Kapitel 39

"Du kennst das Spielchen", sagte der Ewige Imperator. "Keine Bewegung. Weder eine hastige noch sonst eine."

Er hörte sich fast beschwingt an. Voller Selbstvertrauen. Sten beging jedoch nicht den Fehler, ihn als überheblich einzuschätzen. Er rührte sich nicht von der Stelle.

"Und jetzt... Zieh den Raumanzug aus. Sehr langsam, wenn ich bitten darf."

Stens Hände bewegten sich auf die Verschlüsse zu. Einen Augenblick später lag der Raumanzug auf dem Boden. Jetzt trug er nur noch den

overallähnlichen Schiffsanzug.

"Kick ihn weg", befahl der Imperator. "Mit einem satten, kräftigen Tritt, wenn ich bitten darf."

Sten gab dem Anzug einen Tritt, und er flog in eine Ecke.

"Jetzt gehst du zur Wand dort drüben", befahl der Imperator.

Sten ging. Er blieb erst stehen, als seine Nase die Wand berührte.

"Jetzt darfst du dich umdrehen", sagte der Imperator.

Sten drehte sich um. Sein alter Boß saß halb auf einem Tisch, halb lehnte er daran. Auf seinem Gesicht lag ein zufriedenes Grinsen. Die Pistole in seiner Hand zielte, ohne zu zittern, auf Sten.

"Schön, dich zu sehen", sagte der Imperator. "Ich dachte schon, du kommst überhaupt nicht mehr."

Seine freie Hand griff nach der Flasche Scotch, die auf einem Tablett stand. Ohne den Blick von Sten zu nehmen, goß sich der Imperator einen Drink ein.

"Tut mir leid, daß ich dir keinen anbieten kann", sagte der Imperator. "Aber du wirst meine Unhöflichkeit verstehen." Er nahm einen Schluck aus dem Glas.

Sten verstand ihn nur zu gut. Er würde alles Erdenkliche in seinen Händen zu einer Waffe umfunktionieren. Dazu reichte ein Stück Papier. Ein Glas war natürlich wesentlich besser.

Seit dem Augenblick, in dem die Stimme des Imperators erklungen war, hatten seine Mantis-Sinne das Kommando übernommen. Atmung und

Herzschlag waren ruhig und gleichmäßig. Die Muskeln entspannt, aber jederzeit bereit. Das Gehirn lief auf Hochtouren, erfaßte jedes Detail des Raums.

Die Augen maßen die Entfernung zwischen ihm und dem Imperator. Ein bißchen weit, aber machbar.

Er wußte nicht, weshalb er noch am Leben war.

Es kümmerte ihn auch nicht. Vielmehr konzentrierte er sich mit allen Sinnen darauf, diesen Zustand aufrechtzuerhalten.

"Vermutlich ist dir klar, daß du mir sagen mußt, wer sonst noch davon weiß", sagte der Imperator.

"Und wo deine Verbände stehen."

Sten zuckte die Achseln, sagte jedoch nichts dazu.

"Ich werde dich nicht mit Folter behelligen", fuhr der Imperator fort. "Aus Respekt für unsere ehemalige Verbundenheit. Außerdem steht mir hier an Bord ein bestens geeigneter Gehirnscanner zur Verfügung. Vielleicht schon ein bißchen veraltet, das Gerät; es geht manchmal ein wenig zu sorglos mit den lebenswichtigen Zellen um."

Er nahm noch einen Drink. "Aber das ist nichts, worüber du dir Sorgen machen müßtest. Sollte es dich in Gemüse verwandeln, dann bist du wenigstens totes Gemüse."

"Glückwunsch", sagte Sten. "Sieht so aus, als hätten Sie an alles gedacht."

Der Imperator grinste. "Ts, ts, ts. Kein >Euer Majestät< mehr? Oder >Euer Hoheit<? Keine respektvolle Anrede mehr für deinen alten Boß?"

"Wenn erst der Respekt flötengeht, verliert sich diese Angewohnheit rasch."

"Kein Grund zu billigen Beleidigungen."

"Das sollte keine Beleidigung sein", meinte Sten.

"Nur die Feststellung einer Tatsache."

Der Imperator lachte gutgelaunt. "Du wirst es kaum glauben, aber ich habe dich wirklich vermißt.

Du kannst dir nicht vorstellen, wie langweilig und inkompetent die Leute sind, die ich jetzt so um mich habe."

"Hab davon gehört", erwiderte Sten. "Besonders der Kerl, wie hieß er noch gleich, der diese Schießbudenfiguren in den Sturmtruppenanzügen befehligte?"

"Poyndex", antwortete der Imperator. "Danke übrigens für die Schützenhilfe. Ich wußte noch nicht so recht, wie ich ihn loswerden sollte."

"Gern geschehen. Ich werde Kilgour das Lob ausrichten."

"Wahrscheinlich hast du jetzt vor, ein wenig Zeit zu gewinnen. Das Unvermeidbare hinauszuzögern, bis du irgendwo eine Chance siehst."

Sten antwortete nicht.

"Wenn es dir Spaß macht, bitte sehr", sagte der Imperator. "Nur weiter. Von mir aus. Aber ... kriege ich denn überhaupt keine Komplimente für meine Unterkunft hier?" Er gestikulierte mit der freien Hand. Eine Geste, die das gesamte weiße Schiff umfaßte ... und alles andere. "Schließlich habe ich sehr viel Zeit und Ideen hineingesteckt."

"Wirklich nett", sagte Sten trocken. "Dumme Sache, dieser Meteorit."

Die Miene des Imperators verfinsterte sich. "Die Wahrscheinlichkeit eines derartigen Treffers lag bei eins zu einer Billion. Der Schaden wird aber bald behoben sein." Seine Stimme hatte einen spröden Klang angenommen. Irgend etwas hatte ihn verletzt.

"Ist deshalb alles schiefgelaufen?" fragte Sten.

"Eigentlich nicht", gab der Imperator zurück.

"Zugegebenermaßen gab es einige Schwierigkeiten, aber im großen und ganzen gesehen ist eher eine Verbesserung eingetreten."

"Dann sind Sie jetzt viel zufriedener mit sich?"

vermutete Sten.

"Das bin ich. Einige ... Schwächen ... wurden ausgemerzt."

"Etwa die Bombe in Ihrem Bauch?" Damit ließ Sten den nächsten Knaller los.

Der Imperator reagierte erschrocken. Dann lachte er. "Das hast du also auch herausgefunden?"

"War gar nicht so schwer", sagte Sten. "Sie können sich erneut bei Kilgour bedanken." Dann fixierte er den Imperator mit einem unerbittlichen Blick. "Nicht schwerer, als allem anderen auf die Spur zu kommen. Natürlich hat uns Mahoney den einen oder anderen Tip gegeben. Ian hatte alles mehr oder weniger beisammen."

"Ich vermisse ihn", sagte der Imperator mit sehr leiser Stimme.

"Ich kann mir vorstellen, daß Sie eine ganze Menge Leute vermissen", kommentierte Sten sarkastisch.

"Stimmt", pflichtete ihm der Imperator überraschenderweise bei. "Ich vermisse wirklich viele von ihnen. Besonders Mahoney. Er war mein Freund." Er warf Sten einen eigenartigen Blick zu.

"Das dachte ich ... früher einmal... auch von dir."

Sten lachte laut auf. "So behandeln Sie also Ihre Freunde? Setzen sie auf eine Todesliste und numerieren sie von oben nach unten?"

Der Imperator seufzte. "In meinen Schuhen zu stehen, ist wesentlich schwerer, als du dir das vorstellen kannst. Da gelten andere Regeln."

"Ja, ja, ich weiß schon. Die lange Sicht. Das Gesamtbild. Komischerweise habe ich den Kram geglaubt, solange er Sie betraf. Zumindest habe ich ihn nicht in Frage gestellt."

"Es gibt wirklich keine andere Möglichkeit, die Dinge unter Kontrolle zu behalten", sagte der Imperator. "Ich habe es nur zum Besten von uns allen getan. Dabei ist sicherlich viel Leid geschehen.

Leben bedeutet nun einmal Leiden. Aber wenn du dir die letzten paar tausend Jahre betrachtest, hat es bei weitem mehr gute als schlechte Jahre gegeben."

Er hob sein Glas erneut, trank einen Schluck und setzte es wieder ab. "Du hättest mal sehen sollen, wie es war, bevor ich ... anfing."

"Bevor Sie das AM2 entdeckten?"

"Richtig. Davor. Du hättest diese

schwachsinnigen Ergebnisse jahrhundertelanger Inzucht sehen sollen, die überall das Sagen hatten.

Herrje, wenn ich nicht gewesen wäre, würde die Zivilisation auch heute noch aus einer Handvoll Sonnensystemen bestehen."

"Das glaube ich unbesehen", sagte Sten.

Der Imperator hielt inne und starrte ihn an. "Du hältst mich für verrückt, habe ich recht? Sag's mir, du kannst mich nicht mehr beleidigen."

Sten scherte sich nicht darum, ob er sich beleidigt fühlte oder nicht. "Ich halte Sie nicht für verrückt ich weiß mit Gewißheit, daß Sie es sind!"

"Vielleicht war ich das ... früher einmal", erwiderte der Imperator. "Aber jetzt nicht mehr. Seit der Meteor dieses Schiff segnete. Sobald ich mir darüber ... im klaren war ... als mir bewußt wurde ...

daß etwas anders war. Vollkommen anders. Und ungeahnt besser."

"Besser als das alte Modell?" rief Sten, der sich an den Raum mit den biologischen Wannen und der chirurgischen Ausrüstung erinnerte.

"So kann man es wohl ausdrücken", antwortete der Imperator. "Die Kette wurde unterbrochen. Es war an der Zeit, von neuem anzufangen. Mit unverbrauchten Ideen. Zur Errichtung einer neuen Ordnung. Selbstverständlich gilt es einige Opfer zu bringen. Ohne Opfer kann nichts Gutes entstehen."

"Solange es nicht das eigene Opfer ist", sagte Sten.

"Glaubst du das wirklich? Glaubst du wirklich, daß ... ich nicht selbst darunter leide?"

"Der Typ, der den Abzug betätigt", sagte Sten und nickte in Richtung der Pistole, "leidet nie so sehr wie derjenige am anderen Ende des Laufs."

"Du bist so verdammt zynisch." Der Imperator lachte. "Hast dich wohl zu lange in meiner Nähe aufgehalten. Aber so sind nun mal die Tatsachen.

Mein ... Vorgänger ... hat alles ziemlich den Bach runtergehen lassen.

Er hat die Sache mit den Tahn aus dem Ruder laufen lassen, um nur ein Beispiel zu nennen. Dann das Privatkabinett! Wie zum Teufel konnte ... er ...

diesen Idioten so viel Macht zugestehen? Reine Schwäche, das kann ich dir versichern.

Das Imperium hatte zuviel Fett angesetzt, war zu träge geworden. Es war höchste Zeit, gehörig abzuspecken. Alles wieder auf eine gesunde Basis zu stellen. Ein Imperium unterscheidet sich kaum von irgendeinem anderen Unternehmen. Die Regeln des Kapitalismus erfordern in regelmäßigen Abständen ein Großreinemachen."

"Normalerweise erklären sich Geschäftsführer nicht zum Gott", konterte Sten.

Der Imperator stieß ein höhnisches Lachen aus.

"Sei doch nicht so blöd", sagte er. "Das Bild setzte allmählich Rost an. Es mußte mal wieder aufpoliert werden. Abgesehen davon gibt es eine lange Tradition, die Herrschaft von göttlichem Recht abzuleiten."

"Dann glauben Sie also nicht wirklich daran, daß Sie ein Gott sind?"

Der Imperator zuckte die Achseln. "Vielleicht glaube ich daran. Vielleicht auch nicht. Als ich zum letztenmal nachgeblättert habe, paßte

Unsterblichkeit ziemlich gut auf die Beschreibung."

"Götter steigen nicht aus Wannen mit Nährlösung", sagte Sten.

"Wirklich nicht? Vielleicht hat man mich falsch informiert. Aber da du offensichtlich schon die Bekanntschaft so vieler Götter gemacht hast, verneige ich mich vor deiner großen Erfahrung auf diesem Gebiet."

Der Imperator nahm noch einen Drink und stellte das Glas wieder auf dem Tablett ab. "Du wirst es zwar nicht mehr erleben", sagte er, "aber ich kann dir versprechen, daß sich alles zum Besseren wenden wird. Vielleicht tröstet dich das ein wenig."

"Besser als was?" knurrte Sten. "Sie sind doch nur eine neue Falte auf einer alten, häßlichen Fratze.

Ich habe zu viele junge Leute für diese Fratze in den Tod geführt. Verdammt noch mal, ich habe selbst ganze Friedhöfe dafür gefüllt. Und wofür? Für zwanzig oder dreißig Jahrhunderte voller Lügen? Sie halten sich für einzigartig. Für den größten Imperator des größten Imperiums der Geschichte.

Von meiner Warte aus - armer Sterblicher, der ich bin, dem nur ein paar lächerliche Jahre zustehen sind Sie keinen Deut besser ... oder schlechter als jeder andere Tyrann."

"Eine überaus stimulierende Unterhaltung", sagte der Ewige Imperator. "Es ist schon lange her, seit ich einem so interessanten Gedankenaustausch frönen durfte. Mir wäre es wirklich lieber, es gäbe einen anderen Weg. Wirklich."

Er hob die Pistole. In Stens Gehirn schrillten sämtliche Alarmglocken. Halt! Was ist mit dem Gehirnscan? Er hatte geglaubt, er hätte noch ein bißchen mehr Zeit.

"Ich bin zu der Ansicht gelangt", sagte der Imperator, "daß es viel zu riskant ist, dich aus diesem Raum herauszulassen. Um wirklich absolut sicherzugehen, muß ich wohl oder übel eines dieser Opfer darbringen, von denen ich vorhin gesprochen habe ... und dich gleich hier töten."

In diesem Augenblick plärrte eine Stimme mit voller Lautstärke los: "Die beiden Organismen an Bord dieses Schiffes rühren sich nicht von der Stelle!"

Stens Kinnlade klappte nach unten. Was zum Teufel ging hier vor? Er sah die Überraschung im Gesicht des Imperators. Und die Furcht. Aber die Pistole senkte sich nicht.

"Die Analyse der Zusammensetzung und Absichten dieser Organismen wurde soeben abgeschlossen", fuhr die Stimme fort. Es mußte sich um den Zentralcomputer des Schiffs handeln.

Die Beurteilungsmaschine des Imperators.

"Die Anweisung des Primärorganismus, die Anwesenheit des eingedrungenen Organismus zu tolerieren, wird hiermit für nichtig erklärt. Der fremde Organismus ist ein Feind. Er muß getötet werden."

>Na prima<, dachte Sten, ein wenig irritiert.

>Tod durch Erschießen. Oder Tod durch das Schiff.

Wo liegt da der Unterschied?<

"Der Primärorganismus wurde ebenfalls für fehlerhaft befunden", fuhr die Stimme des Schiffs fort, "und als Mißerfolg eingestuft. Er wird ebenfalls vernichtet."

Sten sah, wie der Imperator voller womöglich noch größerer Überraschung zusammenzuckte. Die Pistole senkte sich.

Es war Stens erste und einzige Chance.

Er hechtete auf den Imperator los.

Sten 8 Tod eines Unsterblichen
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