Kapitel 34
Der Ewige Imperator wäre ganz und gar nicht erfreut gewesen, hätte er gewußt, zu welchen Zwecken Sten und Cind seine ehemalige Suite an Bord der Victory mißbrauchten. Das luxuriös ausgestattete Schlafquartier mit seinem sportplatzgroßen Bett war mit Fiches, Ausdrucken und handgeschriebenen Notizen übersät.
Sten und Cind selbst kauerten auf dem Bett und planten den Abgang des Imperators.
Sie gingen sämtliche Informationen durch, die Cind mitgebracht hatte. Und überprüften alles noch ein zweites Mal. Endlich waren sie durch. Jetzt fehlte nur noch ein Stück des Puzzles.
"Meiner Meinung nach gibt es nur diese eine Erklärung dafür", sagte Sten. "Diese Signalantenne muß der Schlüssel sein."
"Dadurch wissen wir wenigstens, in welcher Richtung wir suchen müssen", bestätigte Cind.
Sten zog eine Grimasse. "Richtig. Aber um den genauen Punkt zu finden, brauchen wir eine zweite Peilung. Momentan wissen wir lediglich, daß sich das Versteck des Imperators irgendwo zwischen Punkt A und der Unendlichkeit befindet."
Cind nickte, seufzte erschöpft und ließ sich auf das Bett zurückfallen. Während ein Teil von Stens Gedanken sich noch mit dem Problem beschäftigte, registrierte ein anderer die schlanke Gestalt seiner Geliebten. Sie steckte von Kopf bis Fuß in einem enganliegenden Hausanzug. Es war schon sehr lange her, daß sie mehrere Stunden am Stück miteinander verbracht hatten.
Ein kleiner Teil von ihm verlangte das
Unmögliche. Daß ihr Leben anders verlaufen wäre.
Daß er und Cind normale Menschen mit normalen Problemen wären. Statt dessen verlangte der Kurs, auf dem er sich befand, daß er das Leben derjenigen Person, die ihm am nächsten stand, immer wieder aufs Spiel setzte.
"Herrje, da soll ich doch zur bartlosen Mutter werden", stieß die Frau seiner Träume plötzlich hervor und setzte sich abrupt im Bett auf. "Warte mal, Moment, da haben wir's doch!"
"Was hast du?"
Cind schüttelte ungeduldig den Kopf und fing an, in den Notizen herumzuwühlen. "Ich bin nicht ganz sicher ... aber wenn du eine Sekunde die Klappe halten könntest, mein Liebster, dann..."
Ihre Stimme verebbte, als sie einen kleinen Computer unter dem Stapel hervorzog und sogleich anfing, Daten einzugeben. Sten tat wie befohlen und schaute mit wachsendem Interesse zu, wie sie vor sich hin murmelnd immer neue Informationen zusammensuchte.
Schließlich blickte sie auf. Ihre Augen glänzten vor Erregung. "Ich glaube, ich hab's", sagte sie. "Die andere Peilung, meine ich. Zumindest den Weg, wie wir sie finden."
Cind rückte näher an Sten heran, damit er den kleinen Bildschirm betrachten konnte. "Sieh her...
dieser winzige Faktor, der uns die ganze Zeit über einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Wir gingen davon aus, daß er statisch sei. Oder vielleicht sogar eine vertrackte Streustrahlung von diesem ganzen Sicherheitskram. Aber sieh nur, die Erklärung liegt ganz woanders."
Sie beobachtete Sten argwöhnisch, während er sich die Daten auf dem Bildschirm ansah.
"Vielleicht bin ich auch völlig durchgedreht", sagte sie, plötzlich von Selbstzweifeln gepackt. "Vielleicht hat sich mein Hirn ja in einen von Kilgours geliebten Haggis verwandelt."
"Nein!" sagte Sten und gab eilig ein Überprüfungsprogramm ein. "Ich bin mir ziemlich sicher, daß dein Hirn perfekt funktioniert."
Ein Grinsen ließ seine Mundwinkel bis zu den Ohren wandern. "Es ist ein zweiter Peilstrahl, du hast völlig recht. Er muß es sein. Auf einer anderen Frequenz und in eine komplett andere Richtung!"
Sten loggte sich rasch in den Hauptrechner der Victory ein und ließ die Daten durchlaufen. Nach einigen Minuten erhielt er die Antwort. "Wir haben ihn", stieß er hervor. "Es gibt keine andere Möglichkeit."
Cind schnaubte triumphierend. "Jetzt müssen wir dieses bärtige Wunder nur noch verfolgen ... und Punkt B lokalisieren. Bei dem es sich ... wie ich hoffe ... um eine der Relaisstationen handelt, die Kyes entdeckt hat. Und zwar eine, die sich noch nicht selbst zerstört hat. Von dort aus haben wir die zweite Peilung -voll in die Eier des Imperators!"
Cind kniete sich auf das Bett und hob ihre reizende Hand, um vor Sten zu salutieren. Sie sah unglaublich sexy aus. "Sir! Mit allem Respekt erbitte ich die Erlaubnis, den Fall bearbeiten zu dürfen."
Sten verabscheute die Antwort, die er ihr geben mußte. Er mußte ihr Gesuch ablehnen, was jede Menge Erklärungen nach sich ziehen würde. Und Cind würde sie ihm nicht abkaufen.
Diesmal war er an der Reihe. Er mußte gehen.
Allein.
Nicht nur aus Liebe. Oder aus Angst, sie zu verlieren. >Na ja, nicht nur<, gestand er sich ein und wandte sich wieder den nackten Fakten der Angelegenheit zu.
Als Kyes dem Imperator auf dieser ausgebrannten AM2-Station entgegengetreten war, war er mit einem kompletten Team ehemaliger Mantis-Agenten dort aufgetaucht. Trotzdem war ihm ein Fehler unterlaufen, und die Station hatte sich selbst vernichtet.
So geschickt Cind als Soldatin auch sein mochte, sie verfügte nicht über die Erfahrung eines jeden Mitglieds des Teams ergrauter Haudegen. Dabei ging Sten davon aus, daß die Relaisstation mit weitaus mehr Verteidigungsmitteln ausgestattet war als lediglich mit einem
Selbstzerstörungsmechanismus.
Sten hatte sein halbes Leben bei Mantis zugebracht. Es war nicht sein Ego, das ihm sagte, er sei der Allerbeste der Besten. Sein eingebauter Mantis-Rechner bestätigte ihm diese Einschätzung als knallharte Wahrheit.
Er war die einzig logische Wahl für diese Mission.
Wie jedoch sollte er Cind das alles erklären - so, daß sie es auch akzeptierte und die Situation ungeschminkt, ohne Emotionen betrachtete? Ohne daß sie Mittel und Wege suchte, ihren Liebsten vor der Gefahr zu bewahren?
Er bemerkte die aufgeregte Röte auf ihren Wangen. Das tanzende Licht in ihren Augen. Er haßte es, diesen Blick abwürgen zu müssen.
Sten sagte es ihr. Sie schrie ihn an. Sie argumentierte. Sie bettelte. Aber er gab nicht nach.
Schließlich einigten sie sich. Zumindest beschlossen sie eine Feuerpause und kamen darin überein, die Sache eine Weile ruhen zu lassen.
Auf der wackeligen Theorie aufbauend, daß man nicht zugleich essen und wütend sein kann, gab er zur Kantine durch, daß sie das Essen in der Suite servieren sollten.
Die erste Hälfte der Mahlzeit verbrachten sie schweigend. Die zweite bei vorsichtigem Geplauder.
Als sie bei der Karaffe mit dem uralten Portwein angelangt waren, hatte sich das Geplauder in ein ernsthaftes Gespräch verwandelt.
Sten erzählte ihr von Rykor, dem Gehirnscan und dem Projekt Bravo.
"Ich weiß immer noch nicht, was ich damit anfangen soll", sagte er.
"Manche Leute würden es in wasserdichte Patente umwandeln", meinte Cind, "sich dann zurücklehnen und ein Riesenvermögen scheffeln."
"Ich weiß, daß ich das nicht tun möchte", erwiderte Sten.
"Dachte ich mir schon", gab Cind ironisch lächelnd zurück.
"Abgesehen davon hat die Möglichkeit, AM2
künstlich herzustellen, nicht sehr viel mit dem Problem zu tun, mit dem wir uns gerade
herumschlagen", sagte Sten. "Vermutlich ist ein Grund, weshalb ich die Entscheidung vor mir herschiebe, daß ich nicht weiß, wie die Sache ausgehen wird."
"Ich habe auch schon daran gedacht. Manchmal wache ich schweißgebadet auf und frage mich ...
was geschieht, wenn der Imperator gewinnt?"
Sten gab ihr keine Antwort, sondern goß die Gläser nach.
"Aber solche Gedanken sind witzlos", sagte Cind.
"Entweder er gewinnt, oder er gewinnt nicht.
Manchmal erspart einem der Fatalismus der Bhor eine Menge Qualen."
Nachdenklich ließ sie den Portwein in ihrem Glas kreisen. Sten sah, daß ihr eine bestimmte Frage auf der Zunge lag. Dann sagte sie, ohne den Blick zu heben: "Was geschieht, wenn wir gewinnen? Wer oder was tritt an die Stelle des Imperators?"
Sten schüttelte den Kopf. "Das habe ich nicht zu entscheiden. Soweit die Sache mich betrifft, handelt es sich hier um eine Revolution, keinen Staatsstreich. Diese Entscheidungen müssen andere Leute treffen. Es ist ihre Zukunft. Sie haben zu wählen."
"Ich glaube, du bist ein bißchen zu naiv, wenn du denkst, es geht so einfach über die Bühne", erwiderte Cind. "Du wirst der Mann der Stunde sein.
Der Retter. Außerdem gibt es da noch das AM2, egal ob natürlich oder synthetisch, aus einem alternativen Universum oder einer Fabrik. Du wirst derjenige sein, der die Schlüssel in Händen hält... die Schlüssel zum Königreich des Imperators."
"Dieser Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht", sagte Sten geradeheraus.
Cind legte ihre Hand auf seine. " Das weiß ich doch. Deswegen liebe ich dich. Und deswegen möchte ich auch, daß du darüber nachdenkst. Denn wenn der Augenblick gekommen ist, bleibt dir nicht mehr viel Zeit zum Überlegen."
"Mir fällt da gerade auf, daß du nicht gesagt hast, was ich deiner Meinung nach tun soll."
"Ich bin die letzte Person, die dazu etwas sagen kann", meinte Cind. "Ob ich glaube, daß du einen guten Regenten abgibst ? Aber klar doch. Hätte ich dich lieber ganz allein für mich? Das wäre mir, klar doch, noch lieber."
Sie drückte seine Hand. "Nicht vergessen: ich bin voreingenommen."
Sten errötete leicht. Es war ihm peinlich. "Wie süß", sagte sie.
"Du wirst ja rot. Jetzt habe ich etwas gegen dich in der Hand. Der große Anführer der Rebellen wird rot wie ein kleiner Junge."
"Das ist Erpressung."
"Stimmt."
Sie erhob sich und rutschte auf seinen Schoß.
Sten hatte plötzlich alle Hände voll mit einer sich windenden, fordernden Frau zu tun, die ihm obendrein den Hals küßte und an seinen
Ohrläppchen knabberte.
"Was gibst du mir, wenn ich es nicht verrate?"
flüsterte sie. Wie gemein.
Stens Hände wanderten geschäftig über den enganliegenden Anzug, zeichneten die Kurven nach, erforschten die Vertiefungen.
"Das verrate ich dir gleich", sagte er. "Aber zuerst mußt du mir verraten, wie du dieses Ding ausziehst."
Sie nahm seine Hand ... und zeigte es ihm.
Das Flüstern drang heiß in sein Ohr: "Hier ... und da. Genau ... hier ... muß man ... drücken."