Kapitel 11

Dusable war noch ein E-Jahr von seinen im vierjährigen Rhythmus stattfindenden Wahlen entfernt. Auf dem Spiel standen: das Amt des Tyrenne und zwei Drittel der Sitze des Rats der Solons.

Überall auf dem großen, dichtbevölkerten Planeten - der einen wichtigen Umschlagplatz für Waren aller Art darstellte und in mehrfacher Hinsicht der Mittelpunkt des Cairene-Systems war wurde hitzig über die bevorstehenden Wahlen diskutiert. Selbst die große Neuigkeit, daß der Imperator den Verräter Sten jagte, war in den lawinenartig anschwellenden Nominierungen und Spekulationen untergegangen, die die

Nachrichtensendungen füllten.

Jedermann, vom Klempner bis zum

Industriemagnaten, versuchte die Nase politisch in den Wind zu halten. Eltern diskutierten die Chancen von Tyrenne Walsh und Solon Kenna beim

Abendessen. Joygirls und Joyboys verbreiteten bei den Polizisten ihrer Bezirke bösartige Gerüchte noch schneller als sonst. Die Bezirksleiter zählten ein ums andere Mal die versprochenen Stimmen. Schmierige Betrüger beschäftigten sich mit Eintragungen in Friedhofsregistern. Sogar die Kinder wurden aus den Kindergärten weggeholt, um in den Bezirken nach Skandalen zu schnüffeln.

Politik war eben ein großes Geschäft, wie der Ewige Imperator gerne sagte. Auf Dusable war es das einzige.

Diese Welt drehte sich um den Protektionismus.

Unwahrscheinlich, daß es auch nur ein Wesen auf Dusable gab, dessen Existenz nicht davon abhing.

Polizisten wurden von ihren

Abschnittskommandanten zu gutbezahlten

Prügeleien im Umfeld der Wahl aufgefordert.

Geschäftsinhaber bestachen Inspektoren, um ihre Lizenzen zu erhalten. Die Gewerkschaften machten ihren Einfluß auf die Verteilung besonders gepolsterter Jobs geltend. Sogar Tellerwäscher verkauften ihre Stimmen, um Chefköche zu werden.

Und Topf Schrubber bezahlten Unsummen, nur um weiterschrubben zu dürfen.

Kurz gesagt, Duable war der korrupteste Planet des Imperiums. Aber auf seine Weise funktionierte das System. Für einen Bürger, der vorsichtig genug war, immer auf das richtige Pferd zu setzen, bestand die sichere Chance, ein glückliches Leben zu führen.

Nur die Verlierer schmiedeten Komplotte und drohten damit, "die Mistkerle rauszuschmeißen".

Als der Ewige Imperator seine lange,

komplizierte Rückkehr aus dem Grabe absolviert hatte, hatte ihm eine Wahl auf Dusable den ersten Schritt zurück in Richtung Thron ermöglicht. Diese Schuld hatte er seither vielfach beglichen.

So verdankten Walsh und Kenna ihren

derzeitigen, unangemessenen Status dem nicht unbeträchtlichen politischen Instinkt des Imperators.

Er hatte die sichere Wiederwahl von Tyrenne Yelad verhindert - einem Mann, der immerhin über dreißig Jahre Erfahrung auf dem Gebiet der

Stimmenmanipulation und Wahlfälschung verfügte.

Aber der Imperator war ein glühender Anhänger des alten, ungeschriebenen Gesetzes der Politik, das da lautete: "Er, der schon vor Chicago auf meiner Seite kämpfte ...", und hatte seine Sympathien mit Nachdruck sprechen lassen.

Um auch wirklich gegen jeden Rückschlag gewappnet zu sein, setzte Solon Kenna verstärkt auf Wahlpropaganda. Als sei der große Tag nicht ein Jahr, sondern nur noch eine Woche entfernt, und obwohl seine Ratgeber sagten, die Wahl sei so gut wie gewonnen. Sie wiesen darauf hin, daß es Dusable noch nie so gut gegangen war. Die Landefelder der großen Raumhäfen waren voll ausgelastet. Die Fabriken arbeiteten rund um die Uhr im Schichtbetrieb. Der GNBI (der Große Nationale Bestechungs-Index) lag auf Rekordhöhe.

AM2 war nicht nur im Übermaß verfügbar und billig, sondern der Ewige Imperator hatte das System auch noch mit einem brandneuen AM2

Depot bestückt, das zwei weitläufige Sektoren in diesem Gebiet des Imperiums bediente.

Kenna wollte sich jedoch nicht besänftigen lassen. Als Präsident des Rates der Solons und graue Eminenz hinter Tyrenne Walsh hatte er im Falle einer Fehlkalkulation viel zu verlieren. Genauer gesagt: alles. Kenna hatte nicht die Absicht, Tyrenne Yelads entscheidenden Irrtum zu wiederholen

übermäßiges Vertrauen.

Seine große Rede, mit der er diese Wahlrunde einläuten wollte, war mit äußerster Sorgfalt vorbereitet worden.

Er wählte sich ein wohlgesonnenes Publikum aus

-

die gigantische Transportgewerkschaft der Cairenes, die SDT. Seit Kennas Tagen als kleines, betrügerisches Mitglied des Rates der Solons war die Gewerkschaft einer der Eckpfeiler seiner Macht. Auf die stämmigen Werftarbeiter konnte man sich immer verlassen, ob es nun um Stimmen ging oder Beiträge zur Wahlpropaganda, um wilde Streiks, die man in Auftrag gab, oder muskelbepackte kleine Eingrifftrupps, die man losschickte, um sich mit gegnerischen Gruppen anzulegen.

Als nächstes mußte er tief in seine Kriegskasse greifen, um für angemessene Unterhaltung und Verköstigung zu sorgen. Mehr als dreihundert Tische würden sich unter der Last des Essens biegen. Weitere hundert dienten als Bar. Eine große Bühne wurde aufgebaut, auf der die ganze Nacht hindurch Massen von Musikern, Kabarettisten und spärlich bekleideten Tänzerinnen das Publikum unterhielten. Am Rande der großen Schiffswerft stellte man fünfzig Zelte auf und besetzte sie mit Teams patriotischer Joyboys und Joygirls, die sonst nur während der Vier Jahresfeier routinemäßig zusammengerufen wurden, um ihr Bestes für Dusable zu geben.

Schließlich setzte er auch den Imperator unter sanften Druck, damit er ihn mit der nötigen Munition für seine Rede versorgte. Und, so teilte Kenna den versammelten SDT-Mitgliedern gerne mit, als er auf die Bühne stieg, um seine Rede zu halten, der Imperator war mit seinen Informationen noch großzügiger gewesen, als er gehofft hatte.

Das Empfangsgejohle für Kenna war laut genug, um den Lärm eines anfliegenden

Atmosphärenflugzeugs zu übertönen. Einige Minuten lang badete er im donnernden Applaus und den Hochrufen. Er machte einen Versuch, die Menge zu beruhigen - eine Hand, die sich, um Ruhe bittend, mit schwacher Geste hob. Dann sank die Hand wieder nach unten, völlig entmutigt vom Enthusiasmus seiner Bewunderer. Als die Kamera eines Nachrichtenteams eine Nahaufnahme machte, zeigte sich auf Kennas Gesicht genau jenes unterwürfige Grinsen, das er in seiner

jahrzehntelangen Wahlkampfarbeit perfektioniert hatte.

Dreimal unternahm Kenna den Versuch, die Menge zu beruhigen. Dreimal mußte er sich der Masse fügen und ihren Applaus hinnehmen. Beim vierten Versuch gab Kenna ein kleines Handzeichen, das seine Gehilfen sofort registrierten und an die Claqueure weitergaben, die sich zahlreich in der Menge befanden, um die Massen zu beruhigen.

Diesmal ebbten Applaus und Freudenschreie langsam ab, bis es schließlich so leise war, daß man im Flüsterton sprechen konnte.

"Bevor wir anfangen, habe ich eine Frage", begann Kenna seine Rede. Seine Stimme klang donnernd aus den tragbaren Verstärkern. "Geht's euch allen jetzt besser als vor vier Jahren?"

Die Menge tobte fast noch lauter als zuvor. Ein Nachrichtentechniker beobachtete, wie die Anzeige seines Popularitätsmessers bis zum maximalen Ausschlag pendelte und dort eine volle Minute hängenblieb. Er wies seinen Chef darauf hin, dem bei diesem Anblick fast die Augen aus dem Kopf quollen. Das war beinahe ein Rekordwert.

Schließlich beruhigten die Claqueure die Menge erneut, und Kenna setzte seine Rede fort.

"Ich stehe mit ebenso großem Vergnügen wie mit Demut vor euch, um euch erneut um eure

Unterstützung zu bitten", sagte er. Meine ehrenwerten Gegner halten mich für einen Esel, weil ich mit euch guten, aufrechten, hart arbeitenden Wesen dermaßen auf Tuchfühlung gehe ..."

Hier hielt er eine Minute inne, damit sich grummelnder Ärger über seine snobistischen

"ehrenwerten" Gegner breitmachen konnte. Das entsprach ganz seinem Plan.

"Aber ich erwidere ihnen: Wo wäre Dusable denn ohne die arbeitende Klasse?"

Mitten aus der Menge kam die "spontane"

Antwort einer Frau, die natürlich auf seiner Lohnliste stand: "Tief in der Scheiße, wo denn sonst?" Die Menge quittierte den Zuruf mit Gelächter.

Kenna ließ wieder sein Grinsen sehen, Motto:

>Ich tue keiner Fliege etwas zuleide.< "Danke, Schwester!" Noch mehr Lacher aus der Menge.

Das Lächeln wechselte jetzt zu Kennas

patentierter Sorgenmiene über, bei der sich seine wunderbar dicken Augenbrauen zu einem

dramatischen umgedrehten V vereinigten. "Vor uns liegen große Veränderungen, meine Freunde, und niemand, wirklich niemand weiß das besser als die arbeitende Bevölkerung. Und von allen hart arbeitenden Menschen auf Dusable war es die Gewerkschaft der SDT, die immer an der Spitze marschierte, wenn es darum ging, diese

Veränderungen populär zu machen."

Diesmal waren keine Anheizer nötig, damit die Menge in ohrenbetäubendes zustimmendes Gebrüll ausbrach. Kenna wartete, bis der Lärm von selbst verstummte.

"Nun, ihr alle hier wißt, daß ich kein Mann der falschen Bescheidenheit bin", sagte Kenna. Hier und da kam Gelächter auf. "Aber jetzt muß ich wirklich ganz aufrichtig mit euch anständigen Leuten hier sein.

Diese Veränderungen, von denen ich gesprochen habe, sorgten für die fettesten Jahre in der Geschichte Dusables. Vollbeschäftigung.

Rekordlöhne. Niedrigstpreise.

Ein Grund, warum wir in den Genuß dieser Dinge kamen, ist die erleuchtete Führung durch Tyrenne Walsh ... und meine Wenigkeit ..., aber es gibt noch ein Wesen, dem wir alle für dieses Glück danken sollten. Und zwar ... dem Ewigen Imperator selbst."

Jetzt geriet die Menge außer Rand und Band.

Man klopfte sich sogar gegenseitig auf die Schulter.

Der Lärm wollte gar nicht mehr aufhören; die Anfeuerer leisteten gute Arbeit. Diesmal stand die Nadel im Meßgerät des Nachrichtentechnikers volle anderthalb Minuten am Anschlag.

Wieder brachte Kenna die Menge zum

Schweigen. "Meine Gegner sagen, alles, wovon wir hier profitiert haben, seit sich der Imperator an jenem historischen Tag mitten unter uns zu erkennen gab, seien nichts weiter als lächerliche Almosen."

Laute Buhrufe waren zu hören. Kenna lächelte zustimmend, fuhr aber energisch in seiner Rede fort.

"Sie sagen, Dusable sei völlig in der Hand des Ewigen Imperators. Seit wir angeblich ein Vasallenstaat des Imperators geworden sind, hätten wir unsere traditionelle Unabhängigkeit komplett aufgegeben."

Die Menge johlte.

"Diese und noch viele andere Lügen habt ihr alle wiederholt gehört", setzte Kenna seine Rede fort.

"Die Wahrheit jedoch ist, daß zum erstenmal in unserer Geschichte auf das gehört wird, was Dusable zu sagen hat. Und ich meine damit richtiges Zuhören. In allen Hauptstädten des Imperiums können wir uns jetzt erhobenen Hauptes sehen lassen. Und an wen wendet sich der Imperator in diesen schwierigen Zeiten um Rat? Nun, an unseren Tyrenne Walsh, der, während wir miteinander reden, in der großen Parlamentshalle auf der Erstwelt arbeitet."

Kenna nahm einen Schluck des speziellen Getränks gegen Heiserkeit zu sich, während die Menge applaudierte.

"Ja ... Dusable verdankt dem Ewigen Imperator viel. Daran gibt es keinen Zweifel. Aber auch der Imperator verdankt uns viel. Und in diesen schweren Zeiten braucht er uns mehr als je zuvor. Gerade gestern habe ich persönlich mit ihm gesprochen, und er hat mir aufgetragen, den Bewohnern von Dusable für ihren unermüdlichen Kampf für die Freiheit zu danken.

Er sagte, sein ganz besonderer Dank gelte den Arbeitern der SDT. Ich soll euch ausrichten, daß ohne die großen Transport-Gewerkschaften unseres Imperiums alle seine Kämpfe umsonst gewesen wären."

Die Menge brauchte fünfundvierzig Sekunden, um dem Imperator dafür zu danken.

"Aber wie ihr alle wißt", sprach Kenna in den dünner werdenden Applaus hinein, "ist der Ewige Imperator kein Mann, der nur große Worte macht.

Und ich bin hier, Um euch mitzuteilen, daß er sich euch auch diesmal wieder durch Taten erkenntlich zeigen möchte."

Kenna hob ein großes, altmodisches Stück Pergament hoch. Die Kameras schwenkten auf das Siegel des Imperators, das sich am unteren Ende des Papiers befand. Dann ein erneuter Schwenk nach oben zu Kenna.

"Erstens: unser brandneues AM2-Depot, das sich jetzt hoch über unserer gesegneten Welt befindet, ist gerade in den Genuß einer Triple-A-Qualifizierung gekommen."

Davon war die Menge wirklich beeindruckt. Eine Triple-A bedeutete noch mehr Geschäfte und noch mehr Arbeit für den Raumhafen.

"Aber das ist noch nicht alles", sagte Kenna.

"Zusammen mit unserer neuen Einstufung kommt eine noch größere Verantwortung auf uns zu.

Meine Freunde, es freut mich, euch mitteilen zu können, daß der Imperator eine riesige AM2

Zuteilung von einem weniger verdienstvollen System abgezogen hat. Die Menge an AM2 reicht aus, um den gesamten Bedarf dieses Sektors für zwei E-Jahre zu decken.

Während wir hier reden, nähert sich diese Fracht bereits Dusable. Und wenn sie sicher in unserem hochmodernen Depot angekommen ist - das, wie ich vielleicht hinzufügen darf, von unseren eigenen, talentierten Leuten konstruiert wurde -, dann darf sich Dusable des Respektes und des Vertrauens wahrlich rühmen, das der Imperator in uns setzt.

Denn von diesem ruhmreichen Tage an wird Dusable der einzige Planet in diesem Sektor sein, der AM2 liefern kann. Und besser kann sich Loyalität wohl nicht bezahlt machen."

Frenetischer Applaus, Hochrufe und der

allgemeine Tumult, die auf diese Nachrichten folgten, fegten durch die ganze Hauptstadt von Dusable. Noch in weiter entfernten Bezirken sahen die Leute zum Himmel und wunderten sich, wie es an so einem wolkenlosen Tag donnern konnte.

An Bord der Pai Kow - siebenundsechzig

Millionen Meilen entfernt -

wurde aus den

Hochrufen plötzlich ein kreischender Ton, der fast die Lautsprecher-Zellen des Funkgeräts zerstörte.

Captain Hotsco verringerte die Lautstärke und kicherte vor sich hin, als sie die großzügigen Versprechungen Solon Kennas über nahezu unbegrenzte Mengen an AM2 hörte. Sie berührte einen der Sensoren des Monitors, und Kennas Gesicht, das stumm seine Lippen bewegte, erschien in einem schmalen Ausschnitt in der rechten oberen Ecke des Bildschirms, der ansonsten nun leer war.

Hotsco betrachtete aufmerksam den Monitor und säuselte dabei: "Mushi, mushi, ano nay ano nay...

mushi, mushi ano nay..."

Dann sah sie es. Lichtpunkte flackerten auf drei Uhr auf.

>Ah so deska." Hotsco lachte. "Komm zu Mami, mein Augenstern." Sie warf einen kurzen Blick auf Kennas rundes Gesicht, das, wie unschwer zu erkennen war, immer noch zu den Massen sprach.

Sie salutierte ironisch vor Kenna.

"Solidarität, Bruder!"

Wieder berührten ihre Finger die Sensoren, und Kennas Gesicht verschwand. Auch die blinkenden Lichter verschwanden. Statt dessen zeigte der Monitor jetzt eine Nahaufnahme,

Hotsco atmete angespannt, während sie den Robot-"Zug" auf dem Bildschirm betrachtete. Das Leitschiff sah wie ein in der Mitte durchtrenntes Imperiales Schlachtschiff aus. Was es ja irgendwie auch war. Das Schiff war vor Jahrzehnten in einer Werft des verstorbenen, nicht mehr so großartigen Tanz Sullamore vom Stapel gelaufen. Die Kommando-und Waffensegmente waren

herausgetrennt und ein neuer Bugkegel angeflanscht worden, und jetzt bestand das Ganze praktisch nur noch aus Antrieb. Traktorstrahlprojektoren zogen sich rings um die Mitte des Raumschiffs. Steuerbord war eine Wölbung zu erkennen, unter der sich das Gehirn des Schiffes verbarg.

Die einzige Aufgabe, die diese gigantische Maschine zu erledigen hatte, bestand darin, die achtzig Kilometer lange Schleppkahn-Formation hinter sich herzuziehen.

Hotsco begann automatisch, die ContainerSchiffe zu zählen, gab aber auf, als die Menge unübersehbar wurde.

Und jedes einzelne davon war randvoll mit der kostbarsten Substanz gefüllt, die das Imperium zu bieten hatte - AM2

Captain Hotsco, Teilzeitpiratin und

Vollzeitschmugglerin, starrte auf eine traumhafte Beute. Der Wert dieses AM2-Zuges, der in Richtung des Depots von Dusable unterwegs war, war schier unermeßlich. Sogar wenn man berücksichtigte, daß es sich bei den Mengenangaben wahrscheinlich um eine von Kennas typischen Lügen gehandelt hatte, und nur die Hälfte zugrunde legte, wußte Hotsco doch, daß sie hier nicht nur auf ein Vermögen sah, sondern daß jedes dieser Schiffe ein Vermögen darstellte.

Und es flog einfach so vor ihr durchs Weltall und wartete auf jemanden, der zupackte. Gut, sie konnte nicht alles bekommen. Aber sie konnte mit Sicherheit genug davon haben, um zwei oder drei Systeme in der Größe der Cairenes zu kaufen.

Allerdings wäre Wild dann sicher so aufgebracht, daß er ihr schnurstracks ihre hübsche Kehle durchschneiden würde.

Auf Wild konnte sie gut und gerne verzichten.

Aber was war mit diesem süßen Kilgur? Seinen Spionen verdankten sie den Tip mit dem AM2

Transport. Sie hatte sich in den stämmigen Schotten verknallt, als er seinen Plan Wild und einer Gruppe seiner Captains, darunter Hotsco, erklärt hatte.

Der Plan sah vor, daß die Schmuggler ihre normalen Touren zu den Cairenes, die meistens dem Zweck dienten, teure illegale Waren für die Politiker und ihre Busenfreunde zu transportieren, als Tarnung benutzten, um den AM2-Transport auszukundschaften.

Es war ein verdammt guter Plan. Der Beweis bewegte sich groß und breit über ihren Monitor.

Und es gab buchstäblich niemanden, der davon wußte.

Doch wenn sie jetzt ihrem Instinkt folgte, würde sie vielleicht niemals eine Antwort auf die uralte Frage erhalten: Was verbarg sich eigentlich unter einem schottischen Kilt?

Verdammter Kilt.

Sich dir nur diese Unmengen AM2 an.

Schließlich hatte sie nichts versprochen.

Eigentlich nicht. Sie hatte nur gesagt, daß sie sich die Sache ansehen würde. Und genau das tat sie auch, oder etwa nicht?

Dann durchfuhr sie ein fürchterlicher Gedanke, der ihre Träumereien in Luft auflöste. Was sollte sie damit anfangen? Wer konnte mit solchen Mengen handeln? Wenn sie versuchen würde, das Zeug nach und nach abzustoßen, kam man ihr wahrscheinlich schnell auf die Schliche. Und die Imperialen würden in kürzester Zeit ihre Verfolgung aufnehmen.

Verdammte Imperiale. Hotsco war sozusagen auf der Flucht geboren worden.

Na ja ... aber ... Sie hatte niemals vor ganzen Flotten flüchten müssen. Und genau das würde eintreten. Dafür garantierte die verdammte AM2

doppelt und dreifach.

O Mann.

Hotsco entschloß sich für den ehrlichen Weg, so schmerzlich es für sie auch war.

Um sich selbst ein wenig aufzumuntern, dachte sie an Alex' breites, lächelndes Gesicht. Und an den kurzen Kilt.

Schnell kodierte sie ihre Nachricht, einschließlich der Koordinaten des AM2-Zugs. Dann schickte sie sie in einem einzigen, stark gerafften Impuls ab.

Hotsco wartete zwei, drei Atemzüge lang.

Ihr Funkgerät piepte.

Es war die Victory.

Nachricht empfangen.

Hotsco trennte rasch die Verbindung und machte sich schleunigst aus dem Staub. Hoffentlich bist du's wert, Alex Kilgour.

Das neue AM2-Depot von Dusable hatte in etwa die Größe eines kleinen Mondes. Äußerlich ähnelte es einer in Viertel geschnittenen Kugel. Jedes

"Tortenstück" war in der Ecke eines imaginären Rechtecks verankert und mittels enormer Röhren mit den anderen verbunden. Durch diese Röhren wurde der gesamte Personen-und Frachtverkehr

abgewickelt. Über diesem Konglomerat lag ein ausgetüfteltes Spinnennetz von Funkverbindungen, Reparaturschächten und kleineren Röhren, in denen alles andere transportiert wurde, von industriellen Flüssigkeiten über wiederaufbereitete Luft bis hin zum Abwasser aus den Wohneinheiten.

Normalerweise waren sechshundert Personen nötig, um dieses Depot am Laufen zu halten. Aber auf Dusable verlief nichts normal. Sogar hier im geostationären hohen Orbit bettete man sich gerne weich. Als die AM2-Lieferung ankam, belief sich das Personal auf die doppelte Anzahl.

Die meisten davon schliefen. Oder feierten eine Party im Freizeitzentrum. Kennas Ankündigung hatte die Leute im Depot keineswegs überrascht.

Schon vor einigen Tagen hatte man ihnen mitgeteilt, sich für die Lieferung bereit zu halten. Nicht, daß viel zu tun gewesen wäre. Das Depot war fast komplett automatisiert.

Ein schläfriger Sachbearbeiter sah in seinem Log, daß die Lieferung sich näherte. Halbherzig überprüfte er die Funktionsfähigkeit seiner automatischen Einheiten und kehrte dann wieder zu seiner Schlafkoje zurück, wo er sich an den zarten Rücken seines Joyboys schmiegte.

Einen Moment dachte er daran, den Burschen aufzuwecken, um sich noch ein bißchen mehr zu vergnügen. Er hatte ein leicht unruhiges Gefühl in den Lenden. Dann überwältigte ihn jedoch der Schlaf, und er schnarchte lautstark.

Auf dem Monitor kam der gigantische AM2-Zug näher, schwenkte in eine zur Station synchrone Umlaufbahn und hob dann die Fahrt auf. Die Einweisungs-Signale erloschen. Die zentrale Funkschalttafel flackerte auf, als die neuesten Daten per Computer übertragen wurden.

Die ersten Container-Einheiten wurden vom Konvoi abgekoppelt und schwebten in einem weit ausholenden Bogen langsam auf das Depot zu, wo schon die Roboter darauf warteten, sie an Ort und Stelle zu verfrachten.

Hätte der Sachbearbeiter auch nur einmal auf den Monitor gesehen, wäre ihm der AM2-Container, der sich aus dem Konvoi löste und von seinen Kameraden entfernte, sicherlich nicht entgangen.

Der Schatten des Depots fiel über die Szene. Es herrschte Dunkelheit.

"Ich kann mich niemals mehr in einer Stregghalle sehen lassen", stöhnte Otho.

"Das bekommt dir bestimmt sehr gut", gab Cind zurück, während sie ihr getarntes Schiff aus der Reihe der ContainerSchiffe, die sich der gähnend leeren Depot-Bucht näherten, herauslotste.

"Du könntest ohne weiteres achtzig Kilo abnehmen. Und deine mädchenhafte Figur von früher zurückgewinnen."

"Beim Barte meiner Mutter, du hast kein Herz, Weib", sagte Otho und ließ dabei das Patrouillenboot nicht aus den Augen. Denn das war seine Aufgabe.

Er schätzte, daß sie ungefähr fünfundfünfzig Minuten Zeit hatten, bevor es seine Routinerunde gedreht hatte.

"Ich, Otho, muß hier etwas tun, was nicht im geringsten ehrenvoll ist."

"Du Ärmster", sagte Cind mit gespieltem Mitleid.

Langsam gewöhnte sie sich an diese

Kontrollinstrumente. Zuerst war es sehr unangenehm gewesen. Alles in allem steuerte sie hier schließlich so etwas wie ein Wrack - abgesehen davon, daß es völlig ausgeweidet worden war und jetzt ein Standard-Rettungsboot beherbergte. Der einzige Hinweis darauf, daß es sich hier nicht um einen gewöhnlichen Container handelte, war am Schiffsheck zu erkennen, dort, wo an einer Stelle ein Stück für die Antriebsdüsen des Bootes

ausgeschnitten war. Reisen über Millionen von Lichtjahren hatten den Container so zugerichtet, daß schon eine sehr genaue Inspektion notwendig wäre, um die Austrittsöffnung zu erkennen, die die Raumsoldaten der Victory unter Anleitung von Kilgour mit Schweißgeräten geschaffen hatten. An Bord des Rettungsbootes befanden sich außer Cind und Otho noch ein halbes Dutzend Bhor-Krieger.

"Als mir mein guter Freund Sten berichtete, daß unser erstes Ziel die verräterischen Kollaborateure von Dusable seien, glaubte ich, mein altes Herz müßte vor lauter Freude zerspringen", sagte Otho.

"Bei den gefrorenen Arschbacken meines Vaters, dachte ich, hier spricht ein echter Bruder des Stregghorns. Denn nichts haßt ein Bhor so heiß und innig wie Politiker. Und hier bot man mir einen ganzen Planeten voll mit diesen Vipern zum Totschlagen an.

Laß mich dir eins sagen, Cind, ich träumte davon, uralt zu werden, um später all die Geschichten erzählen zu können, von den vielen dicken Politikerschädeln, die ich zerschmettert habe.

Davon, wie ihr Blut in Strömen floß, wie Stregg bei Segnungszeremonien. Meine einzige Sorge bestand darin, daß ich ahnte, es müßten wahrscheinlich gar zu viele Seelen in die Hölle getrunken werden, als daß ich jeder einzelnen diese Ehre widerfahren lassen könnte."

"Versuch nicht weiter, mich zu beschwatzen, Otho", sagte Cind. "Erstens bist du noch gar nicht so alt. Zweitens hast du schon genug Leute umgebracht, um dich damit für den Rest deines Lebens und weitere sechs Leben lang rühmen zu können. Also vergiß es. Ich Werde nicht urplötzlich einen Anfall von Mitleid erleiden und sagen: >Na ja... also wenn es dir wirklich so nahe geht, mein Lieber ... dann laß uns mit dem Abschlachten beginnen.<"

"Es muß ja nicht gleich ein Abschlachten sein", erwiderte Otho. "Wenn ich nur eine oder zwei Kehlen zerquetschen könnte, dann wäre ich schon zufrieden. Ein glücklicher Bhor."

"Nein", sagte Cind. "Und das ist mein letztes Wort zu diesem Thema." Genau in diesem Moment rumpelte der Container gegen eines der

"Tortenstücke" des Depots. Es krachte einmal.

Zweimal. Dann hatte sie das Gefährt wieder unter Kontrolle.

Sie gab in kurzen Intervallen mehrere Male Schub auf die Antriebsdüsen und dirigierte den Container an der Außenseite der Station entlang.

Schließlich gelangten sie zu einem Reparatur-Dock.

Cind dockte an.

"Dann wollen wir mal hineingehen", sagte sie.

"Und denk daran, Otho ... Keine Toten. Wir kämpfen für die Freiheit. Und eine blutige Spur aus unschuldigen Zivilisten bringt nur ein mieses Image."

"Wenn du darauf bestehst", sagte Otho leicht pikiert. "Wahrscheinlich gewöhne ich mich irgendwann an diese modernen Methoden."

Einige hektische Minuten später öffnete sie das versiegelte Schleusenschott mit Hilfe einer kleinen Energieladung, und schon waren sie drinnen.

Cind gab zwei kurze Funk-Impulse durch. Einen Moment später erfolgte die Bestätigung von der Victory.

Phase eins abgeschlossen.

Cind hatte noch niemals ein AM2-Depot gesehen, ganz zu schweigen davon, jemals eins betreten zu haben. Auf dem Bildschirm hatte die Aufgabe leicht ausgesehen. Das Schema, das Kilgour in irgendeiner Bibliothek ausgegraben hatte, zeigte eine sehr langweilige, ausschließlich funktionale Struktur. Nur der Zweck war dramatisch. Ein Lager und eine Verteiler-Station für die mächtigste Energiequelle, die je entdeckt worden war.

Auf dem Schema war zu erkennen gewesen, daß fast das gesamte Depot nur diesem einen Zweck diente. Es gab hier nur AM2 in dick mit Imperium X

gepanzerten Tanks sowie Wohn-und Arbeitsräume.

Und einen riesigen, gottverdammten Computer, der das ganze Ding am Laufen hielt.

Auf dem Bildschirm hatte es einfach ausgesehen.

Cind spähte weiter in den Flur hinein, den sie und ihre Truppe geräuschlos durcheilten. Nichts als graue Wände, graue Decken und Böden, alles von indirektem Licht erhellt. Von dem Reparatur-Dock aus führte der Korridor ungefähr 250 Meter geradeaus. Dann gab es einen scharfen Knick nach links. Knapp 150 Meter weiter, und sie hatten den Zentralcomputer erreicht.

>Zur Abwechslung<, dachte Cind, >war die Praxis einmal genauso einfach wie die Theorie.< Dann kam der scharfe Knick. Sie bogen um die Ecke. Und nichts war mehr einfach.

"Bei den Locken am Kinn meiner Mutter", stöhnte Otho. "Das sieht ja aus wie im Inneren einer Streggan-Höhle."

Dieser Vergleich traf genau zu. Der Streggan der Todfeind der frühzeitlichen Bhor, inzwischen durch exzessives Jagen ausgerottet - hatte in tiefen, unterirdischen Tunnelsystemen gehaust, in die man nur durch labyrinthisch gewundene, aus dem Fels gekratzte Gänge eindringen konnte. Bis zum heutigen Tage spielten die Bhor ein kompliziertes Spiel, dessen Grundlage diese verwickelten Labyrinthe bildeten.

Cind blickte auf etwas sehr Ähnliches. Der Ingenieur von Dusable war dem vorgegebenen Schema nur teilweise gefolgt. Statt einen Korridor in eine Richtung führen zu lassen, spaltete sich der Haupttunnel in mindestens zwölf verschiedene Gänge.

Es gab keinen einzigen Hinweis, welchen Tunnel sie nehmen sollten.

"Wieviel Zeit haben wir?" fragte Cind, leicht verzweifelt.

"Das spielt keine Rolle", sagte Otho.

"Verdammt, es spielt aber eine Rolle. Wenn die Patrouille -"

"In vielen Dingen hast du deinen alten Lehrer überflügelt", sagte Otho. "Aber wie ich jetzt sehe, gibt es doch noch die eine oder andere Sache, die du noch lernen mußt. Beim räudigen Hintern meines Vaters, ich sage dir ... das gibt mir wieder Auftrieb."

Seine buschigen Brauen hoben und senkten sich mitfühlend.

"Ein Labyrinth", sagte er. "Ein Labyrinth hat einen Zweck. Entweder den, sich zu amüsieren, oder den, sich zu verstecken."

Er blickte auf die Tunnel, die sich vor ihnen erstreckten. Tiefe Schatten weit hinten wiesen auf weitere Korridore hin, die sich wer weiß wohin verzweigten. "Die Bewohner von Dusable hatten wahrscheinlich eher die zweite Möglichkeit im Sinn", sagte er. "Nach dem, was ich so gehört habe, müssen die Politiker hier ja so gut wie alles verstecken."

"Warum sollten sie ihren Zentralcomputer verstecken?" fragte Cind. "Mir scheint, schneller Zugang ist wichtiger."

Otho nickte. Er ging langsam den Haupttunnel hinunter und klopfte dabei immer wieder die Wände ab. Massiv. Dann ein hohler Ton. Er nahm einen Taschenschneidbrenner vom Gürtel seines Koppels und schnitt rasch ein Loch in die Wand.

Er warf einen Blick hindurch und lachte kurz auf.

"Ich wußte es." Er winkte die anderen herbei.

Cind schaute durch die Öffnung. Dahinter befand sich ein großer Raum, vollgestopft mit Kisten und Fässern. Ausschließlich Schmuggelware.

"Das Depot erfüllt eine Doppelaufgabe", sagte Otho. "Zum einen wird AM2 für das Imperium gelagert. Zum anderen nutzen es die

Schwarzmarkthändler von Dusable für ihre eigenen Zwecke. Ich hatte recht. Wie immer."

"Schön für dich", erwiderte Cind. "Aber deswegen wissen wir immer noch nicht, welchen Korridor wir nehmen müssen."

"Ach ... das. Überhaupt kein Problem", sagte Otho. "Ich war nur neugierig, was hinter diesem Puzzle steckt."

"Du meinst, du kennst den Weg?"

"Natürlich. Diese Dummköpfe von Dusable haben sich natürlich das einfachste Labyrinth ausgesucht. Wir nehmen den äußersten, linken Tunnel. Von da an halten wir uns immer links, egal wie viele Abzweigungen sie uns anbieten, und du wirst sehen, wir kommen im Handumdrehen ans Ziel."

"Wenn du dich irrst, irren wir womöglich stundenlang herum. Die ganze Mission könnte scheitern, ganz zu schweigen davon, wie kalt uns der Wind dann entgegenbläst."

"Du zweifelst an mir? An mir, Otho, dem Meister des Labyrinth-Spiels?" Angesichts dieses Mangels an Vertrauen weiteten sich Othos rotgeränderte Augen vor Erstaunen.

Cind zögerte einen Moment, zuckte dann jedoch die Achseln. "Führe uns", sagte sie.

Und das tat Otho. Sie gingen rasch den linken Korridor hinab, der plötzlich eine Biegung machte, die Richtung änderte und sich in eine Reihe weiterer Möglichkeiten gabelte. Aber Otho wählte immer den linken Gang. Manchmal führte der Weg in Sackgassen, und sie mußten ein Stück zurückgehen, um ihren Weg von der letzten Abzweigung aus weiterzuverfolgen.

Mit einem Mal bog der Korridor scharf nach links ab; es war fast genauso ein Knick wie der erste, der sie verwirrt hatte. Sie standen vor einem Schott.

Hinter dem Schott war leises elektronisches Summen zu hören.

Mit übertriebenem Pathos wies Otho auf das Schott. "Unser Ziel", intonierte er. Er blitzte Cind an und erwartete zweifellos ein kräftiges Lob.

Doch Cind nickte nur bestätigend und rannte zu dem Schott. Sie löste ein Abhörgerät von ihrem Kampfanzug, legte es auf das Schott und lauschte.

Einen Moment später gab sie das Schott frei, drückte auf einen Schalter, und es öffnete sich mit einem zischenden Geräusch.

Licht umflutete den sorgfältig durchdachten Computer, der alle Funktionen des AM2-Depots kontrollierte.

Cind stürzte in den Raum und ging direkt auf den Computer zu. Sie warf einen kurzen Blick auf die verschiedenen Optionen, drückte einige der Tasten, grinste, nahm dann ein programmiertes Fiche aus ihrer Gürteltasche und fütterte die Maschine damit.

Otho und die anderen Bhor nahmen ihre

vorgesehenen Sicherheitspositionen ein. "Die Jugend ist heutzutage so hartherzig", beschwerte sich Otho. "Die Erfahrung der Älteren gilt ihnen nichts mehr. Als ich noch jung war - noch zu jung, um Stregg zu trinken, es sei denn, mit der Muttermilch -

hätte mir meine Mutter bei

lebendigem Leibe die Haut abgezogen, wenn ich so wenig Respekt gezeigt hätte."

"Komm schon, es hat doch keinen Sinn, sich zu beklagen.. Zumindest hatte ich viel Spaß bei deinem Labyrinth-Spiel."

Er versetzte seinem Korporal einen kräftigen Schlag auf den Rücken. "War das nicht eine tolle Sache?"

Ehe der Korporal antworten konnte, ertönte ein unglaublich hohes Quietschen, dem ein lautes Gellen der Alarmanlage folgte.

Als die Computerstimme aus den Lautsprechern dröhnte und im ganzen Depot zu hören war, sprintete Cind aus dem Kontrollzentrum.

"Das Depot ist soeben von einem Meteoriten getroffen worden. Betroffener Sektor: das wichtigste AM2-Lager. Eine AM2-Explosion steht unmittelbar bevor. Das Personal wird aufgefordert, das Depot sofort zu verlassen. Vorgehen nach

Notfallverordnung 1422A. Keine Panik.

Wiederhole: Keine Panik. Ich wiederhole: Meteoritenaufprall."

"Jetzt nichts wie weg hier", rief Cind. Sie jagten los und arbeiteten sich aus dem Labyrinth heraus, wobei sie sich dieses Mal immer rechts hielten.

Im ganzen Depot kämpfte das Personal um die Plätze in den Rettungsschiffen. Während der Alarm gellte und die Computer ständig Anweisungen gaben, keine Panik aufkommen zu lassen, wurde gekratzt und geprügelt, um doch noch

mitzukommen. Innerhalb weniger Minuten hatte sich das Depot vollständig geleert. In kurzen Abständen hoben die Rettungsboote in den Hangars ab, wobei nicht wenige auf dem Weg zur sicheren Planetenoberfläche zusammenprallten.

Cinds Container startete in aller Ruhe.

Sie gab drei kurze Funk-Impulse durch. Mission erfüllt.

An Bord der Victory signalisierte Freston den Empfang der Botschaft und erteilte der Aoife sofort den Befehl, das Team an Bord zu nehmen und mit ihm zurückzukehren.

Freston wandte sich an Sten. "Alles bereit, Sir."

"Dann los."

Der AM2-Konvoi und das verlassene Depot trieben schweigend in ihrem Orbit dahin, als plötzlich die Victory aus dem Hyperraum auftauchte. Ihre Raketenabschußschächte öffneten sich, und die Victory zeigte die Zähne. Sechs Kalis schössen heraus.

Bevor sie ihr Ziel gefunden hatten, war die Victory schon längst wieder verschwunden.

Auf Dusable war kein Laut zu hören, als die Kalis ihr Ziel trafen und eine gewaltige AM2-Explosion auslösten. Kenna und die vielen tausend Werftarbeiter, die noch immer ihre Wahlparty feierten, bemerkten plötzlich, daß irgend etwas anders war. Es war ein sonderbarer, eher verschwommener Eindruck, als würden alle Objekte plötzlich ihre Dreidimensionalität verlieren. Als hätte man sie alle in eine Welt aus Flecken auf einem Blatt Papier transportiert.

Sie sahen zum Himmel empor. Doch der Himmel war verschwunden..

Alles, was sie sehen konnten, war ein

blendendweißes Licht.

Laute Schreie ertönten. Die Menge wankte hin und her, wurde von einer Welle totaler Hysterie erfaßt.

Kenna kämpfte um seine Selbstkontrolle. Er hob eine Hand, mahnte zur Ruhe.

Und mit einem Mal schien alles wieder völlig normal zu sein. Kein weißes Licht mehr. Alles wirkte wieder dreidimensional.

Kenna sog scharf die Luft ein. Dann klopfte ihm das Herz heftig gegen die Rippen, als er sah, daß der riesige Vid-Schirm über der Menschenmenge sein Bild nicht mehr übertrug.

Das Gesicht eines anderen Mannes blickte auf die Menge herab, ein vage bekanntes Gesicht. Lautes, erschrockenes Gestammel erhob sich in der Menge.

Plötzlich wußte Kenna Bescheid.

Das war Sten.

"Bürger von Dusable", erklang Stens Stimme in voller Lautstärke. "Ich habe euch schlechte Nachrichten zu überbringen. Eure Führer haben auf heimtückische Weise beschlossen, mit euren Leben zu spielen. Und sie haben euer Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit verkauft - verkauft an den Ewigen Imperator. Jetzt seid ihr seine versklavten Alliierten."

Wie besessen brüllte Kenna seinen Tech an, Stens Gesicht vom Monitor verschwinden zu lassen. Aber es war umsonst. Und nicht nur hier auf der Werft hörten und sahen die Menschen Sten sprechen. Die Übertragung war stärker als alle anderen Sendungen, überlagerte sämtliche Frequenzen auf diesem Planeten.

"In Anbetracht der enormen Bedeutung, die Dusable für dieses Imperium des Bösen hat, bleibt mir keine andere Wahl, als den gesamten Planeten auszulöschen, denn er stellt eine Bedrohung für mich und alle anderen freiheitsliebenden Wesen dar.

Die erste Attacke ist bereits erfolgt. Wir haben das AM2-Depot zerstört, mit dem der Verräter Solon Kenna so groß geprahlt hat. Wir haben auch den Konvoi voller AM2 zerstört, die der Judaslohn für seinen Verrat war."

Die Menge war wie hypnotisiert und hing an jedem Wort, das die überlebensgroßen Lippen auf dem Bildschirm formten. Kenna sah sich bereits nach einem Schlupfloch um.

"Meine Streitkräfte bereiten eine Serie von Angriffen auf eure Welt vor", sagte Sten.

Einige Leute in der Menge sahen sich entsetzt um, als müßte jeden Augenblick ein Geschoß neben ihnen in den Boden fahren.

"Es liegt jedoch nicht in unserer Absicht, unschuldige Zivilisten zu gefährden. Deswegen warne ich euch vor allen militärischen Zielen, die wir angreifen werden. Ich bitte euch dringend, diese Gebiete zu verlassen, und zwar sofort."

Sten hielt seine Liste vom Jüngsten Tag hoch. Er begann zu lesen: "Im Bezirk 3 die Waffenfabriken ...

Im Bezirk 45 die Werkzeugherstellung ... Bezirk 89, die Werft."

Kenna und seine gewerkschaftliche Gefolgschaft warteten den Rest der Liste nicht ab. Sten hatte gerade die Werft genannt, auf der sie alle standen und glotzten.

Schreiend, weinend, vergessene Götter um Gnade anflehend, wälzte sich die Menge aus der Werft und versuchte sich in aller Eile in Sicherheit zu bringen.

Kenna hatte zuviel Angst, um sich noch dafür zu schämen, daß er sich mitten unter ihnen befand.

Langsam und träge stürzte die Rakete vom Himmel herab, fiel bis auf zwanzig Fuß über dem breiten Boulevard und schwebte mit Hilfe eines hastig installierten McLean-Antriebs die Prachtstraße entlang. Dabei verkündete sie folgende Botschaft:

"Achtung. Ich bin eine Kali-Rakete. Ich trage einen nur schwach abgeschirmten nuklearen Sprengkopf. Versuchen Sie nicht, meinen Flug aufzuhalten. Ich habe es nicht darauf angelegt, unschuldige Zivilisten zu verletzen."

Die ganze Straße entlang suchten Passanten panisch nach Deckung. Fenster zersprangen, als das Geschoß in Höhe eines zweistöckigen Hauses vorbeiflog. Aus einer der Wohnungen heraus versuchte ein Kind, die Rakete mit einem Stöckchen zu berühren. Gerade noch rechtzeitig wurde es von seiner Mutter gepackt und vom Fenster

zurückgerissen.

Im Bezirk 3 flitzten die Arbeiter der Fabrik für Fernlenkwaffen aus dem ausgedehnten

Gebäudekomplex. Sie suchten zu Fuß, in A-Grav-Gleitern und mitunter sogar einer auf dem Rücken des anderen das Weite.

Langsam näherte sich eine Kali; sie glitt förmlich über ihren Köpfen dahin.

"Achtung. Achtung. Ich bin eine Kali-Rakete.

Mein Ziel ist diese Waffenfabrik. Verlassen Sie sofort das Gelände. Lassen Sie sich durch mein Erscheinen nicht in Panik versetzen. Meine Programmierung ist so eingestellt, daß ich in genau fünfzehn Minuten detoniere."

Der Text wurde wiederholt, während die Kali durch eine offene Tür ins Hauptgebäude der Fabrikanlage schwebte.

Ein Aufseher sah ängstlich zu, wie das Geschoß in den zentralen Arbeitsraum hineinglitt und dort auf dem Boden landete.

"Sie haben jetzt noch fünfzehn Minuten Zeit zur Evakuierung, Bitte verlassen Sie sofort das Gelände.

Ich möchte keine unschuldigen Zivilisten verletzen...

Sie haben jetzt noch vierzehn Minuten und fünfzig Sekunden Zeit für die Evakuierung. Bitte verlassen Sie sofort..."

Der Aufseher und sein Team benötigten keine weiteren Aufforderungen mehr. Sie rannten sofort los.

In einer Zapfenlagerfabrik im Bezirk 45 steckte ein Geschoß bis

zur Nase in einem Krater.

"Bitte verlassen Sie sofort das Gelände. Ich bin mit vierundzwanzig Sprengköpfen ausgerüstet. Der erste detoniert in einer Stunde. Bitte kehren Sie nach der ersten Explosion nicht auf das Gelände zurück.

Die anderen Sprengköpfe sind so programmiert, daß sie in stündlichem Abstand explodieren. Warnung.

Ich bin eine Kali-Rakete. Bitte -"

Ein bulliger Bezirksleiter, der ganz und gar nicht damit einverstanden war, um seine vertraglich zugesicherten Überstunden betrogen zu werden, stürmte, ein zwei Meter langes Stahlrohr schwingend, auf das Geschoß zu.

Er schlug zu. Und verschwand vom Angesicht des Planeten, als die Kali explodierte.

Zwei Fabrikgebäude stürzten in sich zusammen, als die volle Sprengkraft wirksam wurde. Aber nur der Bezirksleiter und vier seiner Mitarbeiter kamen ums Leben. Die restlichen dreizehntausend Arbeiter hatten auf ihren gesunden Menschenverstand gehört und sich in Sicherheit gebracht. Sie waren schon lange geflohen.

In Dusables größter Werft befanden sich keine Politiker, keine Mitläufer oder irgendwelche anderen Lebewesen mehr. Hunderte von verlassenen Frachtern, Transportern, Verkehrsflugzeugen und Privatmaschinen standen auf dem Gelände herum.

Es regnete Kalis. Sie gingen ohne Warnung nieder.

Nach zwei fürchterlichen Minuten war die Werft nur noch ein qualmendes Erdloch, umgeben von zerfetzten Fassaden und geschmolzenem Metall.

Jedes Landefeld hatte sich in einen Krater verwandelt. Der Hafen würde jahrzehntelang nicht mehr zu benutzen sein.

Sten überprüfte den Schaden auf dem Monitor.

Ein Bild der Zerstörung nach dem anderen sprang ihn an.

Fabriken waren ausradiert.

Rauch und Feuer züngelten an verschiedenen Orten hoch -

die Folgen auf Verzögerung

programmierter Explosionen.

Nicht nur eine, sondern dreißig Werften waren vollständig vernichtet.

Es würde lange dauern, bevor Dusable wieder eine Bedrohung darstellte - oder irgend jemanden unterstützen konnte.

Während diese unglaublichen Bilder der

Zerstörung an ihm vorbeirauschten, beschlich ihn plötzlich ein eigenartiges, schwindelerregendes Gefühl. Er fühlte sich geradezu übermütig. Mächtig.

Fast... wie ein Gott?

Einen Herzschlag lang wußte er plötzlich, wie man sich als Ewiger Imperator fühlte.

Sten schauderte und wandte sich voller

Selbstverachtung ab.

Captain Freston hielt ihn an, als er gerade die Kommandobrücke verlassen wollte. "Da ist etwas Komisches geschehen, Sir", sagte er mit besorgtem Gesichtsausdruck.

"Ja?"

"Diese AM2-Fracht. Unser

Kommunikationsoffizier erwischte einen

merkwürdigen Funkimpuls, kurz bevor die Raketen auftrafen."

"Sind Sie sicher, daß er von diesem Schiff ausging?"

"Jawohl, Sir. Ich habe es selbst nachgeprüft. Die Nachricht war kodiert. Was auch sonst."

"Und wohin wurde dieses Signal gesendet?"

fragte Sten.

"Das ist noch merkwürdiger, Sir", sagte Freston.

"Ich selbst habe die Koordinaten mehrfach nachgeprüft. Ich erhalte immer die gleiche Antwort."

"Nämlich?"

"Mitten ins Nichts hinein. Die Nachricht ging nirgendwohin."

Sten 8 Tod eines Unsterblichen
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