den
ultraluxuriösen Teil von Fowler, die weitläufigen Anwesen der Wohlhabenden, die sich so nahe wie möglich um den Imperator und seinen Palast angesiedelt hatten.
Jetzt würde sich seine Tauschaktion mit den Registrierplaketten in der vergangenen Nacht bezahlt machen, falls überhaupt schon jemand etwas bemerkt hatte. Wenn es bereits aufgefallen war und ihn die Bullen anhielten, dann erwarteten sie einen Scherzbold, keinen Kriminellen. Bedauerlich für sie, dachte er, und vergewisserte sich, daß die Pistole in seinem Schoß geladen und gesichert war.
Das Imperiale Gelände rings um Arundel war von einer Mauer umgeben und mit allen erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen ausgestattet. Alex parkte seinen gestohlenen Wagen in der Straße, die am dichtesten an der Mauer vorbeiführte, und schulterte seine Ausrüstung. Noch eine Rechtfertigung für die vertauschten Plaketten. Wenn der Wagen als gestohlen gemeldet wurde, tauchte er auf dem Fahndungsblatt jedes Streifenbullen auf, weil die Karre einem Reichen gehörte. Jedenfalls seine Registriernummer. Und diese Plakette befand sich an einem völlig anderen Fahrzeug am Tatort des Diebstahls, was die ganze Situation noch mehr durcheinanderbringen dürfte.
Kilgour brauchte den teuren Sportgleiter an der Stelle, an der er ihn geparkt hatte, und er brauchte ihn dort mindestens drei Tage lang - und er wußte, daß jeder Geldbezirk, besonders einer, der so dicht an Arundel lag, patrouilliert wurde. Außerdem hatte er den Wagen für seine wilde Flucht eingeplant, zusammen mit Poyndex zurück nach Ashley-on-Wye.
>Verwirrung allen meinen Feinden<, dachte er, als er auf der Straßenseite gegenüber der Mauer saß und die Sicherheitseinrichtungen in Augenschein nahm. Innerhalb von zwei Stunden hatte er das System des Imperators im Kopf. Eine Wache zu Fuß alle anderthalb Stunden, dazu eine, die gut genug ausgebildet war, um ihre Runden zu variieren. Ein Sensor direkt vor der Mauer. Einer obendrauf. Der gerollte Z-Draht auf der Mauer selbst war wahrscheinlich präpariert. Er war sich ziemlich sicher, in einer Baumkrone auf der anderen Seite einen Schwenkarm gesehen zu haben. Ein Überflug pro Stunde. Dazwischen eine Gleiterpatrouille auf der Straße.
>Amateure<, grinste Kilgour höhnisch. >Von der billigsten Sorte.< Bei Mantis bestand ein Standardtest in der Aufgabe, aus einem
Hochsicherheitsgefängnis innerhalb eines E-Tages auszubrechen, dabei galt dieser Test innerhalb der Sektion nicht einmal als einer der kniffligsten.
>Höchste Zeit, mein Junge.< Er ging über die Straße, durch die Sicherheitsvorkehrungen hindurch, und war in weniger als zehn Minuten jenseits des im Baum verborgenen Aufnahmegerätes.
>Ts, ts, ts<, dachte er. >Der Imp ist nicht nur gaga, er heuert auch schon Hirntote an, die er herumscheuchen kann.<
Ab jetzt würde es allerdings haariger werden.
Zwischen ihm und Schloß Arundel lagen 27
Kilometer unbewohntes Wald-und Sumpfgebiet.
Was normalerweise eine morgendliche Jogging-Distanz war, kostete ihn drei Tage und viermal beinahe das Leben. Hunde. Noch mehr automatische Sensoren aller erdenklichen Arten und Bauweisen, angefangen von seismischen über UV und
Bewegungsdetektoren bis hin zu allem anderen, was der Sicherheitschef des Imperialen Hofstaates zu bieten hatte. Dazu waren die Geräte an
unwahrscheinlichen Orten untergebracht. Dann unregelmäßige Patrouillen. Flugüberwachung. Und doch hätte es schlimmer kommen können. Ein Schwachpunkt bestand darin, daß der Imperator darauf bestanden hatte, daß die
Sicherheitsvorkehrungen so unauffällig wie möglich sein mußten. Das bedeutete, daß Todesstreifen, Minenfelder und Suchscheinwerfer im
Schachbrettmuster von Seiner Ewigkeit untersagt worden waren.
Alex erinnerte sich daran, daß er Sten gegenüber einmal damit geprahlt hatte, er könne etwas "im Schlaf erledigen und dabei noch ein Kanu hinter sich herziehen". Jetzt kam es ihm so vor, als würde er genau das tun, denn er hatte die McLean-Trage. im Schlepptau, auf die er den bewußtlosen Poyndex legen wollte, was wiederum die Last auf dem Rückweg zur Mauer auf nur wenige Kilo reduzieren würde.
Er bewegte sich immer nur wenige Meter weiter, überprüfte seine Spur und verwischte sie, falls nötig.
Er schlief nicht, sondern kauerte sich nur hin und wieder zum Verschnaufen unter der Tarndecke zusammen, bis er sich etwas erholt hatte und seine Konzentration voll zurückgekehrt war. Er defäkierte nur in Bächen und Flüssen, und seine leeren Rationspackungen nahm er mit. Einmal kam er an einen Teich, versuchte, sich den versprochenen Wonnen der getrockneten Fleischstreifen hinzugeben, als ein Rudel Hunde die Ufer in Besitz nahm.
Endlich kam Arundel in Sicht; das Schloß hob sich dunkel vor einem gleißenden Himmel ab. Seine Schießscharten kamen ihm wie Augen vor, die ihn unablässig anstarrten. Und die Zinnen seiner Brustwehr ... er schaltete seine Phantasie aus.
Alex verstaute die Trage in einem dichten Gestrüpp. Er war noch voll in seinem Zeitplan: es war später Vormittag am ersten Tag des
Wochenendes. Bis zum Abend mußte er sich innerhalb der Mauern befinden, andernfalls mußte er sich eine ganze Woche versteckt halten.
Was er, falls nötig, auch tun würde. Anders war es ihm jedoch lieber.
Zwischen ihm und der 200 Meter hohen, in einem Winkel von 50 Grad geneigten Mauer des Burghofs befand sich nichts mehr; tief hinter den dicken Wänden lagen Büros und Lagerräume für das mannigfaltige Personal Arundels. Am späten Nachmittag wurde es ein wenig laut, und er vermutete, daß die Palastangestellten, die an einem eigentlich freien Tag hier hatten arbeiten müssen, sich in aller Eile auf den Weg zur Pneumo-Bahn machten, die sie unterirdisch nach Fowler zurückbringen würde.
Er wußte auch, daß sich unter ihnen die Glückspilze der Palastwache befanden, die einen Urlaubsschein bekommen hatten.
In Arundel blieb nur eine Art Notbesatzung zurück, dazu das Personal, das andere
unaufschiebbare Aufgaben zu erledigen hatte, die Workaholics und der komplette Stab der
unverzichtbaren Palastbediensteten, also Köche, Bäcker, Wäschereileute und Butler.
>Was für ein Aufstand<, dachte Alex. >Es gab mal 'ne Zeit, da wurde Wert darauf gelegt, daß das gesamte Personal aus Ex-Gardisten oder Ex-Mantis-Angehörigen bestand. Aber die hat unser guter Poyndex alle abgeschafft und durch andere Leute ersetzt, bei denen als Qualifikation ausreicht, hirnlose Bewunderer des Imperators zu sein.< Dazu kamen die Sicherheitsleute.
Keine Gurkhas. Die waren schon lange weg.
Auch keine Prätorianer. Diese Truppe war, nachdem ihr Colonel sie zu einer Privatarmee zum Sturz des Imperators umfunktioniert hatte, nie wieder reformiert worden. >Das war dein Problem, Kumpel<, dachte er in Erinnerung an den verstorbenen Colonel Fohlee. >Du warst das, was man einen hervorragenden Antifaschisten nennt.
Und für deine fehlgeleitete Überzeugung haben sie dich durch den Fleischwolf gedreht.< Jetzt bestand die Wache aus der Inneren Sicherheit, Poyndex' eigenen Leuten, von denen niemand aus der Sektion Mantis oder von Mercury, der einmal mit ihnen zu tun gehabt hatte, sonderlich beeindruckt war.
>Heute nacht wird sich zeigen<, dachte Kilgour,
>ob alles reiner Neid oder wohlbegründet ist.< Es gab noch zwei andere Personen, die sich im Schloß aufhielten.
Einmal Poyndex. Sten hatte recht - er verließ sein Quartier und seine Büros innerhalb der
Schloßmauern nur selten.
Und noch einer.
Der Ewige Imperator.
Kilgour dachte darüber nach, während er wartete.
>Wäre das nicht die einfachste Lösung? Eine Lösung, die Sten eine Menge Schweiß, Ärger und Tüfteleien ersparen würde ? Komme ich überhaupt nahe genüg an ihn heran? Höchstwahrscheinlich nicht. Allzuviel Ehrgeiz schadet nur<, rief er sich ins Gedächtnis, >und meistens versaut man dadurch die ganze Kiste nur, statt mit dem Mädel und dem Klumpen Gold nach Hause zu ziehen.
Poyndex ist mein Goldjunge, und sonst nix.< Nach Anbruch der Nacht, nachdem er die
fliegende Patrouille ausgekundschaftet hatte, verließ er sein Versteck, schob sich den 50-Grad-Steilhang zu den Burghofmauern hinauf, bis unmittelbar unterhalb der Mauerkrone - das, was man das Schanzwerk nennt. Er folgte der Linie, die im Zickzack vor und zurück sprang, bis er unter der hohen Mauer von Arundel selbst stand, die 700
Meter über ihm bis zu den Zinnen hinaufragte. Alex zog sich die Stiefel aus und verstaute sie in seinem Rucksack.
>Und jetzt die große Spinnennummer<, dachte er und schob sich seitlich an die Mauer heran.
Vorsprünge zwischen den Steinblöcken ...
Fingerspitzen ... Halt für die Zehen ... er kroch seitlich weiter, auf die Stelle zu, an der die gewaltigen Schwingtore den Haupteingang zum Schloß versperrten.
Mit Klettergarn und Jumars wäre es einfacher gewesen, doch er wollte das Risiko nicht eingehen, in Fowler eine derartige Kletterausrüstung zusammenzukaufen. Und diese Mauer war nicht unbedingt zum Fensterln gedacht. Er schluckte einmal kräftig, als ein Steinbrocken unter seinen Fingern nachgab, seine Zehe krümmte sich automatisch, rutschte weg, und Alex hing an zwei Fingern und seinem anderen Fuß, und er hörte, wie das winzige Steinbröckchen dreißig Meter weiter unten auf dem Paradeplatz landete, ein Krachen und Poltern, ein Echo, das sich im ganzen Burghof wieder und wieder brach, lauter als eine Lawine, lauter als ein Kanonenschuß, fast so laut wie Alex'
keuchende Atemzüge.
Er preßte sich an die Mauer. >Du hättest vor deiner Abreise zur Übung ein paar Kletterpartien absolvieren sollen, Kumpel. Wo? Na, immer an der Wand des großen Hangars der Victory rauf und runter. Nur nicht schlappmachen.<
Er hielt erst schräg über den Torflügeln an. Jetzt mußte er es sich zunächst einmal gemütlich machen.
Was ihm auch gelang. Er trieb die schwere Klinge seines Messers in eine Fuge und stellte sich darauf.
Und er fand eine gute Griffmöglichkeit, wo sich alle vier Finger an den Stein klammern konnten.
>Ich könnte hier glatt tanzen.<
Ein Blick auf die Uhr. >Ein paar Minuten bis zur ersten Wachablösung<, dachte er. >Mein Timing ist perfectamente.<
Genau um 19 Uhr 50 flogen die Flügel des Tores krachend auf; die Wachablösung nahm ihren Lauf.
Alex schaute mit dem Blick des professionellen Betrachters zu.
Der Vorgang diente sowohl zeremoniellen Zwecken als auch der Sicherheit. Die gesamte Wachmannschaft kam herausmarschiert, an der Spitze der Gardeoffizier und der Wachhabende Kommandant. Bei jedem Wachtposten machte die Formation halt, die Garde rief die Wache heraus -
>Nette Geste, das<, dachte Alex. >Wenn schon Abend für Abend ganze Clans eigenartiger Truppen durch Arundel marschieren, muß man ja nicht unbedingt mit Fremden mitgehen< -, der Aufforderung wurde Folge geleistet und der Posten abgelöst. Er präsentierte das Gewehr und begab sich im Laufschritt ans Ende der Formation, während seine Ablösung aus dem vorderen Teil der Formation seinen Posten übernahm. Dann
marschierte der Trupp mit viel Getöse und Getrampel zum nächsten Posten und der nächsten Ablösung.
Alex hing zufrieden über ihnen und betrachtete sich die Blödheiten der Inneren Sicherheit. Er wußte, daß in einer militärischen Formation niemals jemand nach oben sah, auch nicht nach unten oder nach links oder rechts, aus Angst, sofort von einem Offizier oder Unteroffizier zur Sau gemacht zu werden.
Da es sich hier um eine Zeremonie handelte, waren die schwarzen Uniformen der IS, die in der Nacht durchaus praktisch und funktional waren, mit einem weißen Koppel, Helm, Epauletten und Handschuhen plus weißen Gurten an ihren Willyguns aufgemotzt. > Wenigstens haben sie diese blöden Paradeknarren ausgemustert, mit denen die Prätorianer immer antreten mußten<, dachte Alex.
Sie waren, schloß er, in höchstem Maße arglos; als Beweis für diese These diente ihm nicht zuletzt die Tatsache, daß jemand auf die Idee gekommen war, die Sohlen und Absätze ihrer Stiefel mit Eisen beschlagen zu lassen. >Diese Schwachköpfe hört man schon auf eine Meile Entfernung. Wie lang auch immer eine Meile sein mag.<
Schließlich hatte das Knallen der Stiefelabsätze und -sohlen, das Donnern der auf den Boden gerammten Gewehrkolben und das Klatschen der behandschuhten Hände gegen die Gewehrläufe ein Ende, und die alte Wache verschwand wieder in Richtung Arundel.
>Und jetzt<, dachte Alex, der sich bei dem Anblick prächtig amüsiert hatte, >werden wir mal sehen, ob dieser Paradeplatz nur ein fauler Zauber ist.< Vor Vergnügen wäre er beinahe von seinem Hochsitz gefallen.
>Ach du Schreck, mein mutig' Herz<, dachte er in Erinnerung an seine Schulzeit, >laß diese Zeremonie wohl heilsam sein.
Jetzt sind es noch zwei volle Stunden. Um 22 Uhr ziehe ich weiter.
Die beste Zeit für einen Überfall - oder ein heimliches Eindringen - sind entweder die Stunden kurz nach Mitternacht oder die Zeit vor dem Morgengrauen, wenn sämtliche Energien
heruntergefahren sind und alles schläfrig ist.
Normalerweise.
Aber Kilgour war noch gerissener. Deswegen hatte er sich für den Angriff auf eine Festung in Friedenszeiten ein Wochenende ausgesucht. Jeder, der keinen Urlaubsschein hat, ist entweder pleite, steht bei seinem Vorgesetzten auf einer schwarzen Liste, ist einsam und hat keine Freunde, ist Berufssoldat oder ganz allgemein genervt, weil er diesmal dran ist mit Dienstschieben. Außerdem nehmen viele Vorgesetzte, wenn sie nicht zum Dienst eingeteilt sind, selbst gerne an Wochenenden frei.
Wenn man diese Fakten kombinierte, blieben unterm Strich nur Leute, die Dienst nach Vorschrift absolvieren mußten und ganz allgemein nicht besonders gut gelaunt waren.
Kilgour überließ auch hier nichts dem Zufall und wählte die Zeit sorgsam aus. Die erste Schicht war die von 18 bis 20 Uhr. Das waren die Wachen, die direkt vom Essen kamen, aber trotzdem ziemlich wachsam waren, wenn auch aus keinem anderen Grund als dem, daß der Wachhabende seine Runde wahrscheinlich in ihrer Schicht drehte. Die zweite Wache war von 20 bis 22 Uhr. Nicht schlecht, aber immer noch ein bißchen früh. Noch immer zu viele Leute unterwegs. 22 Uhr. Die erste Runde der dritten Wache. Sie waren satt, hatten genug Zeit gehabt, sich gelangweilt im Wachraum
herumzudrücken oder die Kantine aufzusuchen, falls die Basis über eine solche verfügte, um dort ein tröstendes Bierchen zu trinken oder eine Runde Karten zu spielen. Arundel verfügte über, eine Kantine, die Bier und Wein ausschenkte. Dann wurde es Zeit, nach Möglichkeit militärisch überzeugend auf dem Posten auf und ab zu gehen, immer in dem Bewußtsein, daß man um Mitternacht abgelöst wurde. Wenn es soweit war, ging man lieber ins Wachhaus zurück, als sich in die eigene Unterkunft und das eigene Bett zurückzuziehen, nur um etwas später, um 4 Uhr, für die nächste Tour geweckt zu werden. Perfekt.
Kilgours größte Sorge bestand darin, daß die Typen von der IS ebenso subtil wie einst die Gurkhas waren. Damals, als die Gurkhas das Schloß bewachten, hatten sie die gleiche Routine und waren mit fast ebensoviel zeremoniellem Pomp
umhergepoltert, mit der Ausnahme, daß sie ihre Paradeuniformen nur zu zeremoniellen Anlässen angelegt hatten. Doch sie hatten ihre Pflichten sehr ernst genommen und auch ihre Kantine angewiesen, während der Dienstzeiten nur Tee und Süßigkeiten auszugeben. Aber die Gurkhas hatten ihre ganz eigene, unangenehme Seite, einen für die kleinen braunen Männer aus Nepal geradezu
charakteristischen Zug. Sie hätten bedacht, daß ein so verschlagener Kerl wie Kilgour einer Paradeformation ganz einfach aus dem Weg gehen konnte. Deshalb hatte bei ihnen hinter der properen Oberfläche der Wachablösung immer ein kompletter Zug in Kampfanzügen und mit gezückten Waffen blutdürstig auf der Lauer gelegen.
Offensichtlich hatte die IS von diesem Dreh keinen Wind bekommen. Außer den Soldaten, die Alex gesehen hatte, gab es keine weiteren.
Als die Stiefel der Wachen sich um 21 Uhr 50
laut polternd näherten, mußte sich Kilgour zurückhalten, um nicht laut loszuprusten. Die dritte Wache kam hervor - Alex hörte den einen oder anderen Kantinenbesucher heraus, der nicht ganz im Tritt ging -und absolvierte ihren Rundgang. Die Formation kam zurück, die abgelösten Posten gähnten und sehnten sich nach einer Mütze voll Schlaf.
Kilgour glitt aus seinem Netz, ließ sich zum Paradeplatz hinab und marschierte hinter der Wache durch den Eingang, kurz bevor die Tore krachend zufielen.
Jetzt war er im Innern von Schloß Arundel.
Genau das war der Augenblick der größten Gefahr. Es handelte sich tatsächlich nur um einen Augenblick, denn länger wollte er um keinen Preis sichtbar bleiben.
Er huschte bis direkt hinter einen Wachtposten.
Vor ihnen lagen das Wachhaus und die Treppe, die zu dem großen Verlies führte, das nur zu Dekorationszwecken in Schuß gehalten wurde; jedenfalls hoffte Alex das. Schon einmal, in der Folge des großen Durcheinanders nach der Hakone
Verschwörung, war er dort gefangengehalten worden, zusammen mit fast allen Gurkhas.
Das Verlies war sein Ziel. >Da geh ich doch gleich freiwillig ins Gefängnis<, dachte er gutgelaunt und war im gleichen Moment von seiner Fröhlichkeit überrascht. Das Gefühl drohenden Unheils war jedoch noch ebenso mächtig. Sogar noch übermächtiger. Er befand sich in höchster Gefahr, fühlte sich aber trotzdem stark. Stark und sogar beschwingt. >Kein Wunder< dachte er mit einem gewissen Ekel, >wir Schotten haben schließlich was von den Briten auf den Kilt gekriegt.
Wir haben unsere Lieder und unsere gute Laune, und sie marschieren mit verbissenen Gesichtern weiter und treten uns in den Dreck.
Na schön. Dann komm schon, Tod.<
Das Wachhaus. Garde ... halt. Befehl... Gewehr ...
über. Präsentiert ... Gewehr. Eine Marschkolonne von links ... vorwärts, marsch. Die Wache ging nach innen, gefolgt vom Wachoffizier und dem Befehlshabenden. Kurz darauf drückte sich auch Kilgour in das Wachhaus.
Geklapper, Rufe, irgendwo rauschend eine Dusche, Gewehre wurden polternd in die
Halterungen gestellt, Matratzen ausgerollt, das laute Geschnatter junger Männer und Frauen, die gerade zwei Stunden militärisch auf und ab gegangen waren.
Niemand bemerkte den Mann im Overall, der an der offenen Tür vorbei in den Korridor huschte. Der Korridor endete vor einer dicken, mit allerlei ausgefuchsten Schlössern gespickten Tür.
Ausgefuchst und altmodisch. Es dauerte weniger als eine Minute, die drei Schlösser, die tatsächlich zugesperrt waren, ausfindig zu machen, eine weitere Minute, um sie so zu präparieren, daß sie hinterher noch intakt aussahen, und schon war Alex drinnen, oben auf der Treppe, die in das Verlies hinabführte.
Er schloß die Tür hinter sich und keilte sie fest.
Dann zog er die Stiefel an und machte sich an den Abstieg. Die steinernen Stufen waren ausgetreten, als wären schon Generationen von Gefangenen und ihren Wärtern diese via dolorosa gegangen.
Kilgours Taschenlampe beleuchtete die Kammer am Fuß der Treppe. Genau, wie er es in Erinnerung hatte, obwohl die Erinnerung trügerisch war. Aber Marr und Senn hatten beteuert, Arundel sei exakt nach den Plänen seines Vorgängers gebaut worden.
Die Tür zu der großen Aufbewahrungszelle stand offen; zumindest dieses Schloß mußte er nicht knacken.
>Wenn ich mich recht erinnere, kam der gute Sten ungefähr hier aus der Wand.< Kilgour drückte gegen den Stein.
Die Wand glitt geräuschlos zur Seite.
Alex Schob sich durch den Spalt.
Das war das "Geheimnis" von Arundel, obwohl es nicht sehr geheim war. Sten hatte es vor vielen Jahren, noch als Kommandant der Leibgarde, entdeckt. Arundel war von Geheimgängen
durchzogen. Sie zogen sich von den Gemächern des Imperators zu anderen Schlafzimmern, zum Verlies hinunter und bis zu anscheinend sinnlosen Zugängen in den Hauptfluren. Die Tunnels hatten sie beide sehr begeistert, damals, in einer anderen Zeit, mit einem anderen Imperator. Ein richtiges Schloß mußte auch Geheimgänge haben, und ein Imperator, der seinen romantischen Impulsen so nachgab, hatte sie durchaus beeindruckt.
Jetzt waren diese Passagen, wenn Marr und Senn sich nicht geirrt hatten und sie tatsächlich so angelegt waren wie im alten Arundel, ein weiterer Nagel im Sarg des Imperators.
Alex stieg die Wendeltreppe hoch, folgte der kurvenreichen Passage, wobei er stets das Bild der Außenseite des Schlosses, das er sich eigens eingeprägt hatte, im Hinterkopf behielt. Er brauchte den Gang, der zu der Flucht mit den Schlafzimmern führte.
Kilgours Stimmung hatte sich erneut verändert.
Jetzt kam es ihm so vor, als würde ihn jemand erwarten, doch das mochte ebensogut an den Kilotonnen Stein und der Dunkelheit liegen, die ihn umgaben.
Dort hinauf, immer höher.
Dreimal entdeckte er Sensoren und machte sie unschädlich. Doch hier, wie eine Ratte hinter den Wänden im Rücken der Sicherheitskräfte, die durch die Flure des innersten Heiligtums patrouillierten, kam er rasch voran. Eine Ratte, die sich immer dicht an der gemauerten Wand hielt, wie jeder erfahrene Schnüffler, der sich Treppen empor oder Korridore entlangschlich. Nicht nur, um immer eine möglichst gute Deckung zu haben, sondern weil Dielen knarren und ...
Abgestandene Luft?
Nein. Plötzlich war sie ganz frisch.
Alex sah sich nach einem Lüftungsschacht um.
Nichts als grauer Stein, oder eine synthetische, sehr echt wirkende Nachbildung, obwohl Alex den offensichtlich handbehauenen Markierungen nach schloß, daß die Passage ebensogut echt sein konnte.
Eindeutig frische Luft. Alex kniete sich hin und hielt die Handfläche flach über den Boden. Von dort kam es, hinter dieser großen Bodenplatte. Die Platte war eine Falltür. Wahrscheinlich wurde sie durch Druck aktiviert. Er kramte eine Hundertstel-CreditMünze aus der Tasche, schob sie durch den Spalt und ließ sie fallen. Ting... kling... kling...
Es ging sehr tief hinunter.
Eine Oubliette?
Alex dachte daran, die Tür auf zustoßen, ließ es aber sein. Vielleicht war sie mit einem Alarm gekoppelt. Oder ...
... die Oubliette könnte schon besetzt sein.
Kilgour ging weiter, eilig, und las sich dabei selbst die Leviten. >Du bist hier in den Katakomben, du Blödmann, und du kommst mit Verliesen und Ratten und erblindeten Gefangenen an, die schon vor Jahrzehnten in die Dunkelheit gestoßen wurden.
Das ist doch nix anderes als ein Müllschlucker. Oder eine Inspektionsluke. Oder der Imperator hat sie aus Gründen der Authentizität einbauen lassen.
Ach ja, der Kerl ist so ein Pedant, der bohrt Löcher in die Höhle, die außer ihm keiner je zu sehen kriegt, nur um sich eine seiner schicken Damen oder auch einen Herrn zu angeln.
Du blöder Trottel.<
Die lange Rampe endete schließlich in einem Korridor, breiter als alle anderen Gänge, durch die er bis jetzt gegeistert war.
>Ich glaube, das ist das erste Stockwerk.< Aber Alex wollte sichergehen. Und wieder störte ihn etwas. Eine Etage über ihm mußten die
Privatgemächer des Imperators liegen. Mitsamt dem Imperator darin.
>Wenn er sich nicht wie das Frettchen, das aus ihm geworden ist, unten in seinem Bunker versteckt, in den Katakomben, die sich bis zu den Toren der Hölle weit unter mir erstrecken. Ich sollte vielleicht mal kurz nachsehen<, schlugen seine Gedanken scheinheilig vor.
>Irgendwo hierin der Nähe müßte ein kleiner Bogen sein, außerdem Marmorstufen, die mich zu dem Kerl selbst hinaufführen.<
Es gab keinen Bogen. Nur solides Mauerwerk.
Alex berührte es an verschiedenen Stellen, um sicherzugehen, daß es sich nicht wieder um eine Geheimtür handelte. Es war keine Geheimtür.
>Na schön, der Bursche hat also nicht alles genau so gebaut, wie es mal war. Verrückter, paranoider Dreckskerls dachte er, aber mit einiger Erleichterung. Es bewahrte ihn davor, diesem wilden Drang nachzugeben, die Lösung mit einem wahnsinnigen Angriff auf das Herz des Feindes herbeizuzwingen.
Also machte er sich wieder auf die Suche nach der Beute, auf die er eigentlich aus war.
Alex fand eine Verkleidung - vielleicht zur Beobachtung gedacht -, die sich in den äußeren Flur aufklappen ließ. Er drückte sie einen Spalt auf ... und spähte hindurch.
Aha. Zwei Typen von der Inneren Sicherheit vor einer Flügeltür. Marr und Senn hatten ihm gesagt, daß man das gesamte Stockwerk umgebaut hatte.
Poyndex war der einzige, der hier wohnte, und nur Poyndex durfte so nah an dieses Zimmer
herankommen.
Alex lächelte.
Ein ganz anderes Lächeln als zuvor, als er wie eine Fledermaus über dem Eingang zum Schloß gehangen hatte.
Jetzt lag das Lächeln eindeutig auf dem Gesicht eines Tigers.
Poyndex fluchte leise vor sich hin. Die Enttäuschung spiegelte sich nicht in seinem Gesicht wider; er unterdrückte sie wie alle anderen Regungen. Er warf das Programm raus, das er soeben ausprobiert hatte, und ging wieder zum Anfang des Fiches zurück.
Ein leiser Kopfschmerz plagte ihn. Seine Augen fühlten sich an, als wären sie mit einem Sandstrahlgebläse bearbeitet worden.
Eigentlich hätte er den Computer ausschalten und ins Bett gehen sollen. Es war zwar noch nicht so spät, aber er hatte mehr als einen 20-Stunden-Tag hinter sich, den er zwischen seinen normalen Aufgaben als Chef der Inneren Sicherheit, den ständigen Anrufen des Imperators und seiner neuen Mission - der Vernichtung der Heimatplaneten aller Rebellen - aufteilte.
Er war das Terrorprogramm des Imperators wieder und wieder durchgegangen.
Zunächst erschien es ihm absurd. Nein, nicht absurd, hatte ihn sein Verstand korrigiert.
Wagnerianisch im Sinne der Götterdämmerung. Wie dieser Tyrann von der Erde - wie lautete sein Name gleich noch mal? Genau: Adolph der Gelähmte.
Aber das war unmöglich. Der Ewige Imperator konnte einfach nicht verrückt sein. Natürlich nicht.
Er erinnerte sich dunkel an einen der Lehrer aus seiner Jugend, der ihm von einem Diktator aus der Vergangenheit erzählt hatte, der seinen alten Boß gestürzt hatte und dann seine eigenen Leute rasch eine neue Verfassung schreiben ließ, die seinen Griff nach der Macht legitimieren sollte. Der Diktator hatte den ersten Entwurf zurückgewiesen und seinen Untergebenen gesagt, daß die neue Verfassung auf keinen Fall am staatlichen Einsatz von Terror als rechtmäßiges Mittel drehen durfte. Terror von oben, wurde es genannt. Es gab also einen Vorläufer für diese Politik.
Das Problem dabei war nur, daß er sich weder an den Namen des Diktators erinnern konnte, noch daran, ob seine Regierungszeit lang und schrecklich oder kurz und blutig gewesen war ... und er hatte absolut keine Zeit, genauere Recherchen anzustellen.
Nachdem er eine Weile darüber nachgedacht hatte, fand Poyndex den Plan des Imperators sehr verdienstvoll. Könnte dieser aufflackernde Nonsens einer Rebellion - die jetzt, da der "Befreier" tot war, eher mit dem Begriff "anarchisch" bezeichnet werden sollte - von einer gewaltigen, beinahe blitzschnellen Anwendung von Gewalt erstickt werden? Machiavelli jedenfalls hatte seinen Prinzen sofort nach seiner Machtergreifung angewiesen, alle seine Feinde auf einen Streich auszuschalten.
Das sollte nicht heißen, daß Poyndex niemals daran dachte, diese neue Imperiale Politik in Frage zu stellen. Er verhielt sich loyal. Vielleicht nicht unbedingt dem Imperator gegenüber, aber der neuen Faszination, daß es möglich war, ewig zu leben.
Ewig zu leben und ... zu herrschen?
Die Liste war fertig. Die Hauptwelt der Cal'gata.
Die sechs Kantonwelten der Honjo. Die siebzehn dezentralen Gebietshauptwelten der Zaginows. Vi, die Hauptwelt der Bhor. Und so weiter und so fort.
Die Todesliste wies unterm Strich 118 Planeten aus, die vernichtet werden sollten.
Eine derartige Aktion könnte durchaus
durchgeführt werden, denn noch immer verfügte das Imperium über mehr als genügend Schlachtschiffe mit absolut loyalen Besatzungen, die jeden Planeten in die Luft jagen würden, wenn es nur befohlen wurde.
Das Problem lag darin, daß der Ewige Imperator die Planetenvernichtung praktisch gleichzeitig ausgeführt haben wollte.
>Nach welcher Uhrzeit<, dachte Poyndex, >und nach welchem Kalender? Ortszeit? Zulu? Erstwelt?< Eigentlich hätte er sich darüber mit Admiral Anders und seinem Stab in Verbindung setzen müssen. Die Flotte mochte wohl etwas schwer von Begriff sein, aber jeder Flottenkommandant mit einer
Grundausstattung an logischem Denken müßte wohl in der Lage sein, dafür zu sorgen, daß die entsprechenden Schiffe rechtzeitig in ihrem Zielgebiet eintrafen - aber auch nicht zu früh, um keinen Argwohn zu erwecken. Der Imperator bestand jedoch auf einer absolut geheimen Operation, und das bedeutete, daß nur Poyndex und sein persönlicher Stab etwas von dem geplanten Blutbad wissen durften.
Poyndex erhob sich von seinem riesigen
Metallschreibtisch. Zusammen mit der restlichen technischen Ausstattung, die er um sich aufgebaut hatte, stach dieser Tisch schmerzlich von dem gedrechselten Holz und den Seidentapeten der Suite ab. Na und? Wenn diese Sache vorbei war, vielleicht kam dann der Tag, an dem er alles umbauen ließ.
Dann aber mit einigen seiner eigenen Ideen, und nicht nach den Vorstellungen eines schwachsinnigen Architekten, der davon überzeugt war, daß früher alles besser und schöner gewesen sei. Wenn er Zeit dafür hatte, wenn er nur einmal genug Zeit dafür hatte.
Aber dafür reichte die Zeit nie.
Vielleicht ein kleiner Schluck, um etwas Zucker in den Blutkreislauf zu bringen.
Poyndex ging zu einer kleinen Bar und
betrachtete die Flaschen. Der Scotch, den der Imperator bevorzugte und den Poyndex nicht ausstehen konnte. Diese schreckliche Substanz mit Namen "Goldschein" und ihr sogar noch schrecklicherer Kollege, dieses Gesöff namens Stregg, das der Imperator früher angeblich einmal gemocht hatte. Poyndex hatte es nur einmal probiert und sich geschüttelt. Nur ein Säufer oder ein Außerirdischer konnte so etwas trinken. Er nahm die Karaffe aus geschliffenem Glas mit dem
Mehrfruchtbrandy von seinem Heimatplaneten in die Hand, dem einzigen Schnaps, dem er etwas abgewinnen konnte, jedenfalls wenn er nicht mehr als hin und wieder einen Schluck davon zu sich nahm.
Nein, das war es auch nicht.
Er wandte sich dem Durchgang zu seinem
Schlafzimmer zu. Das war es, was er eigentlich wollte. Sich hinlegen. Schlafen. Einen ganzen Tag lang. Oder eine Woche. Ewig.
Es dauerte eine Sekunde, bis er den Mann bemerkte, der da im Türrahmen kauerte. Ein Mann in einem eigenartigen Tarnanzug. Sein Gesicht war geschwärzt. Und der lange Lauf seiner Pistole zielte auf die Mitte von Poyndex' Brust.
"Stehenbleiben", sagte Alex ganz ruhig.
Normalerweise hätte er begleitend dazu einen markerschütternden Schrei ausgestoßen, aber draußen vor der Tür standen zwei Wachen.
"Nicht atmen, nur auf mein Kommando", fuhr er fort, wobei er sich aufrichtete und auf Poyndex zukam; weder seine Augen noch der Pistolenlauf lösten sich von seinem Opfer.
"Sie sind Kilgour", sagte Poyndex und versuchte, sich den Schock nicht anmerken zu lassen. Ein kurzes Aufflackern von Stolz - er verspürte keinerlei Angst.
"Genau."
"Dann dürften Sie wissen, daß mein Tod das Imperium nicht aufhalten wird."
"Ehrlich?" fragte Kilgour mit höflichem Desinteresse. "Habe ich auch nicht vor. Der große Schlaf kommt noch nicht über dich, es sei denn, du machst Dummheiten, wie zum Beispiel laut schreien.
Zuerst gehst du von der Bar weg und drehst mir den Rücken zu; dann kniest du dich hin und verschränkst die Hände hinter dem Kopf. Los, Bewegung!"
Poyndex drehte sich um. Ging in die Knie, hielt dann aber inne.
"Da fällt mir gerade ein", sagte er, "wenn Sie nicht auf einem persönlichen Rachefeldzug sind ...
ist Sten dann noch am Leben? Hat er diese Operation befohlen?"
"Ich sagte, ich will dich auf den Knien sehen, Kumpel", wiederholte Alex, kaum mehr als flüsternd. "Also los."
Poyndex kniete sich hin ... und hob die Arme, bewegte sie hinter seinen Kopf. Alex streckte seine freie Hand mit der winzigen Betäubungsspritze aus.
Poyndex' rechte Hand zuckte zur Bar.
Kilgours Reflexe setzten ein.
Die linke Hand des Schwerweltlers ließ die Spritze fallen, ballte sich zur Faust und schoß nach vorne.
Traf. Genau auf die rechte Seite von Poyndex'
Nacken. Es knackte laut, Poyndex' Kopf knickte in einem unmöglichen Winkel zur Seite ... und sein Körper fiel nach vorne. Alex packte ihn, bevor er gegen die Bar stürzen konnte, und legte ihn sachte auf den Teppich ab.
Obwohl er wußte, daß er seine Zeit
verschwendete, überprüfte er den Puls, drehte Poyndex um und hob ein Augenlid an. Er hielt sogar sein Ohr vor Poyndex' Mund, in der Hoffnung, wenigstens einen schwachen Atemzug zu verspüren.
Nichts.
>Du Blödmann<, schrie ihn sein Bewußtsein an.
>Das hast du dir doch denken können! Bist du denn völlig bescheuert? Hast du dich nicht mehr unter Kontrolle? Es spielt doch keine Rolle, ob der Kerl hier Mahoney umgebracht hat oder ob er dem Imperator dabei geholfen hat, wer weiß wie viele andere abzuschlachten!
Du bist kein Profi<, dachte er angewidert und erhob sich.
Dann erblickte er den Knopf, der an der Unterseite der Bar eingelassen war. Er sah genauer hin. An der Vorderseite der Bar war nichts zu sehen.
Da. Über ihm. Ein wegklappbares Paneel, genau so, wie man es ihm bei der Grundausbildung gezeigt hatte. Was befand sich wohl dahinter? Eine Pistole?
Eine Gasdüse? Ein elektrisches Netz? Gekoppelt mit einer Alarmsirene? Was auch immer, es hätte ein Desaster ausgelöst.
>Tja, hab ich jetzt überreagiert, oder hab ich im Augenwinkel doch diesen Knopf gesehen?
Quatsch<, dachte er. Kilgour weigerte sich standhaft, an mehr als die üblichen fünf Sinne zu glauben. Dann fiel ihm auf, daß zum ersten Mal nach jener schlaflosen Nacht auf den Zinnen von Othos Burg, der Nacht vor so langer Zeit, als Cind zur Sprecherin der Bhor ernannt worden war, das Gefühl des drohenden Untergangs von ihm gewichen war,
>Bei allen Stuarts<, dachte er. >Jetzt trage ich dieses dumme Gefühl schon seit Ewigkeiten mit mir herum und stolpere wie ein Rekrut beim
Musterungsmarsch von Mantis durch die Gegend.
Und dann verschwindet es plötzlich mit Poyndex'
schmutziger Seele in den Äther.
Willst du damit etwa andeuten<, höhnte sein Bewußtsein, >daß du gespürt hast, daß hier ein Leben in die Waagschale geworfen werden mußte?
Daß einer von euch den Preis zahlen mußte, entweder du oder Poyndex ? Hör schon auf <, dachte er. >Ich habe keine Zeit für Highland-Teufel und Trolle.
Die einzige Frage lautet jetzt: Was tut das Milchmädchen, wenn es den Eimer umgekippt hat und die Hausfrau keine Katze besitzt ?< Kurz darauf fiel ihm die Lösung ein.
Er schulterte Poyndex' Leiche, ging ins Schlafzimmer und von dort aus hinter die Wandverkleidung in den Geheimgang.
Jetzt, da er sich kugelsicher fühlte, ging er rasch durch die Korridore, bis zu der breiten Bodenplatte.
>Na, wenn jetzt keine Minen oder Sirenen eingebaut sind, dann kann ich einfach nach Hause spazieren.< Er setzte Poyndex' Leiche auf dem Stein ab.
Der Stein klappte nach unten weg, und die Leiche stürzte in die Dunkelheit.
Kein Sirenengeplärr. Kein Getrappel von Wachen, falls es ein stummer Alarm gewesen sein sollte.
Nur ein Aufprall. Stille. Noch ein Aufprall.
Wieder Stille, sogar noch länger. Schließlich ein Platschen, als der tote Poyndex unten ankam.
Kilgour fragte sich erneut, was sich am Fuß dieses elend tiefen Schachts wohl befand. Er leuchtete mit seiner kleinen Taschenlampe in die Dunkelheit.
Nichts.
Er berührte die Steinplatte, die daraufhin geräuschlos wieder zuklappte und auf das nächste Gewicht wartete.
War das ein Müllschacht? Ein Abwasserkanal?
Alex schüttelte den Kopf.
Das würde er wohl niemals erfahren.
Er ließ sich noch einmal die Geschehnisse der letzten Minuten durch den Kopf gehen und nickte dann nachdenklich.
Was würde wohl passieren, wenn Poyndex'
Leiche nicht entdeckt wurde; zumindest eine gewisse Zeitlang nicht? Welchen Effekt hatte es auf die Innere Sicherheit? Und wie würde der Imperator darauf reagieren?
>Ziemlich gruselig<, dachte Kilgour. >Und das alles nur, weil Poyndex einen heftigen Klaps abgekriegt hat, statt wie geplant einem Gehirnscan unterzogen zu werden.
Keine schlechte Arbeit<, dachte er. >Ich bin doch nicht der Einfaltspinsel, für den ich mich noch vor wenigen Minuten gehalten habe.<
Er mußte zugeben, daß er sich ein Glas Bier und einen Schnaps verdient hatte. Und vielleicht sogar einen Mondscheinspaziergang mit Marl und Hotsco.
Nachdem er sich durstig gedacht und in
romantische Stimmung versetzt hatte, machte sich Kilgour auf den Heimweg.