TEIL
ZWEI
Die Aberglaube-Ausstellung
21
Was geht hier vor?« fragte eine strenge Stimme.
Margo wirbelte herum und wäre vor Erleichterung fast zusammengebrochen. »Officer Beauregard, da drinnen ist –« Dann hörte sie, ohne zu wissen, warum, mitten im Satz auf zu sprechen.
F. Beauregard, der die Messingpfosten, die von der aufgestoßenen Tür umgeworfen worden waren, wieder aufstellte, blickte auf, als er seinen Namen hörte. »Hey, Sie sind doch das Mädchen, das vorhin in die Ausstellung wollte!« Seine Augen wurden schmal. »Was ist mit Ihnen los, Miß, hören Sie nicht zu, wenn man Ihnen etwas sagt?«
»Officer, da drinnen ist ein –« begann Margo von neuem, dann verstummte sie abermals.
Der Polizist trat einen Schritt zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete. Dann huschte ein überraschter Ausdruck über sein Gesicht. »Was soll denn das? Sind Sie in Ordnung, Lady?«
Margo beugte sich nach vorn und lachte – oder weinte, sie war sich nicht sicher, was sie wirklich tat –, bis sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischen mußte.
Der Polizist packte sie am Arm. »Ich glaube, Sie sollten besser mit mir kommen.«
Der Ton des Polizisten ließ nichts Gutes ahnen. Margo sah sich schon in einem Raum voller Polizisten sitzen und wieder und wieder ihre Geschichte erzählen. Vielleicht würde man auch Dr. Frock oder sogar Dr. Wright rufen, und dann würde sie gemeinsam mit ihnen zurück in die Ausstellung gehen müssen … Margo richtete sich auf. »Nein, danke, das ist nicht nötig«, sagte sie schniefend. »Ich habe mich bloß ein bißchen erschrocken.«
Officer Beauregard sah nicht allzu überzeugt aus. »Ich finde trotzdem, wir sollten mit Lieutenant D’Agosta sprechen.« Mit seiner freien Hand zog er ein großes, ledergebundenes Notizbuch aus seiner hinteren Hosentasche. »Wie heißen Sie?« fragte er. »Ich muß einen Bericht schreiben.«
Es war klar, daß er sie nicht gehen lassen würde, wenn sie ihm die verlangten Informationen nicht gab. »Mein Name ist Margo Green«, sagte sie schließlich. »Ich arbeite als Doktorandin für Dr. Frock und habe für George Moriarty, den Kurator dieser Ausstellung, etwas geschrieben. Das wollte ich ihm bringen. Aber Sie hatten recht – es war niemand mehr drin.«
Während sie sprach, befreite Margo ihre Hand sanft aus dem Griff des Polizisten. Dann begann sie, immer noch redend, langsam in Richtung auf die Memorial Hall zurückzugehen. Officer Beauregard sah ihr dabei zu, schlug dann mit einem Achselzucken sein Notizbuch auf und begann zu schreiben.
Als sie wieder in der Halle war, blieb Margo stehen. Sie konnte nicht zurück in ihr Büro gehen, denn es war jetzt fast sechs Uhr und die Sperrstunde wurde nun ganz bestimmt überwacht. Aber sie wollte auch nicht nach Hause, konnte jetzt einfach nicht nach Hause gehen.
Dann erinnerte sie sich an die Seiten für Moriarty. Sie preßte einen Ellenbogen gegen ihren Körper, um sich zu überzeugen, daß ihre Umhängetasche noch da war, die sie in der ganzen Aufregung völlig vergessen hatte. Margo blieb noch einen Augenblick stehen und dachte nach, dann ging sie hinüber zu dem verlassenen Informationsstand. Sie nahm das dortige Haustelefon ab und wählte.
Nach einem Klingeln meldete sich eine Stimme: »Moriarty.«
»George?« sagte Margo. »Hier spricht Margo Green.«
»Hi, Margo«, antwortete George. »Was ist los?«
»Ich bin in der Selous Hall«, entgegnete sie. »Ich komme gerade aus der Ausstellung.«
»Aus meiner Ausstellung?« fragte Moriarty erstaunt. »Was haben Sie denn dort gemacht? Wer hat sie hineingelassen?«
»Ich habe nach Ihnen gesucht«, antwortete Margo. »Ich wollte Ihnen meine Arbeit über Kamerun geben. Waren Sie dort drin?« Sie spürte, wie schon wieder die Panik in ihr hochstieg.
»Nein. Die Ausstellung sollte doch eigentlich bis zur Eröffnungsfeier am Freitag abend geschlossen bleiben«, sagte Moriarty. »Warum fragen Sie?«
Margo atmete schwer und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ihre Hände zitterten, und der Hörer schlug an ihr Ohr.
»Wie hat Ihnen denn die Ausstellung gefallen?« fragte Moriarty neugierig.
Margo entfuhr ein hysterisches Kichern. »Ich habe Angst bekommen.«
»Wir haben ein paar Experten angeheuert, die für uns das Licht gesetzt und die Plazierung der Ausstellungsstücke übernommen haben. Dr. Cuthbert hat sogar den Mann unter Vertrag genommen, der das Verwunschene Mausoleum in Fantasy-world entworfen hat. Das wird als einsame Weltspitze angesehen, müssen Sie wissen.«
Schließlich glaubte Margo, wieder normal reden zu können. »George, irgend etwas war dort mit mir in der Ausstellung.« Ein Wachmann auf der anderen Seite der Halle hatte Margo bemerkt und kam auf sie zu.
»Was meinen Sie mit irgend etwas?«
»Genau das, was ich sage!« Auf einmal fühlte sie sich, als wäre sie wieder in der Ausstellung neben dieser schrecklichen Mbwun-Figur. Sie erinnerte sich an den bitteren Geschmack der Angst in ihrem Mund.
»Hey, hören Sie auf zu schreien!« sagte Moriarty. »Lassen Sie uns ins Bones gehen und in Ruhe über alles sprechen. Wir sollten beide ohnehin längst aus dem Museum sein. Ich habe genau gehört, was Sie sagen, aber ich verstehe nicht, was Sie damit meinen.«
Das Bones, wie es von praktisch allen Museumsleuten genannt wurde, hieß eigentlich Blarney Stone Tavern. Seine wenig beeindruckende Fassade stand geduckt zwischen zwei großen, verzierten Genossenschaftshäusern direkt gegenüber des südlichen Museumseingangs an der Zweiundsiebzigsten Straße. Anders als in den typischen Bars an der Upper West Side gab es im Blarney Stone noch keine Kaninchenpastete oder fünf verschiedene Mineralwasser, hier konnte man noch hausgemachten Hackbraten und einen Krug Bier für fünf Dollar bekommen.
Die Museumsleute nannten die Bar The Bones, weil Boylan, der Besitzer der Bar, eine erstaunliche Anzahl von Knochen an jede nur verfügbare freie Stelle gehängt oder genagelt hatte. An den Wänden hingen unzählige Oberschenkelknochen und Schienbeine in Reih und Glied, was den Eindruck von Matten aus dickem, weißem Bambus vermittelte. Mittelfußknochen, Schulterblätter und Kniescheiben bildeten bizarre Muster an der Decke. In jeder verfügbaren Nische steckten Schädel der unterschiedlichsten Säugetiere. Woher Boylan die Knochen hatte, war ein Geheimnis, auch wenn manche behaupteten, daß er sie sich nachts aus dem Museum holte.
»Die Leute bringen sie vorbei«, war alles, was Boylan sich jemals achselzuckend zu diesem Thema hatte entlocken lassen. Kein Wunder, daß die Bar der bevorzugte Treffpunkt für die Angestellten des Museums war.
Das Bones war gesteckt voll wie immer, so daß Moriarty und Margo sich mühsam durch eine dichtgedrängte Menge vor der Bar zwängen mußten, bis sie endlich einen freien Tisch fanden.
Margo sah sich um und entdeckte etliche Leute aus dem Museum, darunter auch Bill Smithback. Der Journalist saß an der Bar und war mit einer schlanken, blonden Frau in ein angeregtes Gespräch vertieft.
»Okay«, sagte Moriarty und erhob die Stimme über das Gemurmel der vielen Gäste. »Was wollten Sie mir vorhin am Telefon sagen? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig mitbekommen habe.«
Margo atmete tief durch. »Ich bin hinunter in die Ausstellung gegangen, um Ihnen meine Arbeit zu geben. Es war dunkel. Und irgend etwas da drinnen hat mich verfolgt, hat mich richtiggehend gejagt.«
»Sie sprechen schon wieder von irgend etwas. Was meinen Sie denn damit?«
Margo schüttelte ungeduldig den Kopf. »Das kann ich Ihnen nicht genau erklären. Da waren diese Geräusche wie – wie gedämpfte Schritte. Sie klangen so verstohlen, so behutsam, daß ich –« Sie wußte nicht mehr weiter und zuckte mit den Achseln. »Und dann war da auf einmal ein grauenvoller, widerwärtiger Geruch. Es war schrecklich.«
»Hören Sie, Margo –« begann Moriarty, hielt dann aber inne, weil die Kellnerin ihre Bestellung aufnehmen wollte. »Diese Ausstellung ist bewußt auf unheimlich gemacht«, fuhr er, nachdem die Kellnerin wieder gegangen war, fort. »Sie selbst haben mir doch gesagt, daß Frock und andere sie für viel zu effekthascherisch halten. Ich kann mir lebhaft vorstellen, was in Ihnen vorgegangen sein muß, als Sie da drinnen ganz allein durch die Dunkelheit irrten –«
»Mit anderen Worten: Ich habe mir das alles nur eingebildet«, sagte Margo und lachte freudlos auf. »Sie wissen ja gar nicht, wie gerne ich das glauben würde.«
Die Getränke wurden serviert, ein Light-Bier für Margo und ein Guinness mit cremigem Schaum für Moriarty. Der Kurator nahm prüfend einen Schluck. »Diese Morde und all die Gerüchte, die im Museum herumschwirren«, sagte er und trank noch mal, diesmal herzhafter. »Mir wäre es vermutlich auch nicht anders gegangen.«
Margo, die jetzt wieder ruhiger war, begann zögernd zu sprechen. »George, diese Kothoga-Figur in der Ausstellung –« »Mbwun? Was ist damit?«
»Sie hat drei Krallen an den Vorderbeinen.«
Moriarty ließ sich sein Guinness schmecken. »Ich weiß. Es ist eine wunderbare Skulptur, ein echtes Highlight der Ausstellung. Ich sollte es ja eigentlich nicht zugeben, aber noch viel faszinierender als die Figur selbst ist der Fluch, der angeblich auf ihr lastet.«
Margo nahm einen Schluck von ihrem Bier. »Bitte erzählen Sie mir alles über diesen Fluch des Mbwun, George.«
Plötzlich hörte Margo, wie jemand über das allgemeine Gemurmel hinweg nach ihr rief. Als sie sich umsah, bemerkte sie, daß Smithback durch die rauchgeschwängerte Luft auf sie zusteuerte. Er hatte seine Notizbücher unter dem Arm, und sein von hinten beleuchtetes Haar stand zerzaust in alle Himmelsrichtungen vom Kopf ab. Die Frau, mit der er vorhin an der Bar gesprochen hatte, war nicht mehr zu sehen.
»Diese Kneipe wird ja langsam zum Treffpunkt der Ausgeschlossenen«, sagte er. »Diese Sperrstunde nervt tierisch. Es gibt nichts Schlimmeres als Polizisten und Museumsdirektoren, finden Sie nicht?« Ohne aufgefordert worden zu sein, legte er seine Notizbücher auf den Tisch und glitt neben Margo auf die Bank.
»Ich habe gehört, daß die Polizei damit anfängt, die Leute zu befragen, die ihre Büros in der Nähe der beiden Tatorte haben«, sagte er. »Da sind Sie ja wohl auch dabei, Margo.«
»Mein Verhör ist für nächste Woche angesetzt«, entgegnete Margo.
»Davon haben Sie mir ja noch gar nichts gesagt«, sagte Moriarty, der über Smithbacks Anwesenheit nicht gerade glücklich zu sein schien.
»Nun, Sie in Ihrer schnuckeligen Dachstube da oben brauchen sich in dieser Hinsicht wohl keine allzugroßen Sorgen machen«, sagte Smithback zu Moriarty. »Das Museumsmonster scheint kein begeisterter Treppensteiger zu sein.«
»Sie sind aber gar nicht gut drauf«, sagte Margo. »Hat Rickman eine weitere Amputation an Ihrem Manuskript vorgenommen?«
Smithback sprach immer noch mit Moriarty. »Übrigens habe ich Sie gesucht. Ich würde Ihnen nämlich gerne eine Frage stellen.« Die Kellnerin ging gerade vorbei, und Smithback winkte sie an den Tisch. »Einen Macallan, bitte, ohne Eis.«
»Okay«, fuhr er dann, wieder an Moriarty gewandt, fort. »Was ich wissen will, ist folgendes: Was für eine Geschichte steckt hinter dieser Mbwun-Figur?«
Einen Moment lang herrschte verblüffte Stille am Tisch.
Smithback blickte von Moriarty zu Margo. »Habe ich was Schlimmes gesagt?«
»Wir haben eben über Mbwun gesprochen«, antwortete Margo unsicher.
»Ach ja«, sagte Smithback. »Da können Sie mal sehen, wie klein die Welt ist. Nun, mir hat Osterbaan, der alte Holländer in der Knochenküche, erzählt, daß Rickman einen Riesenzirkus gemacht hat, als diese Mbwun-Figur in die Ausstellung gebracht wurde. Er sagte, das sei ein heikles Thema. Also habe ich ein paar Nachforschungen angestellt.«
Die Kellnerin brachte Smithbacks Scotch. Er hob das Glas, prostete den beiden stumm zu und trank es mit einem Zug aus.
»Was ich herausgefunden habe, ist folgendes«, fuhr er fort. »Es gab da mal am Oberlauf des Xingú-Flusses im Amazonasbecken den Indianerstamm der Kothoga. Das müssen ziemlich finstere Burschen gewesen sein, die mit allen möglichen übernatürlichen Dingen herumpfuschten, mit Menschenopfern und ähnlichem Zeug. Und weil die guten Kothoga dabei nicht allzu viele Spuren hinterließen, nahmen die Anthropologen an, sie wären seit Jahrhunderten ausgestorben. Alles, was von ihnen übrigblieb, waren ein paar Mythen, die sich die Stämme in der Umgebung erzählten.«
»Das ist mir bekannt«, mischte Moriarty sich ein. »Margo und ich haben eben darüber gesprochen. Außerdem glaubten nicht alle Leute, daß –«
»Ich weiß, ich weiß. Gedulden Sie sich noch ein wenig.«
Sichtlich verärgert lehnte Moriarty sich zurück. Er war daran gewöhnt, Vorträge zu halten, nicht sich welche anzuhören.
»Nun, vor etlichen Jahren gab es hier am Museum einen Burschen namens Whittlesey, der eine Expedition an den Oberlauf des Xingú auf die Beine stellte. Diese hatte die Aufgabe, nach Spuren der Kothoga zu suchen – nach Kultgegenständen, alten Behausungen, was auch immer.« Smithback beugte sich mit einer verschwörerischen Geste über den Tisch. »Aber Whittlesey sagte niemandem, daß er nicht bloß hinter den Spuren der Kothoga her war. Er war auf der Suche nach dem Stamm selbst. Er hatte nämlich die fixe Idee, daß es die Kothoga immer noch geben müsse, und er war sich ziemlich sicher, daß er sie finden würde. Whittlesey hatte dafür ein Verfahren entwickelt, das er ›Mythen-Triangulation‹ nannte.«
Diesmal griff Moriarty mit seiner gesamten Autorität als Wissenschaftler ein: »Dabei zeichnet man sämtliche Stellen, an denen bestimmte Legenden über einen Stamm erzählt werden, auf einer Karte ein, findet dann heraus, an welchen Orten diese Mythen besonders detailliert und stimmig sind, und errechnet den geographischen Mittelpunkt dieses Gebiets. Dort findet man dann häufig die Quelle dieser Mythen.«
Smithback sah Moriarty einen Augenblick lang an. »Tatsächlich?« sagte er. »Nun, jedenfalls marschierte dieser Whittlesey im Jahr 1986 los und verschwand auf Nimmerwiedersehen im amazonischen Regenwald.«
»Das hat Osterbaan Ihnen erzählt?« fragte Moriarty und verdrehte die Augen. »Der alte Schwätzer kann manchmal ganz schön ermüdend sein.«
»Mag sein, aber er weiß eine ganze Menge über das Museum.« Smithback betrachtete gedankenverloren sein leeres Glas. »Anscheinend muß es zwischen den Teilnehmern der Expedition im Dschungel eine heftige Auseinandersetzung gegeben haben, und die meisten traten vorzeitig den Rückweg an. Sie hatten etwas so Wichtiges gefunden, daß sie umkehren wollten, aber Whittlesey war damit nicht einverstanden. Er blieb, zusammen mit einem Burschen namens Crocker. Wie es aussieht, sind beide im Dschungel umgekommen. Als ich Osterbaan dann nach mehr Informationen über die Mbwun-Figur fragte, wurde er auf einmal ganz schweigsam.« Smithback streckte sich müde und hielt Ausschau nach der Kellnerin. »Ich schätze, ich muß jemanden ausfindig machen, der bei dieser Expedition dabei war.«
»Da wünsche ich Ihnen viel Glück«, sagte Margo. »Die Teilnehmer kamen alle auf dem Rückflug bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. In der Nähe von Asuncíon, glaube ich.«
Smithback sah sie eindringlich an. »Im Ernst? Woher wissen Sie das?«
Margo zögerte, weil sie sich an Pendergasts Gebot der Vertraulichkeit erinnerte. Aber dann dachte sie an Dr. Frock, wie er am Vormittag ihre Hand so fest in der seinen gehalten hatte. Wir dürfen uns diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.
»Ich werde Ihnen sagen, was ich weiß«, sagte sie langsam.
»Aber Sie müssen mir versprechen, daß Sie mir dafür helfen, wo Sie können.«
»Seien Sie vorsichtig, Margo«, warnte Moriarty.
»Ihnen helfen? Selbstverständlich, kein Problem«, sagte Smithback. »Wobei denn?«
Zögernd erzählte Margo den beiden von dem Treffen mit Pendergast in der Sicherheitszone, von den Abgüssen der Klaue und der Wunde, von den Kisten und von dem, was Cuthbert gesagt hatte. Dann beschrieb sie die Statue von Mbwun, die sie in der Ausstellung gesehen hatte, verschwieg aber ihre Panik und ihre überstürzte Flucht.
»Gerade als Sie kamen, wollte ich George fragen, was es genau mit diesem Fluch der Kothoga auf sich hat.«
Moriarty zuckte mit den Achseln. »Da gibt es nicht allzuviel zu erzählen. In den Legenden der Nachbarstämme erscheinen die Kothoga als ein ziemlich rätselhaftes Volk, das sich einer Art Hexendoktor-Kult verschrieben hat. Angeblich waren sie in der Lage, Dämonen zu kontrollieren. Und sie hatten eine Kreatur – eine Art Hausgeist, wenn Sie so wollen –, die sie dazu benützten, ihre Feinde zu töten. Diese Kreatur war Mbwun, auch genannt ›Der auf allen vieren geht‹. Whittlesey fand die Figur und ein paar andere Objekte, verpackte sie in eine Kiste und schickte sie ans Museum. Eigentlich kommt es ständig vor, daß irgendwelche heiligen Objekte aus ihrer ursprünglichen Umgebung entfernt und damit ›in ihrer Ruhe gestört‹ werden. Aber als Whittlesey dann nie wieder aus dem Dschungel zurückkehrte und kurz darauf die anderen Teilnehmer der Expedition beim Rückflug in die Staaten ums Leben kamen –« Er zuckte mit den Schultern. »Und schon begann das Gerede von einem schrecklichen Fluch.«
»Und jetzt sind im Museum drei Morde geschehen«, sagte Margo.
»Wollen Sie damit etwa behaupten, daß der Mbwun-Fluch, die Geschichten von diesem angeblichen Museumsmonster und die Morde miteinander in Verbindung stehen?« fragte Moriarty. »Nun hören Sie aber auf, Margo, geht da nicht Ihre Phantasie ein wenig mit Ihnen durch?«
Margo sah ihn intensiv an. »Aber Sie haben mir doch selbst erzählt, daß Cuthbert die Figur erst im letzten Augenblick in die Ausstellung bringen ließ, oder etwa nicht?«
»Das stimmt«, sagte Moriarty. »Und er behielt sich die Behandlung dieses Ausstellungsstücks höchstpersönlich vor, aber das ist bei einem so wertvollen Stück eigentlich nichts Ungewöhnliches. Daß es erst so spät in die Ausstellung gebracht wurde, ist, soviel ich weiß, auf Rickmans Mist gewachsen. Vielleicht wollte sie damit lediglich das öffentliche Interesse daran ein wenig anheizen.«
»Das möchte ich bezweifeln«, sagte Smithback. »So denkt die Rickman nicht. Wenn überhaupt, will sie das Interesse der Öffentlichkeit am Museum eher vermeiden. Schon bei den geringsten Anzeichen eines Skandals klappt sie zusammen wie ein Vampir beim Anblick der Morgensonne.« Smithback kicherte vor sich hin.
»Warum interessieren Sie sich eigentlich so für die Geschichte?« wollte Moriarty wissen.
»Sie glauben nicht, daß mich ein staubiger, alter Kultgegenstand fasziniert?« Smithback hatte endlich die Kellnerin auf sich aufmerksam gemacht und bestellte eine neue Runde für sie alle drei.
»Nun, es liegt doch auf der Hand, daß Rickman Ihnen verboten hat, darüber zu schreiben«, sagte Margo.
Smithback schnitt eine Grimasse. »Das ist leider nur allzu wahr. Damit könnte ich ja der ethnischen Minderheit der Kothoga in New York auf die Zehen steigen. Aber mein Interesse wurde geweckt, als Osterbaan mir erzählte, wie sehr Rickman wegen dieser Geschichte aus dem Häuschen war. Also nahm ich mir vor, ein wenig herumzugraben, vielleicht entdecke ich ja eine Leiche in Rickmans Keller. Irgend etwas, was mir bei unserem nächsten tête-à-tête eine bessere Position verschaffen könnte. Sie wissen schon: ›Dieses Kapitel bleibt, oder ich gehe mit der Whittlesey-Geschichte zum Smithsonian-Magazin‹ – so was in der Art.«
»Hey, Moment mal«, sagte Margo, »ich habe Sie nicht ins Vertrauen gezogen, damit Sie persönlich Kapital daraus schlagen können. Verstehen Sie denn nicht? Wir müssen mehr über diese Kisten herausfinden. Was immer diese Menschen getötet hat, ist hinter etwas aus den Kisten her. Wir müssen herausfinden, was es ist.«
»Was wir wirklich finden müssen, ist Whittleseys Tagebuch«, sagte Smithback.
»Aber Cuthbert sagt, es sei verlorengegangen«, gab Margo zu bedenken.
»Haben Sie schon mal in der Katalog-Datenbank nachgesehen?« fragte Smithback. »Vielleicht ist dort eine Information über seinen Verbleib gespeichert. Ich würde es ja liebend gerne selbst machen, aber leider ist meine Sicherheitseinstufung dazu viel zu niedrig.«
»Meine ebenfalls«, antwortete Margo. »Und außerdem war heute nicht gerade mein Glückstag, was Computer anbelangt.« Sie erzählte den beiden von ihrem Gespräch mit Kawakita.
»Und was ist mit Ihnen, Moriarty?« fragte Smithback. »Sie sind doch so ein Computerfreak, stimmt’s? Außerdem haben Sie als Assistenzkurator bestimmt eine hohe Sicherheitsstufe.«
»Ich finde, wir sollten die Geschichte der Polizei überlassen und nicht auf eigene Faust herumsuchen«, wich Moriarty aus.
»Verstehen Sie denn nicht?« bat Margo. »Niemand weiß, womit wir es hier zu tun haben. Menschenleben stehen auf dem Spiel – vielleicht auch die Zukunft des Museums.«
»Ich weiß, daß Ihre Motive über jeden Zweifel erhaben sind, Margo«, sagte Moriarty. »Aber bei Bill bin ich mir da nicht so sicher.«
»Meine Motive sind so rein wie die Seele eines neugeborenen Lämmchens«, entgegnete Smithback. »Rickman versucht, die Zitadelle der journalistischen Wahrheit zu stürmen. Ich brauche dringend etwas, um ihren Angriff abzuwehren.«
»Wäre es denn nicht viel einfacher für Sie, genau das zu tun, was Rickman von Ihnen verlangt?« fragte Moriarty. »Ich finde Ihren Kleinkrieg offen gestanden ein wenig kindisch. Und wissen Sie, was? Sie können ihn niemals gewinnen.«
Die Drinks wurden gebracht, und Smithback trank seinen Scotch wieder ex. Dann atmete er genußvoll aus.
»Eines Tages werde ich diese Kuh schon noch drankriegen«, sagte er.