging wieder hinaus in den Computerraum. »Scheint sauber zu sein. Mr. Thrumcap?«
»Ja?« Der Schichtleiter streckte seinen Kopf zur Tür herein.
»Sie können den Leuten sagen, daß sie jetzt wieder hereinkommen können. Es sieht so aus, als wäre alles in Ordnung, aber wir lassen trotzdem für die nächsten sechsunddreißig Stunden einen Mann hier.« Er wandte sich an einen der Polizisten, die eben aus dem Elektroraum kamen. »Waters, Sie bleiben bis zum Ende Ihrer Schicht hier. Nur zur Sicherheit, verstanden? Ich schicke Ihnen dann eine Ablösung.« Wenn noch ein paar von diesen Pennern etwas Verdächtiges hören oder sehen, habe ich bald keine Polizisten mehr.
»In Ordnung«, sagte Waters.
»Das ist eine gute Idee«, bedankte sich Thrumcap. »Dieser Raum ist nämlich das Herz des Museums, wissen Sie. Oder sagen wir besser: das Gehirn. Von hier aus werden alle Telefone, Datenbanken, das Netzwerk, die Drucker, die elektronische Post, die Energieversorgung und das Sicherheitssystem gesteuert –«
»Na Mahlzeit«, sagte D’Agosta und fragte sich, wie eine Sicherheitsabteilung, die nicht einmal eine genaue Blaupause des unteren Kellers hatte beibringen können, wohl mit einem komplizierten elektronischen System umgehen würde.
Die Angestellten gingen wieder zurück in den Raum und nahmen ihre Arbeitsplätze an den Terminals wieder ein. D’Agosta tupfte sich den Schweiß von der Stirn. Heiß wie die Hölle da drin. Er wandte sich zum Gehen.
»Rog«, hörte er eine Stimme hinter sich. »Wir haben da ein Problem.«
D’Agosta zögerte einen Augenblick.
»O mein Gott«, sagte Thrumcap und starrte auf den Monitor. »Das System macht einen Hexdump. Was, zum Teufel –«
»War der Hauptterminal immer noch im Backup-Modus, als du fortgegangen bist, Rog?« fragte ein kleiner Kerl mit Hasenzähnen. »Wenn er nämlich mit der Sicherungskopie fertig war und keine Benutzereingabe bekam, könnte es leicht sein, daß das System meint, einen Hexdump machen zu müssen.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte Roger. »Brich den Dump ab und fahr das System wieder hoch.«
»Es reagiert nicht.«
»Ist das Betriebssystem abgestürzt?« fragte Thrumcap und beugte sich über den Terminal des Hasenzahns. »Laß mich mal sehen.«
Plötzlich war ein Alarmton zu hören, der nicht laut, dafür aber hoch und durchdringend war. D’Agosta sah, daß an der Decke über dem Zentralrechner ein rotes Licht zu blinken begann. Vielleicht sollte er doch noch eine Weile dableiben.
»Was jetzt?« fragte Thrumcap.
Mein Gott, ist das heiß hier, dachte D’Agosta. Wie können diese Leute das bloß aushalten?
»Was für ein Fehlercode ist denn das?«
»Keine Ahnung, sieh nach!«
»Wo denn?«
»Na, im Handbuch, du Idiot. Es liegt direkt hinter deinem Terminal. Hier, ich hab’s schon.«
Thrumcap blätterte in einem dicken Buch. »Zwei, zwei, neun, eins – zwei, zwei, neun, eins – ah, da ist er ja. Der Code bedeutet Hitzealarm. Mein Gott, der Computer wird zu heiß! Die Wartungsleute sollen sofort herkommen!«
D’Agosta zuckte mit den Achseln. Das klopfende Geräusch, das sie gehört hatten, war möglicherweise eine Funktionsstörung bei einem Kompressor der Klimaanlage gewesen. Um sich das auszurechnen, muß man nun wahrlich keinen Nobelpreis haben. Hier drinnen hat es mindestens dreißig Grad. Als er den Gang entlangging, eilten ihm auch schon zwei Männer von der Wartungsmannschaft entgegen.
Wie die meisten modernen Supercomputer war der MP-3 des Museums viel besser in der Lage, mit Hitze zurechtzukommen, als die großen, alten Zentralrechner, die es noch vor zehn oder zwanzig Jahren gab.
Sein Gehirn aus Silikon konnte länger bei Temperaturen arbeiten, die über dem Limit lagen als die Röhren und Transistoren früherer Modelle, und es mußte dabei noch keinen Datenverlust hinnehmen. Die Verbindung vom Hauptcomputer zum Sicherheitssystem des Museums war allerdings von einer Zulieferfirma eingebaut worden, die sich nicht an die Spezifikationen von Digital Industries, dem Lieferanten des restlichen Systems, gehalten hatte. Als die Temperatur im Computerraum vierunddreißig Grad Celsius erreichte, machten die ROM-Chips schlapp, die das automatische Katastrophenkontrollsystem regelten. Neunzig Sekunden später war das System außer Betrieb.
Waters stand in einer Ecke und blickte sich im Computerraum um. Die Männer von der Wartungsmannschaft waren vor über einer Stunde gegangen, und der Raum war wieder angenehm kühl. Alles war wieder normal, und die einzigen Geräusche waren das Summen der Computer und das Klicken der Tastaturen, auf denen die Zombies der Computercrew Tausende von Befehlen eingaben. Er schaute müßig auf einen unbesetzten Terminal, auf dessen Monitor eine Meldung blinkte:
EXTERNAL ARRAY FAILURE
AT ROM ADDRESS 33 b1 4A 0E
Es hätte genausogut Chinesisch sein können. Was immer das bedeuten mochte, warum konnte man so etwas nicht verständlicher ausdrücken? Waters haßte Computer. Er konnte nichts Gutes an den Dingern sehen, denn bisher hatten Computer lediglich auf Rechnungen das »s« an seinem Nachnamen vergessen. Und diese smarten Computerbürschchen haßte er mindestens ebensosehr. Wenn hier etwas nicht in Ordnung war, dann sollten sie sich gefälligst darum kümmern.