Kapitel 23

Alva Sektor, A.D. 2193

Die Anzeige pulsierte hektisch rot auf dem Monitor. "Da! Schon wieder, Murph!" zwitscherte Vasoovan. "Auf ein Uhr."

Captain Murphy "Murph" Selfridge quetschte sich in den Navigationswürfel. Er war ein großer, kräftiger, ehemals athletischer Mann, der mit den Jahren ein wenig aus dem Leim gegangen war. Er beugte sich über seinen Ersten Offizier. Das Licht pulsierte ihm entgegen. Kea Richards sah zu, wie die plumpen Züge seines Kommandanten einen

ochsenhaften Ausdruck annahmen, während er verdutzt auf den blinkenden Punkt starrte. "Keine Ahnung", sagte der Captain schließlich. "Immer noch die gleichen Koordinaten?"

"Die gleichen verdammten Koordinaten, Murph", bestätigte Vasoovan.

"Bist du sicher, daß du keinen Mist gebaut hast?"

fragte Murph zur Sicherheit noch einmal nach.

"Vielleicht ist es besser, wenn du es noch einmal durchlaufen läßt."

Die Osiranerin seufzte den Märtyrerseufzer der Untergeordneten. "Wenn Sie meinen, Captain", zwitscherte sie. Schlanke rosafarbene Fühler bewegten sich flink über die Comp-Einheit, berührten Sensorfelder, drehten an Anzeigen.

Richards und die beiden Wissenschaftler verhielten sich still. Sie saßen um den winzig kleinen Tisch in einer Ecke der winzig kleinen Kommandozentrale dieser per Bastelanleitung zusammengenieteten Kiste von Raumschiff, die irgendein Verkaufsmanager auf den unpassenden Namen Destiny I getauft hatte, und hatten die Spielkarten in ihren Händen vergessen. Eine Destiny II gab es nicht. Das erste Modell war so miserabel konstruiert und hergestellt worden, daß nur die zehn Schiffe der ersten Serie gebaut worden waren. Und die hatte man nach Kilogramm verkauft. Richards'

knickerige Company hatte zwei davon gekauft und in Dienst gestellt. Die letzten fünf E-Monate hatte Richards sein ganzes Können als Chefingenieur dafür aufwenden müssen, daß die Destiny I nicht auseinanderbrach und weiterhin Kurs auf diese mysteriösen Signale aus dem Alva Sektor hielt.

Vasoovan bootete erneut. Der Bildschirm wurde dunkel und zeigte dann wieder ein Bild. Das Licht blinkte immer noch. Diesmal jedoch auf sechs Uhr.

"Was zum Kuckuck ist da los, Vasoovan?" wollte Murph wissen. "Wie kommt es, daß dieser Blödmann ständig um uns herumkreiselt?"

"Ich kann nichts dafür", protestierte Vasoovan, die allmählich sauer wurde. "Ich mache hier nur meinen Job. So wie alle anderen auch." Sie wandte dem Captain ihr großes ovales Gesicht zu. Vasoovan war von Natur aus mit dem permanenten Grinsen eines Raubtiers ausgestattet. Auch nach fünf Monaten ständigen Kontakts mit der

Nonhumanoiden bereitete Richards dieser Gesichtsausdruck Unbehagen. Er sah, wie zwei von Vasoovans Augenstengeln Murph auf der Suche nach Anzeichen einer Widerrede musterten. Die beiden anderen Stengel schwenkten über Murphs Kopf, um Richards und die Wissenschaftler zu beobachten.

Die Frau tat so, als bemerke sie nichts, und strich sich eine dunkle Locke aus den Augen. Der andere Wissenschaftler zeigte Vasoovansein wohlgeformtes Profil. Nur Kea starrte zurück. Er wußte, daß er der Osiranerin keinen Vorteil einräumen durfte. "Was gibt's da zu glotzen, Richards?" zwitscherte Vasoovan schrill.

"Offensichtlich nicht viel", sagte Kea. "Meiner Meinung nach ist es nicht sehr unterhaltsam, wenn man dem Captain und dem Ersten Offizier dabei zusieht, wie sie ständig heimlich herumtuscheln."

"Du hast keinen Grund zu meckern", sagte Murph. "Du kriegst dreifache Heuer für diesen Trip, außerdem einige saftige Bonusse, wenn wir wirklich etwas finden."

Richards zeigte auf das wandernde Licht auf dem Navigationsschirm. "Wenn das da unser Bonus ist, Captain", sagte er, "dann würde ich mir nicht erst den Kopf darüber zerbrechen, wofür ich das Geld nach unserer Rückkehr ausgebe. Von meiner Warte aus gesehen ist das Geld der Firma ziemlich sicher."

"Komm schon, Kea", drängte der Captain. "Sei nicht immer so negativ. Wir haben hier ein gutes Team beisammen. Und wir werden die Sache auf jeden Fall irgendwie schaukeln."

Kea zuckte die Achseln. "Klar, Murph. Wie du meinst."

"Die sind dran schuld", sagte Vasoovan und zeigte auf die beiden Wissenschaftler. "Das war doch alles ihre Idee. Wißt ihr, was ich glaube? Ich werde euch sagen, was ich glaube -"

Dr. Castro Fazlur, der Chefwissenschaftler der Expedition, unterbrach die Nonhumanoide. "Es glaubt doch tatsächlich, es sei in der Lage, Denkprozesse auszuführen, Ruth. Wirklich amüsant, was?" Seine Lippen verzogen sich zu einem nicht sehr amüsierten Lächeln.

Dr. Ruth Yuen, Fazlurs Assistentin und Geliebte, senkte ihren schönen Kopf. Sie versuchte sich aus der Schußlinie zu halten. "Na, komm schon, Ruth.

Sei ehrlich." Fazlur machte Druck. Sein feingeschnittenes Graufuchsgesicht schob sich nach vorne. "Findest du es nicht auch tragisch, daß die einzige angeblich intelligente Spezies, die die Menschheit im Weltall gefunden hat, aus diesen Dingern mit Fühlern dran besteht?"

"Paß bloß auf, Fazlur", zischte Vasoovan.

Der Wissenschaftler ignorierte die Warnung. "Ich würde sagen, es liegt an den Augenstengeln", sagte Fazlur. "Das meiste, was ein Osiraner oder eine Osiranerin an IQ aufzuweisen hat, geht für die Kontrolle dieser primitiven biologischen Funktion drauf. Das erklärt auch die begrenzte

Sprachfähigkeit. Dir ist sicher aufgefallen, Ruth, daß es den Slang, einer gemeinen Schiffsratte spricht.

Offensichtlich sind seine geistigen Fähigkeiten zu bescheiden, um das Vokabular eines zivilisierten Wesens anzunehmen."

Vasoovan wechselte die Farbe - von leichtem Pink zu sattem Rot. Ein kräftiger Tentakel entrollte sich, suchte nach einem schweren Objekt, das er werfen konnte, und zuckte sogleich wieder zurück, als der Captain ihm einen Klaps verpaßte. "Hört schon auf, Leute. Nicht so verbissen. Ich habe auch ohne euch genug Probleme", bat sie Murph.

Genau in diesem Augenblick spürte Kea, wie sich ein warmer, wohlgeformter Fuß gegen seine Wade drückte. Er wanderte sein Bein hinauf, schmiegte sich weiter oben an ... noch weiter. Ruths dunkle Augen blitzten. Ihre rote Zungenspitze befeuchtete ihre Oberlippe. Es war dieser Tamara-Blick.

Plötzlich stürzte die ohnehin schon beengte Welt der Destiny I über ihm zusammen. Er warf seine Karten auf den Tisch und sagte: "Ich hau mich noch ein bißchen aufs Ohr. Wenn ihr euch entschieden habt, wohin es als nächstes gehen soll, könnt ihr mich ja wecken." Er stand auf, wich Ruths verletztem Blick aus und verließ den Raum. Als er den Korridor entlangging, verebbte das vertraute Gebrabbel der sich streitenden Stimmen.

Zu seinem Erstaunen fand er die Naßzelle einmal nicht besetzt vor. Der Rest der Besatzung, insgesamt fünfzehn Leute, war entweder bei der Arbeit oder in der Koje. Das verschaffte ihm eine der seltenen Gelegenheiten, den Dreck abzuschrubben, den die überforderten Lufterneuerungssysteme der Destiny I unablässig ausspuckten. Seit Monaten liefen alle schon in dem immer penetranter werdenden Miasma ihres eigenen Gestanks herum und aßen

abgestandene Rationen absolut künstlich hergestellten Fraßes, denn der knappe Wasservorrat bedeutete gleichzeitig, daß sie so gut wie kein frisches Gemüse aus den hydroponischen Anlagen erhielten.

Die nadeldünnen Strahlen hörten schlagartig auf, als seine Heißwasserration aufgebraucht war, Kea verspürte nicht die geringste Reue, als er erneut auf den Knopf drückte und der Duschkopf wieder Wasser spie. Scheiß auf diese Geizhälse von der Company Ein herrlicher Nebel breitete sich in der Kabine aus. Kea trug dick Seife auf und fing an, sich abzureiben.

Die Expedition zum Alva Sektor hatte von Anfang an unter einem schlechten Stern gestanden.

Wider besseres Wissen hatte Kea auf diesem Seelenverkäufer angeheuert. Chefingenieur eines Schrottkübels zu sein, entsprach bestimmt nicht dem, was er sich vom Leben versprochen hatte. Er hatte einst große Träume gehabt. Träume, die den Versuch wert gewesen wären, sie in die Wirklichkeit umzusetzen. Und dann hatte er alles wegen dieses verzogenen Mädchens über Bord geworfen. Wäre so etwas jemand anderem passiert, hätte er bestimmt darüber gelacht. Doch die Erinnerung an dieses herzlose Gelächter auf dem Mars würde ihn noch jahrelang verfolgen. Er war so jung und dumm, daß er sich nicht einmal fragte, warum die erste Raumfracht-Gesellschaft, die er aufsuchte, sofort auf ihn ansprang, als sei er aus purem Gold. Klar, er hatte ihren Befähigungstest mit links bestanden und die Prüfung nach einem Drittel der veranschlagten Zeit abgelegt. Kea hatte halb damit gerechnet, daß man ihn trotz seiner Examensnoten ablehnen würde, denn letztendlich verfügte er über keinerlei Erfahrung. Er war auch davon ausgegangen, daß die Konkurrenz bei etwas so Exotischem wie einer Karriere im Weltraum beachtlich sein würde.

Besonders jetzt, da private Firmen, die gewaltige Profite und garantierte Monopole witterten, sich auf die wenigen Brücken zu den Sternen stürzten, die mit Regierungsgeldern entstanden waren.

Er kam allmählich dahinter, wie falsch er mit seinen Ansichten lag, als ihn sein erster Job als Putzer an Bord eines Frachters nach Epsilon Indi führte. Seine Mannschaftskollegen waren so dumpf wie der Chefingenieur, und der konnte seine Gehirnzellen an den Fingern seiner verkrüppelten rechten Hand abzählen. Was der Mannschaft an Intelligenz fehlte, machte sie mit Trägheit und Raffgier wieder wett. Jedes Mal, wenn das Schiff abfliegen sollte, lag darin die einzige Möglichkeit des Captain, sie aus den Suff-und Narkohöhlen herauszulocken, um seinen nächsten Auftrag zu erledigen.

Sein nächster Job - ein weiter Sprung aus Arcturus hinaus - lieferte den Beweis dafür, daß das erste Schiff keinesfalls eine Ausnahme gewesen war.

Soweit es überhaupt im Bereich des Möglichen lag, waren die Knalltüten, aus denen sich diesmal Mannschaft und Offiziere zusammensetzten, noch unfähiger. Diese Reise endete beinahe mit einer Katastrophe, als der Captain einen eindeutig verzeichneten Meteoriterigürtel einfach ignorierte und sein Schiff von den Steinbrocken durchlöchert wurde. Vier Besatzungsmitglieder starben, bevor es Kea gelang, den betreffenden Sektor abzudichten und das Loch zu versiegeln. Seine Kenntnisse des Yukawa-Antriebs wurden getestet, als man herausfand, daß die Maschine beschädigt war.

Niemand an Bord war dazu in der Lage, sie zu reparieren. Während der nächsten 72 Stunden wurde viel gebetet, während Kea versuchte, den Stardrive irgendwie zum Laufen zu bringen. Der Sprung nach Hause verlief dann ohne weitere Zwischenfälle.

Danach war er von seinem gegenwärtigen

Arbeitgeber rekrutiert worden: Galiot Inc., eine Tochterfirma des gigantischen SpaceWays-Konzerns. "Galiot ist eine verdammt gute und brandneue Abteilung, mein Sohn", hatte der Anwerber geprahlt. "Du wirst Dinge sehen und Sachen tun, von denen normale Menschen noch nicht einmal träumen. Unsere Aufgabe besteht darin, uns neue Möglichkeiten und Ideen auszudenken, mit denen SpaceWays Geld verdienen kann. Sie stecken jede Menge Credits in unsere Expeditionen. Wenn du bei uns mitmachst, mein Sohn, dann hast du dich für höchste Qualität entschieden. Für Galiot Inc. ist das Allerbeste gerade gut genug. Hier ist alles vom Feinsten." Kea hatte zugesagt, nachdem man ihn zwei Besoldungsgruppen hochgestuft hatte. Von dort aus dauerte es nicht lange, bis er sich zum Chefingenieur emporgearbeitet hatte.

>Genau<, dachte er, als die nadelfeinen Wasserstrahlen seine vor Anspannung verknoteten Muskeln lösten, >der Weg war zwar nicht lang, aber er war gewiß steinig.< Das lag nicht allein am Risiko. Ach was, das Risiko war eher das Salz in der Suppe. Hier bekam er eine Chance, die Träume seiner Knabenzeit auszuleben: Raumschiffe, die sich auf der Suche nach Abenteuern in unbekannte Weiten vorwagten. Aber Galiot tat ihr Bestes, um den Expeditionen jedes Gefühl des Wunderbaren auszutreiben. Sie stellten nur die billigsten Leute ein und kauften nur die schäbigste Ausrüstung, was eine intellektuell befriedigende Zusammenarbeit unmöglich und selbst die allernötigsten Routinehandgriffe aufgrund mangelnder Qualität von Maschinen und Werkzeugen zu frustrierender Knochenarbeit machte. Die Gesellschaft hatte ein Talent dafür, jeden Auftrag in höllische Langeweile zu verwandeln - dazwischen hatte man immer wieder Angst vor einem sinnlosen Tod, wenn die schäbige technische Ausrüstung wieder einmal bei der kleinsten Belastung zu versagen drohte.

>Was um alles in der Welt tust du hier eigentlich, Richards? Du hängst auf dieser Expedition fest, die mindestens ein E-Jahr dauern wird, umgeben von den erbärmlichsten, streitsüchtigsten und rüpelhaftesten Angestellten von Galiot Inc. Du hättest ebensogut auf Basis Zehn bleiben und auf einen anderen Kontrakt warten können. Na schön, du hast dich zu Tode gelangweilt. Aber was ist denn so neu und großartig daran, für Galiot Inc. zu arbeiten? Du hättest es dir denken können.

Verdammt noch mal, du wußtest es, Richards. Du wußtest es bereits zu dem Zeitpunkt, als du ihnen noch hättest sagen können, sie sollen sich ihren Kontrakt dorthin stecken, wo die Sonne niemals scheint.<

Er hörte, wie die Tür zum Duschraum aufging.

Durch die Dampfwolken sah er eine üppige weibliche Gestalt aus ihrem enganliegenden Overall schlüpfen. Sämtliche Alarmglocken fingen an zu klingeln. Dr. Ruth Yuen lächelte durch den feinen Nebel und legte sich plötzlich auf die schmale Umkleidebank des Duschraums. "Mmmmmm", schnurrte sie. "Ich mag es, wenn meine Männer schön sauber sind."

Beim letzten Mal, als sie seine Kajüte verließ, hatte sich Richard geschworen, die Geschichte damit als beendet zu betrachten. Aus und vorbei. Die Frau war gefährlicher als alles andere an Bord des Schiffes oder draußen im ewig kalten Weltraum. Die Garantie für ein Messer im Rücken. >Also, sag nein, Richards. Sag nein. Schick sie zu ihrem Vollzeitliebhaber und Boß, Dr. Castro Fazlur, zurück.

Mach schon, Richards.<

Aber seine Füße bewegten sich vorwärts, trugen ihn aus der Duschkabine. Ruths Lächeln wurde breiter. Sie sah aus halbgeschlossenen Augen zu ihm auf, streckte eine Hand nach ihm aus. Ihre Finger streichelten seinen Bauch, glitten tiefer. Ihr linkes Bein hob sich vom Boden, das Knie beugte sich, und sie setzte einen Fuß auf die Bank. Dann spreizte sie die Beine und fing an, sich zu streicheln.

"Worauf wartest du, Richards? Brauchst du eine schriftliche Einladung?" Als er sich über sie kniete, hob sie die Beine und schlang sie fest um seine Hüften.

>Klar, Richards. Sag nein.

Genauso, wie du auch zu dieser Company nein gesagt hast.<

Gerüchte über Operation Alva waren ihm schon zu Ohren gekommen, bevor er Captain Selfridge gefragt hatte, ob er sich der Mannschaft anschließen dürfe. Es hieß, eine routinemäßige Überprüfung des entfernten Alva Sektors habe eine starke, periodisch auftretende Störung der normalen

Hintergrundstrahlung ergeben. Das Pulsieren kam aus einem Gebiet, in dem nichts Bekanntes existierte. Es war kein Schwarzes Loch und auch kein anderes jener hypothetischen Gebilde, deren Vorhandensein von den Physikern des 22.

Jahrhunderts postuliert wurde, um das immer noch Unerklärliche zu erklären. Doch zumindest schien das Piepen und Summen einer "natürlichen" Quelle zu entstammen - soweit jemand das beurteilen konnte.

Die Gerüchte über das unerklärliche Phänomen hatten Kea in eine seltsame Aufregung versetzt. Der kleine Junge und der Abenteurer in ihm wollten unbedingt selbst nachschauen gehen. Er wollte der erste sein, der etwas erfuhr, vor allen anderen. Den Sinn für das Wunderbare wiederentdecken. Dann gewann sein hart erworbener Zynismus wieder die Oberhand. Galiot Inc. würde sich nicht für die Sache interessieren, wenn nicht garantiert eine Menge Geld dahintersteckte. Der erforderliche Bericht für die Regierung würde schließlich erstellt,

Sten 8 Tod eines Unsterblichen
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