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Jonathan Hamm blickte durch eine dicke Brille, die unbedingt einmal geputzt gehört hätte, den Kellergang entlang. Zwei Spürhunde, deren lederne Leinen er um seine, in schwarzen Handschuhen steckende Hände gewickelt hatte, saßen gehorsam zu seinen Füßen. Neben Hamms Hilfshundeführer stand Lieutenant D’Agosta, der angeschmutzte, stark verknitterte Blaupausen der Baupläne des Gebäudes in der Hand hielt. Hinter ihm lehnten zwei Polizisten an der Wand, die großkalibrige, mit Schrot geladene Remington-Repetiergewehre über der Schulter trugen.

D’Agosta blickte auf die knisternden Blaupausen. »Können denn die Hunde nicht riechen, wo es langgeht?«

Hamm atmete hörbar aus. »Nein, das können sie nicht. Sie haben noch keine Spur aufgenommen. Wir haben, seit wir hier angefangen haben, noch überhaupt keine brauchbare Fährte gefunden. Es gibt einfach zu viele Spuren hier.«

D’Agosta knurrte vor sich hin, nahm eine halbdurchweichte Zigarre aus der Jackettasche und wollte sie sich gerade in den Mund stecken. Da fiel ihm Hamms Blick auf.

»Ach so«, sagte D’Agosta und steckte die Zigarre wieder ein.

Hamm schnüffelte in der Luft herum. Sie war feucht, was an und für sich nicht schlecht war. Aber das war auch das einzige Gute an diesem kleinen Ausflug hier. Zuerst mal war da die sprichwörtliche Dummheit der Polizei. Was sind denn das für Hunde? Wir wollten doch Bluthunde. Das sind Spürhunde, hervorragende sogar, mußte Hamm erklären, ein echter Schweißhund und ein schwarz und lohfarbener Hund, wie man ihn zur Waschbärjagd verwendet. Wenn die äußeren Umstände stimmten, konnten diese Hunde einen verschollenen Wanderer unter meterhohen Schneeverwehungen finden. Aber hier, dachte Hamm, stimmten die äußeren Umstände überhaupt nicht.

Man hatte den Tatort für Hundenasen völlig unbrauchbar gemacht. Überall hatte man mit Chemikalien, Sprühlack und Kalk herumgesaut, zudem waren unzählige Leute kreuz und quer hin und her gelaufen. Und dann war die Stelle am Fuß der Treppe buchstäblich im Blut geschwommen, sogar jetzt, etwa achtzehn Stunden nach dem Verbrechen, hing der Geruch noch schwer in der feuchten Luft.

Zuerst hatte Hamm mit seinen Hunden versucht, möglichen Spuren vom Tatort aus zu folgen. Als das nicht funktionierte, hatte er vorgeschlagen, Suchrunden zu drehen und darauf zu hoffen, vielleicht irgendwo anders auf eine Spur zu stoßen.

Die Hunde waren für die Arbeit in Innenräumen nicht ausgebildet und außerdem ziemlich verwirrt, was aber nicht Hamms Schuld war. Die Polizei konnte ihm ja nicht einmal sagen, ob er nach einem Menschen oder nach einem Tier suchen sollte. Vielleicht wußten sie es selber nicht.

»Dann lassen Sie uns dort hinübergehen«, sagte D’Agosta.

Hamm gab die Leinen seinem Helfer, der vorausging. Die Hunde schnüffelten mit ihren Nasen den Boden ab.

Am Anfang der Suche hatten die Hunde vor einem Lagerraum mit Mammutknochen gebellt, und das Para-Dichlor-Benzin, das beim Öffnen der Tür ausgetreten war, hatte dafür gesorgt, daß die Suche eine halbe Stunde unterbrochen werden mußte, bis die Hunde ihren Geruchssinn wiedererlangt hatten. Und das war nur der erste einer Reihe von Aufbewahrungsräumen mit Fellen, Gorillas in Formaldehyd, einer Tiefkühltruhe voller toter Tiere und einem ganzen Gewölbe mit menschlichen Skeletten gewesen.

Jetzt kamen sie zu einer Stahltür, die zu einer steinernen Treppe führte. Die Wände des dunklen Treppenhauses waren mit einer Kruste aus Kalk überzogen. »Das ist ja dann wohl das Burgverlies«, sagte einer der Polizisten und lachte laut auf.

»Diese Treppe führt in die unteren Kellergeschosse«, erklärte D’Agosta, nachdem er seine Blaupausen zu Rate gezogen hatte. Er winkte einem seiner Polizisten, der ihm eine lange Taschenlampe reichte.

Die flache Treppe endete in einem niedrigen, aus Ziegeln gemauerten Stollen, dessen gewölbte Decke gerade so hoch war, daß ein Mann aufrecht gehen konnte. Der Hundeführer ging mit den Hunden voraus, D’Agosta und Hamm folgten ihm. Die beiden Polizisten, die so groß waren, daß sie sich bücken mußten, bildeten den Schluß der Gruppe.

»Da ist Wasser auf dem Boden«, sagte Hamm.

»Na und?« entgegnete D’Agosta.

»Wenn hier Wasser fließt, dann gibt es keine Spuren.«

»Man hat mir gesagt, daß wir hier mit Pfützen rechnen müssen«, erklärte D’Agosta. »Nur wenn es regnet, fließt das Wasser richtiggehend durch die Stollen. Und seit der Tat hat es nicht mehr geregnet.«

»Dann ist es ja gut«, sagte Hamm.

Sie kamen an eine Stelle, wo vier Stollen aufeinanderstießen.

D’Agosta mußte wieder die Blaupausen konsultieren.

»Das habe ich mir fast gedacht, daß Sie jetzt da nachsehen müssen«, sagte Hamm.

»Ach ja?« entgegnete D’Agosta. »Dann habe ich eine nette kleine Überraschung für Sie. Die unteren Kellergeschosse sind nämlich auf diesen Blaupausen gar nicht eingezeichnet.«

Dann begann auf einmal einer der Hunde zu winseln und intensiv zu schnüffeln, und Hamm wurde hellwach. »Dorthin, schnell!«

Die Hunde winselten immer aufgeregter. »Sie haben etwas!« sagte Hamm. »Hier muß es eine ganz klare Spur geben. Sehen Sie nur, wie sich ihre Nackenhaare sträuben! Leuchten Sie doch mit Ihrer Taschenlampe nach vorn, ich kann ja überhaupt nichts sehen.«

Die Hunde zerrten an ihren Leinen und schnüffelten nun mit erhobenen Nasen in die Luft.

»Da, sehen Sie’s? Der Geruch hängt in der Luft. Spüren Sie den leichten Hauch auf Ihrer Haut? Ich hätte die Spaniels mitnehmen sollen, sie sind unschlagbar, wenn es um solche Gerüche geht.«

Die Polizisten schlüpften an den Hunden vorbei. Einer richtete den Strahl seiner Taschenlampe nach vorne, der andere hielt die Schrotflinte schußbereit. Vor ihnen gabelte sich der Stollen, und die Hunde zogen stark nach rechts, wobei sie fast zu rennen anfingen.

»Langsam, Mr. Hamm. Möglicherweise befindet sich ein Mörder vor Ihnen«, sagte D’Agosta.

Die Hunde fingen plötzlich laut zu bellen an. »Sitz!« schrie der Hundeführer. »Bei Fuß! Castor! Pollux! Fuß, verdammt noch mal.« Die Hunde zogen nach vorn und achteten nicht auf seine Befehle. »Hamm, du mußt mir hier vorn helfen!«

»Was ist denn bloß in euch gefahren?« schrie Hamm, watete zu den Hunden, die völlig aus dem Häuschen waren und versuchte, sie bei den Halsbändern zu packen. »Castor, Fuß!«

»Bringen Sie sie zum Schweigen«, fauchte D’Agosta.

»Er hat sich losgerissen«, schrie der Helfer, und einer der Hunde raste fort in die Dunkelheit. Sie liefen dem sich entfernenden Geräusch hinterher.

»Riechen Sie das?« fragte Hamm und blieb abrupt stehen. »Gott im Himmel, riechen Sie das?«

Auf einmal umgab sie ein scharfer, ziegenartiger Geruch. Der zweite Hund wurde völlig wild vor Aufregung, sprang hoch und wand sich und riß sich plötzlich auch los.

»Pollux! Pollux!«

»Warten Sie«, sagte D’Agosta. »Vergessen Sie einen Augenblick mal die verdammten Köter. Lassen Sie uns ein bißchen Ordnung in die Angelegenheit bringen. Ihr zwei geht wieder nach vorn. Waffen entsichern!«

Die beiden Polizisten luden ihre Schrotgewehre durch.

In der hallenden Dunkelheit vor ihnen wurde das Gebell immer leiser, bis es schließlich ganz aufhörte. Einen Augenblick lang herrschte Stille. Dann ertönte ein schreckliches, fast unnatürliches Kreischen, das ein wenig an quietschende Reifen erinnerte, aus dem pechschwarzen Stollen. Die beiden Polizisten sahen sich an. Das Geräusch endete so plötzlich, wie es begonnen hatte.

»Castor!« schrie Hamm. »O mein Gott. Er ist verletzt!«

»Treten Sie zurück, Hamm, verdammt noch mal!« befahl D’Agosta.

In diesem Augenblick raste aus der Dunkelheit ein Schatten auf sie zu. Die beiden Polizisten schossen sofort. Zweimal blitzte grelles Mündungsfeuer auf, gefolgt von ohrenbetäubendem Krachen. Das Echo der Schüsse hallte durch die Stollen, und als es verklungen war, herrschte tiefe Stille.

»Sind Sie wahnsinnig? Sie haben gerade meinen Hund erschossen«, sagte Hamm mit ruhiger Stimme. Etwa zwei Meter entfernt vor ihnen lag Pollux, dem das Blut aus seinem fast weggeschossenen Kopf quoll.

»Er ist direkt auf mich zugekommen –« begann einer der Polizisten entschuldigend.

»Großer Gott«, sagte D’Agosta. »Hört sofort mit diesem Schwachsinn auf. Da vorne treibt sich irgend etwas herum.«

Etwa hundert Meter weiter entfernt stießen sie im Stollen auf die Überreste des zweiten Hundes. Er war in der Mitte fast auseinandergerissen worden, und seine Gedärme quollen aus dem zerfetzten Unterleib auf den feuchten Boden.

»Himmel noch mal, sehen Sie sich bloß das mal an«, sagte D’Agosta.

Hamm sagte nichts.

Kurz hinter der Stelle gabelte sich der Stollen abermals. Die Gruppe blieb stehen, und D’Agosta blickte zurück auf den toten Hund. »Ohne die Hunde wissen wir nicht, welchen Weg wir nehmen sollen«, sagte er schließlich. »Lassen Sie uns von hier verschwinden. Ich hole die Spurensicherung, die soll sich um diese Schweinerei hier kümmern.«

Hamm sagte noch immer nichts.