Kapitel 20
Sten rieb sich die müden Augen und versuchte nachzudenken. In den vergangenen beiden Wochen hatte er nicht viel geschlafen. Die kurzen Phasen, die er dafür hatte erübrigen können, waren zudem immer wieder von Boten, Anrufen und Delegationen seiner Verbündeten unterbrochen worden. Selbst wenn er allein mit Cind war, hämmerten seine Gedanken auf ihn ein.
Cind hatte vor zwanzig Stunden alle
hinausgescheucht und Sten dazu gezwungen, eine Ruhepause einzulegen. Er hatte tief, aber nicht sehr gut geschlafen.
Jetzt leitete er seine letzte Besprechung. Seine Verbündeten hatten ihm präsentiert, was sie von dieser Schönen Neuen Welt der Geteilten Macht erwarteten. Ein gewisser Prozentsatz davon bestand entweder aus frommen Wünschen oder sollte erst dann erwähnt werden, wenn die Umwandlung vollzogen war. Und diese letzte Annahme ähnelte nur zu sehr dem Fell des noch nicht gefangenen Bären...
Die Einsatzbesprechung verlief, wie alles bei Sten und seinen Rebellen, sehr formlos. Die Runde bestand hauptsächlich aus der bewährten alten Garde: außer Sten selbst noch Kilgour, Cind, Rykor.
Sogar Otho, bei dem man zumindest darauf zählen konnte, daß er der Sache einen handfesten Touch verlieh.
Sten wünschte sich, Sr. Ecu wäre anwesend oder zumindest per Zusatzschaltung dabei. Doch sie durften nicht riskieren, dass der Imperator auch nur annähernd auf den Gedanken kam, Sten und die Manabi könnten unter einer Decke stecken.
Eskortiert von fünf Kreuzern und elf Zerstörern bewegte sich die Victory auf einer Kreisbahn um einen unbewohnten Planeten, weniger als zwanzig Lichtjahre von Seilichi entfernt.
Nicht daß es bei dieser Sitzung unbedingt viel zu sagen gegeben hätte - sie hatten alles bereits dutzendmal durchgekaut. Sten wunderte sich über Alex, der in den letzten Tagen unnatürlich ruhig gewesen war und sich mit seinen Ratschlägen zurückgehalten hatte.
Sten goß sich ein Glas mit einem Getränk aus Kräutern und Proteinen ein, nahm einen kräftigen Schluck und schüttelte sich. Warum schmeckte alles, was einem angeblich guttat, so ekelhaft?
"Ich frage mich, wie lange es dauert, bis uns der Imperator aufs Kreuz legt", sagte er.
"Das hängt davon ab", erwiderte Rykor, "wie gut wir die erste Krise in den Griff bekommen, nachdem uns der Imperator widerwillig auf seinem Thron ein wenig Platz gemacht hat. Wenn unsere Lösung mit der des Imperators übereinstimmt und nach außen das Bild erhalten bleibt, daß er nach wie vor allein die Zügel der Macht in Händen hält... dann würde ich schätzen ... ungefähr zwei E-Jahre später.
Wenn jedoch Meinungsverschiedenheiten
auftauchen und eventuell sogar unser Vorschlag übernommen wird... dann höchstens drei Zyklen später.
So oder so wird es innerhalb von fünf E-Jahren den Versuch einer Konterrevolution geben, die entweder vom Ewigen Imperator selbst geplant oder, was wahrscheinlicher ist, von seinen Anhängern in allen Ehren ausgeheckt werden wird.
Doch vorausgesetzt, wir gehen mit der
angebrachten Umsicht und hervorragender Planung an die Arbeit und haben obendrein anderthalb Ozeane voller Glück zur Verfügung, dann dürften wir durchaus in der Lage sein, den ersten Anschlag auf die neue Regierung zu überleben."
"Alle diese Prognosen", sagte Sten trocken,
"gestehen der Koalition mehr Zeit zu, als uns zur Verfügung stehen würde, wenn wir den Kampf wählen. Zeit genug, um herauszufinden, wie wir den Imperator beseitigen müssen, bevor er es mit uns tut."
Kilgour schüttelte den Kopf. "Vielleicht pinkle ich jetzt auf die Hochzeitstafel, aber ich muß die ganze Zeit an einen Ort namens Glencoe, einen Clan namens Campbell und einen Politiker namens Dalrymple denken."
"Und was soll das bedeuten?" grummelte Otho.
"Ach, das sind nur meine ureigenen, wachsenden Befürchtungen, alter Knabe. Wenn man es mit einem Irren zu tun hat, hilft einem Logik nicht weiter."
"Wir haben das doch alles bereits durchgekaut", sagte Sten. "Der Imperator wird wohl kaum gleich jetzt eine krumme Tour riskieren. Schließlich hat er dieses Treffen vorgeschlagen; er würde sich also ins eigene Fleisch schneiden und seine Fahne mit Blut bekleckern. Natürlich ist er verrückt, natürlich will er seine Trommel mit meiner Haut bespannen - aber das wird er sicherlich nicht versuchen, solange wir unter dem Schutz der Manabi stehen."
Ein Funkgerät summte. Alex ging hinüber und las die Nachricht auf dem Schirm. Er tippte eine Antwort ein und schaltete wieder aus.
"Also gut", sagte er. "Dein Taxi zur Konferenz kommt."
"Und warum fliegen wir nicht mit der Victory hin?" fragte Otho. "Soll Sten vielleicht wie ein Bartloser auftreten, mit einem mickrigen Handelsschiff?"
"Dicht dran", stimmte ihm Alex zu. "Er nimmt einen Transporter. Ich hab mir ein Linienschiff von den Zaginows ausgeliehen. Sten kommt als Mann des Friedens, das sollen alle sofort mitkriegen.
Stimmt's, Rykor?"
Rykor wälzte sich nachdenklich in ihrem Behälter hin und her.
"Wie dumm von mir", sagte sie. "Dabei bin ich diejenige, die sich etwas darauf einbildet, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Trotzdem bin ich immer davon ausgegangen, daß Sten mit der Victory landet, mit einer angemessenen Eskorte seiner Verbündeten.
Wie auch immer ... Was genau schlagen Sie denn vor, Sr. Kilgour?"
"Sten geht mit nur einem einzigen Adjutanten nach Seilichi. Mit meiner Wenigkeit. Wir haben eine stehende Verbindung vom Linienschiff zur Victory, die sich ein Stück weit vom Planeten und den Flotten des Imps entfernt aufhält.
Wir werden nicht wie blutrünstige Rebellen aussehen, sondern wie rechtschaffene, und damit meine ich auch rechtschaffene, Freunde des Friedens. David gegen die Pharisäer, oder wie die Geschichte hieß.
Das macht gleich was für die Livie-Teams her, denke ich."
Rykor schloß die Augen und stellte sich das alles bildlich vor. Doch, das sah gewiß recht eindrucksvoll aus. Sten - ein einzelner kleiner Mensch - tritt dem Imperator siegreich entgegen.
"Sie, Rykor, brauchen wir hier oben. Sie verfolgen das Geschehen und bewahren einen kühlen Kopf."
Cind sprang auf. "Sten wird nicht ohne Eskorte dort hinuntergehen."
"Wacker gesprochen", sagte Alex. "Aber genau das wird er tun. Auch deine Bhor und die Gurkhas könnten gegen eine Lasersalve aus einem Schlachtschiff nichts ausrichten. Ansonsten hat es nicht viel Sinn, eine kriegerische Show abzuziehen, außer daß wir denen zeigen, wie groß unsere Langschwerter sind, oder was meinst du, Mädel?"
Cind wollte ihm widersprechen, doch Alex wiegte den Kopf nur leicht zur Seite. Sie verstummte sofort.
Auch Sten sah Kilgour verwundert an. Alex erwiderte seinen Blick ausdruckslos. >Aha<, dachte Sten. >Was schadet es schon, wenn er recht hat?<
"Wir machen es so, wie Alex es vorgeschlagen hat", sagte Sten, bevor Otho auch noch einen polternden Einwand vorbringen konnte.
"Der Imperator trägt immer einen schmucklosen weißen Anzug, wenn alle anderen in Galauniform aufkreuzen. Wir spielen eine andere Variante des gleichen Spiels.
Meine Adjutanten sollen dafür sorgen, daß meine Ausgehuniform wie aus dem Ei gepellt ist. Und jetzt sage ich den anderen Bescheid. Ich möchte etwas ekelhaft Langweiliges zu essen und noch ein bißchen Schlaf. Wir sind soweit."
Sr. Ecu schwebte in der Mitte des riesigen Landefelds, das sich innerhalb des "Kraters" des Gästezentrums befand. Seine Sinne waren auf das Äußerste gespannt. Dieses Treffen und die folgenden Konferenzen waren womöglich nicht nur der Höhepunkt seines eigenen Lebens, sondern zugleich der Höhepunkt in der Geschichte der Manabi.
Seine Spezies hatte den Imperator und das Imperium seit jeher mit Skepsis und mit einem gewissen Maß an Abneigung betrachtet. Seine Autorität sorgte für Kontinuität, ein gewisses Maß an Frieden und Wohlstand für unzählige Welten.
Aber zu welchem Preis? Zum Preis der Tyrannei. Zu manchen Zeiten hatte sie sich eher wohlwollend gegeben, zu anderen Zeiten aber auch ein ganz anderes Gesicht gezeigt, etwa bei solch schrecklichen kriegerischen Auseinandersetzungen wie dem Mueller-Aufstand und den Tahn-Kriegen, die, wenn man die Rhetorik einmal beiseite ließ, aus keinem anderen Grund ausgefochten worden waren, als die Regentschaft des Imperators
aufrechtzuerhalten. Ecu hatte lange darüber nachgedacht, ob es möglich war, die Exzesse des Imperators zu korrigieren und trotzdem die Vorteile beizubehalten.
War diese Chance möglicherweise jetzt
gekommen?
>Wie romantisch<, höhnte sein Verstand. >Und das ausgerechnet von einem Wesen, das die meiste Zeit seines Lebens im Labyrinth der Diplomatie verbracht und dabei versucht hat, wirklich Sinnvolles von dummem Geschwätz zu
unterscheiden.
Glaubst du wirklich, der Ewige Frieden entspringt einem Treffen zwischen einem Wesen, das du für ziemlich verrückt hältst, und einem jungen Rebellen, der noch vor wenigen Jahren als Killer für eben diesen Verrückten gearbeitet hat? Und bei dem man davon ausgehen muß, daß er getreu der
menschlichen Natur, die stets nach Macht giert, innerhalb kürzester Zeit selbst den Imperator spielen will ?<
Trotzdem.
Die Livie-Kameras, die entlang des "Randes" des Gästezentrums aufgebaut waren, waren die beinahe unheimliche Stille allmählich leid - unbewegte Bilder, auf denen lediglich der rotschwarze Körper des Manabi über dem Bodenbelag schwebte. Die Reporter hatten sich wieder der Tätigkeit gewidmet, der sie offensichtlich niemals müde wurden, nämlich sich gegenseitig zu befragen, was das Ganze eigentlich zu bedeuten hatte.
Ein peitschendes Geräusch störte ihren
aufgeregten Ringelpiez. Hoch über ihren Köpfen senkte sich das Schiff des Ewigen Imperators, von einem winzigen Lotsenschiff dirigiert, langsam auf seinen Landeplatz herab. Ecu erkannte die Normandie wieder, den alten, geheimen,
waffenstarrenden Luxustransporter des Imperators.
Eigenartig. Ecu hatte eigentlich erwartet, daß er soviel Eindruck wie möglich hinterlassen wollen und mit seinem neuesten Schlachtschiff, der Durer, aufkreuzen würde. Er wußte, daß über ihnen, gleich außerhalb der Atmosphäre, eine ganze Imperiale Schlachtflotte zum Schutz des Imperators im geosynchronen Orbit kreiste.
Ecu verspürte einen Funken Hoffnung. Vielleicht wollte der Imperator absichtlich kein kriegerisches Bild vermitteln.
Sekunden später erfuhr er, daß er sich in diesem Punkt getäuscht hatte; eine Landerampe wurde ausgefahren, und schwer bewaffnete Menschen in den schwarzen Umformen der Inneren Sicherheit trabten in Gruppenformation heraus und nahmen rings um das Schiff Aufstellung.
Sonst kam niemand die Rampe herunter.
Dann von oben ein Heulen, und Stens Schiff senkte sich auf das Landefeld. Es handelte sich um das zivile Linienschiff, das man Ecu angekündigt hatte. Es schaltete von Yukawa-Drive auf McLean-Generatoren um und setzte auf seinen seitlichen Auslegern auf.
In einem dieser Landebeine gähnte ein weites Portal auf, und zwei Gestalten traten daraus hervor.
Sten und Alex Kilgour.
Kilgour trug die komplette Tracht eines irdischen Schottenlords, inklusive Barett, Kilt und Sporran.
Doch in seinem Strumpf steckte kein sgeari dubh, an seinem Gürtel hing keine Dolchscheide, und auch die große Lederhülle für das Breitschwert war leer.
Kilgour hatte noch nicht einmal eine Pistole in dem Sporran versteckt, der vor seinem Unterleib baumelte.
Sten trug ein hellblaues, bis zum Hals geknöpftes Hemd und gleichfarbige Hosen; auf eine
Kopfbedeckung oder seine Orden hatte er verzichtet.
Ihnen folgte kein einziger Leibwächter. Die beiden traten hinaus in das sanfte Sonnenlicht und warteten.
Auf der anderen Seite des Feldes knallten Stiefelabsätze und schepperten Waffen. Die IS-Truppe ging in Habachtstellung.
Der Ewige Imperator und seine Entourage kamen die Rampe herab. Wie erwartet, trug er eine einfache schwarze Uniform mit dem Emblem des Imperiums auf der Brust. Um den Hals hing nur ein einziger Orden, den einer der Livie-Reporter mit gedämpftet Stimme korrekt als die Friedensbringer-Auszeichnung identifizierte, die dem Imperator nach Beendigung des Mueller-Aufstands verliehen worden war.
Dann zählte der Reporter die Würdenträger im Gefolge des Imperators auf: Avri, die Chefin seines politischen Stabs; Tyrenne Walsh, Galionsfigur der Regierung von Dusable und Zugpferd des Ewigen Imperators im Parlament; und so weiter, angefangen von Herzog Soundso bis hin zum Protokollarischen Sekretär Soundso. Eine Person nannte der Reporter falsch, doch Ecu kannte sie ohnehin: Solon Kenna.
Der Ewige Imperator hatte seine klügsten politischen Köpfe mitgebracht. Wieder fühlte Ecu, wie sich dieses schreckliche Ding namens Hoffnung in seiner Seele regte.
Das beste war jedoch, daß Poyndex überhaupt nicht dabei war. Auch das ein günstiges Zeichen dafür, daß die Konferenz tatsächlich zum Ziel hatte, dem Imperium ein gewisses Maß an Frieden zu bringen.
Sten und Alex setzten sich in Richtung auf die Imperiale Gruppe in Bewegung, um sie zu begrüßen.
Die Entourage blieb stehen, und der Ewige Imperator ging allein weiter.
"Sten", sagte er. Es war eine völlig neutrale Aussage.
Sten mußte sich zusammenreißen, um nicht wie ein Trottel zu salutieren. Gewisse jahrelange Gewohnheiten legt man nicht so leicht ab.
"Euer Hoheit."
"Sollen wir anfangen?"
Sten zwang sich zu einem Lächeln und nickte.
Sten und der Ewige Imperator standen allein auf einem Balkon nahe des oberen Randes des Gästezentrums. Der Balkon war nicht viel mehr als ein Geländer am äußeren, beinahe senkrecht abfallenden Hang des wie ein Vulkan angelegten Zentrums.
Nachdem die Konferenzteilnehmer in ihre Unterkünfte eingewiesen worden warnen, hatte der Imperator Ecu darum gebeten, Sten für ein paar Augenblicke allein sprechen zu dürfen. Dieses Treffen fand außerhalb des Protokolls statt.
Ecu hatte sich bei Sten erkundigt, der zuerst gezögert, dann jedoch zugestimmt hatte.
Es war gerade Abenddämmerung. Der Himmel hoch über ihnen glühte violett und färbte das breite Tal rings um das Zentrum. Der junge Manabi, der sie zu dem Balkon führte, teilte ihnen mit, daß niemand etwas davon erfahren würde, besonders die Reporter nicht, die indiskret genug wären, die beiden mit einem Richtmikrophon zu belauschen. Sten und der Imperator blickten einander an, und Sten hätte beinahe gelächelt. So indiskret war nun wirklich niemand, das wußte er genau.
Zwei Sessel und ein großer, mit McLean-Generatoren ausgerüsteter Wagen standen an der Rückseite des Balkons. Der Imperator ging darauf zu und öffnete die Türen.
"Scotch, Stregg, Alk. Reines Quill. Bier, Tees.
Sogar Wasser. Die Manabi sorgen sich
offensichtlich darum, daß wir trockene Kehlen bekommen könnten."
Er drehte sich zu Sten um. "Wie war's mit einem Drink?"
"Nein", sagte Sten. "Nein danke."
Der Imperator nahm eine Flasche Stregg heraus.
Er drehte sie hin und her. "Das hier habe ich immer gerne getrunken", sagte er, "aber ich glaube, ich habe den Geschmack daran verloren. Ist das nicht eigenartig?"
Er blickte Sten direkt ins Gesicht, dann fingen seine Augen wieder an zu wandern. Sten empfand den Blick als unangenehm, erlaubte sich aber nicht, wegzusehen. Nach einigen Sekunden schaute der Imperator woandershin.
Er ging zum Rand des Balkons, setzte sich auf das Geländer und schaute in das Tal hinaus.
"Ungewöhnliche Wesen, diese Manabi", sinnierte er. "Die einzigen Spuren ihrer Zivilisation befinden sich unter der Erde. Mir käme es eigenartig vor, beunruhigend, daß dann, wenn ich im Dunkel der ewigen Nacht verschwände, keine einziges Zeichen dafür zurückbliebe, daß ich jemals existiert habe...
kein Abdruck meiner eigenen Art auf dem Gesicht des Planeten."
Sten wußte darauf keine Antwort. Wieder blickte ihn der Imperator an, mit dem gleichen irren Flackern in den Augen.
"Erinnerst du dich noch an das erste Mal, als wir uns trafen?"
"Das erste offizielle Treffen, Sir?"
"Nein, ich meine den Abend nach dem Empire Day Als du Chef meiner Leibgarde warst. Ich nehme an, du hast davon gehört, daß ich die Gurkhas entlassen habe. Eine exotische Truppe, gewiß, aber meiner Meinung nach waren ihre Fähigkeiten doch sehr begrenzt. Egal. An jenem Abend habe ich dich jedenfalls darum gebeten, dein Messer sehen zu dürfen. Hast du es eigentlich immer noch?"
"Ja."
"Darf ich es noch einmal sehen?"
Jetzt lächelte Sten. "Ich hoffe, draußen stehen keine Sicherheitstypen, die das jetzt mißverstehen", sagte er. Er krümmte die Finger und ließ die Waffe aus dem Arm in seine Hand gleiten. Er reichte sie dem Ewigen Imperator, der sie neugierig betrachtete und wieder zurückgab.
"Genau wie ich es in Erinnerung habe. Weißt du, so manches Mal habe ich von diesem Messer geträumt. Ich erinnere mich nicht mehr an die Situation in diesem Traum, aber sein Symbolismus in bezug auf dich hätte mir schon damals auffallen müssen."
Sten brauchte einen Augenblick, bis er verstand, was der Imperator damit meinte. Bevor er widersprechen konnte, fuhr der Imperator fort: "Es war ein interessanter Abend. Du hast mich mit dem Stregg bekannt gemacht, ich erinnere mich noch genau. Und ich habe etwas gekocht. Ich weiß nur nicht mehr -"
"Es war etwas, das Sie Angelo Stew nannten."
"Ah, genau." Der Imperator schwieg einen Moment. "Auch dafür finde ich jetzt kaum noch Zeit. Kochen. Vielleicht kann ich mich jetzt, wo diese ... Meinungsverschiedenheit aus der Welt geräumt wird, schon bald wieder meinen alten Hobbys widmen. Wer weiß? Vielleicht komme ich sogar dazu, wieder eine Gitarre zu bauen." Sein Ausdruck verhärtete sich. "Es ist gut, wenn man in den späten Jahren ein Hobby hat, stimmt's?"
Sten hielt es für das beste zu schweigen.
"Empire Day Vermutlich war damals schon der Wurm drin. Hakone. Die Tahn. Mahoney Der Altai-Cluster ... Herrje!"
Der Imperator blickte Sten durchdringend an.
"Du weißt nicht, was du da verlangst, Sten. Wie das alles weitergeht, und immer weiter und weiter, und niemals zeigt jemand auch nur die geringste Dankbarkeit."
"Sir. Ich habe nichts verlangt. Diese Teilhabe an der Macht ist -"
"Natürlich hast du das nicht verlangt", sagte der Imperator mit einer gewissen Verdrießlichkeit in der Stimme. "Aber glaubst du etwa, daß ich nach all diesen Jahrhunderten noch immer nicht Bescheid wüßte ? Gestehe mir doch wenigstens zu, daß ich kein Idiot bin."
"Dafür habe ich Sie nie gehalten, Euer Majestät."
"Nicht?" Der flackernde Blick wandte sich ab und verlor sich in der immer dunkler werdenden Landschaft weit unter ihnen. "Wie kahl", sinnierte der Imperator. "Wie öde."
Er erhob sich. "Ich habe vor, in meiner Unterkunft zu essen", sagte er und lächelte. "Ich finde, Bankette und öffentliche Feierlichkeiten können warten, bis wir zu einer Art von Übereinkunft gekommen sind. Bist du auch meiner Meinung?"
"Mir ist das egal", antwortete Sten. "Aber ich halte nicht besonders viel von zehn Gängen und einigen erzwungenen Trinksprüchen."
Das Lächeln des Imperators wurde breiter. "Das war einer der Gründe dafür, weshalb ich dich damals so geschätzt habe; vielleicht sogar gemocht. Du hattest kein Interesse an Heuchelei. Manchmal frage ich mich, wie es so weit mit dir kommen konnte."
Er nickte und ging, noch immer lächelnd, wieder hinein.
Alex Kilgour begleitete Sten zu seinem Quartier und begab sich dann kräftig gähnend in seine eigene Unterkunft.
Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, entledigte er sich des Aufzugs, den er insgeheim die Lord-Kilgour-Verkleidung nannte, und schüttelte auch die gespielte Erschöpfung ab. Dann nahm er einen phototropischen Tarnanzug aus dem Koffer und streifte ihn über; die Riemen des Koffers verwandelten sich in einen Klettergürtel. Zum Schluß holte er eine kleine Dose Klettergarn aus seinem Sporran.
>Und jetzt<, dachte er, >wollen wir mal testen, ob das Glück der Spinnen allen Schotten hold ist, oder nur dem alten Bobbie the Brucie.< Das Problem lag nur darin, daß er nicht ganz sicher war, wie sich Glück definieren ließ.
Der IS-Techniker hörte seine Bänder wieder und wieder ab. Er versuchte herauszufinden, wo dieses störende Summen auf einer der langwelligen Frequenzen herkam. Es kam nicht von der Normandie, auch nicht vom Imperialen Stab. Und auch nicht von der Ausrüstung der Livie-Teams.
Er hatte den Ursprung der statischen Störung bis ins Gästezentrum zurückverfolgt, doch sie stammte auch nicht von den elektronischen Einrichtungen der Manabi.
Schließlich kam der Tech auf des Rätsels Lösung.
Das Summen ging von dem tragbaren Funkgerät aus, das der Adjutant des Rebellen mit sich trug.
>Typisch<, dachte er. >Nicht mal ein Handitalki können sie benutzen, ohne es kaputtzumachen.< Aber das Brummen nervte. Wenn die Konferenz losging, wäre es wirklich das beste, einen seiner Vorgesetzten darum zu bitten, daß sie den Blödmann darauf ansprachen und ihm eine neue Quasselkiste nahelegten.
Doch zunächst einmal widmete er sich wieder seiner eigentlichen Aufgabe; er hatte nämlich sicherzustellen, daß die Verbindung zwischen dem Landungsboot und der Vorrichtung, die ganz neu an Bord der Normandie installiert worden war, perfekt funktionierte.
Der Ewige Imperator nahm Avri zweimal auf die Art, die ihm am besten gefiel. Die Frau biß heftig ins Kopfkissen. In Arundel würden selbst sensible Gemüter zu mitternächtlicher Stunde einen Schrei aus den Privatgemächern des Imperators ignorieren, doch hier auf Seilichi konnte man damit leicht unnötig Alarm auslösen.
Der Imperator ging zur Naßzelle, blieb jedoch unterwegs stehen und nahm ein kleines Objekt aus einem Regal. Er kehrte zum Bett zurück, fuhr mit der Hand in einer Art zärtlichen Geste über Avris kurzgeschorenes Haar, und als die Spitze des Injektors das verlängerte Mark der Frau berührte, drückte er auf den Kolben.
Avri fiel sofort in tiefe Bewußtlosigkeit.
Es sollte ihr letzter Schlaf sein.
Der Imperator erhob sich und legte einen schwarzen Overall mit eingebauten Klettergurten und Kletterschuhe mit dünnen aber festen Sohlen an, wie man sie beim Bergsteigen verwendete. Darüber zog er eine Maschenweste und machte die Verschlüsse zu. Erneut wünschte er sich eine Pistole, doch er wußte, daß es kaum Chancen gab, eine Schußwaffe durch die automatischen
Sicherheitskontrollen der Manabi zu schmuggeln.
Das hier mußte reichen.
Er ging in die Knie und schob das Doppelfenster zum Balkon auf. Tief unter ihm, in der Mitte des Kraters, lagen Stens Schiff, die Normandie und das Landungsboot. Es war sehr dunkel und sehr still. Er glaubte, den einsamen Wachtposten zu erkennen, der vor der Rampe der Normandie einige Schritte ging, kehrtmachte und dann wieder
zurückmarschierte. Er spielte keine Rolle. Der Tag, an dem sich der Imperator nicht mehr an einem Wachtposten vorbeischleichen konnte, war der Tag, an dem er bereitwillig eingestehen würde, daß er der Idiot war, für den ihn Sten und offensichtlich der gesamte Rest des Imperiums hielten.
Links und rechts von seinem Apartment schliefen seine Berater und angeblichen Vertrauten. >Träumt nur schön weiter, meine Diener<, dachte er. >Denn jetzt leistet ihr dem Imperium den größten Dienst, den ihr euch nur erträumen könnt. Und euer Opfer wird nicht vergebens sein.<
Sein Blick fiel auf Avris nackte, schlanke Gestalt.
Ein Hauch von Bedauern stieg in ihm auf. Aber nicht lange. Ein Opfer ist nur dann sinnvoll, wenn man etwas wirklich Wichtiges hingibt.
Außerdem fing sie allmählich an, ihn zu langweilen.
Er hatte bereits daran gedacht, sich anderen, erfahreneren Frauen zu widmen, die seine Aufmerksamkeit erregt hatten.
Er löste eine Dose Klettergarn von der Weste, drückte auf die Düse, und das Ende der aus einem einzigen Molekül bestehenden Kette verband sich mit dem Geländer des Balkons. Der Imperator schob die Hände in spezielle Klemmschleifen, denn der Versuch, an dem Garn mit bloßen Händen
hinunterzuklettern, wäre dem Versuch
gleichgekommen, an einer biegsamen Rasierklinge entlangzurutschen.
Der Ewige Imperator schob sich über die Kante das Balkons. Seine Nerven vibrierten, und sein Blut sang in einer Weise, wie er es schon seit Jahren nicht mehr erlebt hatte, als er sich in die Nacht hinuntergleiten ließ.
Kilgour fühlte sich ziemlich wohl. Eine Zehe stand auf einem festen Vorsprung von beinahe drei Zentimetern Breite, und ein Arm sowie eine Sicherheitsschlinge waren um einen schmalen Sims geschlungen.
Er hätte tanzen können.
Er hielt Wache wie eine große, unsichtbare Spinne, denn seine phototropische Uniform hatte jetzt exakt die Farbe und das Muster des künstlichen Gesteins angenommen, aus dem die Manabi das Gästezentrum erbaut hatten.
Eine Bewegung seitlich und ein Stück unterhalb seines Standorts erweckte seine Aufmerksamkeit. Er stellte das Nachtglas schärfer und holte das Bild heran.
>Die Bude des Imp! Dacht ich mir's doch. Und schon kommt ein Kerl da rausgekrochen. Was für ein Glück, hm? Eher das Gegenteile
Echtes Glück - aber wer glaubt schon wirklich, daß es so was gibt - hätte darin bestanden, wenn Alex eine ganze verkrampfte Nacht hier draußen verbracht hätte, ohne daß das Geringste geschehen wäre und die Konferenz wie erwartet ihren Anfang hätte nehmen können.
>Aber wer ist dieser dünne Typ, der da drüben an der Schnur baumelt? Der Imp höchstpersönlich?< Alex zog die Stirn kraus und ging in Gedanken noch einmal seine unterschiedlichen Prognosen hinsichtlich möglicher Imperialer Schurkereien durch.
Er hatte zwar mit einigen hinterhältigen Maßnahmen hier auf Seilichi gerechnet, aber keiner seiner Pläne wollte zu dem passen, was sich hier offensichtlich abspielte.
Noch an Bord der Victory hatte Alex nach der letzten Besprechung mit Sten heimlich Cind und Otho in sein Quartier mitgenommen. Es war der einzige Ort an Bord der Victory, an dem gewährleistet war, daß er weder von Freston noch von Sten abgehört werden konnte. Vor allem nicht von Sten. Trotzdem war er sich nach dem Blick, den ihm der Boß zugeworfen hatte, ziemlich sicher, daß Sten ahnte, was da vor sich ging.
"Sobald wir gelandet sind", hatte er ihnen eröffnet, "möchte ich, daß ihr euch bereithaltet. Auf mein Kommando hin, oder das von Sten, oder falls im Lauf der Dinge die Verbindung zwischen uns unterbrochen wird, möchte ich, daß ihr die Brücke übernehmt und die Befehle, die ich euch vor unserer Abreise geben werde, durchlest und befolgt. Auch wenn das bedeutet, Captain Freston seines Amtes zu entheben, falls er zu argumentieren anfängt.
Ich weiß, es ist allerhand verlangt, aber ich muß euch schwören lassen, daß ihr die Anweisungen ohne Wenn und Aber befolgt, in dem Vertrauen, daß ich nur das Beste für Sten und seine verdammte Rebellion will, die uns höchstwahrscheinlich alle um Kopf und Kragen bringen wird.
Wenn ihr mir vertraut, wenn ihr Sten vertraut...
dann tut ihr das, was ich von euch verlange."
Cind und Otho hatten darüber nachgedacht. Cind hatte als erste genickt. Sie hatte Alex im Verdacht, für ein Ereignis zu planen, das mittlerweile zu ihrem schlimmsten Alptraum geworden war - einem Alptraum, aus dem sie keine Möglichkeit sah, sich zu befreien, außer durch einen selbstmörderischen Kampf bis aufs Messer. Dann hatte Otho gegrunzt.
Auch er würde den Befehl befolgen.
Kilgour zeigte sich sehr zufrieden mit ihrem Vertrauensbeweis. Und schickte sie hinaus.
Er hatte nachgedacht... Glencoe ... Ein gruseliges, schmales, regengetränktes, ödes Tal auf der alten Erde, dessen Lord sich bis zur letzten Minute darum gedrückt hatte, seinem unrechtmäßigen König den Ergebenheitseid zu leisten, und der dann auch durch die Winterstürme von dieser unangenehmen aber notwendigen Pflicht zunächst bewahrt wurde.
Der Lord hatte nicht damit gerechnet, daß der Thronräuber einen Politiker namens Dalrymple eingesetzt haben könnte, der bei einem, der nicht unterschrieben hatte, ein Exempel statuieren wollte; außerdem hatte er nicht bedacht, daß es einen verräterischen Clan namens Campbells gab, die nur zu sehr darauf erpicht waren, sich die Gunst des elenden Engländers William zu erschleichen.
Campbell-Soldaten tauchten in dem Glen auf, und man gewährte ihnen die traditionelle
Gastfreundschaft der Highlands. Verrat ruhte in ihren Herzen, Verrat, den sie nicht schnell genug in die Tat umsetzen konnten. In dieser Nacht kamen Feuer und Axt über Glencoe, und Frauen und Kinder flohen schreiend hinaus in Schnee und Eis und in die Arme des frostigen Todes.
>Glencoe<, hatte Alex gedacht. >Im Gegensatz zu den schönsten Plänen wartet Verrat manchmal nicht den besten Moment ab, wartet nicht, bis sich der Mond verdunkelt und der Rabe seinen Todesschrei ausstößt.<
Und deshalb war er schon bei ihrer Ankunft auf Seilichi darauf vorbereitet gewesen, daß der Imperator sie hereinlegen wollte; war es von dem Augenblick an gewesen, an dem sie mit dem Linienschiff der Zaginows gelandet waren, und war es auch jetzt, als er sah, wie sich der schwarzgekleidete Mann, der aussah wie der Imperator selbst, vom Fenster seines Apartments aus abseilte.
Den Flur vor dem Wohnquartier der Imperialen hatte er bereits mit einem mechanischen Sensor ausgestattet; außerdem wußte er, daß jede Regung von jedem Mitglied des Imperialen Trosses bei den Manabi sofort Alarm auslösen würde. Auch wenn sie kein kriegerisches Volk waren, hatten die Manabi eine gut organisierte Nachtwache eingerichtet.
Alex dachte noch einen kurzen Augenblick nach und wünschte sich dabei sehnlichst, daß es ihm doch irgendwie gelungen wäre, ein Scharfschützengewehr nach Seilichi zu schmuggeln - >und dann hätten wir ja gesehen, wozu ein echter Experte fähig ist, was?< Mit einem Mal glaubte er, den Plan des
Imperators durchschaut zu haben, drückte auf einen Schalter an seinem Handgelenk und kletterte an seinem eigenen Klettergarn wieder hinauf, wie eine Fliege, die vor der Flamme flüchtet, einer Flamme, von der Alex wußte, daß sie in nur wenigen Augenblicken schreckliche Wirklichkeit werden würde.
Der Techniker der Inneren Sicherheit schlief tief und fest, weit entfernt von seinen Instrumenten. Er erfuhr nie, daß diese nervige statische Unregelmäßigkeit, dieses Rauschen, in dem Augenblick aufhörte, als Alex sein Handitalki antippte. Das Rauschen war absichtlich ausgestrahlt worden.
Es gibt mindestens zwei Arten, eine Warnung auszustrahlen. Die erste und am weitesten verbreitete besteht darin,. ein Geräusch zu verursachen, sobald Gefahr droht. Die zweite, geschicktere besteht darin, beim Anzeichen von Gefahr ein Geräusch abzubrechen.
Wie Sherlock Holmes' berühmter Hund, der nachts nichts unternahm, löste der Abbruch des absichtlich ausgestrahlten Rauschens aus Kilgours Gerät an Bord von zwei Raumschiffen den Alarm aus.
Auf der Victory jaulte der allgemeine Alarm los.
Das Schiff, ohnehin in Einsatzbereitschaft, ging auf volle Gefechtsbereitschaft.
Cind, Otho, Freston und Lalbahadur hatten nicht geschlafen und auch gar nicht erst in Erwägung gezogen, sich vom Dienst abzumelden, bevor Sten zurückgekehrt war - selbst wenn sie dafür auf Stimulanzien und kalte Duschen hätten
zurückgreifen müssen.
"Alle Stationen bereit, Sir", gab der diensthabende Offizier durch. "Von außen sind dabei keine Signale für volle Gefechtsbereitschaft feststellbar."
"Sehr gut", sagte Freston und drehte sich zu Cind um. "Ich habe von Mister Kilgour den Befehl erhalten, mich im Falle eines Alarms Ihrem Kommando zu unterstellen und Ihren Anweisungen absolut Folge zu leisten. Übernehmen Sie."
"Vielen Dank." Cind atmete tief durch und gab ihr Porenmuster in das kleine Lesegerät ein, das Alex ihr beim Verlassen der Victory überreicht hatte.
Die Anweisungen waren einfach:
SOLANGE IHR NICHT BEDROHT WERDET, IM
GEGENWÄRTIGEN ORBIT VERWEILEN.
KEINE, ICH WIEDERHOLE, KEINE
OFFENSIVEN MASSNAHMEN GEGEN DAS
IMPERIUM ERGREIFEN; NICHT VERSUCHEN,
ICH WIEDERHOLE, NICHT VERSUCHEN, SICH
DEM PLANETEN ZU NÄHERN ODER GAR ZU
LANDEN. RICHTET BESONDERE
AUFMERKSAMKEIT AUF FREQ QUEBEC
VIERUNDDREISSIG ALPHA. SOLLTEN
IMPERIALE KAMPFEINHEITEN EINEN
ANGRIFF VERSUCHEN, KONTAKT
ABBRECHEN UND HEIMLICH NACH (eine
Reihe von Koordinaten) ABSETZEN. DAS IST
UNSER TREFFPUNKT. WENN BEIM ZWEITEN
VERSUCH KEIN KONTAKT ZUSTANDE
KOMMT, STEHT DIE VICTORY AB DANN
UNTER UNABHÄNGIGEM KOMMANDO UND
FÜHRT EIGENSTÄNDIG ALLE AKTIONEN
DURCH, DIE ZU DIESEM ZEITPUNKT
ANGEBRACHT SIND.
VIEL GLÜCK.
... und dann das Gekritzel von Kilgours Unterschrift.
"Wir warten also ab", interpretierte Otho.
Cind knurrte. Das Geräusch verriet ihre Ausbildung bei den Bhor. Dann knirschte sie mit den Zähnen und stieß mürrisch hervor: "Wir warten."
Als die Füße des Imperators den Boden
berührten, ließ er sich auf die Knie sinken. Er brach das Klettergarn ab und hakte die Klemmschleifen aus.
Nur wenige Scheinwerfer funkelten auf dem Landefeld rings um die drei Schiffe. Außer dem einzelnen Posten an der Rampe der Normandie war noch immer keinerlei Bewegung festzustellen.
In geduckter Haltung huschte der Imperator auf das Landungsboot zu.
Das unterbrochene statische Rauschen war auch das Signal für ein zweites Schiff.
Hannelore La Ciotat war schlagartig hellwach, sprang aus ihrer Koje und stand kurz darauf auf der Brücke des Einsatzschiffs. Der Vollalarm ihres Einsatzschiffs war ein zivilisiertes Gong ... gong, der synthetisierte Klang einer Glocke. Es war jedoch mehr als laut genug, um bis in den letzten Winkel der engen Mannschaftsräume gehört zu werden.
La Ciotat schloß das Visier ihres Raumanzuges und hätte beinahe ihren wachhabenden
Waffenoffizier/Ersten Offizier aus dem
Kommandantensitz gestoßen.
"Ich löse Sie ab, Mister." Ihre Finger huschten über die Kontrollen. ENERGIEERZEUGER ...
HOCHFAHREN ... ALLE SYSTEME AUF
STANDBY... MANNSCHAFT BEREIT...
WAFFENSYSTEME BEREIT...
Sie hantierte an den Kontrollen, und das Einsatzschiff löste sich mit Hilfe der McLean-Generatoren vom Boden, riß das Tarnnetz in Fetzen, das La Ciotat und ihre Besatzung einen Tag zuvor über das winzige Schiff geworfen hatten.
Das Einsatzschiff war kurz hinter der ersten Biegung eines Canyons versteckt, der zu dem breiten Tal führte, in dessen Mitte das Gästezentrum lag.
La Ciotat ließ das Schiff wie ein Gespenst um die Biegung schweben.
"Ich habe das Zentrum auf dem
Direktsichtschirm", sagte sie zu ihrem Ersten Offizier.
"Roger. Alle Monitore zeigen das gleiche."
"Antriebsstatus?"
"Verdammt heiß, Hannelore."
Und dann wartete auch sie.
"Raus aus der Kiste, alter Knabe! Der Imp geht um!"
Stens Gedanken lösten sich nur schwer aus einem verschwommenen, schrecklichen Traum; Kilgour riß ihn hoch. "Was zum -" "Sei still!"
Alex warf ihm einen phototropischen Anzug hin.
Sten zog ihn ohne Widerworte an und sah sich nach den Stiefeln um.
"Keine Zeit, Sten! Los, komm!"
Kilgour drängte ihn zur Tür, die weit offenstand und den Blick auf einen verlassenen, hell beleuchteten Korridor freigab. Sten verfiel in einen stolpernden, alptraumhaften Dauerlauf, noch nicht ganz sicher, ob er noch schlief und träumte, doch der Teppich fühlte sich schmerzhaft rauh unter seinen Füßen an. Alex schob ihn um eine Ecke und eine Rampe hinauf zum oberen Rand des Kraters.
"Wohin gehen wir -"
"Wenn du noch einen Ton sagst, schlag ich dich bewußtlos, ich schwor's. Wir befinden uns mitten im Auge des Sturms!"
Eine große, verriegelte Tür, die auf einen Balkon an der Außenseite des Kraters führte. Ohne abzubremsen ließ sich Alex gegen die Tür prallen, die daraufhin krachend zerbarst. Eine Alarmsirene heulte los - Feuer, Eindringlinge, was auch immer -, doch es spielte keine Rolle mehr.
Der Ewige Imperator hetzte durch die Luke des Landungsbootes. Der Wachhabende schnellte erschrocken hoch, obwohl er entsprechende Anweisungen erhalten hatte.
"Abheben", fauchte ihn der Imperator an, drehte sich um und betätigte den Schalter LUKE
SCHLIESSEN.
"Funkspruch wie befohlen!"
"Jawohl, Sir!"
Der Offizier hob eine Sicherheitskappe hoch, tippte auf einer erst vor kurzem installierten Konsole eine Zahlenkombination ein, und die Maschine auf der anderen Seite des Landefeldes, im Innern der Normandie, fing an, ihre Sekunden
herunterzuticken.
Weit oben im All hämmerte das Signal die Durer, ihre Eskorte und die Mannschaften in
Gefechtsbereitschaft.
Der McLean-Antrieb ließ das winzige
Landungsboot abheben.
An der Rampe der Normandie wurde der
Wachtposten plötzlich richtig wach und riß seine Willygun hoch. Was spielte sich hier verdammt noch mal ab ? Warum hatte ihm niemand etwas davon gesagt? Dieser verdammte Corporal hatte kein Sterbenswörtchen
Eine frische Morgenbrise strich über den Balkon; Sten spürte es nicht einmal. Alex sprach in sein Funkgerät.
"Taxi! Auf diese Station!"
"Verstanden", ertönte die ruhige, unaufgeregte Stimme einer Frau, die Sten wiederzuerkennen glaubte. "Sind schon unterwegs."
"Du hattest also recht", sagte Sten, der allmählich zu sich kam.
"Jawoll. Der Drecksack hat sich durch die Hintertür davongeschlichen. Solo."
"Um Himmels willen! Wir müssen die Manabi alarmieren", sagte Sten, obwohl er wußte, daß es dazu zu spät war.
"Was können die schon -" gab Kilgour grimmig zurück. Im gleichen Moment kreischte das Funkgerät auf, als die Normandie absichtlich anfing, den Funkverkehr auf allen Frequenzen zu stören.
Auf der anderen Seite des Tals tauchte eine winzige Sonne auf. La Ciotats Einsatzschiff, das auf sie zuraste.
Der Kommandant des Imperialen
Landungsbootes kippte sein Schiff in die Vertikale und gab Vollschub auf den Yukawa-Antrieb, katapultierte das kleine Raumschiff förmlich zu den Sternen hinauf. Noch innerhalb der Atmosphäre ging er auf Stardrive, und das Landungsboot verschwand im All. Auf der Normandie schloß sich ein Relais.
Ecu wurde durch das brüllende Jaulen des Landungsbootes aus dem Schlaf gerissen. Seine Sensoren nahmen sofort etwas wahr und holten ihn aus jenem anderen Universum, in dem er sich zu Zeiten anderer Bewußtseinszustände aufhielt; ein Universum leise klingender Kristalle in einem gehauchten Wind, wo selbst die Gedanken empfindungsfähig, wunderschön und sichtbar waren, ein nichtkörperliches Universum ständig sich erweiternder Horizonte.
Noch in diesem veränderten Bewußtseinszustand schwebte er auf eine vorgebaute Konsole zu, die Ausblick auf den Mittelpunkt des Gästezentrums bot. Seine Sensoren nahmen eben noch den Feuerstrahl wahr, auf dem das Imperiale Landungsboot im All verschwand.
Ecu spürte, wie sich die Schwingen seines Geistes wie seine eigenen großen Flügel ausbreiteten, und er spürte, wie sich dieses andere Universum vor ihm öffnete, ihn willkommen hieß, wie eine seidene Brücke.
Als das Jaulen aus den Lautsprechern einsetzte, hämmerte La Ciotat auf dem Funkgerät herum.
"Ma'am, ich habe keinen Kontakt mehr zu -"
"Abstellen!" Sie hatte den Balkon jetzt auf dem Direktsichtschirm. La Ciotat ließ das Einsatzschiff auf das Gästezentrum zuheulen und wendete es so schnell um 180 Grad, daß die McLean-Generatoren einen Moment brauchten, um oben und unten zu definieren; sie gab mit den Yukawas Gegenschub, und das Schiff rutschte ein Stück zu dem Balkon hinab, rückwärts, mit gegen den synthetischen Stein schrammenden Heckflossen.
Ihr Erster Offizier hatte das Außenluk bereits geöffnet, und schon kam Sten hindurch - geflogen.
Alex hatte ihn gepackt und fünf Meter durch die Luft geschleudert, kaum daß die Luke weit genug offen war. Eine Sekunde später ging der Erste Offizier zu Boden, als Alex auf sie prallte. Die Frau schnaufte tief durch und rechnete ernsthaft damit, sich einige Rippen gebrochen zu haben. Kilgour rollte sich von ihr herunter, nahm sie nicht einmal wahr, knallte auf die Schließhebel der Luke und schrie: "Los, raus hier!"
La Ciotat legte den Hebel des Yukawa-Antriebs um, ließ das Einsatzschiff einen regelrechten Satz nach vorne machen, hinaus in die freie Luft. Ihr Daumen bewegte sich gerade auf die STARDRIVE-Konsole zu, als ...
Der letzte Schaltkreis schloß sich.
Der Imperator hatte sich nicht nur deshalb für die Normandie entschieden, weil es ihm widerstrebte, die Durer zu opfern, sondern weil die Yacht über großartige Vorrats-und Banketträume verfügte.
Große Räumlichkeiten, die man förmlich
ausgekratzt und mit AM2 aufgefüllt hatte. Das jetzt, auf sein Kommando hin, detonierte.
Eine Frage würde sich niemals mehr beantworten lassen: War Sr. Ecu bereits vor der Explosion "tot" wenn man von der Definition herkömmlicher Wesen ausging -, oder starb er erst zu dem Zeitpunkt, an dem Kilotonnen von Antimaterie Zwei, der gewaltigsten bekannten Energie, detonierten?
Als die Bombe des Imperators hochging, bot das Gästezentrum vom All aus gesehen für eine Nanosekunde das Bild eines echten
Vulkanausbruchs.
Dann verschwand das Tal selbst in einer Folgeexplosion, einem Blitz, der sich schneller ausbreitete, als das Auge ihn verfolgen konnte, und der dabei seinen eigenen Geröllauswurf einholte und verschlang.
Ungefähr die Hälfte der Manabi starb in diesem blitzartigen Holocaust, bei dem ein Viertel ihres Planeten zerrissen und nach einem Erdbeben jenseits aller Vorstellungskraft abgesprengt wurde.
Dann wurde von der Durer aus ein Planetenkiller abgefeuert, ein Sprengkopf von der Größe eines Zerstörers, besser gesagt, ein mit einem Stardrive-Generator versehener Zweistufensprengkopf mit einer Ummantelung aus Imperium X und mehr Tonnen AM2 als jeder normale Sprengkopf. Die erste Stufe schlug direkt dort ein, wo das Gästezentrum sich befunden hatte; von dort aus wurde die zweite Stufe gezündet, die sich ihren Weg direkt zum Kern des Planeten bohrte.
Sie mußte die Planetenhülle nicht völlig durchdringen, damit die Hauptladung zur vollen Entfaltung kam, doch nach der Vorarbeit, die durch die AM2-Explosion auf der Normandie geleistet worden war, erreichte sie tatsächlich beinahe den Mittelpunkt.
Einen Augenblick lang sah der Heimatplanet der Manabi wie eine Festlaterne aus, als sei seine Landmasse durchsichtig und als könnte der Betrachter direkt bis zum geschmolzenen Kern hindurchsehen. Er blähte sich auf ... wurde größer ...
und explodierte.
Seilichi spie und wütete und schleuderte seine Kontinente, seine Ozeane und seine Atmosphäre von sich, weit ins All hinaus, und dann brach der Planet völlig auseinander, wobei sein Magma wie der flüssige Kern eines Kinderbonbons auslief.
Draußen im All erloschen sämtliche
Schlachtmonitore, bis ein zweiter Stromkreis einsprang.
Der Ewige Imperator blickte ungerührt auf die brodelnde Wolke aus glühenden Gasen und Trümmern, die einmal Seilichi gewesen war. "Haben Sie Kontakt mit der Dürer?"
"Hergestellt."
Der Imperator nahm das Mikrophon entgegen.
"Hier spricht der Imperator", sagte er ohne Einleitung. "Haben nach unserem Abflug noch irgendwelche Funksprüche oder Schiffe Seilichi verlassen?"
"Einen Augenblick, Sir... Nein, Sir. Ein einziger Funkspruch, direkt vom Gästezentrum aus, Empfänger unbekannt, keine Antwort bekannt. Sonst nichts."
Der Imperator gab das Mikrophon an den
Kommandanten des Landungsboots zurück.
>Sehr schön<, dachte er. >Es ist vorbei. Jetzt ist ein wenig Schadensbegrenzung und Hausputz angesagt. Aber das größte Problem hätten wir damit vom Tisch.<
Es war beinahe schade, daß Sten niemals erfahren würde, daß er zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte Bedrohung für das Imperium dargestellt hatte.
Niemand hatte ihn, den Imperator, je ernsthaft bedrohen können. Niemals.
Von Anfang an nicht.
>Wann war das eigentlich gewesen, dieser Anfang ?< rumorte es in seinen Gedanken.
>Vielleicht.,.
Vielleicht auf der Insel Maui.
Vor Tausenden von Jahren. Als man die
Zeitrechnung noch nach der Geburt eines toten Gottes datierte.
Maui...
In einem Regen von Glassplittern .. .