Kapitel 25
Ganymed. A.D. 2202
Kea hatte sich eine Frist von zwanzig Jahren zur Eroberung eines Throns gesetzt - eines Throns, den er sich erst noch erschaffen mußte. So lange brauchte er nicht, denn plötzlich ging alles mit Lichtgeschwindigkeit voran. Ein Teil der Beschleunigung war beabsichtigt. Richards wußte, daß ihm nur begrenzte Zeit zur Verfügung stand, um ein absolut sicheres materielles, moralisches und ökonomisches Bollwerk zu errichten. Man würde versuchen, es ihm zu entreißen. Das "man" umfaßte nicht nur Geschäftstycoons und Megakonzerne, sondern auch Planetenregierungen. Deshalb beeilte er sich sehr. Das bißchen Zeit für sich und seine Erholung, das für ihn als Bargetas Problemloser abgefallen war, kam ihm jetzt wie ein Leben voller luxuriösen Nichtstuns vor.
Zunächst glaubten alle daran, daß sich Kea Richards tatsächlich zurückgezogen hatte, um auf seinen ausgedehnten Besitztümern auf Ganymed mit seiner wissenschaftlichen Ausrüstung
herumzuspielen. Tatsächlich baute er jedoch sein Sternenschiff so um, daß es in der Lage war, AM2
als Treibstoff zu verwenden. Der "Treibstofftank"
war nicht größer als Richards' Körper und war aus Imperium X gefertigt, ebenso die Leitungen und die Brennkammern der Maschine selbst. Ein beinahe unlösbares Problem hatte sich daraus ergeben, daß die Schmiermittel auf keinen Fall mit Antimaterie Zwei in Berührung kommen durften, aber
schließlich wurde auch dieses Problem gelöst.
Nachdem sämtliche Bodentests zur Zufriedenheit verlaufen waren, bestiegen Richards und Dr.
Masterson schweigend das Raumschiff. Über ihnen bedeckte die rötliche Kugel des Jupiter fast den ganzen Himmel. Kea ließ das Schiff per McLean abheben und ging dann auf Yukawa-Antrieb.
Nachdem sie die Atmosphäre verlassen hatten, überprüfte er die ultrasensiblen Rezeptoren des Schiffes. Es lag in keinerlei Ortungsstrahl. Dann gingen sie auf Stardrive. AM2-Stardrive.
Es ereignete sich nichts Spektakuläres. Stardrive war Stardrive war Hyperraum war langweilig.
Nichts an diesem Testflug war besonders aufregend
- außer daß der manuelle Antriebsregler blockiert war und die Beschleunigung automatisch
unterbrochen wurde, bevor Richards die Hand davon nehmen konnte. Der rotgelbe Koloß Arcturus und seine zwölf Planeten hingen auf dem Schirm. In dieser E-Nacht erreichten sie noch drei andere Sonnensysteme, dabei sah der "Treibstofftank" bei der Rückkehr zum Ganymed noch genauso voll aus wie beim Abflug.
Kosten? Nicht der Rede wert. Der Treibstoff bestand aus einem kleinen Splitter des Brockens, den Kea jenseits des Alva Sektors "geschürft" hatte.
Noch immer waren drei Viertel davon übrig, die auf Ganymed in einem Gewölbe aus Imperium X
aufbewahrt wurden. Der Traum war Wirklichkeit geworden. Das Schiff wurde noch weiter
modifiziert, sein gesamter Laderaum leergeräumt und mit Imperium X ausgekleidet.
Wieder verschwand Kea. Drei E-Monate später kam er mit einer vollen Ladung AM2 zurück. Das war genug Antimaterie Zwei, um, wie er
ausgerechnet hatte, für die gesamte Lebensdauer jedes bislang gebauten Raumschiffs die Energie zu liefern. Und dann war immer noch genug übrig, zumindest über den Daumen gepeilt, um alle Kraftwerke auf dem Mars drei E-Jahre lang zu betreiben. Kea wußte, daß er früher oder später robotisierte "Schürfschiffe" bauen mußte, die weitestgehend aus Imperium X bestanden oder komplett damit ausgekleidet waren, sie durch die Diskontinuität in das andere Universum bugsieren und dort arbeiten lassen mußte. Außerdem mußte er sich eine Art Fernbedienung ausdenken, ein Funkgerät, dessen Signale mindestens so exzentrisch ausgetüftelt sein mußten wie die Flugbahnen, mit denen Richards den Alva Sektor anflog.
Kea hatte mit einiger Belustigung die Versuche der sogenannten Ölscheichs studiert, die Kontrolle über die Erdölvorräte zur Umgestaltung der gesamten Kultur auf der Erde zu benutzen. Der Plan mochte in seiner abscheulichen Egozentrizität bewundernswert erscheinen, war in der Realität jedoch zum Untergang durch Gier und Heuchelei verurteilt. Wenn Kea diese Karte spielen mußte, dann sollte es seiner Meinung nach der allerhöchste Trumpf sein. Doch die Fernbedienung konnte warten. Jetzt war es an der Zeit, kräftig an den Käfigen zu rütteln.
Kea kehrte aus dem Ruhestand zurück und verkündete seinen Plan, Luxusschiffe zu bauen, besser gesagt Raumyachten, und sie auf der Route Erde-Mars als Erste-Klasse-Transportsystem einzusetzen. Der Preis sollte dreimal so hoch sein wie bei den bisherigen Passagen, wenn man den Gerüchten Glauben schenken konnte. Das sorgte für reichlich Belustigung in den Siedlungen, Bars und Clubs, in denen die Megareichen verkehrten. Netter Gedanke, aber so viele superreiche Narren gab es gar nicht. Nicht genug, als daß Keas Pläne sich rechnen würden. Na schön. Er würde Pleite machen und schon bald bei ihnen um einen Job betteln, den jeder von ihnen ihm gerne geben würde.
Die Schiffe wurden gebaut. Sie sahen weniger wie Luxustransporter, sondern eher wie mittelgroße Frachter aus. Und hinter Schleuse 33 ließ man einige Sektionen leer. Die letzten Änderungen wurden auf Ganymed vorgenommen. Kea hatte selbst einige seltsame Ideen, die auf dem kleinen Raumhafen auf seinem Privatgelände umgesetzt wurden. Auf Ganymed wurden die Schiffe mit Stardrive-Antrieb ausgerüstet. Aufgetankt. Und bemannt.
Da sich niemand groß um Raumfahrer kümmerte, hatte auch niemand die Werber beachtet, die sämtliche Raumhäfen durchkämmt hatten. Sie suchten nur die Besten aus, diejenigen, die noch nicht alle Illusionen verloren hatten und die Sterne noch als Herausforderung ansahen, nicht als öden Scheißjob wie jeden anderen auch. Wer die erstaunlich strengen Tests bestand, wurde zur Ausbildung zum Ganymed gebracht.
Überraschenderweise zahlte man 15 Prozent von ihnen aus und brachte sie mit einer Entschuldigung auf ihre Heimatplaneten zurück; Psychologen hatten herausgefunden, daß sogar Raumfahrer vor den Sternen jenseits der "bekannten" Welten Angst haben konnten. Schließlich bekamen die Männer und Frauen die neuen Schiffe zu Gesicht. Man brachte ihnen bei, wie sie navigiert, geflogen und gewartet wurden. Dann ging es los. Zu den Sternen.
Auf die Suche. Nach Schätzen. Und nach
Außerirdischen.
Zwei Jahre, nachdem Kea sein erstes
Sternenschiff gestartet hatte, waren bereits sieben intelligente extraterrestrische Spezies -
sowohl
menschliche als auch sehr menschenähnliche entdeckt worden. Drei davon waren schon so weit entwickelt, daß sie mit der interplanetaren Raumfahrt begonnen hatten. Keine von ihnen besaß Stardrive. Sie würden ihn bekommen. Zu Richards'
Bedingungen.
Keas Spionagedienst berichtete ein wenig beunruhigt, daß einige erstaunliche Gerüchte darüber kursierten, was Richards dort draußen auf Ganymed angeblich trieb. Kea seufzte. Das Geheimnis konnte nicht ewig gehütet werden. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hatten zu viele Leute die Sternenschiffe von Richards' Raümhafen abheben und einfach verschwinden sehen. Außerdem erzählten Raumfahrer und Raumfahrerinnen gerne Geschichten in Bars. Es war Zeit für die nächste Stufe.
Eine neue Firma wurde in der Provinz Livonia gegründet, wo keine Fragen gestellt wurden: Clive Inc. Die Satzung wurde mit Bedacht so formuliert, daß die neue Firma alles mögliche tun konnte, angefangen von sich selbst blau anmalen oder rückwärts tanzen bis zum Terraforming der Sonne.
Den Gesetzen von Livonia gemäß mußte nur ein Name auf der Urkunde erscheinen, und das war der eines Einheimischen, Yaakob Courland. Er wurde für die Benutzung seines Namens in bar ausgezahlt, sobald die Papiere komplett waren, und vergaß den Vorfall prompt wieder, denn es war bereits der fünfte Papierstapel, den er an diesem Tag unterschrieben hatte. Doch das war das letzte Mal, daß die Firma anonym agierte.
Man fragte bei den Vid/Nachrichtenteams der Erde nach, ob sie Interesse an einer Pressekonferenz hätten, in der Kea Richards eine wichtige Erklärung abgab. Sie sollte zu einer bestimmten Zeit auf dem beinahe verlassenen New Yorker Raumhafen auf Long Island abgehalten werden. Eine zweite Pressekonferenz wurde einberufen. Auf dem Mars, genauer gesagt auf dem Raumhafen von Capen City.
Kea Richards würde auftreten, um eine wichtige Erklärung abzugeben. Beide Konferenzen waren für den gleichen Tag angesetzt, nur um zwei E-Stunden versetzt. Niemandem fiel dieser offensichtliche Fehler auf. Beide Konferenzen waren einigermaßen gut besucht, obwohl kaum ein Zehntel derjenigen wirklich vor Ort gewesen sein konnten, die später behaupteten, dabeigewesen zu sein.
Denn Kea selbst erschien tatsächlich zu beiden Terminen. Tatsächlich mußte er, da er Glück bei der Startfreigabe gehabt hatte, sich noch eine volle E-Stunde im Raumhafen von Capen City herumtreiben und auf die Presse warten. Seine Erklärung war einfach. Seine Forschungsabteilung hatte gewisse bahnbrechende Verbesserungen im Stardrive-Antrieb erreicht; Verbesserungen, wie seine Anwälte sagten, die diesen Antrieb als völlige
Neuentwicklung auswiesen. Einige tausend Patente seien in Den Haag, auf dem Mars und an
verschiedenen anderen Orten der Erde niedergelegt.
Sobald sie anerkannt waren, würde jede Verletzung der Patentrechte mit den härtesten gesetzlichen Strafen geahndet. Kea malte sich aus, daß das Geschrei über den Superantrieb den ganzen Laden ohnehin eine Weile ordentlich aufmischen würde.
Nachdem er seine Erklärung auf dem Mars abgegeben hatte, landeten fünfzehn Raumschiffe, die außerhalb der Atmosphäre gewartet hatten. Jedes von ihnen hatte eine Fracht an Bord, wie sie noch kein Mensch jemals gesehen hatte. Unbekannte Mineralien. Edelsteine. Versiegelte "Pflanzen" von jenseits der Sterne. In zwei Schiffen landeten sogar Außerirdische gemeinsam mit den Menschen.
Extraterrestrier, die zuvor unbekannt gewesen waren.
Kea bot der Menschheit die Sterne an. Aber er verlangte einen Preis. Der neue, verbesserte Antrieb war nicht zu verkaufen. Es wurden auch keine Lizenzen vergeben. Der gesamte Frachtverkehr, der mit dem neuen Antrieb abgewickelt wurde, müsse unter der alleinigen Kontrolle von Clive Inc.
erfolgen. Daraufhin lief der winzige Fleck, den die Menschheit als ihr Universum ansah, förmlich Amok. Und alle waren hinter Kea Richards her.
Er zog sich nach Ganymed zurück und bunkerte sich ein. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn unter seinem Wohnhaus befanden sich noch viele unterirdische Stockwerke, in denen er und seine engsten Mitarbeiter so ziemlich alles aussitzen konnten, inklusive eines Atomschlags. Von dort aus verfolgte er amüsiert das Treiben. Alle wollten seine Schiffe benutzen. Es entstand eine gewaltige Warteliste, die so lang war, daß es fast praktischer gewesen wäre, die Waren auf konventionellem Wege zu verschiffen. Fast, aber nicht ganz. Und Richards hatte seine Preise exakt so angesetzt, wie sie sein sollten. Er verlangte 30 Prozent als Profitmarge und, zumindest momentan, noch einmal 20 Prozent für das Risiko.
Seine Kapitalistenkollegen schäumten, Anwälte rasten zwischen Gerichtssälen und Firmensitzen hin und her. Die Situation war eigentlich ganz einfach: Richards hatte seinen Freunden, die noch mit Paddeln in der Hand auf ihren schwimmenden Balken saßen, soeben das Dampfschiff vorgestellt.
Das hörte sich danach an, als besäße Kea Richards ein Monopol. Unglaublich illegal. Zivile und strafrechtliche Klagen wurden angestrengt.
Richard ließ über seine Anwälte nur einen einzigen Standardkommentar abgeben: Richards sei unschuldig. Aber er glaube fest an die Gerechtigkeit und stünde in festem Vertrauen zur Weisheit der Gerichte. Leider habe man ihm untersagt, sämtliche Städte, Provinzen, Länder oder Planeten, in denen Verfahren gegen ihn liefen, mit seiner Flotte anzufliegen.
Das brachte sofort ganze Bataillone neuer Schwergewichte auf den Plan, die gerichtliche Aufhebungen zugunsten von Clive Inc. ausfüllten.
Die Firmen waren so verschieden wie die Handelsgewohnheiten der Menschen, doch in einem Punkt waren sich alle einig: sie wollten oder mußten in der Lage sein, Güter von Punkt A nach Punkt B
zu transportieren - und das in weniger als einer Lebensspanne. Die Transportfirmen und ihre überstürzten, wenn auch massiven Klagen waren bald vergessen.
Doch es wurden noch schwerere Geschütze aufgefahren. Die Regierungen selbst mischten sich ein. Sie betrachteten Kea Richards als Bedrohung.
Er sollte seine Wundermaschine zum Wohle der Menschheit mit allen teilen. Richards lehnte ab.
Vielen Dank, aber die Menschheit würde reichlich durch Clive Inc. profitieren. Man stellte Haftbefehle gegen ihn aus. Einer kam aus der winzigen Provinz Rus, ein anderer aus Sinaloa, beides Orte, an denen man traditionellerweise mit Geld und Einfluß alles kaufen konnte. Keas Anwälte informierten das Gericht darüber, daß Kea unter diesen Umständen um sein Leben fürchten müsse und sich diesen Haftbefehlen keineswegs stellen würde.
Also gut. Dann würde er eben auf Ganymed festgenommen und dann weggeschafft werden. Die bislang unbekannten Männer, die Kea mehrerer Vergehen anklagten, wollten bewaffnete Truppen bereitstellen. Doch die Furien, die hinter Kea her waren, mußten als nächstes feststellen, daß die Credits, die er in die Politiker Ganymeds investiert hatte, eine gute Investition gewesen waren. Die Politiker verhielten sich ehrlich - das heißt, sie erinnerten sich daran, wer sie in der Vergangenheit unterstützt hatte -, und Richards blieb frei und unantastbar. Zwar saß er zumindest im Augenblick auf Ganymed "in der Falle", aber das erschien einigermaßen lächerlich. Er hatte Zugang zu jedem Schiff, das er wollte, und konnte zu jedem Ziel seiner Wahl fliegen. Jetzt, da sich Galaxien vor ihm auftaten, fiel es Kea leicht, sich vorzustellen, eine Zeitlang auch ohne Kaviar auszukommen.
Als nächstes wurde Enteignung vorgeschlagen.
Seine Schiffe sollten eingezogen werden. Man wies darauf hin, daß es sich vielleicht als etwas schwierig erweisen würde, ein Raumschiff zu "stoppen", das jedem konventionellen Sternenschiff mit Leichtigkeit davonflog. Und wie wollte eine Regierung das draußen im offenen All überhaupt durchführen? Schließlich sahen auch die Bürokraten ein, daß so etwas wie "Halt, im Namen des Gesetzes!" zwischen den Planeten ein wenig lächerlich klang, geschweige denn zwischen den Sternen. Das Gerücht machte die Runde, jemand hätte ihnen mühselig das Phänomen der
Massenträgheit erläutert.
Die nächste Neuigkeit wollte wissen, daß Regierungsschiffe bewaffnet werden könnten.
Daraufhin erfolgte eine scharfe Replik aus Richards'
Hauptquartier. Erstens untersagten sämtliche Grundsatz-Verträge eine militärische Entwicklung im All. Zweitens, und das war der wichtigere Punkt, waren Keas Schiffe bewaffnet. Was durchaus der Wahrheit entsprach: Kea hatte einige winzige lunare Leichter erworben, sie mit AM2-Stardrive ausgestattet, ihnen in die Nasen einen Distanzzünder nebst einem Sprengkopf - natürlich ebenso aus AM2
-
eingebaut und sie ebenfalls mit einem
gewöhnlichen Robotpilotsystem ausgerüstet, wie es auch bei den Handelsschiffen üblich war. Jedes Sternenschiff war mit einer solchen "Rakete"
ausgestattet worden. Jetzt sahen sie wie fette Haie mit einem Halterfisch aus. Die Raumschiffe selbst waren mit von der Brücke aus bedienbaren Schnellfeuerkanonen ausgerüstet, die sich im Innern jeder Frachtluke befanden.
Na schön, meinten die Politiker zerknirscht. Dann mußte man seine Schiffe eben beschlagnahmen und der Admiralitätsgerichtsbarkeit übergeben, sobald sie landeten. Keas Hauptanwalt meldete ihm ganz lässig, falls Clive Inc. irgendwelche Haftbefehle bekannt würden, käme die betreffende Firma, Stadt, Provinz etc. wie gehabt auf die schwarze Liste.
Mußte Gewalt angewendet werden, dann sei das bedauerlich. Jedes Land, das eine derartige Hinterhältigkeit versuchte, würde als außerhalb des Gesetzes stehend betrachtet, nicht besser als eine Nation von Piraten. In diesem Falle würde man nicht nur Klagen am noch immer existierenden, wenn auch lächerlichen Weltgerichtshof einreichen, sondern auch Gewalt mit Gegengewalt erwidern.
Der heikle Burgfrieden hielt weiter an. Er wurde durch das nie bestätigte Gerücht verlängert, daß alle neuen Raumschiffe vermint seien; jedes Vordringen über Schleuse 33 hinaus würde unweigerlich in einer Katastrophe münden.
Offensichtlich gab es Ungläubige. Denn als eines von Richards' Schiffen gerade vom Raumhafen auf Ixion, der am weitesten entwickelten Welt im System Alpha Centauri, abheben wollte, gingen das Schiff, ein Großteil des Hafens und ein Teil des Industriegebiets der Stadt in einer gigantischen Stichflamme unter. Richards' Feinde schlachteten den Vorfall aus: die neuen Maschinen seien unsicher und sollten verboten, Richards selbst verklagt werden. Kea war beunruhigt. Doch dann tauchte ein Amateur-Raumschifffreak mit einem erstaunlichen Audioband auf. Er hatte die Gespräche zwischen dem Tower und dem Schiff aufgenommen, und auf dem Band konnte jeder Zuhörer ganz deutlich vernehmen, daß das Dröhnen beim Abheben von Schreien unterbrochen wurde, und vom metallischen Krachen einer Luke außerhalb des
Besatzungsbereichs; dann erklangen Schüsse, dann herrschte Stille. Die kritischen Stimmen erhielten hier nicht nur eine Antwort, sie wurden sogar in gewisser Weise in Mißkredit gezogen. Aber das war Kea zu einfach.
Er hatte die Personallisten seines nach wie vor existierenden Geheimdiensts streng durchsiebt und sich die absolut Zuverlässigsten sowie diejenigen, die sich auf einigen Spezialgebieten besonders gut auskannten, herausgesucht. Die Treuesten wählte er als Leibwächter und zur Bewachung seines Anwesens aus. Die übrigen wurden zu einem hochspezialisierten Jäger/Killer-Team. Sie machten sich auf die Suche nach den Auftraggebern der Möchtegern-Entführer. Und sie fanden sie: eine Frau und ihren Sohn, die an der Spitze von
SpaceWays/Galiot standen. Kurz darauf geriet ein A-Grav-Lastgleiter außer Kontrolle und stürzte in ein Haus auf einer kleinen, privaten Ägäischen Insel.
Ohne überlebende Erben wurde SpaceWays, bis die Situation geklärt war, unter Zwangsverwaltung gestellt. Die Aktion sollte sicherstellen, daß die Räuberbarone und ihre Halsabschneider die Botschaft verstanden hatten. Kea stellte mehr Sicherheitsleute ein, die mit einer neuen Aufgabe betraut wurden: sie sollten seine Raumfahrer unauffällig überwachen. Jeder, der sich einem seiner Besatzungsmitglieder näherte, ob er nun in einer Bar einem Angetrunkenen Informationen entlocken wollte oder ob man versuchte, ihn in einer dunklen Gasse zur Rede zu stellen, wurde daran gehindert und einer "unmißverständlichen Behandlung"
unterzogen.
Kea kaufte noch mehr Schiffswerften und gab noch mehr Schiffe in Auftrag, die hinaus zu den Sternen flogen. Und er ließ eine neue Klasse von Raumschiffen bauen, die rings um die von Menschen besiedelten Welten stationiert wurden.
Hierbei handelte es sich um AM2-Kriegsschiffe
Patrouillenboote, die mit Fernlenkgeschossen, Torpedos, Laser-und Schnellfeuerkanonen bestückt waren und den Linienschiffen sowie den Frachtern zu den gefährlichen, also den bewohnten Welten, Begleitschutz gaben. Zwar war es den Regierungen verboten, Kriegsschiffe zu bauen, doch hatte niemand etwas von Privatunternehmen gesagt - aus dem einfachen Grund, daß vor dem AM2-Antrieb der Bau von Kriegsschiffen eine absurde Verschwendung dargestellt hatte. Kea verbrachte einen beträchtlichen Teil seiner Zeit damit, über neue Waffen nachzudenken. Einer seiner Techniker, ein gewisser Robert Willy, hatte ihm erklärt, daß kein besonderer Grund dafür bestehe, daß ein winziges Partikel AM2 nicht in einen Mantel aus Imperium X gepackt werden und in ein
Explosionsgeschoß verwandelt werden könne, wenn der Mantel mit einer auf festen Aufprall reagierenden Sollbruchstelle ausgerüstet sei. Er glaubte auch, daß dieses Geschoß, wenn man es nur klein genug herstellte, von der neuesten Generation superleistungsfähiger und tragbarer Laser
"verschossen" werden könne. Kea Richards mußte des öfteren an Alfred Nobel denken, dessen Erfindung zum Wohl der Menschheit gedacht gewesen war, und an die effektiven, wenn auch schrecklichen "Dynamitgewehre", die anschließend hergestellt wurden - und gewährte Willy ein eigenes Forschungsteam sowie Zugang zu Antimaterie Zwei.
Die Vids und die Livies, die, wie seit jeher, die öffentliche Meinung und Befindlichkeit
widerspiegelten, und nicht, wie einige
Narren glaubten, sie erst schufen, zeigten Kea immer mehr als einen Befreier. Größer als Edison, größer als Ford, größer noch als McLean. Kea wußte, daß sie noch nicht einmal nahe dran waren, obwohl ihm dieser Gedanke megalomanisch vorkam. Sie verstanden noch immer nicht - wie es denjenigen, die mitten in einer gewaltigen Umwandlung stehen, oft geschieht -, daß eine totale Revolution im Gange war. Doch schon bald würden sie es verstehen.
Alles lief auf Hochtouren. Kea machte sich Sorgen, weil er wußte, was ihn als nächstes erwartete; und weil er nicht genau wußte, ob er dazu fähig war, den Menschen ihren nächsten Wunsch die Sterne - zu verweigern.
Vielleicht hatte sich das Überfallkommando hinsichtlich des Jupiterlichts getäuscht und damit gerechnet, in finsterster Nacht operieren zu können.
Vielleicht war es ihm auch egal gewesen. Jedenfalls war es zur Zeit des Angriffs nicht mehr als drei Viertel dunkel. Jupiter hing über ihnen wie das größte und bunteste Partylicht mit Querstreifen, das jemals hergestellt worden war. Es handelte sich um gut ausgebildete Kommandos, die an Modellen in Originalgröße oder zumindest an Livie-Simulationen von Keas Anwesen trainiert haben mußten.
Kaum ging der Alarm los, rollte sich Kea von dem Bett, auf das er sich vor knapp einer Stunde erschöpft geworfen hatte. Noch nicht ganz wach, stolperte er zu einem Wandschrank und streifte einen dunklen Overall über. Direkt daneben hingen ein LBE-Koppel mit einer Pistole und einem Munitionsgürtel sowie eine Maschinenpistole. Er ließ eine Patrone in die Kammer der
Maschinenpistole gleiten, schlüpfte in Stiefel mit Reißverschlüssen und wünschte, daß er mehr Zeit gehabt und Willy seine AM2-Waffe bereits entwickelt hätte. Dann trat er auf den Flur hinaus.
Der Boden unter ihm wankte, und Kea stürzte.
Erst später erfuhr er, daß es sich um ein kleines robotgesteuertes Patrouillenboot gehandelt hatte, das man zur Ablenkung auf eines der Labors auf seinem Grundstück hatte stürzen lassen. Kea kam hoch, rannte weiter und erreichte einen der Vorräume des Hauses.
"Mr. Richards! Der Bunker!" Der Kommandant der Sicherheitstruppe winkte ihm zu. Dann erfolgte ein Knall, und angeblich unzerbrechliches, mit Metallstreben verstärktes Stahlplastik fiel in den Raum hinein. Der Offizier wirbelte herum, rief etwas und starb, als zwei schwarzgekleidete Männer mit ratternden Waffen herabsprangen. Einer von ihnen erblickte Richards, riß das Gewehr hoch, erkannte sein Ziel, das Gewehr wurde zur Seite geschlagen, und sie stürzten sich auf ihn. Kea zog den Abzug voll durch, und drei Salven Dauerfeuer zerrissen die beiden. >Sie haben also genaue Anweisung, mich nicht zu töten<, dachte er. >Das wird sie ein wenig aufhalten.<
Richards' Sicherheitstruppe schwärmte in den Vorraum. Einer von ihnen warf eine Splittergranate durch das Loch, aus dem die Deckenfenster herausgesprengt worden waren. Eine Explosion erfolgte, dann waren Schreie zu hören. Zum Teufel mit dem Bunker, dachte Richards. Wenn die Schweine das Haus so gut kennen, daß sie kurz vor meinem Schlafzimmer auftauchen, dann kennen sie höchstwahrscheinlich auch den Weg zum Bunker.
Schüsse knatterten vor dem Haupteingang, und grelle Lichtbahnen zerschnitten die Nacht.
"Los, auf geht's!" gellte er und rannte auf den Eingang zu. >Das ist absurd<, dachte er. >Gehst du deinen Leuten mit gutem Beispiel voran oder spielst du den Rasenden Roland? Du bist ein Ingenieur mit ein bißchen Erfahrung mit Hinterhofschlägereien, aber du bist nie Soldat gewesen, hast nie vorgehabt, einer zu sein, ja, du hast dir nicht einmal die Livies angesehen, in denen ihre Gemetzel glorifiziert werden.<
Der große Vorraum des Hauses bestand nur noch aus Rauch und Gewehrfeuer. Kea beobachtete, wie seine >Soldaten<, von denen die meisten in der einen oder anderen Armee innerhalb des
Sonnensystems eine Ausbildung absolviert hatten, feuerten, in Deckung gingen und sich weiter nach vorne bewegten. >Erstaunlich<, dachte er. >Wie in den Vids. Genau wie in den Livies.< Ein weiterer Gedanke kam ihm: >Spiegeln die Livies die Wirklichkeit wider, oder äffen wir alle nur nach, was wir bei den Schauspielern gesehen haben? He, Mann, was soll das? Für solchen Unsinn hast du jetzt keine Zeit!< Jetzt waren noch vier Angreifer übrig, die sich hinter den soliden Kübeln mit jetzt von Kugeln durchsiebten Farnen verschanzt hatten.
Noch mehr Granaten hagelten auf sie nieder - >Die blöden Farne haben mir ohnehin nie gefallen, und wenn das hier alles vorbei ist, gibt es bestimmt eine saftige Rechnung für die Renovierung, schon komisch, was einem so alles durch den Kopf geht< -, und die erste Welle war ausgeschaltet.
Keas Sicherheitstruppe mochte zwar von dem ersten Angriff überrascht worden sein, doch jetzt machten sich ihre Ausbildung und der ständige Drill bezahlt. Große Tore, die wie ein Teil der drei Stockwerke hohen Mauer ausgesehen hatten, glitten zur Seite; automatische Kanonen auf Rädern rollten daraus hervor. Sie wurden wie vorgesehen hinter diesen Kübeln aufgestellt, die zugleich als Geschützstand angelegt waren, und dann röhrten sie los.
Kea zählte drei oder vier kleine Raumschiffe draußen auf den weiten Gefilden seines Anwesens.
>Das ist keine kleine Operation<, wurde ihm schlagartig klar. Die zweite Welle kam aus ihrer Deckung und ging zum Angriff über. Die Front von Keas palastartigem Anwesen war mit einem anmutigen, gewellten, niedrigen Gitter mit engstehenden Streben verziert, das den Blick des Betrachters auf die Herrlichkeit des Hauses selbst lenkte. Dieses Gitter wurde allgemein als eines der Hauptattribute genannt, die das Haus in Architekturkreisen zu einem echten Schmuckstück gemacht hatten. Die geschwungenen Wände waren von Kea selbst in enger Zusammenarbeit mit dem Chef seiner Sicherheitstruppe so entworfen worden, daß nicht das Auge des Betrachters, sondern die Stoßrichtung der Angreifer abgelenkt wurde.
Das Geländer war gerade so hoch, daß man nicht darüberspringen konnte, und die Stangen standen weit genug auseinander, daß sie weder Deckung noch Versteck boten. Jetzt funktionierten sie wie beabsichtigt und leiteten die Angreifer direkt in Richtung Haupteingang. Direkt in die Todeszone der automatischen Kanonen.
Wieder hämmerten die Geschütze los, Feuerstöße erhellten die Nacht, Männer und Frauen schrien auf und starben. Ein verwundeter, blutüberströmter Mann torkelte mit gesenktem Gewehr durch den Qualm und wurde niedergestreckt. Er war der letzte.
Ohne Zeit zu verlieren, wurde die Kanone weiter ins Freie geschoben, wo sie sofort das Feuer auf die vier Raumschiffe eröffnete. Zwei der Schiffe explodierten, ein weiteres qualmte bedrohlich, und aus dem letzten schlugen Flammen.
Keas Sicherheitskräfte teilten sich in drei Gruppen auf. Eine erstellte rings um Kea einen Verteidigungsring, die zweite griff die Schiffe an, mit dem Auftrag, sämtliche Angreifer kampfunfähig zu machen. Die dritte Gruppe machte sich daran, die Gefallenen rasch und professionell zu durchsuchen und die Verwundeten, nachdem sie entwaffnet waren, zu einem Sammelpunkt zu schleppen.
Während Kea ihnen dabei zusah, verlor er allmählich das Interesse. Nach einiger Zeit kam sein Sicherheitschef auf ihn zu. "Sir, wir haben einen ersten Bericht."
"Bitte sehr."
"Es gab mindestens 37 Eindringlinge, möglicherweise mehr. Wir wissen nicht, wie viele sich an Bord der explodierten Schiffe befanden.
Zwölf sind noch am Leben."
"Wer sind diese Leute?"
"Sie haben keinerlei IDs bei sich. Die beiden, die sprechen können, behaupten, sie seien Unabhängige, die von Freiberuflern aus Pretoria angeheuert worden seien, mit denen sie schon öfters zusammengearbeitet hätten. Keiner von ihnen kennt den eigentlichen Auftraggeber. Vorausgesetzt, es handelte sich hier um eine Auftragsarbeit, was ich noch bezweifle."
"Halten Sie die Augen offen. Sind Ihre beiden Verwundeten vernehmungsfähig ? "
"Negativ, Sir. Momentan nicht, vielleicht auch später nicht. Diese 30-Millimeter-Kugeln reißen böse Löcher."
"Haben Sie eine Vermutung?"
"Keine zuverlässige", sagte der Sicherheitschef langsam. "Vielleicht Söldner, die für einen unserer Feinde arbeiten. Vielleicht Geheimdienstler, die dumm gehalten wurden, damit das hier notfalls abgestritten werden kann." Kea nickte. Es konnte auf das Konto der Föderation gehen, aber ebensogut auf das der Erdregierung, des Mars oder jedes beliebigen Megakonzerns.
"Was sollen wir mit den Verwundeten tun, Sir ?
Ich meine, nachdem wir soviel wie möglich aus ihnen herausgeholt haben?" Kea zögerte. Einer seiner Mitarbeiter näherte sich.
"Sir, wir haben einen Funkspruch vom NewsTeam Elf Leda. Sie sagen, sie haben sechs Anrufe bekommen, die Schüsse und Detonationen meldeten, und wollen wissen, was los ist. Sie möchten mit Ihnen sprechen ... und sie wollen ein Team herschicken."
Kea überlegte rasch. Seine erste Reaktion lief darauf hinaus, die Presseleute zu empfangen. Ihm bliebe noch genug Zeit, einen Bademantel anzuziehen, einen aufgebrachten Gesichtsausdruck aufzusetzen und eine Pressekonferenz nach dem Motto "Wer wagt es? Wer greift einen Unschuldigen an?" abzuhalten. Doch er überlegte es sich anders.
"Erzählen Sie ihnen, meine Sicherheitskräfte würden eine extrem realistische Übung abhalten. Sie können gerne ein Nachrichtenteam herschicken - Ganymed ist ein freier Planet -, aber ich werde ihnen nicht erlauben, auf meinem Anwesen zu landen. Was mich angeht ... Ich bin gar nicht hier, sondern irgendwo im All und teste ein neues Schiff. Sie müssen sich selbst mit mir in Verbindung setzen.
Sagen Sie ihnen, daß ich nach meiner Rückkehr wahrscheinlich bereit wäre, mit ihnen zu reden, obwohl Sie sich nicht vorstellen können, worüber."
Der Mitarbeiter blinzelte - >Schwer von Begriff<, dachte Richards -, zog die Stirn kraus und ging davon. Kea drehte sich wieder zu seinem Sicherheitschef um. "Ist Ihre Frage damit beantwortet?"
"Jawohl, Sir." Der Offizier zog seine Pistole aus dem Halfter, lud durch und machte sich auf den Weg zur Sammelstelle der verwundeten Angreifer.
Auch Kea verließ den zerstörten Vorplatz und richtete den Blick nach oben. Er reichte bis jenseits der gewaltigen Masse des Jupiter, die fast den ganzen Himmel ausfüllte, hin zu den besiedelten Welten hinaus. >Jetzt werden wir abwarten. Bis jemand aufheult. Und dann werden wir wissen, wer mein größter Feind ist.<
Aber er fand es nie heraus. In der zwielichtigen Welt der Söldner tauchten nicht einmal Gerüchte auf.
Kea machte sich noch mehr Gedanken. Der Anschlag hätte ebensogut gelingen können. Und es würde nicht der einzige und auch nicht der wuchtigste bleiben. Er war daran gescheitert, daß
"sie" ihn in lebend haben wollten. Früher oder später würde jemand beschließen, daß der Status quo beibehalten werden müsse - und daß bestimmt einer von Keas Leuten das Geheimnis des Stardrive kannte.
Was natürlich nicht der Fall war. Aber das würde Kea Richards nicht mehr aus dem Grab zurückholen.
Er brauchte dringend ein Wunder.