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Margo sah niedergeschlagen zu, wie Frock an der Granitwand der großen Rotunde in ein Haustelefon schrie. Wrights von Lautsprechern verstärkte Rede dröhnte so laut aus der Halle des Himmels, daß Margo nicht genau verstehen konnte, was er sagte. Schließlich griff Frock nach oben und knallte den Hörer auf die Gabel. »Das ist absurd. Anscheinend ist Pendergast irgendwo im Keller. Oder zumindest war er das. Vor über einer Stunde hat er sich das letzte Mal über Funk gemeldet. Die Leute in der Zentrale weigern sich, ihn ohne Befehl eines Vorgesetzten anzufunken.«
»Im Keller?« fragte Margo. »Wo denn?«
»Sektion 29, haben sie gesagt. Warum er dort unten ist – oder war –, wollen sie mir nicht sagen. Ich vermute, daß sie es selbst nicht wissen. Sektion 29 ist ziemlich groß.« Er wandte sich an Margo. »Wollen wir?«
»Was sollen wir wollen?«
»Ihn unten im Keller suchen, natürlich«, antwortete Frock.
»Ich weiß nicht so recht«, antwortete Margo zögernd.
»Vielleicht sollten wir uns einfach von irgend jemandem die Erlaubnis besorgen, ihn anfunken zu lassen.«
Frock rutschte ungeduldig in seinem Rollstuhl herum. »Wir wissen ja nicht einmal, wer so eine Erlaubnis erteilen könnte«, sagte er und starrte Margo an, deren Unsicherheit er spürte. »Ich glaube nicht, daß Sie sich Sorgen wegen der Kreatur machen müssen, meine Liebe. Wenn ich recht habe, dann werden die vielen Leute in der Ausstellung sie geradezu magisch anziehen. Es ist unsere Pflicht, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um eine Katastrophe zu verhindern; diese Verantwortung haben wir uns aufgeladen, als wir unsere Entdeckung machten.«
Margo zögerte immer noch. Frocks grandiose Sprüche in allen Ehren, aber er war nicht mit ihr in der Ausstellung gewesen. Er hatte nicht dieses leise Tapsen gehört, er wußte nicht, wie es war, blindlings schreiend in die Dunkelheit zu rennen –
Sie atmete tief durch. »Natürlich haben Sie recht. Gehen wir also.«
Da sich Sektion 29 in der Sicherheitszelle 2 befand, mußten Margo und Frock auf ihrem Weg zum richtigen Aufzug zweimal ihre Museumsausweise vorzeigen. Da die Sperrstunde für diesen Abend außer Kraft gesetzt war, schienen die Wachen mehr daran interessiert zu sein, fremde und verdächtige Subjekte festzuhalten, als Museumsangestellte zu behindern.
»Pendergast!« rief Frock, als Margo ihn aus dem Aufzug in einen düsteren Kellergang schob. »Hier spricht Doktor Frock. Können Sie mich hören?«
Seine Stimme verlor sich ungehört im Gang.
Margo wußte ein bißchen über die Geschichte von Sektion 29 Bescheid. Als sich dort noch das alte museumseigene Kraftwerk befand, gab es in diesem Kellerabschnitt Dampfrohre, Versorgungsschächte und unterirdische Aufenthaltsräume für die Arbeiter. Nachdem das Museum in den zwanziger Jahren ein moderneres Kraftwerk bekommen hatte, waren die alten Einrichtungen entfernt worden, so daß es heute dort nur noch ein gespenstisches Labyrinth von Räumen gab, die lediglich zu Lagerzwecken dienten. Margo schob Frock die niedrigen Gänge entlang, wo dieser ab und zu an eine Tür klopfte und Pendergasts Namen rief. Aber seine Rufe wurden jedes Mal nur mit Schweigen beantwortet.
»So wird das nichts«, sagte Frock, als Margo anhielt, um eine Atempause einzulegen. Seine weißen Haare hingen wirr durcheinander, und seine Smokingjacke war völlig verknittert.
Margo blickt nervös umher. Sie wußte in etwa, wo sie waren.
Irgendwo am Ende eines Gewirrs von Gängen mußte der ehemalige Kraftwerksraum liegen, ein lichtloses, unterirdisches Pantheon, in dem sich jetzt die Walknochensammlung des Museums befand. Trotz Dr. Frocks Mutmaßungen über das Verhalten der Kreatur, machte sein Rufen sie unruhig.
»Das kann Stunden dauern«, sagte Frock. »Vielleicht ist er auch gar nicht mehr hier. Vielleicht war er das ja auch nie.« Er seufzte tief. »Pendergast war unsere letzte Rettung.«
»Vielleicht machen der Lärm und das Durcheinander die Kreatur nervös, und sie versteckt sich irgendwo weit entfernt von der Party«, sagte Margo mit einer gewissen Hoffnung in der Stimme, die sie nicht wirklich empfand.
Frock stützte den Kopf in die Hände. »Das erscheint mir ziemlich unwahrscheinlich. Diese Bestie wird bestimmt von ihrem Geruchssinn getrieben. Mag sein, daß sie intelligent und listig ist, aber ähnlich wie ein menschlicher Triebtäter, kann sie sich nicht mehr bezähmen, wenn ihre Gier erst einmal geweckt ist.«
Frock setzte sich auf, und in seinen Augen glomm auf einmal wieder ein ein frisches Feuer. »Pendergast!« rief er wieder.
»Wo stecken Sie?«
Waters stand mit verkrampftem Körper da und lauschte. Er spürte, wie sein Herz aufgeregt schlug, und bekam nicht genügend Luft in seine Lungen. Waters war schon häufig in gefährlichen Situationen gewesen, man hatte ihn angeschossen, niedergestochen, sogar mit Säure hatte man ihn schon einmal angegriffen. Jedes Mal hatte er, wenn es darauf angekommen war, kühl und überlegt reagiert. Und jetzt drehe ich schon bei einem einzigen, kleinen Geräusch durch. Er griff sich an seinen Kragen. Wieso ist es hier drinnen bloß so stickig? Er zwang sich dazu, langsam und tief zu atmen. Ich werde einfach Garcia herrufen. Und wenn wir dann der Sache gemeinsam auf den Grund gehen, werden wir mit Sicherheit nichts finden.
Dann bemerkte Waters auf einmal, daß das Geräusch der Füße über ihm sich verändert hatte. Anstatt des leisen Scharrens und Gleitens der Tanzpaare hörte er jetzt ein konstantes Getrommel wie von rennenden Menschen. Als er genauer hinhörte, war es ihm, als höre er gedämpftes Schreien. Auf einmal stieg fürchterliche Angst in ihm hoch.
Und dann ertönte ein weiteres dumpfes Geräusch aus dem Elektroraum.
Großer Gott, da geschieht etwas Schlimmes.
Hastig griff er nach dem Funkgerät. »Garcia? Hörst du mich? Ich brauche Verstärkung. Es sind verdächtige Geräusche im Elektroraum.«
Waters schluckte. Garcia meldete sich nicht. Als er sein Funkgerät wieder an seinem Gürtel befestigte, bemerkte er, wie der Saftkopf aufstand und zur Tür zum Elektroraum ging.
»Was machen Sie denn?« fragte Waters.
»Ich will nur mal nachsehen, was das für ein Geräusch ist«, sagte der Saftkopf und öffnete die Tür. »Ich schätze, es ist wieder was mit der Klimaanlage.« Er griff um den Türstock herum und tastete mit der Hand nach dem Lichtschalter.
»Warten Sie«, sagte Waters. »Tun Sie das nicht –«
In diesem Augenblick plärrte Waters’ Funkgerät los. »Hier ist Panik ausgebrochen! In der Ausstellung ist eine Leiche, die einem Mord zum Opfer gefallen ist –« Eine Störung machte die Worte momentan unverständlich. »– alle Einheiten sofort Notevakuierung einleiten!« Wieder eine Störung. Dann eine andere Stimme: »Kann die Leute nicht mehr aufhalten, brauche Verstärkung, sofort!«
Gott im Himmel. Waters packte sein Funkgerät und drückte wie wild auf den Knöpfen herum. Alle Frequenzen waren belegt. Da oben direkt über seinem Kopf mußten sich schreckliche Szenen abspielen. Verdammter Mist.
Waters blickte auf. Der Saftkopf war verschwunden, und die Tür zum Elektroraum stand noch immer offen. Aber drinnen war es dunkel. Warum brannte noch immer kein Licht? Ohne den Blick von der offenen Tür zu wenden, nahm Waters vorsichtig die Schrotflinte von der Schulter, lud mit einer pumpenden Bewegung eine Patrone in den Lauf und ging los.
Vorsichtig pirschte er sich an die Tür heran und spähte in den Raum. Drinnen war es stockdunkel.
»Hey, Sie da«, sagte Waters. »Sind Sie da drin?« Als er den dunklen Raum betrat, bemerkte er, daß sein Mund auf einmal trocken wurde. Plötzlich hörte Waters einen weiteren dumpfen Schlag links von sich. Instinktiv sank er auf sein linkes Knie und gab rasch hintereinander drei Schüsse ab, von denen jeder einen grellen Lichtblitz und einen betäubenden Knall produzierte. Es gab einen Funkenregen, und eine kleine Flamme erhellte den Raum kurzzeitig mit ihrem flackernden, orangen Licht. Der Saftkopf kniete auf dem Boden und sah Waters flehend an.
»Nicht schießen«, bat er mit gebrochener Stimme. »Bitte, nicht mehr schießen!«
Waters, dem die Schüsse immer noch in den Ohren klangen, erhob sich zitternd. »Ich habe ein Geräusch gehört«, schrie er. »Warum geben Sie mir denn keine Antwort, Sie Vollidiot?«
»Es war die Klimaanlage«, sagte der Saftkopf tränenüberströmt.
»Die Pumpe war kaputt, genauso wie das letzte Mal.«
Waters ging rückwärts und tastete hinter sich an der Wand nach dem Lichtschalter. Pulverdampf hing wie blauer Nebel in der Luft. Am anderen Ende des Raumes stand ein großer Metallkasten, bei dem aus drei Einschußlöchern an seiner Vorderseite stinkender Qualm austrat. Waters ließ den Kopf auf die Brust sinken und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Auf einmal zuckte eine elektrische Entladung aus dem kaputten Kasten, gefolgt von einem Knistern und einem weiteren Funkenschauer. Die Luft roch auf einmal verschmort.
Das Licht im Computerraum flackerte, wurde dunkler und dann wieder heller. Waters hörte, wie eine Alarmglocke zu schrillen begann. Gleich darauf ertönte auch eine zweite.
»Was ist los?« rief er. Das Licht wurde schon wieder dunkler.
»Sie haben den zentralen Verteiler kaputtgeschossen«, schrie der Saftkopf, sprang auf und rannte an Waters vorbei in den Computerraum.
»Ach du grüne Scheiße«, stammelte Waters.
Dann ging das Licht ganz aus.