Kapitel l

Was von der Imperialen Angriffsflotte noch übriggeblieben war, floh durch das schwarze Dunkel zwischen den Sternclustern. Es handelte sich um einen Einsatzschiff-Träger, zwei schwere und einen leichten Kreuzer mit ihren Zerstörerflottillen sowie, im Zentrum der Formation, Versorgungseinheiten und Truppentransporter, die die von der Schlacht gezeichneten Reste der l. Imperialen Gardedivision aufgenommen hatten.

Als Flankenschutz und Rückendeckung der Formation diente das große Schlachtschiff Victory.

Sten stand auf der Brücke der Victory und blickte auf einen strategischen Bildschirm. Er nahm weder das Glühen "vorne" wahr, welches das Imperium darstellte, noch die Symbole weiter "hinten", die für den von Anarchie zerrissenen Altai-Cluster standen.

Zwei E-Tage vorher:

Sten: Bevollmächtigter Botschafter. Persönlicher Emissär des Ewigen Imperators. Admiral. Unzählige Medaillen und Auszeichnungen, vom Galaktischen Kreuz abwärts, inklusive des Großritterordens des Imperialen Hofstaates. Held.

Jetzt:

Sten: Verräter. Abtrünniger. >Und<, dachte er,

>nicht zu vergessen: Mörder.<

Unter den Symbolen, die bildhaft darstellten, was

"hinter" der Victory lag, war an der Stelle, an der sich das Imperiale Schlachtschiff Caligula mitsamt Admiral Mason und mehr als dreitausend loyalen Imperialen Raumsoldaten befunden hatte, noch eine Markierung zu sehen. Die waren von Sten ins All geblasen worden, weil sie den direkten Befehl befolgt hatten, die Hauptwelt des Altai-Clusters zu vernichten, einen Befehl, der vom Ewigen Imperator persönlich erteilt worden war.

"Boß, ich hätte da einen kleinen Vorschlag."

Stens Augen -

und seine Gedanken refokussierten sich. Alex Kilgour. Stens bester Freund. Ein ziemlich stämmig aussehender Schwerweltler, der wahrscheinlich noch besser als Sten über Tod und Zerstörung Bescheid wußte.

"Bericht." Ein Teil von Stens Bewußtsein, derjenige, der stets Abstand zu dem Gezeter und Geschrei des Alltags hielt, fand es komisch, daß sie beide immer noch den Slang aus ihren mittlerweile längst vergangenen Tagen in der Sektion Mantis benutzten, jener streng geheimen Einheit, die der Imperator für verdeckte Operationen einsetzte.

"Erzähl schon."

"Davon ausgehend, daß du keine Ahnung vom entbehrungsreichen Dasein der Ausgestoßenen hast, sondern dein ganzes Leben damit verbracht hast, Loblieder und so'n Zeug zu singen, ist dir höchstwahrscheinlich nicht bekannt, daß Robby-Roy-Typen keine Zeit haben, mal 'ne kleine Pause zu machen und an den Blümchen zu riechen, wenn sie ihren Hals dabei nicht gleich in die Schlinge stecken wollen."

"Vielen Dank, Mr. Kilgour. Ich versuche daran zu denken."

"Keine Ursache, alter Knabe. Egal was dir fehlt, du brauchst mich nur zu rufen."

Sten wandte sich vom Bildschirm ab. Um ihn herum stand die Brückenwache der Victory und wartete. Die beste Truppe seines langgedienten persönlichen Stabes, nicht die üblichen Rangabzeichenjäger, sondern eher Stens private Spionageagentur.

Dreiundzwanzig Gurkhas - nepalesische Söldner, die dafür berühmt waren, daß sie nur als Leibwache des Imperators dienten. Diese hier jedoch hatten sich freiwillig für einen Sonderdienst gemeldet: als Leibwache ihres ehemaligen Kommandanten Sten.

Otho plus sechs weitere Bhor. Untersetzte, zottelige Monster mit langen Barten, gelben Fangzähnen und so langen Armen, daß die Fingerknöchel über den Boden schleiften. Sie schienen immer dann am glücklichsten zu sein, wenn sie entweder einen Feind genüßlich entzweireißen oder wenn sie das gleiche im Rahmen eines geschickten Multiwelt-Deals mit seinem Bankguthaben machen konnten. Andererseits waren sie große Freunde epischer Gedichte von eddahaften Ausmaßen. Es gab noch hundert weitere von ihnen an Bord der Victory.

Dazu ihre Kommandantin:

Cind. Menschlich. Versierte Scharfschützin.

Abkömmling einer mittlerweile ausgelöschten Kriegerkultur. Überaus respektierte

Gefechtsführerin.

Eine sehr schöne Frau. Stens Freundin und Geliebte.

>Genug Erbsen gezählt<, dachte er. >Kilgour hat recht: ein Wolf kann nicht das Risiko eingehen, auf einer sonnigen Lichtung zu liegen und den Bienen beim Summen zuzuhören; es sei denn, er hätte plötzlich beschlossen, eine neue Karriere als Kaminvorleger zu starten.<

"Armierung?"

"Sir?" Die junge Frau wartete. Sten fiel wieder ein, wie der Lieutenant hieß: Renzi.

"Bringen Sie Ihre Leute zurück auf die Stationen.

Commander Freston" - das war sein langjähriger persönlicher Com-Offizier - "ich müßte ... Ach, verflucht. Vergessen Sie's."

Sten erinnerte sich. "Sie beide", sagte er und hob die Stimme. "Auch alle anderen, die es interessiert, können zuhören.

Es sind einige Veränderungen eingetreten. Ich habe soeben dem Imperator den Krieg erklärt. Was mich zum Verräter macht. Ich verlange von niemandem, daß er weiterhin meine Befehle befolgt.

Niemandem, der seinem Eid treu bleibt, wird auch nur ein Haar gekrümmt. Wir werden -"

Seine Worte wurden vom Geheul der Sirenen unterbrochen, mit denen Waffenoffizier Renzi ihre Leute auf die Stationen rief und damit Stens ersten Befehl ausführte.

Das war eine klare Antwort.

Freston gab eine andere: "Wie bitte, Sir? Es gab eine Funkstörung, und ich hatte Sie verloren. Ihre Befehle?"

Sten hielt eine Handfläche hoch, damit Freston dranblieb.

"Waffenleitstand, ich möchte, daß alle Kali-und Goblin-Werferstationen auf volle Feuerbereitschaft gehen. Einige unserer Imperialen Freunde könnten auf die Idee kommen, einen Abtrünnigen zur Strecke zu bringen. Noch dazu wurde die Caligula von vier Zerstörern eskortiert. Falls irgendein Schiff eine Attacke fliegt, setzen Sie ihm eine Gobiin als Warnschuß vor den Bug."

"Und wenn sie weiter vorrücken?"

Sten zögerte. "Dann setzen Sie sich noch einmal mit mir in Verbindung. Keine Kali-Abschüsse ohne meinen ausdrücklichen Befehl, jeder Abschuß wird entweder von mir oder von Mister Kilgour kontrolliert."

Bei den Kalis handelte es sich um

computergesteuerte Schiffszerstörer.

"Das ist nicht -"

"Doch, das ist ein Befehl. Befolgen Sie ihn."

"Jawohl, Sir."

"Commander Freston. Stellen Sie mir eine abhörsichere Verbindung zu General Sarsfield her, egal auf welchem Transporter er sich gerade befindet." Sarsfield war der Oberste Befehlshaber der Gardisten und nach Sten der ranghöchste Offizier. Freston betätigte die Tastatur.

"Eine andere Sache noch", sagte Sten. "Haben Sie die C&S-Schule durchlaufen?"

"Ja, Sir."

"Gibt es irgendwelche schrecklichen Sünden in Ihrer Vergangenheit? Etwas, das Ihnen im Weg stehen könnte, dem Idealbild eines Schiffskapitäns zu entsprechen? Haben Sie die Barkasse des Admirals gerammt? Die Schiffskanonen mit Karbolsäure poliert? Bier geschmuggelt? Schinken zur Seite geschafft? Mit Unzucht geprahlt?"

"Nein, Sir."

"Schön. Ich habe gehört, daß Piraten befördert werden, bevor sie gehängt werden. Die Victory ist Ihr Schiff, Mister."

"Jawohl, Sir."

"Danken Sie mir nicht. Das bedeutet lediglich, daß Sie nach Kilgour wahrscheinlich der nächste sind, der über die Klinge springt. Mister Kilgour?"

"Sir?"

"Alle Leute, die keinen Dienst haben, zum Haupthangar."

"Jawohl, Sir."

Dann fiel Sten auf, daß Alex die Hand hinter dem Rücken hervorzog. Es sah aus, als hätte er an einer alten Kriegswunde in der Nähe des Steißwirbels herumgefingert. Nur daß Kilgour keine derartige Wunde vorweisen konnte; seine Hand hatte vielmehr die ganze Zeit auf dem Kolben einer Miniwillygun geruht, die in seinem Hosenbund versteckt war. Alex ließ es nicht darauf ankommen: Loyalität dem Imperator gegenüber wäre theoretisch durchaus akzeptabel. Sollte jedoch jemand tatsächlich seinen Eid, >das Imperium und sein Wohlergehen bis in den Tod zu verteidigen<, einlösen wollen, so stünde er ganz oben auf der Liste der neuen Märtyrer. Und wahrscheinlich wäre Kilgour der erste, der gleich im Anschluß daran lauthals ihre Fahnentreue bewunderte.

Ein Bildschirm wurde scharf. Sarsfield.

"General, sind Sie sich darüber im klaren, was passiert ist?"

"Allerdings."

"Sehr gut. Angesichts der Ereignisse sind Sie nun der ranghöchste Offizier der Flotte. Bis Sie anderslautende Befehle vom Imperium erhalten, würde ich vorschlagen, daß Sie den gegenwärtigen Kurs auf die nächstgelegenen Welten des Imperiums beibehalten.

Ich muß Sie jedoch darauf hinweisen, daß jeder Versuch, sich in die Belange der Victory oder ihrer Manöver einzumischen, mit maximaler Gewalt beantwortet wird. Wie auch immer, keines Ihrer Schiffe ist in Gefahr, wenn Sie diesen Anweisungen folgen."

Der alte Soldat zog eine Grimasse. Er holte tief Luft und setzte an, um etwas zu sagen. Dann überlegte er es sich anders.

"Ihre Nachricht wurde verstanden."

"Sten. Ende."

Der Bildschirm erlosch. Sten fragte sich, was Sarsfield hatte sagen wollen - daß keines der Imperialen Schiffe auch nur über ein Viertel der Feuerkraft der Victory verfügte und diese auch nicht von Lebensmüden gesteuert wurden? Oder wollte er

- Sten verwünschte sich selbst, weil immer noch ein Rest Romantik in ihm steckte - >Viel Glück< sagen?

Es war letztlich egal.

"Jemedar Lalbahadur?"

"Jawohl, Sir!"

"Lassen Sie Ihre Leute antreten. Ich brauche Sie als flankierende Sicherheitsmaßnahme."

"Sir!"

"Captain Cind. Ich möchte, daß auch Ihre Leute aufmerksam um mich herumtänzeln."

"Sie zücken bereits ihre Waffen", sagte Cind.

"Commander - pardon, Captain Freston, machen Sie das persönliche Boot des Captains startklar. Wir stehlen Ihnen irgendwo ein anderes."

>Interessant<, dachte Sten, >wie schnell man diese drückende Zwangsjacke abschüttelt, auf welche die Raumflotte so viel Wert legte.<

"Jawohl, Sir."

"Mister Kilgour ? Sollen wir los und die Grenze mit unseren Säbeln ziehen und mal sehen, ob jemand in der Stimmung für ein zweites Alamo ist?"

Alex zögerte.

"Wenn Sie das wollen, Sir. Aber es gibt da noch eine andere kleine Angelegenheit ... eine Sicherheitsangelegenheit ... Ich denke, ich würde am besten -"

"Oh, Gott!"

Plötzlich fiel Sten die Sicherheit wieder ein. Er hatte keine Ahnung, weswegen Alex zögerte, aber er selbst erinnerte sich wieder an zwei fette Trumpfkarten. Falls sie immer noch von Wert waren. Er entriegelte die Vorderseite seines Kampfanzuges, zog den flachen Beutel heraus, der an einem Band um seinen Hals hing, und nahm zwei Plastikquadrate heraus.

"Halten Sie sich bereit", befahl er.

Sten eilte auf die andere Seite der Brücke zum Zentralcomputer. Er wies die beiden Operatoren an, die Kabine zu verlassen, zog den Sicherheitsvorhang rund um die Station zu und ließ eine Tastatur herausgleiten.

Er betätigte einige Tasten.

Die Station war eine von dreien auf der Victory mit einem Zugang zu ALL/UN - dem zentralen Imperialen Computernetz, mit dem man jedes Imperiale Kommando auf jedem Planeten und auf jedem Schiff des Imperiums erreichte.

>Es müßte klappen<, dachte Sten, war sich jedoch nicht so sicher.

Wahrscheinlich war die Victory vom Zugang zu allen Quellen abgeschnitten, genau wie der Imperator Stens gewohnte Direktverbindung zu seinem Privatquartier unterbrochen hatte.

Wochen vergingen. Monate. Jahrzehnte. Sten wußte, daß sein Körper bereits mit der C-14-Methode hätte datiert werden können, bevor der Bildschirm sich endlich aufhellte und ihm die Zeichen ALL/UN freundlich zublinkten, um kurz darauf wieder zu verschwinden.

Dann: ACCORDANZA.

Sten gab den Code der Victory ein.

Wieder dauerte es Ewigkeiten.

Als nächstes erschienen höchstwahrscheinlich die Simulation eines steif ausgestreckten menschlichen Mittelfingers und der Hinweis ZUGANG

VERWEIGERT auf dem Bildschirm.

Statt dessen: ATELIER.

Sten lud das Programm, das sich auf dem ersten Plastikchip befand. Wieder mußte er warten, dann: BORRUMBADA. >Verdammt<, dachte er. Sie gingen darauf ein. Schon wieder: ATELIER. Der zweite Chip wurde eingespeist. Und wieder akzeptierte Imperial All Units das Programm. >Nun beten wir ganz kräftig und hoffen, daß die beiden kleinen Kerlchen ihre Magie entfalten.< Die Chips waren ein Geschenk von Ian Mahoney, Stens ehemaligem Kommandanten bei Mantis und ehemaligem Flottenadmiral; zudem war er seit Äonen schon das, was man in Verbindung mit dem Ewigen Imperator noch am ehesten als guten Freund hätte bezeichnen können. Aber Mahoney war tot vom Imperator selbst des Verrats angeklagt und exekutiert.

>Es ist jammerschade, Ian<, dachte Sten, >daß du diese Dinger nicht mehr selbst benutzen und anwenden konntest, bevor der Ewige Schwachkopf dich umbrachte.< Er riß sich zusammen. Auch dafür war jetzt keine Zeit.

Sten schob den Sicherheitsvorhang zur Seite.

Draußen stand Alex und wartete auf ihn.

"Ich danke dir, Boß, daß du mir den Stuhl vorgewärmt hast. Bist du endlich fertig?"

"Jawohl, Sir, Mister Kilgour, Sir. Darf ich vorbei, Sir, sofort, Sir. Soll ich Tee hereinbringen lassen, Sir?" "Diese widerliche Flüssigkeit ist höchstens dazu geeignet, in den Adern von Engländern zu fließen. Ich nehme zu gegebener Zeit lieber einen richtigen Schluck." Und Kilgour zog den Vorhang zu.

Sten betrat eines der Gleitbänder, die die Brücke mit der zentralen Transitröhre des Schlachtschiffs verbanden und von dort aus zum Hangar in der Nähe des Hecks führten. Ohne eigens dazu aufgefordert zu werden, trotteten die Gurkhas hinter ihm her, die Willyguns griffbereit schräg vor der Brust.

Cind und ihre Bhor warteten an einer Kreuzung.

Sie gab ihren Leuten und den Gurkhas ein Zeichen zum Weitergehen.

Einen Moment lang standen sie und Sten alleine in der Biegung eines Korridors.

"Danke", sagte sie und küßte ihn.

"Wofür denn?"

"Dafür, daß du nicht fragst."

"Was fragen?"

"Du bist ein Dummkopf", sagte sie.

"Du meinst -"

"Das meine ich."

"Aber ich habe nicht im Traum daran gedacht, daß du eventuell... ich meine-"

"Du hast recht, ich bleibe eine Freiwillige. Hinzu kommt, daß ich niemals irgendeinen Eid auf irgendeinen Imperator abgelegt habe. Nebenbei bemerkt: ich suche mir immer die Seite des Gewinners aus."

Sten betrachtete sie aufmerksam. Offensichtlich sollte das weder ein Witz sein, noch der Versuch, seine Moral zu stärken.

"Meine Vorfahren waren Jann", fuhr sie fort. "Sie dienten Tyrannen, die sich hinter der Lüge versteckten, sie seien die Stimme eines Gottes, den sie sich nur ausgedacht hatten.

Ich schwor, daß ich, wenn ich jemals Soldatin werden könnte, nicht wie sie sein würde. In der Tat ging es bei dem Soldatentum, von dem ich träumte, darum, mitzuhelfen, solche Dreckschweine wie die Propheten loszuwerden. Oder solche wie Iskra. Oder den Imperator."

"Na schön", meinte Sten, "das hast du mir schon einmal erzählt. Wie es aussieht, wirst du deine Chance bekommen. Oder zumindest eine gute Gelegenheit, mit Pauken und Trompeten

unterzugehen."

"Ach was", widersprach Cind. "Wir werden ihm in den Arsch treten. Jetzt komm schon. Du mußt eine Predigt halten."

Sten stand auf dem Stummelflügel eines

Einsatzschiffs und blickte auf die nahezu zweitausend Wesen hinunter, die um ihn herum versammelt waren: die Besatzungsmitglieder der Victory, die nicht dringend auf der Waffenstation oder für den laufenden Betrieb des Schiffes benötigt wurden, dazu die Überreste des Botschaftsstabes. Er hielt es für keine sehr tolle Aufgabe, öffentlich Tyrannenmord zu predigen. Er versuchte, nicht zu den oberen Laufstegen des Hangars

hinaufzuschauen, wo die Scharfschützen der Bhor und Gurkhas abwarteten, ob nicht doch

irgendwelche Arten nichtverbalen Einspruchs erhoben wurden.

"Schön und gut", schloß er. "So sieht es also aus.

Ich habe den Imperator kopfüber da reingestoßen. Er hat keine Möglichkeit, mich verschwinden zu lassen und gleichzeitig so zu tun, als ob nichts passiert wäre. Was ich auch auf keinen Fall vorhabe.

Ich werde nicht sagen, was als nächstes kommt.

Denn ich finde nicht, daß irgend jemand von euch sich freiwillig melden sollte, um bei mir zu bleiben.

Jeder von euch, der gut im Aufstellen von Prognosen ist oder in Kampfanalyse nicht geschlafen hat, kann sich die Aussichten an zehn Fingern abzählen.

Ich habe die Victory, und vielleicht hier und da ein paar Leute, die ebenso wie ich davon überzeugt sind, daß es höchste Zeit ist, zurückzuschlagen.

Genau das habe ich vor.

Ich habe den Großteil meines Lebens dem Imperator gedient. Aber die Dinge sind aus dem Lot geraten. Wie der Altai-Cluster zum Beispiel. Gut, diese armen Wesen waren verrückt und blutrünstig, und das schon seit vielen Generationen.

Aber wir sind diejenigen, die alles zum Auseinanderfallen gebracht haben. Wir sind dafür verantwortlich, daß aus dem Tumult ein blutiges Chaos geworden ist."

Sten mußte sich bremsen. "Nein", sagte er und senkte seine Stimme, so daß diejenigen weiter hinten aufmerksam zuhören mußten. "Ich sollte nicht sagen

>wir<. Denn ihr, ich, wir alle haben unser Bestes getan.

Aber unser Bestes war nicht gut genug. Denn es gab jemanden, der sein eigenes Programm laufen hatte. Der Imperator. Wir befolgten seine Befehle und seht euch an, was dabei herauskam. Doch ich wollte auf keinen Fall zulassen, daß es durch die Vernichtung eines ganzen Planeten gedeckt würde.

Das ist eigentlich alles, was ich euch sagen wollte. In Kürze werden wir das Boot des Käpt'n startklar haben. Es wird den Kurs der verbliebenen Imperialen Flotte kreuzen. Ihr habt eine Schiffsstunde, um eure Siebensachen

zusammenzusuchen und an Bord zu gehen.

Tut das, Leute. Ihr werdet wesentlich länger leben, wenn ihr beim Imperator bleibt, egal, wer er ist und was er tut. Mir bleibt keine Wahl mehr. Ihr habt sie noch.

Eine Stunde. Bringt euch aus der Schußlinie. Tut es jetzt. Alle anderen hingegen, diejenigen, die es satt haben, einem Verrückten zu dienen, der scharf darauf ist, das Imperium in ein Chaos zu verwandeln

- ähnlich dem Chaos, das wir soeben verlassen haben -, gehen dort hinüber zur Hangarwand.

Das war's. Vielen Dank für eure Hilfe. Danke für eure Dienste. Und allen viel Glück, egal, wofür ihr euch entscheidet. Wegtreten."

Sten wandte sich ab. Er tat so, als müsse er sich dringend mit Cind unterhalten, aber seine Ohren lauschten dem tiefen Gebrumm von Stimmen, und dann dem Poltern von Stiefelabsätzen auf dem Deck.

Cinds Augen waren nicht auf ihn gerichtet, sondern auf die Szene hinter ihm, um nach potentiellen Angreifern Ausschau zu halten.

Dann hörten die Stimmen und Geräusche auf.

Sten zwang sich dazu, sich umzudrehen. Er blinzelte erstaunt. Bevor er fragen konnte, hatte Cind die Antwort parat.

"Die ersten, die sich rührten, waren die Mitglieder deines Stabes. Ich würde sagen, ungefähr neun von zehn werden dabeibleiben. Du hast sie tatsächlich schon versaut."

"Verdammt", war alles, was Sten herausbrachte.

"Doch, ehrlich", beharrte Cind. "Außerdem bleiben dir etwa zwei Drittel der Mannschaften. Ich dachte immer, in der ganzen Flotte meldete sich niemand freiwillig für etwas. Aber ich denke, du hast jetzt eine ganze Truppe zukünftiger Rebellen beisammen."

Bevor Sten irgend etwas tun konnte - etwa auf die Knie fallen und ein paar Bhor-Gottheiten dafür danken, daß die Victory mit mehr als tausend hirngeschädigten Mannschaftsmitgliedern gesegnet war -, dröhnte es aus den Lautsprechern:

"Sten zur Brücke, Sten zur Brücke!"

In der Stimme des Sprechers war ein leichter Anflug von Emotionen nicht zu überhören; und das wiederum bedeutete, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Katastrophe unmittelbar bevorstand.

"Diese sechs Bildschirme zeigen Einblendungen vom Bordkommunikationssystem der Bennington.

Sie erschienen direkt nach dem ersten Kontakt."

Sten warf einen Blick auf die Schirme. Sie zeigten Waffenstationen und Geschützkonsolen, eine wie die andere verlassen.

"Ich gehe nicht davon aus, daß es sich um Echtzeit-Übertragungen handelt", fuhr Freston fort.

Sten sah zum Hauptbildschirm hinauf. Auf ihm war die Bennington zu sehen, der Einsatzschiff-Träger und damit das schwerste Schiff in Sarsfields Flotte. Sie wurde von zwei Punkten flankiert, die eine ID-Einblendung als Zerstörer identifizierte.

Alle drei Schiffe bewegten sich mit voller Geschwindigkeit auf die Victory zu. Entweder hatte Sarsfield ein Selbstmordrennen befohlen - denn die Möglichkeit, daß der Transporter sich mit dem Schlachtschiff ein Feuergefecht liefern wollte, war gleich null -oder dort draußen ereigneten sich noch ganz andere seltsame Dinge.

"Ich habe", meinte Freston, "sechs Kali-Stationen besetzen lassen, die innerhalb von vier Sekunden ihre Ziele erfassen können und abschußbereit sind."

"Wiederholen Sie die erste Übertragung von der Bennington."

Freston spielte sie auf einem zweiten Bildschirm noch einmal ein.

Er zeigte die Kommandobrücke der Bennington, die so aussah, als habe hier vor kurzem eine heftige Kneipenschlägerei stattgefunden. Der weibliche Offizier auf dem Monitor hatte einen bandagierten Arm, ihre Uniform war zerrissen.

"Victory, hier ist die Bennington. Bitte antworten Sie mit Richtfunk und auf ausschließlich dieser Frequenz. Hier Commander Jeffries. Ich habe das Kommando über die Bennington übernommen. Die Offiziere und Mannschaften des Schiffs haben sich von der Autorität des Imperiums losgesagt und befinden sich nun unter meinem Befehl. Wir möchten uns Ihnen anschließen. Bitte antworten Sie." Der Bildschirm flimmerte, und die Nachricht wurde wiederholt.

"Außerdem haben wir einen Funkspruch von einem der Zerstörer, von der Aoife", sagte Freston..

"Die andere ist die Aisling. Beides Ewer-Klasse." Er wies auf einen anderen Bildschirm mit dem entsprechenden Eintrag aus dem Jane's, den Sten jedoch ignorierte.

"Dieser Funkspruch ist kürzer und nicht verschlüsselt. Er lautet wie folgt: >Aoife und Aisling schließen sich an. Akzeptieren Stens Kommando.

Heimatwelt beider Schiffe im Honjo-System.< Erklärt das etwas, Sir?"

Ein wenig schon. Aber nicht viel. Die Honjo waren im ganzen Imperium als Händler bekannt.

Und wurden aufrichtig gehaßt. Sie waren auf lächerlich überzogene Weise ethnozentrisch und nur auf maximalen Profit ausgerichtet, darüber hinaus aber absolut loyal gegenüber jeglichem Herrn, dem sie sich verpflichtet hatten - solange ihre Loyalität erwidert wurde. Außerdem konnten sie

kompromißlose Gegner sein, bis hin zum

Rassenselbstmord, wie das Privatkabinett schmerzlich erfahren mußte, als er versucht hatte, das AM2 der Honjo zu stehlen.

Sten hatte Gerüchte gehört, daß die Honjo seit der Wiederkehr des Imperators das bis zu einem gewissen Grad gerechtfertigte Gefühl hatten, daß man sich für ihre Loyalität dem Imperium gegenüber nicht angemessen (also mit viel Geld) erkenntlich gezeigt hatte.

"Ziehen Sie die Kali-Überwachung dieser beiden Schiffe ab. Stellen Sie Kontakt her, sobald ich hier fertig bin, und teilen Sie ihnen mit, daß wir ihre Nachricht erhalten haben und sie sich für weitere Instruktionen bereit halten sollen", befahl Sten. "Wir werden bald herausfinden, inwieweit sie uns unterstützen. Stellen Sie mich zu dieser Jeffries auf der Bennington durch."

Die Verbindung stand schnell, die Unterhaltung war kurz. Die Besatzung der Bennington hatte tatsächlich gemeutert. Der Captain war tot. Fünf Offiziere und zwanzig Mannschaftsmitglieder befanden sich in der Krankenabteilung. Ungefähr dreißig Prozent der Crew, die nun unter Waffen stand, war dem Imperium gegenüber loyal geblieben.

"Erbitte Ihre Befehle, Sir", schloß Jeffries.

"Als erstes", sagte Sten und überlegte rasch,

"möchte ich Sie in meinem Alptraum willkommen heißen und Ihnen sagen, daß ich Sie alle für verrückt halte. Zweitens: halten Sie alle Loyalisten zum Umladen bereit. Wenn Sie einen

Versorgungsleichter haben, benutzen Sie den. Wenn nicht, bleibt als einzige Alternative, genügend Einsatzschiffe zu entwaffnen. Drittens: lassen Sie Ihre Gefechtsstationen unbemannt. Tut mir leid, aber wir können uns momentan nicht leisten, irgendwem zu trauen.

Viertens: bereiten Sie sich auf baldigen Besuch vor. Fünftens: richten Sie Ihre Navigationscomputer so ein, daß sie dem Kommando dieses Schiffes folgen. Wir werden ein bißchen herumreisen, und Sie werden unser Geleit bilden. Das war's."

"Jawohl, Sir. Geht klar. Halten uns bereit, bis Ihr Personal an Bord kommt. Und ... wir danken Ihnen."

Sten schaltete den Bildschirm ab. Er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, warum sich noch ein anderer Haufen Idioten freiwillig für die Todeszelle meldete. Er blickte sich nach Alex um und entdeckte ihn zufrieden grinsend an der Hauptkonsole lehnen.

Kilgour kreuzte verstohlen zwei Finger. Sten hatte das -Bedürfnis, ein wenig zu grummeln, und ging zu ihm hinüber.

"Pardon, Sir, aber bevor wir weitermachen, hätte ich da einen Bericht... Wir sind immer noch reich, alter Knabe."

Sten unterdrückte den selbstmörderischen Drang, Alex einen Tritt zu versetzen. Was zum Teufel hatte das mit

"Da wir in Eile sind, halte ich den Input kurz und knapp. Während du deinen üblichen Aufgaben nachgegangen bist und die Idioten inspiriert hast, hab ich mal unsere Kontoauszüge überprüft.

Denn zu einem richtigen Gesetzlosen gehört gefälligst ein gewisses Maß an Liquidität. Also hab ich sämtliche Aktivposten, auf die ich raschen Zugriff hatte, in eine alte Geldwaschbank aus Mantis-Tagen geschaufelt."

Sten machte Anstalten, etwas zu sagen, merkte dann aber, daß Kilgour nicht aus Habgier gehandelt hatte. Revolutionen werden, wie die Politik auch, mit Credits betankt und scheitern an deren Fehlen fast ebenso oft wie daran, daß sie keine geeignete Alternative zu bieten haben. Sten würde, wenn er diesen Krieg überleben, geschweige denn gewinnen wollte, alle Credits benötigen, die im bekannten Universum kursierten.

Und Kilgour hatte, was ihre Reichtümer anging, nicht übertrieben. Vor vielen Jahren, als sie noch Kriegsgefangene der Tahn gewesen waren, hatte ihre ehemalige Mantis-Kampfgefährtin, die Romafrau Ida, sich die ihnen zustehenden Gehälter unter den Nagel gerissen und gewaltige Reichtümer aus ihnen gemacht. Sie waren so wohlhabend, daß Sten sich einen eigenen Planeten hatte kaufen und Kilgour auf seiner Heimatwelt Edinburgh ein halbes Dutzend Burgen mitsamt umliegenden Anwesen hatte errichten können.

"Daran denkend, daß wahrscheinlich jemand dieser Fährte folgen wird, habe ich die Überweisung anschließend an Ida zurückverschoben, zusammen mit einer kleinen Nachricht, daß sie sich bereit halten soll und sich schon mal auf unsere Gesellschaft freuen darf, die fette Kuh. Ich denke, wir können die Zigeuner noch gut brauchen, bevor dieses Hin und Her ein Ende hat.

Außerdem habe ich unserem König der

Schmuggler eine kleine Nachricht zukommen lassen, aber ich weiß nicht genau, ob seine Adresse noch auf dem alten Briefkasten steht.

Das ist alles, Boß. Was jetzt, hast du Arbeit für mich? Ich nehme mal an, wir sind so schlau, daß wir uns jetzt nicht einen schönen Dachsbau suchen und dann hinter uns die Schotten dichtmachen, oder?"

Alex stellte sich gerade hin und nahm Haltung an.

Sten nickte zustimmend.

"Da liegst du völlig richtig. Der Imperator würde uns nur seine Jagdhunde auf den Hals hetzen.

Darüber müssen wir uns also keine Sorgen machen.

Schnapp dir die Hälfte der Bhor und geh rüber auf die Bennington. Dort stellst du sicher, daß sie die Sache wirklich ernst nehmen."

"Und wenn nicht?"

"Tu, was dir richtig erscheint. Wenn es aber eine Falle ist, laß sie bluten, nicht uns. Ich halte zwei Kali-Stationen feuerbereit, bis du mir das Gegenteil signalisierst; außerdem lasse ich draußen ein Geschwader Einsatzschiffe patrouillieren."

"Bin schon weg." Und so war es auch.

Sten wollte tief Luft holen und sich einen Plan zurechtlegen - aber ihm blieb kaum Zeit, auf alles angemessen zu reagieren. Er wandte sich wieder an Commander - jetzt Captain - Freston.

"Gut, Captain. Sie haben gehört, was wir tun. Wir haben die Steuerung aller drei Schiffe an die Victory gekoppelt. Ich möchte einen irrationalen Fluchtkurs auf dem Navigationscomputer."

"Jawohl, Sir."

"Ich möchte ein Geschwader Einsatzschiffe draußen um die Bennington herum. Und ich möchte ein zweites Geschwader ... geben Sie mir einen Teufelspiloten, am besten diese ... wie hieß sie doch gleich ... La Ciotat. Sie soll mit ihren Schiffen die Rückendeckung übernehmen ... eine Lichtsekunde hinter der Formation und ebenfalls an die Victory gekoppelt.

Jedesmal, wenn wir in den Hyperraum springen, lassen wir eine der Kalis der Bennington hinter uns, bemannt mit einem von Renzis Offizieren. Ich mag es nicht, verfolgt zu werden."

"Jawohl, Sir."

"Jetzt stellen Sie mich zu diesen Dickköpfen von Honjo durch."

"Aye, Sir. Haben wir ein endgültiges Ziel?"

Darauf gab ihm Sten keine Antwort.

Nicht, weil er keine Antwort gehabt hätte, sondern weil eines der Geheimnisse eines lebenden Verschwörers darin bestand, niemandem irgend etwas zu sagen, bis unmittelbar vor dem Zeitpunkt, an dem es passierte. Eigentlich hatte er sogar zwei Ziele -jetzt, wo wirklich Wunder geschehen waren und er nicht nur über ein Schiff, sondern den Grundstock einer Flotte verfügte.

Was das erste Ziel anging, hatte er sich noch nicht endgültig entschieden. Es würde jedenfalls in der Nähe der Bühnenmitte liegen, da schließlich alle guten Rebellionen eine Art Sturm auf die Bastille brauchen, um in die Gänge zu kommen.

Das zweite?

Als Mahoney zu seiner Hinrichtung gezerrt wurde, hatte er gerufen: "Geh nach Hause!"

Inzwischen hatte Sten herausgefunden, welchen Ort Mahoney damit gemeint hatte. Aber er hatte immer noch keine Ahnung, weshalb er sich ausgerechnet dorthin begeben sollte.

Er hoffte jedenfalls, daß er mit seiner Vermutung richtig lag.

Sten 8 Tod eines Unsterblichen
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