Kapitel 33
>Da hast du mir ja wieder mal was Schönes eingebrockt, Sten<, dachte Cind. >Ich war einmal eine nette, unschuldige Scharfschützin, die nichts weiter brauchte als hin und wieder einen kleinen Adrenalinstoß, wenn eine Kugel zu dicht neben mir einschlug; die Möglichkeit, zu beweisen, daß ich jeden austricksen kann, der mir mit so einer Kugel zu nahe kam; und vielleicht eine kleine Medaille und eine Prämie, um diesen Körper zur nächsten Verpuppung zu ermuntern.
Aber nein. Da mußte dieser Sten auftauchen und mich zu größeren Abenteuern ermutigen, bis ich selbst zum Angriff brüllte und andere Leute losschickte, damit sie herausfanden, ob der Feind an so etwas wie Wiedergeburt glaubt. Mich durch dunkle Gassen schlich, in denen anstelle der Regeln des Landkriegs eher die Ethik hinterhältiger Meuchelmörder herrschte. Schließlich dem mächtigsten Herrscher aller Zeiten den Hochverrat androhte. Spionierte, betrog, stahl und Attentate verübte.
Ts, ts, ts<, dachte sie.
>Und das alles nur, weil du zu diesem angeblichen Halbgott von einem Kriegsherrn aufgeschaut hast und der Ansicht warst, daß er einsam aussieht und einen netten Hintern hat.< Trotzdem gab es wenigstens einige ausgleichende Faktoren, die einem die irreguläre Kriegführung versüßten, fiel ihr ein, als sie wie nebenbei in den Spiegel schaute.
Etwa die Art, wie sie jetzt aussah. Vom Scheitel bis zur Sohle verriet ihre Erscheinung Reichtum und Wohlstand. Alle ihre Kleider und Accessoires waren nach ihrer geheimen Landung in einer Stadt auf der anderen Hemisphäre des Planeten Prestonpas eigens für sie von Hand angefertigt worden.
Kilgour hatte ihr einmal geraten, wenn man eine Rolle spielte, dann mußte man sie vom Kopf aus spielen. >Also habe ich mir zunächst mal eine neue Haut verschafft<, dachte sie. Vier Monatsgehälter für etwas, das Sten, da er nun mal ein Mann war, wahrscheinlich als nettes, einfaches kleines Nichts bewundern und dann nicht weiter beachten würde.
Und was war über die neue Haut zu sagen? Sie hatte sich einer kompletten Hautbehandlung inklusive Massage und Hairstyling unterzogen. Sie bemerkte amüsiert, daß ihr militärisch kurzes Haar dem Stylisten zwar nicht viel Spielraum für seine Kreativität ließ, diese Tatsache sich aber nicht im geringsten auf die Höhe der Rechnung auswirkte.
Aber diesen Preis mußte man als reiche Tussi nun einmal bezahlen.
Cind ließ ihren gemieteten Stewart-Henry-Sportgleiter von der Parkbucht außer Sichtweite des Anwesens aufsteigen und hielt auf den Eingang weiter unten am Tor zu.
Dieses Reichsein, dachte sie, wobei ihr der Geruch der mit Tierhäuten bespannten Sitze des Sportgleiters in die Nase stieg und sie die handpolierte Innenausstattung bewunderte, die höchstwahrscheinlich aus echtem Holz bestand, konnte einen richtig süchtig machen.
Mit einigen Einschränkungen, wie sie zugeben mußte. Da war zum Beispiel die kleine Handtasche neben ihr. Kaum hatte man sein Funkgerät, die nötigsten Werkzeuge, einen Recorder und eine Handfeuerwaffe darin verstaut, blieb kein Platz mehr für die anderen Sachen. Sie vermutete, daß einer der Gründe, weshalb sich die Reichen Diener hielten, darin zu suchen war, daß sie jemanden brauchten, der ihnen das Kosmetik-Köfferchen und die Wagenschlüssel hinterhertrug.
Sie stellte den A-Grav-Gleiter vor dem
geschlossenen Tor des Anwesens ab. Schwerer Stahl in einem steinernen Portal. Die Besucherkontrolle am Pfosten leuchtete auf.
"Können wir Ihnen helfen?"
"Brett von Mowatt", sagte sie. "Plath Gesellschaft für Architektur. Ich werde erwartet."
"Wir heißen Sie herzlich willkommen", sagte die weiche Stimme. "Bitte fahren Sie direkt zum Haupteingang weiter. Dort wird Sie jemand empfangen."
Das Tor öffnete sich, und Cind folgte mit dem A-Grav-Gleiter dem langen, gewundenen Kiesweg, vorbei an einem frisch polierten Schild, auf dem SHAHRYAR stand, vorbei an manikürten
Rasenflächen, vorbei an kunstvoll gestutzten Sträuchern und Bäumen, vorbei an Steinbrunnen, bis hin zum großen hochaufragenden Herrenhaus in der Mitte des Anwesens.
Sie staunte.
Ein nicht unbeträchtlicher Teil ihrer
Verwunderung rührte daher, daß sie wußte, daß sie hier vor einem der Verbindungspunkte des Ewigen Imperators stand. Kyes' Computerdaten und Mahoneys spärliche Informationen besagten, daß dieses Haus zu mehreren anderen gehörte, die überall im Universum verstreut waren und nur einem einzigen Zweck dienten:
Wenn der Ewige Imperator "von den Toten auferstand" - sie erschauerte ein wenig, da sie zwar nicht daran glaubte, aber sich nur allzugut an die Bhor-Legenden von denjenigen erinnerte, die auf die andere Seite des Lebens gegangen waren -, dann war dieses Haus sein erster Anlaufpunkt. Vorausgesetzt, Kyes' Analyse war korrekt, wurde er hier auf den neuesten Stand dessen gebracht, was sich in den Jahren seit seinem Tod oder seiner Ermordung im Imperium ereignet hatte.
Außerdem wunderte sie sich darüber, diesmal im Zorn, daß der Imperator, sobald er sich ausreichend unterrichtet fühlte, das Anwesen wieder verlassen und den Befehl zu seiner spurlosen Beseitigung geben würde. >Was für ein Dreckskerls dachte sie.
>Was wäre denn dabei, wenn man das Grundstück den Einheimischen als Park stiften würde ? Sarla, es ist genau das gleiche, was der Blödmann, wie mir Sten erzählt hat, der Provinz Oregon auf der Erde angetan hat. Los, los, haut alle vom Fluß ab. Laßt eure Häuser, eure Geschäfte, eure Leben zurück.
Hier, nehmt das Geld und geht dem Imperator nicht länger auf die Nerven. Er möchte in Ruhe angeln.< Sie wandte sich wieder ihrer gegenwärtigen Aufgabe zu.
Es war nicht allzu schwer gewesen, diese Station anhand der Daten ausfindig zu machen. Profil: ein ständig mit Personal bestücktes Herrenhaus oder etwas Ähnliches, das angeblich einer Familie oder einer Einzelperson gehört, die es nur selten benutzt.
Trotzdem war das Haus mit dem jeweils
allerneuesten Bibliothekscomputer und dem dazugehörigen Personal ausgerüstet, das ihn mit fast allen technischen, militärischen und
wissenschaftlichen Daten fütterte.
>Interessant<, dachte Cind. >Allein schon der Grundgedanke ist eine Analyse wert. Er hat hier eine beinahe absolut sichere Methode entwickelt. Weil wie Alex gesagt hat - niemand die Reichen so genau unter die Lupe nimmt.< Er sagte, Ian Mahoney habe es einmal am besten ausgedrückt: "Willst du ein Versteck einrichten, ein Team in Stellung gehen lassen oder sonst etwas Ruchloses durchziehen?
Dann such dir keine Lagerhalle in einem Slum, es sei denn, du bist ein Amateur oder ein Krimineller.
Du suchst dir lieber eine nette, wenn möglich künstlerisch angehauchte Gegend, wo sich niemand darum kümmert, wer kommt und wer geht..."
Das verschaffte einem völlige Sicherheit. Es war deshalb so völlig sicher, weil man, allein um auf die Idee zu kommen, daß etwas wie dieses Haus überhaupt existierte, die Tatsache akzeptieren mußte, daß ein Toter ins Reich des Lebenden zurückkehren konnte.
Dieses Haus war erst das dritte Anwesen, das Cinds Profil annähernd entsprach. Die beiden anderen hatten mit einer Wahrscheinlichkeit von weniger als 50 Prozent abgeschnitten, doch dieses hier kam auf 93 Prozent. Die Deckgeschichte - ein Kuriosum, das ab und zu in den Livies von Prestonpas aufgegriffen wurde -
lautete
folgendermaßen: das Anwesen gehörte der Familie Shahryar, einer ehemaligen Handelsdynastie, die sich auf geradezu exzentrische Weise dem Reisen hingab. Die Familie kaufte manchmal Anwesen auf einem Planeten, von dem sie nur gehört hatte, richtete sie vollständig ein und besuchte sie vielleicht erst in der nächsten Generation oder noch später. Wenn jemand aus dem Familienkreis zu Besuch kam, verlangte er jedoch äußerste Diskretion.
Vor der hohen, zweiflügeligen Eingangstür zum Haupthaus wartete eine Frau auf Cind. Entweder war das Portal mit einem Gegengewicht versehen, oder die Frau hatte einen Bhor oder einen Schwerweltler zur Hand, der ihr das verdammte Ding auf und zumachte, dachte Cind. Die Frau, Kyes' Analyse zufolge eine Ms. Analiza Ochio, war die Bibliothekarin des Anwesens. Sie wußte wahrscheinlich nichts von alledem und glaubte die Geschichte der Shahryars wirklich; sie war aufgrund ihrer fachlichen Fähigkeiten und ihrem Hang zum Leben in relativer Einsamkeit - und womöglich einer gewissen Naivität wegen - für ihre derzeitige Anstellung ausgesucht worden.
Sie war mit dem Plath-Institut und seinen Dokumentationen vertraut.
"Würden Sie - äh ... wie lautet die korrekte Anrede in Ihrem Falle, Milady?"
"Einfach Brett", erwiderte Cind lächelnd. "Titel sind nur dazu da, um im Restaurant einen besseren Platz zu bekommen, sonst nichts. Meistens jedenfalls."
Ms. Ochio bat sie herein. Erfrischungen?
Natürlich. Wir haben fast alles. Es mag hier zwar einsam sein, aber sehr komfortabel.
Einen Kaffee vielleicht? Nein, danke, gegessen habe ich schon vorhin im Hotel. Sie plauderten noch eine Weile, dann:
"Wenn Sie mich jetzt genauer über Ihr Anliegen unterrichten möchten, Brett? Ich bin sehr neugierig, was genau Sie an diesem Anwesen interessiert."
Cind erklärte es ihr; die neueste Reihe, die bei Plath veröffentlicht werden sollte, drehte sich um die Wohnungen der Superreichen. Nicht nur um das Blendwerk, die Stuckarbeiten, wie groß der Speisesaal war, von wie vielen Planeten der Kristallüster stammte oder mit welchen seltenen Mineralien der Swimmingpool abgedeckt wurde selbstverständlich wird auch darüber geschrieben, denn deswegen kaufen Krethi und Plethi solche Sachen -, es geht auch darum, wie praktisch diese großzügigen Paläste eigentlich sind. Jedes Fiche sollte nicht nur einen kompletten Grundriß enthalten, sondern Livie-Porträts von jedem Zimmer. Auf einer B-Spur sollten die Bewohner oder das Personal der Häuser darüber diskutieren, wie gut oder überlegt der Entwurf des Gebäudes sei; auf einer C-Spur lieferte dann einer von Plaths exklusiven Architekten eine eingehende Analyse.
Ms. Ochios Lächeln war wie weggeblasen.
"Sie meinen jedes Zimmer?"
"Na ja", meinte Cind, "ich glaube nicht, daß wir uns für jedes Badezimmer interessieren, es sei denn, es hat etwas Einzigartiges vorzuweisen."
"Das tut mir leid", sagte die Frau. "Aber das ist nicht möglich. Das Grundstück... einige der Nebengebäude... das erste und der Großteil des zweiten Stockwerks sowie die Bibliothek stehen Ihnen mehr oder weniger offen. Erst vor drei Wochen hat eine der hiesigen Gartengesellschaften einen Teil des Hauses besichtigt. Diese Räume können Sie selbstverständlich gerne aufnehmen.
Aber der Rest des Gebäudes, insbesondere die oberen Wohnräume? Nein. Die Familie Shahryar legt sehr viel Wert auf Privatsphäre, das hat man mir dargelegt, als ich meinen Vertrag unterzeichnete, und mir ausdrückliche Instruktionen gegeben. Also
... wenn Sie das wirklich auf diese Weise geplant haben, so fürchte ich, daß Sie die Reise umsonst gemacht haben."
"Können Sie nicht mit der Familie in Verbindung treten? Um sicherzugehen?" fragte Cind. "Ach ja.
Hätte ich beinahe vergessen. Sehr zurückgezogen.
Da kann man nichts machen. Zum Glück werde ich nicht nach Quantität bezahlt."
Sie erhob sich.
"Dürfte ich mich noch rasch frisch machen? Und wenn Sie mir dann, nur um meine persönliche Neugier zu befriedigen, den Teil des Hauses zeigen würden, der für die Öffentlichkeit zugelassen ist?"
"Aber gerne. Die Erfrischungsräume befinden sich gleich hinter den Türen zur Bibliothek", sagte Ms. Ochio.
Cind öffnete die Tür und ging nach draußen. Im gleichen Moment schleuderte sie ein kleines Objekt hinter sich, direkt auf den Tisch und vor die Bibliothekarin, schloß die Augen, duckte sich und schützte ihr Gesicht vor dem blauen Blitz.
Ochio blieb kaum Zeit, sich über das kleine eiförmige Ding zu wundern, schon explodierte die Bestergranate. Die Frau sank in sich zusammen. Erst in zwei E-Stunden würde sie wieder zu sich kommen und nichts von ihrem Zeitverlust bemerken.
Cind durchsuchte die Frau. Kein Lebenszeichen-Indikator, der einen Alarm auslöste - sie war schon beim Betreten des Zimmers einige Male gegen Ochio gestoßen und war sich ziemlich sicher, daß sie sauber war. Kein Funkgerät, kein Panikknopf, nichts. Cind zog sie hinter eines der beiden kleinen Sofas im Wohnzimmer.
Zwei Stunden ...
Mit gezogener, halb verdeckt gehaltener Pistole stahl sie sich aus der Tür.
Sie warf einen Blick auf die Türen zur Bibliothek.
Vielleicht. Den Angaben von Kyes' Computer zufolge, die er aus der Befragung einer anderen Bibliothekarin des Imperators erhalten hatte, gab es zwei Sysop-Stationen. Eine war die Zentralstation für die Bibliothek, die andere war mit einem Code verschlüsselt und erlaubte den Zugriff auf gewisse unbekannte Dateien. Informationen für den zukünftigen Imperator.
Wenn ihr Zeit genug blieb und sie bis dahin noch nicht entdeckt worden war, würde sie versuchen, sich einen Zugang zu den Dateien zu verschaffen; aber das war nicht ihr eigentliches Anliegen.
Sie ging die Treppe hinauf, verzichtete auf den A-Grav-Lift, aus Angst davor, jemanden auf einen vermeintlich verirrten Eindringling aufmerksam zu machen, und stieg bis ins obere Stockwerk hinauf.
Nach allem, was Ochio gesagt hatte, mußte sich genau hier das befinden, was sie suchte.
Bei ihrem Flug über das Anwesen hatte sie auf dem Dach nichts festgestellt, was einer Sendeantenne ähnelte. Also mußte sie sich entweder in einem Zimmer befinden oder - sie verzog das Gesicht - irgendwo unter den Dachtraufen des Hauses versteckt sein. Na schön. Es wäre nicht der erste gruselige Dachboden, auf dem sie
herumkriechen würde. Wenn sie auch dort keinen Erfolg hatte, blieb ihr immer noch die Möglichkeit, die Nebengebäude zu durchsuchen. Dabei standen die Chancen jedoch nicht schlecht, den
Sicherheitskräften in die Arme zu laufen; bei ihrem Überflug hatte sie uniformierte Wachen über das Gelände patrouillieren sehen.
Sie ging eilig durch das obere Stockwerk des Gebäudes, wobei sie jeden Raum mit der Routine eines hervorragend ausgebildeten
Sicherheitsspezialisten überprüfte. Sauber ... sauber
... sauber...
Alle Räume machten einen ziemlich harmlosen Eindruck und waren so eingerichtet, als erwarte man jeden Augenblick die Ankunft der offensichtlich weitverzweigten Shahryar-Familie und ihres entsprechend zahlreichen Personals.
Alles blitzeblank.
Cind ging durch eine Tür neben der gewundenen Treppe, blickte sich um -
Kholeric, dieses
Schlafzimmer mußte für das letzte Küchenmädchen im ersten Ausbildungsjahr gedacht sein, und auch sie durfte nicht sehr groß geraten sein, nein, das war wohl nichts von Interesse - und wieder hinaus ...
Sie hielt inne, noch bevor sich die Tür wieder geschlossen hatte.
Schaute nach links und rechts in den Flur. Auf die Treppe. Derjenige, der dieses Stockwerk entworfen hatte, mußte entweder betrunken oder ein Stümper gewesen sein. Oder Cind war noch schlechter in Geometrie, als sie immer gedacht hatte. Noch einmal hinein in das Zimmer. Nein, der Raum war noch immer zu winzig für den Platz, den er angeblich in Anspruch nahm. Vielleicht, dachte sie, ist dieses Zimmer auch für jemanden mit einer ausgeprägten Analfixierung gebaut worden, denn niemand braucht ein so großes Badezimmer.
Das Badezimmer war verschlossen. Cind holte zwei der "notwendigen Werkzeuge" aus ihrer Handtasche. Mit dem ersten fuhr sie über Tür und Rahmen. Der kleine "Wanzenfresser" zeigte an, daß sich allem Anschein nach keine
Überwachungsmonitore auf der anderen Seite befanden. Das zweite Werkzeug widmete sich dem Porenmuster-Schloß; es war schon eigenartig, ein Badezimmer von außen zu verschließen. Der elektronische Dietrich summte, analysierte, und dann schnappte das Schloß auf. Cind drückte die Tür auf. Heureka.
Die Funk-Station war High Tech und
vollautomatisiert. Cind ging die Checkliste durch, die ihr Freston zusammengestellt hatte, und machte sich mit laufendem Recorder an die Arbeit. Da sie nicht unbedingt eine Spezialistin für
Fernkommunikationsanlagen war, wußte sie nicht genau, ob sie die erwünschten Informationen auch bekam, doch die
Empfangs/Kontroll/Sendeeinrichtung für die offensichtlich an einem anderen Ort im Haus oder auf dem Areal versteckte Antenne sah ganz so aus, als sei das Gerät nur dazu da, ein Richtfunksignal von woher auch immer empfangen zu können.
Und "woher auch immer" konnte in diesem Fall sehr wohl die Zufluchtsstätte des Imperators sein.
Sie überprüfte den Hochleistungssender, der daneben stand. Er war vollautomatisch, und sie scheute sich davor, ihn zu verstellen.
Höchstwahrscheinlich war er dazu da, ein "Nicht-herkommen"-Signal an den reisenden Imperator auszustrahlen, wenn der Zweck des Anwesens entdeckt worden war.
Sie hatte gefunden, was sie hier finden wollte; jedenfalls hoffte sie das. Und sie hatte keine Spuren hinterlassen, da sie ihre Fingerspitzen und Handflächen mit einer Plastikbeschichtung versehen hatte, so daß auch ein sorgfältiges Bestäuben der wenigen Dinge, die sie angefaßt hatte, keine brauchbaren Abdrücke ergeben würde. Sie verließ den Raum und schloß die Tür wieder hinter sich ab.
Und jetzt noch den Zuckerguß.
Ihr blieb noch immer eine knappe Stunde. Bisher hatte sie von unten weder Alarm noch verdächtige Geräusche wahrgenommen. Falls nötig, konnte sie jederzeit wieder in das Wohnzimmer schleichen und Ochio noch einmal zwei Stunden ausschalten.
Der Vorraum war noch immer menschenleer.
Cind knackte die Tür zur Bibliothek. Die riesige Galerie wölbte sich weit oben zu einer transparenten Tageslichtkuppel. Fiches, Bänder, Files und sogar Bücher reihten sich dicht an dicht in den Regalen, die vom Boden bis zu einer Höhe von zehn Metern reichten. >Genau so eine Bibliothek hätte Sten auch gerne<, dachte sie. >Wenn das alles vorbei ist. Falls es jemals vorbei ist.<
Sie sah sich nach Anzeichen von Leben um.
Nichts.
Cind betrat den Raum. Neben der Tür stand die Sysop-Station. Ochios Station. Wo war die andere?
Diejenige mit all den interessanten geheimen Dateien.
Sie entdeckte Kabel, die durch die Wand verschwanden. Kabel, das hieß, jemand war sehr besorgt hinsichtlich der Übertragungssicherheit.
Cind verließ die Bibliothek und fand einen weiteren unauffälligen Raum, der Wand an Wand mit der Bibliothek lag. Sie knackte den Türcode und ging hinein.
>Freude, Freude, Freude<, dachte sie, als sie die Computerstation erblickte. >Ich weiß nicht, was ich hier eigentlich machen soll. Probieren geht über studieren<, und sie setzte sich vor die Tastatur. Eine Tastatur, um Himmels willen. Der Computer wird bestimmt noch mit Kohle betrieben, und der Bildschirm ist monochrom. Alle haben gelacht, als ich ...
Sie berührte die Taste fürs Leerzeichen. Der Bildschirm leuchtete auf.
BEREIT. AKTUELLES DATUM UND
STATION EINGEBEN.
Cind riet die zweite Antwort und klapperte auf der Tastatur herum.
Zuerst das Datum, dann SHAHRYAR.
SYSOP LOGGED ON. ZUGANGSCODE
EINGEBEN.
Ach du Schreck.
Äh... Imperator. Nein. Imperium. Nein. Oh.
Kleinen Moment noch.
ZUGANGSCODE EINGEBEN. SIE HABEN
DREISSIG SEKUNDEN BIS ZUM ALARM.
Der Name trieb langsam an die Oberfläche ihres Bewußtseins. Sie stieß ein kleines Stoßgebet aus und tippte:
RASCHID.
IN ORDNUNG. ZUGANG ZUM SYSTEM
GEWÄHRT.
Niemals. So einfach kann es nicht sein.
Trotzdem:
KOORDINATEN ERBETEN, SENDESTATION
ZU SHAHRYAR EMPFÄNGER.
BITTE WARTEN.
Ein Licht begann zu blinken.
>Ich bin drin<, durchfuhr es sie, dann hörte sie das Scharren von Füßen vor der Tür, ließ sich vom Stuhl fallen, und schon stürmten die beiden Sicherheitstechs durch die Tür. Sie trugen Gasmasken und volle Panzerung, doch es nützte ihnen nicht viel, als Cind beide mit zwei sicheren Schüssen unter die Visiere ausschaltete, anschließend zwei Schuß in den verlogenen Computerschirm jagte und dann durch die Tür nach draußen hechtete.
Sie schlug auf dem Boden auf, rutschte, rollte sich ab und erledigte den Wächter, der als Rückendeckung neben der Tür stehengeblieben war; dann gab sie zwei Schuß auf eine weitere Wachfrau ab, die eine Treppe herunterkam - verdammt, vorbei, aber ich habe dir bestimmt ein paar graue Strähnen verschafft, gute Frau.
Cind benötigte jetzt schwerere Artillerie. Sie schob die Pistole in ihren Gürtel, schnappte sich das Gewehr des toten Wachmanns - eine Imperiale Willygun, wie ihr auffiel, und schäm dich, daß du aufgeflogen bist -, schob den Riegel auf Automatik und schickte eine Salve los, die die Tür zur Bibliothek zerfetzte.
Jetzt gingen sämtliche Alarmsirenen schreiend heulend kreischend los, Stimmen ertönten, und Cind sah ein Gesicht um die Ecke spähen. Sie schickte einen Feuerstoß in die Richtung; eine weitere Salve löste ein riesiges Fenster samt Rahmen, Alarmanlage und allem anderen aus der Wand, und schon sprang sie durch den neugeschaffenen Ausgang.
>Verdammt noch mal, wie in einem dieser Überfallkurse<, dachte sie, setzte über einen Busch, spürte, wie das ultrateure Kleid in Fetzen ging, rollte sich seitlich über den Boden, schoß... schoß ... schoß
...
>So, das wird sie erst mal die Köpfe einziehen und mindestens eine Minute nachdenken lassen; letztendlich haben sie wahrscheinlich alle eine Imperiale Ausbildung durchgemacht, aber ihre Reflexe sind etwas langsam, und warum kann ich diesen verdammten Autoschlüssel nicht finden.< Sie fand ihn, als sie sich schon hinter die Konsole des Stewart-Henry schob... ENERGIEERZEUGER
HOCHFAHREN ... WAHLHEBEL AUF
GESCHWINDIGKEIT ... WARTEN, BIS DIE
KÜHLFLÜSSIGKEIT FLIESST ... Komm schon, es ist mir wirklich egal, ob deine handgefertigte Luxusmaschine wie ein Teekessel überkocht
...BEREIT... BEREIT...
Senkrecht nach oben, Vollgas nach vorne, und die Beifahrertür sowie ein Stück von dem handpolierten Armaturenbrett explodierten, dann war der A-Grav-Gleiter in der Luft. Geradeaus, vergiß den Schlängelweg, auf die Tore zu - und sie ließ sich aus drei Metern Höhe aus dem Wagen fallen, landete mit 20 km/h auf dem Rasen, rollte sich ab und fand sich hinter einem dieser blöden Büsche wieder, der so gestutzt war, daß er wie ein blödes Tier aussah, dann rannte sie, tief geduckt, jeden Quadratzentimeter Deckung nutzend.
Der Stewart-Henry ging zehn Meter vor dem Tor und etwa fünfzehn Meter über dem Boden in Flammen auf-diese Saukerle mußten eine Art Anti-Flugzeug-Vorrichtung in ihrem verdammten Tor eingebaut haben - und bohrte sich in den manikürten Rasen.
Der Zaun ... noch nicht... warte noch einen Moment...
Mach schon, du dummer A-Grav-Gleiter ...
Die Sprengladungen, die sie vorsorglich im Kofferraum des Sportgleiters installiert hatte, gingen hoch und bliesen die Steinsäulen mitsamt dem Metallgitter in einem gewaltigen Feuerball nach draußen.
Cind fetzte das Alarmsystem des Zauns, der mit gezackten Glassplittern besetzt war, außer Kraft; offensichtlich traute man der Elektronik nicht so recht. Wahrscheinlich schreiben sie es dem allgemeinen Niedergang zu.
Hoffe ich jedenfalls. Und jetzt: auf und davon.
Genau wie bei einem Überfallkurs<, dachte sie.
>Zuerst das Gewehr quer über die Mauerkrone, seitlich auf die Mauer hechten, herunterrollen lassen, in Feuerposition landen.<
Es gab nichts, worauf sie schießen konnte.
Im Laufschritt rannte sie davon, hinein in das Unterholz, das das Anwesen umgab, dankbar dafür, daß der Imperator seine herrschaftlichen Häuser nur auf richtig großen Grundstücken bauen ließ und sie auch weit vom Schuß in die Landschaft stellte.
Vor ihr lag ein Querfeldeinlauf von über drei Kilometern bis zu der Stelle, an der sie ihr Fahrzeug versteckt hatte. Einen ganz gewöhnlichen A-Grav-Gleiter, den sie auf dem hiesigen grauen Markt gekauft hatte.
Sie rekapitulierte den Schaden - nicht das Kostüm oder ihre Kratzer, sondern ihren Auftrag. >Nicht der Rede wert<, dachte sie. Da der Imperator und seine Leute davon ausgingen, daß Sten und seine Leute tot waren, und sie selbst keine bekannte Größe in den Akten des Imperiums war - jedenfalls hatte das der Geheimdienst der Rebellen bestätigt -, lief die logische Interpretation darauf hinaus, daß hier ein erstklassiger Computergangster einen spektakulären Coup versucht hatte. Und wenn jemand bei der Inneren Sicherheit die Fakten zusammenzählte und von der schlimmsten Erklärung ausging - nun, darüber hatte sie sich mit Sten unterhalten, und er hatte gemeint, daß es nicht schaden würde, wenn der Imperator den Eindruck erhalten würde, daß ihm ein unbekannter Höllenhund dicht auf den Fersen war.
>Zumindest konnte ich auf diese Weise mal Dame von Welt spielen<, dachte Cind. >Für eine Amateurin habe ich mich als reiche Tante nicht allzu dumm angestellt.
Und ich glaube, ich bin dem Imperator einen Schritt näher gekommen.<