Kapitel 15

Subadar-Major Chethabahadur salutierte kurz.

"Sir! Wie befohlen angetreten, Sir!"

"Setzen Sie sich, Subadar-Major", sagte Poyndex.

"Kein Anlaß zur Förmlichkeit."

Chethabahadur ließ seinen kleinen schlanken Körper steif auf einen Sessel nieder.

"Ich fürchte, ich habe einige unangenehme Nachrichten", sagte Poyndex. "Tut mir leid, daß ausgerechnet ich sie überbringen muß. Aber es hat keinen Sinn, um den heißen Brei herumzureden und dadurch alles noch viel schlimmer zu machen. Also heraus damit. Wie Sie wissen, hält der Ewige Imperator große Stücke auf

Sie und Ihre Kumpane wegen der ihm gegenüber jahrelang ergeben geleisteten Dienste."

Chethabahadur blinzelte. Nur ganz kurz. Alle anderen Reaktionen wurden rechtzeitig

zurückgehalten. Der Ausdruck "Ihre Kumpane"

reichte aus, um dafür die Kehle aufgeschlitzt zu bekommen. Die "jahrelang ergeben geleisteten Dienste" zählten mittlerweile mehrere Jahrhunderte, und das wiederum bedeutete, daß Poyndex es verdient hätte, die Kehle ein zweites Mal aufgeschlitzt zu bekommen. Und was die "großen Stücke" anging - das war beinahe zu viel.

Der Subadar-Major stellte auch weiterhin seinen gelassenen Gesichtsausdruck zur Schau und wunderte sich insgeheim über die Vielzahl der Wunder, die dafür gesorgt hatten, daß dieser Kriecher nach soviel geballtem Unsinn noch immer am Leben war.

"Doch, doch, und zwar ganz, ganz große Stücke", wiederholte Poyndex. "Leider befindet er sich momentan in einer schrecklichen Situation. Geld ist heutzutage sehr knapp, wie Sie sicher selbst wissen.

Einschränkungen und Sparmaßnahmen machen auch vor den Streitkräften nicht halt."

"Jawohl, Sir", erwiderte Chethabahadur. "Die Gurkhas haben dem stets Rechnung getragen.

Sollten weitere Einschränkungen erforderlich sein, Sir ... seien Sie versichert, daß wir bereit sind."

Poyndex lächelte herablassend. "Wie großzügig.

Aber das wird nicht nötig sein ... unter diesen Umständen. Wissen Sie, man hat mich damit beauftragt, Ihre Einheit aufzulösen. Wie bereits gesagt, tut mir das sehr leid. Aber in Zeiten wie diesen müssen wir alle Opfer bringen."

Ohne zu zögern sagte Chethabahadur: "Sie müssen sich nicht entschuldigen, Sir. Sagen Sie dem Imperator bitte, daß die Gurkhas jeden seiner Befehle befolgen. Wenn er uns entlassen muß, Sir ...

und nach Nepal zurückschicken ... nun, dann soll es so geschehen. Und zwar ohne Beschwerden, Sir.

Versichern Sie ihm das."

Poyndex lächelte erneut. "Das werde ich tun. Das werde ich ganz gewiß tun."

Der Subadar-Major erhob sich und salutierte erneut steif. "Wenn das alles ist, Sir, werde ich mich jetzt entfernen und meine Männer informieren."

Poyndex ließ sich zu einer schwachen Antwort auf den militärischen Gruß hinreißen. "Ja ... das ist dann alles ... Und vielen Dank für alles."

"Wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet, Sir", gab Chethabahadur zurück. Er machte kehrt und marschierte hinaus.

Poyndex ließ sich wieder in seinen Sessel zurücksinken. Er war zufrieden mit sich und wie er diese schwierige Aufgabe gemeistert hatte ... obwohl es ihn schon einigermaßen erstaunte, wie leicht der Gurkha-Major die Nachricht aufgenommen hatte.

Was für eine Loyalität.

Blinde, ignorante Loyalität.

Poyndex lachte. Er schaltete sein Interkom ein und befahl einer Truppe der Inneren Sicherheit, die Posten der ausscheidenden Gurkhas einzunehmen.

Draußen, auf dem Korridor, der ein Stockwerk unterhalb der Privaträume des Imperators von Poyndex' Büro wegführte, mußte sich

Chethabahadur schwer beherrschen, um nicht vor Freude in die Luft zu springen und die Hacken aneinanderzuschlagen.

Er und seine Männer hatten sich schon lange wegen der sich zunehmend verwirrenden

Persönlichkeit des Imperators Sorgen gemacht.

Seine Handlungen und Entscheidungen drehten ihnen den Magen um. Sie konnten nicht verstehen, wie sich ein Soldat, den sie immer bewundert hatten

- Ian Mahoney - in einen Verräter verwandelt haben sollte. Und sie konnten erst recht nicht daran glauben, daß Sten, der einmal ihr Kommandeur gewesen war und noch immer, soviel sie wußten, einen Zug Gurkhas unter seinem Kommando hatte, jemals Verrat begehen würde - auch nicht an dem tollwütigen Ungeheuer, in das sich der Imperator verwandelt hatte.

Die Gurkhas wollten schon lange den Dienst quittieren. Einzig und allein ihr Schwur hatte sie davon abgehalten; und die Gewißheit, daß der Imperator diesen Wunsch als schwere Beleidigung empfunden hätte.

Er hätte sie alle töten lassen.

Schlimmer noch: sie sorgten sich um ihre Landsleute im fernen Nepal. Keiner der Gurkhas zweifelte daran, daß der Imperator nach einem derartigen Verrat Nepal vom Angesicht der Erde getilgt hätte.

Aber jetzt! Freude über Freude, jetzt waren die Gurkhas gefeuert, und der Himmel lachte! Was für ein Segen, der da aus dem Mund des Barbaren Poyndex auf sie niedergegangen war.

Was nicht hieß, daß Chethabahadur ihm sein ungehobeltes Verhalten verzieh.

Eines Tages würde er ihn dafür umbringen.

Falls das nicht möglich war, dann würde eben Chethabahadurs Sohn Poyndex' Sohn umbringen.

Dir Gurkhas rühmten sich eines sehr langen Gedächtnisses.

Poyndex sah staunend zu, wie sich die Frau, Baseeker, vor dem Ewigen Imperator erniedrigte.

"O Herr, Eure wundersame Gegenwart blendet mich. Meine Glieder zittern. Mein Verstand fiebert.

Meine Zunge ist ein geschwollener Stummel, der die Worte nicht zu formen vermag, um Euren Glanz in angemessener Weise zu verkünden."

Poyndex verbiß sich ein Grinsen. Er fand, daß ihre Zunge sehr gut funktionierte. Die neue Priesterin des Kultes des Ewigen Imperators lag vor ihrem Gott im Staub seines Bürofußbodens.

"Erhebe dich", sagte der Imperator feierlich.

Poyndex zeigte sich nicht sehr überrascht, wie ernst der Imperator diese Audienz nahm.

Baseeker erhob sich auf die Knie, schlug demütig den Kopf mehrere Male gegen den Fußboden und richtete sich dann wieder ganz auf. Poyndex bemerkte das zufriedene Glitzern in den Augen des Imperators und gratulierte sich zu seiner Idee, die ehemalige Hohepriesterin Zoran ersetzen zu lassen.

Baseeker hatte sein Training sehr gut angenommen und es dann um einige hundert Prozent verbessert.

"Aber bitte setz dich doch", sagte der Imperator und bemühte sich um die Frau. "Darf ich dir eine Erfrischung anbieten?"

Baseeker schob sich auf den ihr zugewiesenen Stuhl, blieb jedoch auf der Kante hocken, als käme entspanntes Sitzen einem blasphemischen Akt gleich. "Vielen Dank, Herr. Aber erlaubt mir, die ich nur bescheiden nach der Wahrheit suche, Eure Freundlichkeit zurückzuweisen. Ich kann zu dieser Zeit unmöglich Nahrung zu mir nehmen. Erlaubt mir statt dessen, meinen Geist am Äther Eurer Heiligen Gegenwart zu laben."

Poyndex fragte sich, ob Baseeker jemals so etwas wie Hunger verspürte - abgesehen vielleicht von persönlichem Ehrgeiz. Sie bestand fast nur aus Sehnen und Knochen, die von einer so blassen Haut zusammengehalten wurden, daß sie beinahe durchsichtig wirkte. Ihr Alter konnte man nicht einmal schätzen, ihr Gesicht war eigentümlich verkniffen, scharfe Schneidezähne blitzten hinter schmalen Lippen hervor, die Augen glänzten wie kleine, helle Perlen.

"Wenn es dir gefällt", erwiderte der Imperator und winkte großspurig.

Baseeker nickte und schlang ihr weißes Gewand um knochige Knie.

Der Imperator wies auf ein Blatt Papier auf seinem Schreibtisch. "Ich habe mir deine Vorschläge, was die Neuorganisation betrifft, sorgfältig angesehen", sagte er. "Sehr eindrucksvoll."

"Vielen Dank, Herr", sagte Baseeker. "Ohne Eure Inspiration hätte es niemals geschehen können.

Offen gesagt, meine verstorbene Vorgängerin Zoran hat den Kult in einem großen Durcheinander zurückgelassen. Unser Zweck erschöpft sich in Eurer Verherrlichung ... und darin, Euren Untertanen von Eurer gewaltigen göttlichen Mission zu berichten. Doch diese Aspekte waren beschämend vernachlässigt worden."

"Wie ich sehe, hast du ein neues Programm hinzugefügt", sagte der Imperator." Ein Vorschlag, nach dem in allen Hauptstädten des Imperiums Kultzentren errichtet werden sollten."

Baseeker senkte den Kopf. "Ich hoffte auf Euer Wohlgefallen und Eure Zustimmung."

Poyndex richtete den Blick nach oben, um nicht laut loszuplatzen. Er fiel auf das Gemälde über dem Imperator, ein ultraromantisches Porträt des muskelstarrenden Imperators in heldenhafter Pose.

Das Gemälde sollte an die Schlacht bei den Toren erinnern, die er, dem Bild nach zu urteilen, eigenhändig gewonnen hatte. Poyndex wußte, daß der Imperator sich nicht einmal in der Nähe der eigentlichen Kampfhandlungen aufgehalten hatte.

Das Gemälde gehörte zu einer ganzen Galerie von Darstellungen, die die Taten des Imperators glorifizierten. Sie stammten aus der geschmacklosen Sammlung des verstorbenen Großindustriellen Tanz Sullamora. Poyndex' IS-Truppen waren damit beauftragt worden, sie ausfindig zu machen, und hatten sie schließlich auf einem Abfallhaufen des Museums gefunden - wo sie auch hingehörten. Jetzt hingen sie eins neben dem anderen an den Wänden des Büros. Der Effekt war, gelinde ausgedrückt, beunruhigend. Ringsumher Imperiale Augen, die salbungsvoll auf einen herabblickten. Es war wie ein Rausch nach dem Genuß von verdorbenem

Narkobier.

Er zwang sich, die Gedanken wieder auf die Unterredung zu konzentrieren. Er sah Baseekers kleine Augen heller flackern. "Verglichen mit meiner eigentlichen Vision, o Herr, ist dieser Vorschlag gar nichts", sagte sie voller heiligem Eifer. "Ich sehe Tempel, die Eurer Heiligkeit huldigen, in jeder kleinen und großen Stadt des Imperiums. Dort können sich Eure Untertanen versammeln und sich in Eurem Glanz sonnen."

"Ehrlich ?" fragte der Imperator erstaunt. "Ich wußte nicht, daß es so viele Konvertierte gibt."

"Wie könnte es anders sein, Herr?" fragte Baseeker. "Steht denn nicht m Euren Heiligen Schriften geschrieben, daß die Zahl Eurer Anbeter schon bald die der Sterne am Himmel übertreffen wird? Und daß sie Euren Namen als den des einzig wahren Gottes, unseres Gottes, preisen werden?"

Jetzt wirkte sogar der Imperator ein wenig verlegen und hüstelte in seine Faust. "Äh ... ja.

Wenn du es so ausdrücken willst ... Vermutlich hört es sich ganz vernünftig an."

"Was uns zur Umsetzung dieses Programms fehlt, sind lediglich Spenden, Herr", sagte Baseeker.

Der Imperator zog die Stirn kraus. "Ich habe bereits mehr als genug Spenden zur Verfügung gestellt, oder etwa nicht?"

"Oh, doch, das habt Ihr, Herr", beeilte sich Baseeker zu sagen. "Und meiner Meinung nach ist das eine unfaire - fast schon blasphemische - Last gewesen. Meiner Ansicht nach sollten diejenigen, die den größten Nutzen daraus ziehen, auch am meisten dafür bezahlen. Eure bescheidenen Untertanen, Herr, sollten diejenigen sein, die diese Kosten tragen.

Ich finde es nicht schrecklich, daß ein lebender Gott für seine eigenen Tempel zahlt. Uns jedoch

Euren getreuen Untertanen - wird diese kleine Freude verweigert, Herr. Und ich fürchte, es liegt am Versagen unserer politischen Führer. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich die eigenen Taschen zu füllen."

"Sehr schön gesagt", pflichtete ihr der Imperator bei. "Wie erfrischend."

Er wandte sich an Poyndex. "Die Pfennigfuchser im Parlament gehen mir allmählich auf die Nerven.

Es wird Zeit, daß sie anstelle ihrer Mäuler ihre Geldbeutel strapazieren. Setzen Sie sich mit Avri zusammen und tüfteln Sie irgendein Spendengesetz aus. Eine so loyale Untertanin wie diese Frau hier sollte nicht überall um Spenden für ein so nobles Vorhaben betteln müssen."

"Jawohl, Euer Hoheit. Ich kümmere mich sofort darum."

Der Imperator wandte sich wieder Baseeker zu.

"Ich habe nur eine Bitte."

"Was Ihr wollt, Herr."

"Ich möchte, daß du sämtliche Mitgliederdateien durchsiebst und mir die eifrigsten Gläubigen heraussuchst."

"Wir alle würden unser Leben für Euch hingeben, Herr."

"Schon ... Aber es gibt immer einige, die eifriger bei der Sache sind als andere. Du weißt schon, welche Sorte ich meine."

Baseeker nickte. Das Wort "Fanatiker" lag in der Luft.

"Ich möchte, daß sie in einer Kerntruppe organisiert werden. Ich denke da an eine Art Sonderausbildung, die von Poyndex' Leuten durchgeführt werden könnte."

"Jawohl, Herr."

"Sie sollen sich bereithalten. So lange, bis sie von mir hören. Dann jedoch müssen sie sofort handeln, ohne zu fragen."

"Jawohl, Herr. Diese... Aufträge... an die Ihr denkt... Ich vermute, daß es sich um gefährliche Aufgaben handelt."

"Richtig. Möglicherweise um selbstmörderische Aufgaben."

Baseeker lächelte. "Ich weiß genau, welche Art von Personen dafür in Frage kommt", sagte sie mit Rattenzähnen, die jedes einzelne Wort des Satzes vom anderen abbissen.

Poyndex lief es eiskalt über den Rücken. Es war nichts Neues, religiöse Fanatiker als Attentäter zu benutzen, doch die Vorstellung eines Kultisten mit weit aufgerissenen Augen, der ein blutiges Messer schwingt, war eindeutig unangenehm. Er verdrängte dieses Bild sogleich wieder. So erschreckend die Idee auch war, immerhin konnte er gewisse Vorteile nicht abstreiten.

"Sehr schön. Wir verstehen uns also", faßte der Imperator den Stand der Diskussion zusammen.

"Und jetzt ... wenn du mich entschuldigst..."

Baseeker sprang auf. "Aber gewiß, Herr. Und vielen Dank dafür, daß Ihr mir einige Momente Eurer wertvollen Zeit geschenkt habt."

Sie ließ sich auf die Knie fallen und schlug den Kopf dreimal auf den Fußboden. "Gepriesen sei Euer Name ... Gepriesen sei Euer Name ..."

Schon war sie weg.

Der Imperator wandte sich mit einem breiten Grinsen Poyndex zu. "Erstaunlich. Die halten mich wirklich für einen Gott."

"Zweifellos, Euer Majestät", erwiderte Poyndex.

Sein Überlebenstrieb riet ihm jedoch, nicht zurückzugrinsen. "Ihr Glaube mag zwar kindisch sein ... aber es ist ihnen sicherlich ernst damit."

Der Ewige Imperator blickte auf die Tür, durch die Baseeker soeben verschwunden war. "Kinder und Narren..." murmelte er.

Die Stimmung fiel von ihm ab, und der Imperator nahm eine Flasche Scotch von seinem Schreibtisch.

Rasch goß er sich ein Glas ein und trank es ebenso rasch leer.

"Und jetzt vom Erhabenen zur gottverdammten Narretei", sagte der Imperator. "Mir liegt eine Beschwerde meines Kämmerers vor -

Sie

betreffend."

Poyndex hob eine Braue. "Worum geht es, Euer Hoheit?"

"Offensichtlich sind die Ordensvergaben, mit denen ich Sie beauftragt habe, noch immer nicht auf seinem Schreibtisch angekommen. Dabei bereitet er gerade jetzt eine Verleihungszeremonie vor. Eine Zeremonie, die, wie ich hier leider ergänzen muß, bereits in zwei Wochen stattfinden wird."

"Das tut mir sehr leid, Sir", sagte Poyndex sehr kleinlaut. "Es war mein Fehler. Und ich kann keine Entschuldigung vorweisen."

"Allerdings", schnaubte der Ewige Imperator.

"Um Himmels willen, Poyndex, wir wissen beide, daß derlei Dinge bedeutungslos sind. Aber Medaillen und Auszeichnungen sind gute Reklame für uns. Besonders in Zeiten wie diesen."

"Jawohl, Euer Hoheit. Es tut mir leid, Euer Hoheit. Ich werde mich sofort darum kümmern."

"Lassen Sie's gut sein", sagte der Imperator.

"Schicken Sie mir die Liste. Ich kümmere mich darum." Er schüttelte den Kopf. "Warum auch nicht.

Anscheinend muß ich mich sowieso um jeden Dreck selbst kümmern."

"Sehr wohl, Sir."

Der Imperator trank mehr Scotch, seine

Gereiztheit schwand. "Ich vermute, Sie haben momentan alle Hände voll zu tun", erkundigte er sich.

"Es ist trotzdem keine Entschuldigung, Sir. Aber vielen Dank."

"Danken Sie mir noch nicht", sagte der Imperator.

"Ich habe nämlich noch einen großen Anschlag auf Sie vor."

"Worum handelt es sich, Sir?"

"Ich habe mir Gedanken über unsere Probleme mit Sten gemacht. Er hat uns schon zuviel Schaden zugefügt. Aber nur deshalb, weil er derjenige ist, der bereits in Schwung ist. Solange wir noch Geschwindigkeit aufnehmen, kann er uns nach Belieben erneut treffen und dabei sein Bild als großer Held der Massen und dergleichen Quatsch aufbauen."

"Er wird bald zusammenbrechen, Sir", kommentierte Poyndex.

"Ich verlasse mich nicht gerne auf mein Glück oder die Fehler anderer", gab der Imperator zurück.

"Wir müssen die Sache jetzt selbst in die Hand nehmen. Setzen Sie ihn so unter Druck, daß er nicht mehr weiß, wo oben und unten ist."

"Ich möchte nicht negativ wirken, Sir", erwiderte Poyndex, "aber wir haben unsere Kräfte bereits bis an die Belastungsgrenzen ausgedehnt ... sogar ein Stück darüber hinaus. Momentan sind sogar unsere Reserveeinheiten eingespannt."

"Dann spannen Sie sie noch mehr ein", sagte der Imperator.

"Aber ... falls es zu einem Notfall kommt, Sir ..."

Die Augen des Imperators blitzten auf. "Hören Sie mit diesem Mist auf! Sten hat uns wiederholt überrascht! Er trifft uns, wo er will! Meine Lieblingsnachrichtensender, meine AM2-Depots und jetzt auch noch den Finanzmarkt."

Poyndex schien verwirrt. "Den Finanzmarkt? Ich dachte, die Wirtschaft leidet wegen der Krise. Wie kann denn Sten -"

Der Imperator warf ihm einen zornigen Blick zu.

"Stellen Sie sich nicht blöd. Die ganze Sache roch förmlich nach einer Guerilla-Aktion. Das war keinesfalls natürlich. Nein. Das war Stens Werk.

Oder das seiner Leute."

"Verstehe ... Euer Majestät", sagte Poyndex zögernd, ohne es eigentlich zu verstehen.

Der Imperator schnaubte frustriert. "Kriegen Sie das endlich einmal in Ihren Dickschädel hinein, Poyndex: wir haben es bereits mit einem Notfall zu tun. Und wenn wir dieses Feuer nicht rasch austreten, dann stecken wir bald noch tiefer im Dreck. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?"

"Jawohl, Sir."

"Gut. Jetzt sehen Sie sich das hier einmal an."

Der Imperator schob die Flasche beiseite und breitete eine Karte seines Imperiums auf dem Schreibtisch aus. Als Poyndex sich darüber beugte, fielen ihm sofort die vielen Kreise, Kreuze und Pfeile auf, die der Imperator darauf gekritzelt hatte.

"Das hier sind die Gebiete, die ich für am verwundbarsten halte", sagte der Imperator und zeigte hier-und da-und dorthin. "Das sind vermutlich seine nächsten Ziele. Wir können sie abdecken, wenn wir die 5. Garde von Solfi abziehen

... dann die Flotte in die Nähe von Bordbuch verschieben ..."

Poyndex sah staunend zu, wie der Imperator auf der Karte herumfuhrwerkte und seine Verbände hin und her schob.

Jedesmal, wenn er mit dem Finger das Papier berührte, wirbelte er Hunderte von Schiffen und zigtausend Soldaten quer durch die Sterncluster.

Und das alles, um einen einzigen Mann zu jagen.

Viel später, als er sich wieder in seinem eigenen kleinen Reich tief im Bauch von Schloß Arundel befand, dachte Poyndex über den Zustand des Imperiums nach.

Er berührte einen Sensor auf seinem Schreibtisch.

Das Gemälde auf der gegenüberliegenden Wand löste sich auf und wurde durch eine elektronische Version der Karte ersetzt, die ihm der Imperator gezeigt hatte: die strategische Lagekarte.

Krisenlichter blinkten.

Poyndex überflog die schlechten Nachrichten.

Lebensmittelaufstände. Wiederholte Stromausfälle.

Wilde Streiks. Sein Blick schweifte weiter.

Geldmärkte im Aufruhr, Rohstoffengpässe, besorgte Firmenberichte, Anfragen um Anfragen nach mehr AM2.

Die schlechten Nachrichten erstreckten sich nicht nur auf zivile Bereiche. Stens Attacken gegen das Imperium hinterließen überall auf dem Plan ihre Spuren. Ebenso wie die Kriegs-und

Unabhängigkeitserklärungen vieler ehemaliger Verbündeter des Imperators.

Tote Agenten, aufgeflogene Missionen und andere Geheimdienstpannen zu Lasten des Imperiums waren ebenfalls verbucht.

Jedes normale Wesen wäre angesichts dieser Daten wahrscheinlich verzweifelt. Poyndex war weit davon entfernt, normal zu sein. In jedem Versagen sah er eine neue Möglichkeit, in jeder Katastrophe einen neuen verborgenen Schatz.

Poyndex hatte in sehr kurzer Zeit sehr viel vom Ewigen Imperator gelernt. Erfolg verlangte nach einer Perspektive ... und viel Geduld.

In diesem Fall war es Poyndex, nicht der Imperator, der langfristig plante.

Während er seine schwarzuniformierten

Adjutanten in dem riesigen Raum hin und her gehen sah, überdachte Poyndex erneut die Sachlage.

Wieder kam er zu dem Schluß, daß sich der Imperator täuschte. Er nahm die Bedrohung durch Sten viel zu ernst.

Poyndex ging davon aus, daß Sten durch die Aufmerkamkeit, die ihm der Imperator zukommen ließ, sogar noch gestärkt wurde. Wenn man ihn offiziell ganz einfach ignorierte, würden sich seine Possen schon von selbst entlarven. Doch je mehr der Imperator herumtobte und Schiffe und Truppen durch die Gegend schob, desto attraktiver erschien Sten den Feinden des Imperators.

Alle Daten besagten, daß die Chancen schlecht für Sten standen. Im Vergleich zu dem Moloch, den das Imperium darstellte, verfügte er nur über eine lächerlich kleine Streitmacht und so gut wie keine Reserven.

Sten konnte sich keinen einzigen Fehler leisten.

Der Imperator hingegen viele.

Aus irgendeinem Grund wollte der Imperator das nicht einsehen. Er war von diesem Sten wie besessen. Nur wenige andere Dinge fesselten seine Aufmerksamkeit in diesem Maße.

Ein großer blinder Fleck.

Über Poyndex' Lippen spielte ein dünnes Lächeln. Er kam sich sehr gerissen vor, weil er die Obsession des Imperators noch angeheizt hatte. Und selbst um den blinden Fleck herumnavigiert war.

Er hatte den Imperator vor diesem und jenem gewarnt - aber nur, um sich selbst zu schützen, falls alles schiefging. In der Zwischenzeit hatte er den Imperator erfolgreich von der Außenwelt isoliert und seine eigenen Leute ins Spiel gebracht.

Die Gurkhas waren die letzten der alten Garde, die gingen.

Damit war der Imperator völlig von ihm

abhängig. Poyndex hatte Zorans Nachfolgerin ausgewählt; Poyndex kontrollierte sämtliche Leute in der näheren Umgebung des Imperators; und Poyndex bestärkte den Imperator in seinem Wahn, sooft er konnte.

Tatsächlich war er dem Imperator bereits so unverzichtbar geworden, daß er schon absichtlich einige Fehler begangen hatte; beispielsweise das Versäumnis bezüglich des Unsinns mit dem Ehrenbankett für die Medaillenempfänger.

Der Imperator mochte verrückt sein, aber er war gewiß kein Narr. Er wußte ebensogut wie Poyndex, daß es nichts Gefährlicheres gab als einen unverzichtbaren Mann.

Deshalb mußte Poyndex hin und wieder etwas versieben. Gerade so viel, daß der Imperator nicht anfing, ihn zu verabscheuen.

Er sah zum Lageplan auf. Sein Blick fiel nicht auf die schlechten Nachrichten, sondern auf die Ausdehnung des Imperiums.

Ein Imperium, das sich in gewisser Hinsicht seinem Willen beugte.

Nicht dem des Imperators.

Und mit jedem Tag, der verging, während der Imperator weiter abbaute, vergrößerte sich Poyndex'

Einfluß.

Er beging nicht den Fehler, sich selbst als Imperator zu sehen. Jedenfalls nicht oft.

Zu Zeiten des Privatkabinetts hatte Poyndex selbst miterleben können, was mit dem Imperium geschah, wenn ihm keine Galionsfigur mehr vorstand, die ihm eine Form gab.

Nein. Der Imperator war absolut wichtig.

Zumindest seine Gegenwart. Seine Legende.

Es gab nur ein einziges Manko bei dieser Sache.

Poyndex würde unweigerlich altern.

Schwach werden.

Und dann sterben.

Der Imperator hingegen war unsterblich.

Was, wenn Poyndex irgendwie hinter dieses Geheimnis kommen könnte?

Was, wenn er ... ewig leben könnte?

Poyndex berührte den Sensor, und der Plan verwandelte sich wieder in ein Wandgemälde.

Es gab mehr Möglichkeiten, als selbst Poyndex sich ausmalen konnte.

Und Poyndex war ein erfahrener Träumer.

Sten 8 Tod eines Unsterblichen
Section0001.html
titlepage.xhtml
index_split_000.html
Section0002.html
Section0008.html
index_split_001.html
index_split_002.html
index_split_003.html
index_split_004.html
index_split_005.html
index_split_006.html
index_split_007.html
index_split_008.html
index_split_009.html
index_split_010_split_000.html
index_split_010_split_001.html
index_split_010_split_002.html
index_split_010_split_003.html
index_split_010_split_004.html
index_split_010_split_005.html
index_split_010_split_006.html
index_split_011.html
Section0005.html
index_split_012.html
index_split_013_split_000.html
index_split_013_split_001.html
index_split_013_split_002.html
index_split_013_split_003.html
index_split_013_split_004.html
index_split_013_split_005.html
index_split_013_split_006.html
index_split_013_split_007.html
index_split_013_split_008.html
index_split_013_split_009.html
index_split_014.html
index_split_015.html
index_split_016.html
index_split_017.html
index_split_018.html
index_split_019.html
Section0004.html
Section0003.html
index_split_020.html
index_split_021.html
index_split_022_split_000.html
index_split_022_split_001.html
index_split_022_split_002.html
index_split_023_split_000.html
index_split_023_split_001.html
index_split_024.html
index_split_025.html
index_split_026.html
index_split_027.html
Section0007.html
index_split_028.html
index_split_029.html
index_split_030.html
index_split_031.html
index_split_032.html
index_split_033.html
index_split_034_split_000.html
index_split_034_split_001.html
index_split_035.html
index_split_036.html
Section0006.html
index_split_037.html
index_split_038.html
index_split_039.html
index_split_040.html