Kapitel 14
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Weit jenseits der Reichweite der empfindlichsten Sensoren und weit jenseits der Vorposten der Bhor entließ ein für besondere Aufgaben umgebauter Imperialer Zerstörer ein Einsatzschiff in den Raum und raste wieder davon.
Das völlig unbewaffnete Einsatzschiff, dessen Waffensysteme durch Unmengen von
Aufklärungselektronik ersetzt worden waren, glitt in Richtung Vi davon, dem Heimatplaneten der Bhor und zugleich Mittelpunkt des Lupus-Clusters. An Bord befanden sich nur wenige
Besatzungsmitglieder sowie eine Agentin der Inneren Sicherheit, die gerade erst ihre Ausbildung absolviert hatte.
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Das Einsatzschiff suchte sich einen Park-Orbit hinter einem der Monde Vis und wartete in seinem Versteck, bis der befohlene Zeitpunkt gekommen war.
Sodann setzte es unter reduziertem Schub zum Landeanflug an. Zu einem in gewisser Weise ziemlich ungewöhnlichen. Von der
Planetenoberfläche sah es aus, als käme das Einsatzschiff "direkt herunter", an einem bestimmten Punkt des Planeten, mitten in einem unwegsamen Gelände in der Nähe der Hauptstadt. Die Geschwindigkeit wurde absichtlich niedrig gehalten, um die Erhitzung der Außenhülle des Schiffes und damit die Möglichkeit einer Erfassung durch die Infrarot-Detektoren der Bhor gering zu halten.
Das Einsatzschiff wartete den richtigen Moment ab. Er kam, als einer der großen interkontinentalen, suborbitalen Transporter der Bhor von einem Landefeld aufstieg und sich auf die Reise machte.
Das Einsatzschiff stürzte im Schatten der elektronischen, infraroten und physikalischen Turbulenzen des Transporters auf die
Planetenoberfläche hinunter.
An Bord stand der Einsatzleiter abwartend neben der Spionin. Der Raum glühte in augenschonender roter Beleuchtung.
Die Spionin war schwer beladen. Sie trug einen McLean-Pack vor der Brust und auf dem Rücken einen Rucksack, der eine Waffe enthielt, sowie eine Reisetasche, die ohne weiteres als Reisekoffer eines Zivilisten durchging. In der Tasche befanden sich Zivilkleidung, die übliche Spionageausrüstung sowie ein dickes Bündel Imperialer Credits und Bhor-Währung.
An ihrem Bein war der schwere Springersack festgebunden, der das wichtigste und gefährlichste Werkzeug der Spionin enthielt: eine
Sender/Empfängereinheit. Das Interkom summte.
"Wir erreichen Delta Zulu", gab der Pilot des Einsatzschiffs durch.
"Aye, Sir", sagte der Einsatzleiter.
"Abwurfgeschwindigkeit erreicht. Zielpunkt kommt näher."
Der Leiter spürte, wie das Einsatzschiff Schub wegnahm und aus dem Tauchflug in die
Waagerechte kam.
"Aye, Sir. Luke wird geöffnet."
Der Leiter berührte einen Knopf, und eine kreisförmige Luke öffnete sich. Mondhelle Nacht und, weit unten, glitzernder Schnee. Zwei gerippte Stahlplatten fuhren in der Mitte der offenen Luke aus. Auf einer Seite sah der Leiter gerade noch das Flackern vom Heck des Bhor-Transporters, der, ohne etwas bemerkt zu haben, nach oben
verschwand.
Die Spionin schauderte, obwohl der Raum beheizt war.
"Sieht kalt aus, da unten."
"Ihre Freunde erwarten Sie", beruhigte sie der Leiter. "Und jetzt bitte Position einnehmen."
Die Spionin machte einen Schritt auf die Stahlplatten hinaus. Ein wenig wankte sie im Ansturm des Windes jenseits der Luke, fing sich jedoch gleich wieder. Wie sie es gelernt hatte, packte sie die Griffe des McLean-Packs fest mit beiden Händen. An einem davon befand sich der Schalter zur Aktivierung des Antriebs.
"Zählen Sie auf dreißig, bevor Sie Ihre Tasche fallen lassen", rief ihr der Einsatzleiter in Erinnerung. Die Spionin nickte, obwohl sie nicht richtig zuhörte.
"Countdown... zehn... neun... acht... sieben...
sechs... fünf ... vier ... drei... LOS!"
Die Stahlplatten schnappten wieder in ihre Kammern zurück, und die Spionin fiel auf Vi hinab.
Noch während sich die Luke wieder schloß, machte der Einsatzleiter dem Piloten über die
Bordverbindung Meldung.
"Absprung erfolgt, Sir."
"Bestätigt. Kehren Sie auf Ihren Posten zurück."
Das Einsatzschiff änderte seine Richtung und flog wieder ins All hinaus. Die Versuchung war groß, auf volle Geschwindigkeit zu gehen und schleunigst das Weite zu suchen. Doch der Pilot war kein Anfänger.
Bei voller Geschwindigkeit würde man sie mit größter Wahrscheinlichkeit auf allen Schirmen ausmachen, und damit wären sämtliche
Vorbereitungen für die Infiltration vergebens gewesen. Der Leiter schaute auf die geschlossene Luke hinab.
"Mögen alle deine Eier mit doppeltem Dotter versehen sein", sagte er.
Spione brauchten alles Glück, das man ihnen nur wünschen konnte.
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Marl, inzwischen vom Technischen Offizier zum Fähnrich befördert, und der Bhor-Wachtmeister Paen betrachteten einen der Nachtsichtschirme in ihrem A-Grav-Leichter.
Das Bild verschwamm. Marl drückte auf einen Knopf, und das Bild wurde wieder scharf.
"Mich kriegt niemand dazu, aus einem fliegenden Einsatzschiff auszusteigen, noch nicht mal, wenn es in perfektem Zustand ist", meinte Paen.
"Mich auch nicht", stimmte ihm Marl zu.
Die kodierte Botschaft war von Vi aus an eine Lausch-Station des Imperialen Geheimdienstes gesandt worden, die sich in sicherer Entfernung aber dennoch so nah wie möglich an den Wolfswelten - befand.
00983
zusätzliche
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Agenten
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dringend
31146
erforderlich
30924
Berichte
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s
37762
t
11709
e
23249
n
03975
fängt an (fing an?)
26840
Pläne
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System(e)
03844
der Basalt ist wieder eingetroffen
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zu benutzen
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Lieferung
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System
20691
M
43491
werden
29875
Agent(en)
01507
bergen
Besonders stolz war Marl auf 03844, da ihr aufgefallen war, daß Hohne nicht gerade der begabteste unter den Codierern war. Kilgour hatte mit seinem Verdacht, Hohne sei eher ein besserer Amateur, da er einen bereits existierenden Code benutzte, recht behalten. Er maß der Tatsache nicht viel Bedeutung zu, daß Hohne zumindest ein prähistorisches Codesystem gewählt hatte, das bis ins finsterste Mittelalter zurückreichte, wo man noch mit Lächerlichkeiten wie Krummdolchen und Einmalpapier operierte. Sie stellte sich vor, wie das Mitglied des Imperialen Geheimdienstes, das die Botschaft decodierte, vor sich hin fluchte, sich an seinem/ihrem Kopf (oder an mehreren Köpfen) kratzte, noch einmal auf das Code-Fiche blickte, die Zahl durch 03843 ersetzte, was "als Basis"
bedeutete, und schon ergab die Nachricht einwandfrei Sinn. Der verrückte Schotte wäre stolz auf ihre Verschlagenheit.
Verdammt. Sie fing schon jetzt an, diesen Alex zu vermissen. Sie nahm sich fest vor, jetzt, wo sie einen echten Rang hatte und er rein hierarchisch gesehen nicht mehr ihr Vorgesetzter war, ihn nach seiner Rückkehr zu einigen Drinks und zu einem Abendessen zu verführen, und ... wer wußte schon, was noch dabei herauskam?
Zumindest würde sie die Wahrheit über diesen Titel "Lord Kilgour von Kilgour" herausfinden.
Wenn er wirklich so eine Art Baron war, was hatte er dann bei dieser Revolte zu suchen, anstatt sich dem Imperator an die Brust zu werfen?
"Sieht aus, als würde der Mensch frieren", sagte der Bhor ohne einen Funken Mitgefühl.
"Sie friert."
Marl verspürte einen Augenblick lang Mitleid mit der Spionin, die noch immer in einem Kilometer Höhe auf sie zuschwebte. Sie schob diese Regung beiseite. Die Frau hatte eine Wahl gehabt.
"Noch mehr Stregg?" erkundigte sich Wachtmeister Paen.
"Ich sage es zum letzten Mal: Menschen können nicht so wie ihr Bhor unablässig Stregg in sich hineinkippen und hinterher immer noch
funktionieren."
"Kilgour schon."
"Kilgour ist auch kein Mensch."
"Das stimmt."
Paen leerte seinen Becher -
die
Miniaturnachbildung eines Trinkhorns -, schob ihn zusammen und packte ihn weg.
"Sollen wir unsere neue Freundin begrüßen gehen?"
Die beiden glitten aus dem A-Grav-Leichter und achteten peinlich darauf, die Türen nicht zuzuschlagen; das Geräusch einer zuschlagenden Tür trägt in einer stillen Nacht meilenweit. Rings um sie herum waren zwanzig schwerbewaffnete Bhor-Polizisten im schwarzen Dickicht verborgen.
Über ihnen betätigte die Spionin einige Knöpfe, und ihre Fallgeschwindigkeit verringerte sich im gleichen Maße, in dem der McLean-Generator die Schwerkraft aufhob. Das Zeitalter des simplen, individuellen Rucksackfluggeräts war noch immer nicht angebrochen, selbst mit den A-Grav-Fähigkeiten der McLean-Generatoren nicht. Aber zumindest konnte man damit alle Spielarten dieser unglaublich gefährlichen Fallschirme ersetzen.
Die Spionin steuerte auf das Ende einer großen, offenen Weidefläche zu, die als Zielpunkt angegeben war, als Endpunkt von "Lieferung System M". Unter ihr lag schweigend der Wald. In weiter Entfernung - schätzungsweise fünf Kilometer
- sah sie die Lichter eines kleinen Bauernhauses.
Genau wie geplant. Kein Hinterhalt.
Vielleicht, dachte sie mit einem leichten Schaudern, waren auch ihre Freunde, der Imperiale Meisterspion mit dem Decknamen Hohne oder seine ausgesuchten Vertreter, nicht am Treffpunkt erschienen. Aber das war kein großes Problem. Sie würde sich wie befohlen einen Planetentag lang irgendwo verstecken! Sie hatte Lebensmittel und einen Kleinkocher in ihrer Tasche, darüber hinaus würde sie ihr Springeranzug ausreichend vor der Kälte schützen.
Selbst wenn sie bis dahin nicht auftauchten, war noch nicht viel verloren. Sie würde ihren Springeranzug und den McLean-Pack vergraben und sich zur Hauptstadt durchschlagen. Sie hatte sich drei alternative Treffpunkte eingeprägt.
Noch knapp 25 Meter bis zum Bodenkontakt. Sie pendelte auf den Schnee zu.
Sie zwang sich, den Blick vom Boden
abzuwenden, sie wußte, daß er unter der unschuldig aussehenden Schneedecke mit nadelspitzen Steinen übersät war. Sie schaute zum Horizont. Plötzlich fiel ihr die Warnung des Einsatzleiters wieder ein, und ihre Hand schlug auf den Knopf an ihrem Koppel, woraufhin sich der Springersack an seiner fünf Meter langen Leine abspulte, damit er beim Landeaufprall nicht mehr an ihrem Bein hing.
Die Tasche mit dem Sender fiel weniger als einen halben Meter, als auch schon der Boden heran war und gegen die Spionin prallte.
Sie vollführte den klassischen Abroller: Zehen, Knie, Nase ... und dann kam der Schmerz. Sie stieß einen Fluch zwischen den Zähnen hervor, verbiß sich einen lauten Schrei und blieb reglos im Schnee liegen.
"Verdammt", fluchte Marl, als die Polizisten auf die Spionin zuschwärmten. Sie und Paen eilten ebenfalls zu der auf dem Boden ausgestreckten Agentin. "Wenn sie das Funkgerät kaputtgemacht hat, werde ich ihr die Daumenschrauben ansetzen.
Wir hinken schon viel zu sehr hinter unserem Zeitplan her."
Es dauerte sehr lange, eines der bestgehüteten Geheimnisse des Imperiums nachzubauen - einen kompakten, superleistungsfähigen Sender; eine Zeitspanne, die einer Erklärung bedurfte, wenn die Agentin sich endlich wieder meldete.
Marl zweifelte nicht im geringsten daran, daß diese Agentin hier weich werden würde. Ansonsten mußte sie einen Gehirnscan durchführen, um an ihre Erkennungssätze, an die Kontaktpersonen, die elektronische "Faust" heranzukommen, und sie anschließend exekutieren.
Nur drei Imperiale Geheimdienstler hatten sich bislang für den Patriotismus und die Abkürzung ins Gelobte Land entschieden; drei von
neunundzwanzig, die Poyndex als Reaktion auf Hohnes Nachricht von der bevorstehenden Ankunft Stens in den Lupus-Cluster entsandt hatte.
Die anderen sechsundzwanzig waren recht bequem auf verschiedenen Welten untergebracht, in Quartieren, die nicht direkt Gefängnisse, aber auch nicht direkt mit der Freiheit zu verwechseln waren.
Von dort aus sendeten sie das, was man ihnen vorlegte.
Marl, und durch sie Kilgour, und durch ihn wiederum Sten, kontrollierten das gesamte Spionagenetz des Ewigen Imperators auf den Wolfswelten.
Genau so, wie Alex es geplant hatte.
Vor einiger Zeit hatte eine Kollegin Rykors einen ungewöhnlichen Auftrag erhalten. Als Spezialistin für Rekrutierungen zum Militärdienst war sie beauftragt worden, eine Kampagne zu entwerfen, die auf die besiegten Tahn-Welten zugeschnitten war.
Zuerst war Rykor die Idee etwas geschmacklos vorgekommen, doch sie war pragmatisch genug, um sich daran zu erinnern, daß das Militär immer seine besiegten und in den Staub getrampelten Feinde zu solchen Leistungen heranzog.
Ihre Kollegin hatte ihr jedoch berichtet, daß ihre Befehle eindeutig darauf hinausliefen, mit dieser Kampagne die alte Samuraikultur der Tahn wiederzuerwecken -
eine tödliche historische
Fehlentwicklung, die der Imperator nach dem Sieg über die Tahn auszulöschen geschworen hatte.
Sehr interessant. Rykor fand es unbegreiflich, daß der Imperator ernsthaft daran glauben konnte, Armut dadurch zu bekämpfen, daß man die Armen in Uniformen steckte. Das Konzept beinhaltete jedoch mehr als nur das - und eine komplette Analyse erbrachte einen weiteren Beweis dafür, daß sich der Imperator anscheinend immer mehr zum
Psychopathen entwickelte. Offensichtlich baute er eine Armee auf, die er auch einzusetzen gedachte.
Da es keine Bedrohung von außen gab, die ein so gewaltiges stehendes Heer rechtfertigte, lag der Zweck dieser neuen Verbände wohl eindeutig darin, gegen die Feinde im Innern vorzugehen. Mit anderen Worten, gegen die Bürger des Imperiums.
Da die Anschauungen der Tahn Fremdenhaß, rassische Überlegenheit, den Glauben, daß Gnade eine Schwäche war und die Starken das Recht hatten, die Schwächeren zu unterdrücken, beinhalteten, würde diese neue Musterarmee des Imperators sich als barbarisches Instrument erweisen.
Rykor hatte insgeheim Nachforschungen
angestellt und herausgefunden, daß auch andere Welten mit unzivilisierten Kulturen plötzlich im Mittelpunkt des Imperialen Interesses standen.
Höchst interessant.
Glücklicherweise ließ sich diese Kampagne sehr leicht zerstören - zumindest für eine Person mit Rykors Fähigkeiten auf dem Gebiet der
Massenpsychologie.
Rykor hatte jeden Psychologen und jeden Studenten der Psychologie aufgetrieben, der in der Lage war, einige grundlegende Voraussetzungen zu erfüllen: Reisen Sie gerne? Macht es Ihnen etwas aus, allein zu sein? Können Sie sich ohne Schuldgefühle einer Notlüge bedienen? Können Sie eine Arbeit annehmen, deren Resultate Sie nicht sehen werden? Können Sie eine Aufgabe
durchführen, für die Sie nicht sofort belohnt werden
? Und so weiter und so fort.
Leider war es ihr nicht möglich, ganze Bataillone von Gegenpropagandaspezialisten zu finden, so wie es sicherlich gelungen wäre, hätte sie noch im Dienste des Imperators gestanden.
Doch das Gegengift zu diesem mörderischen psychologischen Virus verbreitete sich wie von selbst rasch genug. Es funktionierte, weil es die Kampagne des Imperators bei der Wurzel packte und gerade genug Wahrheit enthielt, um unangenehm zu sein.
Nehmen wir einen von Rykors Freiwilligen namens Stengers. Er bekam einen sauberen Hintergrund verpaßt und wurde auf einem Imperialen Planeten abgesetzt, von wo aus er ganz offen als Student der Soziologie nach Heath reiste dem ehemaligen Hauptplaneten der Tahn.
Zufälligerweise deckte sich seine Reiseroute mit der einer Vorausabteilung der Imperialen
Rekrutierungskampagne. Er traf überall kurz nach dieser Vorausabteilung ein, aber immer kurz vor dem eigentlichen Rekrutierungsteam selbst.
Stengers tat nichts anderes, als einige verwirrende Fragen zu stellen, besonders an diejenigen jungen Tahn, die mit dem Gedanken spielten, in die Dienste des Imperialen Militärs zu treten.
Fragen wie zum Beispiel: "Also, wenn der Imperator wirklich möchte, daß ihr euch erhebt und die Ehre der Tahn wiederherstellt, warum will er, daß ihr so weit entfernt von eurer Heimat dient? Es ist ziemlich schwer, Ehre im Verborgenen zu erlangen, wie schon eines eurer eigenen Sprichwörter besagt."
Manchmal ging er auch ein bißchen direkter vor:
"Interessant. Ihr sagt, daß allein aus diesem Landkreis achtzehn Tahn zum Militär gegangen sind? Und keiner ist aus dem Imperialen Dienst zurückgekehrt? Zwei von ihnen sind tot? Wie traurig, so weit entfernt von der Heimat zu sterben, und dann auch noch für jemanden, der ein solches Opfer noch nicht einmal zu würdigen weiß."
Oder noch dichter dran: "Wenn der Imperator plötzlich soviel auf die Tahn und ihren Ältestenrat gibt, warum geht es dann in diesem ganzen Distrikt hier zu wie im Armenhaus des Imperiums ? Warum müssen wir hier vor einem Feuer aus Schweinemist frieren, wo das Imperium doch so superreich ist?
Warum gibt es auf dem Planeten, von dem ich stamme und der nicht reicher als dieser hier ist, AM2-Heizungen in jedem Haushalt - sogar in meinem abgelegenen Haus in den Bergen? Das verstehe ich nicht."
Oder ganz brutal: "Es kommt mir nicht so vor, als würde jemals etwas aus den Tahn-Welten werden, wenn der Imperator eure besten Leute aussiebt und sie dann in den Randwelten verheizt."
Stengers und seine Kollegen trugen eine Reihe sorgfältig ausgesuchter, halbvergessener Kriegsballaden der Tahn vor, in denen es hauptsächlich darum ging, daß der Imperator und seine Lieblinge nichts als Würmer unter den Stiefeln der Tahn waren ...
Der nächste Bericht des Rekrutierungsteams zur Erstwelt enthielt einige enttäuschende Statistiken hinsichtlich eines deutlichen Einbruchs bei den Freiwilligenzahlen für den Militärdienst des Imperators ...
Sten hatte Kilgour zu höchster Vorsicht auf der Erde ermahnt. Auch wenn sich die schiefgelaufene Mission am Umpqua River damals gegen das Privatkabinett gerichtet hatte, so blieben Sicherheitsleute eben immer Sicherheitsleute. Es war gut möglich, daß die Schurken, die sich um das beinahe verlassene Dörfchen Coos Bay
herumtrieben, das Sten und Alex als Basis benutzt hatten, immer noch der gleichen Beschäftigung nachgingen, auch wenn sie inzwischen einem neuen Herrn dienten. Gestapo bleibt Gestapo, wie schon der nur scheinbar veraltete Spruch besagte.
"Kein Problem" fluchte Kilgour. Er hatte vor, sich von der Provinz Oregon fernzuhalten. Alex hoffte, daß die Lösung des Geheimnisses, dem er auf der Spur war - der Grund für die mysteriöse Reise des Imperators zur Erde - weit, weit weg von dieser Gegend zu finden war. In diesem Fall bedeutete weit weg der nächstgelegene vollausgestattete Raumhafen.
San Francisco, die größte Stadt Kaliforniens, rühmte sich einer Bevölkerung von beinahe 100.000
Einwohnern. Das junge Liebespaar - zumindest Hotsco qualifizierte sich für diese Bezeichnung war angeblich mit einem Shuttledienst in einer der Rentnergemeinden im Süden Kaliforniens gelandet, irgendwo in der Nähe der winzigen
Provinzhauptstadt Santa Ana. Von dort aus waren sie an Bord eines Luxusgleiters über die San-Joaquin-Sümpfe zu dem Dörfchen Bakersfield geflogen und gemütlich weiter nach Norden getingelt.
Tatsächlich lag Hotscos Schmugglerschiff fünfzig Meter unterhalb des Wasserspiegels in der Nähe der Pelikaninsel in der großen Bucht vor der Stadt versteckt. Mit einem einzigen Piepser von Hotscos Transponder ließ sich eine automatische Rettungsaktion einleiten.
Da sie hier die Touristen spielten, suchten sich Hotsco und Kilgour eine Unterkunft in einer der neuen Pensionen im pseudo-viktorianischen Stil, die in der Wildnis hoch über den Twin Peaks erbaut worden waren. Sie wunderten sich darüber, daß es hier einst eine Brücke gegeben haben sollte, und lauschten den Visionären, die behaupteten, daß die Meerenge eines Tages wieder von einer Brücke überspannt werden würde. Die Einladung, ein gefährliches Tier in dem verwilderten Dschungel zu jagen, der einst ein Park gewesen war, lehnten sie dankend ab. Sie hörten Unterhaltungen, in denen darüber diskutiert wurde, ob man die Hügel des Mission District abtragen sollte, da es Leute gab, die ernsthaft behaupteten, die flachen Erhebungen seien nichts als Schutt ehemaliger Hochhäuser, die bei einem großen Erdbeben zusammengefallen waren.
Sie tanzten im Saal eines gewaltigen Hauses hoch über der Klippe, das einem anderen nachempfunden sein sollte, das schon vor der Ära des Imperators und vor drei gewaltigen Erdbeben an gleicher Stelle zerstört worden war.
Sie lehnten auch eine Einladung zweier recht hübscher junger Frauen dankend ab, sich beim Liebestanz des Weisen Merkins gemeinsam mit ihnen sexuellen Ekstasen hinzugeben. Kostenlos.
Alex fand, daß Hotsco einen nicht uninteressierten Eindruck machte und dann leicht enttäuscht wirkte, als er sie daran erinnerte, daß ein junges Liebespaar normalerweise zumindest eine Zeitlang nur Augen füreinander habe, bevor sich Appetit auf Abwechslung einstelle. Er merkte sich jedoch, daß die junge Frau anscheinend interessante Vorstellungen auf dem Gebiet der Freizeitgestaltung hatte.
Und sie aßen. Krabben, die sie eigenhändig in einem gemieteten Kleinboot in der Nähe einer anderen eingestürzten Brücke gefangen hatten.
Sauerteigbrot. Gekochten Fisch. Rohen Fisch auf kunstvoll arrangierten Reiskuchen. Lammbraten.
Unter einem Stein geröstetes Hühnchen. Alex, der noch nie ein Schlemmer, geschweige denn ein Gourmet gewesen war, dachte ernsthaft darüber nach, ob er seine Einstellung zur Nahrungsaufnahme nicht doch ändern sollte.
Und sie unterhielten sich. Sie unterhielten sich mit jedem, der ihnen über den Weg lief. Besonders in den Bars und angesagten Lokalen rund um den kleinen Raumhafen ein Stück südlich der Stadt. Alex trat als selbständiger Geschäftsmann im Import/Exportgeschäft für Luxuswaren auf, Hotsco als seine neue Geschäfts-und Lebenspartnerin. Sie interessierten sich dafür, was die Leute hier unter einem guten Exportartikel der Erde verstanden; schließlich war es die Heimat der Menschen und müßte eigentlich Kunden im ganzen Imperium ansprechen. Vor allen Dingen waren sie an einem Artikel interessiert, der sich legal und moralisch einwandfrei exportieren ließ.
Nach sechs E-Tagen - Alex grinste in sich hinein: hier handelte es sich wirklich einmal um echte ETage - hatte Alex sein Opfer gefunden, ohne daß es bisher aufgefallen wäre, daß er sie kräftig ausgehorcht hatte. Eine Zollbeamtin mit echtem Missionswillen, was nichts anderes hieß, als einem eingebauten Riecher für Mißstände, besonders dann, wenn jemand sich an höhere Vorgesetzte wandte, um die rechtmäßige Abwicklung gesetzlich genau vorgeschriebener Vorgänge zu umgehen. Kilgour stimmte ihr mit einem entrüsteten "Tststs" zu.
Keiner von ihnen würde jemals ... derartig verabscheuungswürdige Praktiken ... Geschäfte müssen ordentlich abgewickelt werden ... wenn Sie mich fragen, Ms. Tjanting ... eine der finstersten Seiten meines Berufszweiges ... manche Händler ...
habe sogar schon was von ganz hohen Beamten läuten gehört, die sich über Recht und Gesetz hinwegsetzen ...
Die Pumpe mußte nicht besonders geschmiert werden.
Sehr hohe Beamte, allerdings. Direkt von der Erstwelt, ehrlich. Und genau innerhalb der Zeitvorgaben, die Alex ganz besonders
interessierten.
Die Raumüberwachung der Erde hatte den Zoll darüber informiert, daß die Provinz Oregon für den gesamten nichtstandardisierten Verkehr innerhalb der Atmosphäre und im erdnahen Raum gesperrt sei.
Was Tjanting überhaupt nichts ausmachte. Sie wußte, daß der Imperator sein Domizil dort oben hatte, und was er oder seine Leute taten oder nicht taten, das ging sie nichts an.
Als gute Bürgerin wäre sie wahrscheinlich neugierig gewesen, wenn der Imperator sich selbst dort aufgehalten hätte. Aber natürlich war er gar nicht dagewesen.
Woher sie das wisse, hakte Alex nach.
Außerdem regte sie sich aus einem ganz anderen Grund auf. Tjanting wußte, daß der Imperator nicht sehr begeistert wäre, wenn er wüßte, welche Freiheiten man sich hier in seinem Namen herausnahm.
Ungefähr zwei Wochen vor der Ankündigung, fuhr Tjanting fort, sei ein kommerzieller Transporter in San Fran gelandet, und der habe beabsichtigt, seine Zollangelegenheiten in diesem Hafen zu erledigen, um dann zu seinem Endziel
weiterzufliegen - zum einige Kilometer entfernten Domizil des Imperators. Kaum habe sie das Schiff betreten, sei ihr auch so einiges merkwürdig vorgekommen. Das Schiff sei tipptopp sauber gewesen, und die Besatzung habe sämtliche Befehle, ohne zu murren, unverzüglich ausgeführt, gerade so wie Soldaten der Raumflotte. Doch das sei reine Vermutung. Was sie wirklich stutzig gemacht habe, sei die Ladung gewesen.
Zuerst habe ihr der Skipper des Transporters den Zugang zum Frachtraum mit der Behauptung verweigert, es handele sich um geheime
Verschlußsachen des Imperialen Hofes. Es habe jedoch keinerlei Papiere gegeben, die seine Behauptungen bestätigt hätten. Also hätte er alle möglichen Dinge, Grundnahrungsmittel und dergleichen, zu dem Anwesen am Fluß schaffen können; Dinge, für die der Imperator - wie jeder andere Bürger auch - Gebühren an die Erdregierung zu entrichten habe.
Tjanting habe darauf bestanden, daß der Frachtraum geöffnet wurde, ansonsten hätte sie den Sicherheitsdienst gerufen, Schiff und Ladung beschlagnahmen und die Mannschaft einsperren lassen. Der Captain habe widerstrebend
nachgegeben.
"Die Ladung bestand aus medizinischen Apparaturen", fuhr Tjanting fort, "hochentwickelte Apparaturen und Gerätschaften, als wollte jemand eine sehr kleine, aber hervorragende chirurgische Abteilung einrichten. So jedenfalls hat sich ein Kollege, der auf derlei Waren spezialisiert ist, ausgedrückt, als ich ihn angerufen und ihm das Fracht-Fiche durchgegeben habe."
Das Problem hatte nicht darin bestanden, daß für die Fracht Zollgebühren fällig gewesen wären; unter humanitären Gesichtspunkten hätte das
wahrscheinlich nicht einmal zugetroffen. -Die Frage, die Tjanting seit damals beschäftigte und die ihr niemand beantwortete, war folgende: Wozu diente dieses Material überhaupt? Die Zollbehörde war auch für Quarantäne-und Gesundheitsfragen
zuständig. War jemand vom Imperialen Hof erkrankt, mußte jemand dringend operiert werden?
Ihrer Meinung nach sah das ganz nach einer Seuche aus.
Sie berichtete die Angelegenheit ihren
Vorgesetzten und wurde damit vertröstet, daß man den Stab des Imperators in Oregon befragen wolle.
Das dauerte mehrere Minuten, denn in Oregon wußte niemand etwas von einer derartigen Lieferung. Tjanting war sich sicher, einen besonders raffinierten Schmugglerring aufgedeckt zu haben, dessen Mitglieder ein bisher unbekanntes Maß an Frechheit und Selbstvertrauen an den Tag legten.
Dann kam ein zweiter Anruf aus dem Norden, und noch bevor ihre Schicht zu Ende war, wurde sie vorn Raumhafen abgezogen und bekam von ihrem Vorgesetzten einen kräftigen Rüffel wegen ihres
"unerwünschten Herumschnüffelns in den Angelegenheiten des Imperators". Tjanting mußte sich auch anhören, daß sie einen schlechten Ruf als Wichtigtuerin genoß, und ihr wurde dringend geraten, sich um diesen charakterlichen Mangel zu kümmern, andernfalls würde sie bei der nächsten dienstlichen Beurteilung heruntergestuft.
Inzwischen schäumte die Frau vor Empörung, und Alex mußte sie beruhigen. Er spendierte ihr noch einen Drink - eine wirklich ekelhafte Mischung aus einem süßlichen Likör namens Campari, mit Kohlensäure versetztem Wasser und einem Schuß Brandy obendrauf. Alex hielt das für eine unverzeihliche Vergeudung von Brandy, sagte aber nichts.
Während Hotsco ihm mit mitfühlendem
Geschwätz Rückendeckung gab, überlegte Alex fieberhaft: >Kurz bevor der Imp antanzt, baut hier irgendein Bursche ein hochgezüchtetes Lazarett auf.
Dabei dürfte man annehmen, daß das Feriendomizil des Imp ohnehin über eine medizinische
Grundausstattung verfügt. Also war da etwas ganz Besonderes geplant, wie mir scheint. Eine Operation?
Sollte gar der Ewige Imperator selbst operiert werden?
Eine kleine Schnippelei, sorgsam unter dem Deckmäntelchen der Verschwiegenheit... ?
Herrje! Schon komisch<, dachte Kilgour.
>Andererseits ist es ganz einfach<, ging ihm dann angesichts der Anwesenheit all dieser
Bombenexperten auf dem Besitz des Imperators plötzlich ein Licht auf. Jemandem auf chirurgischem Wege eine Bombe einzupflanzen, war Kilgour nicht fremd - dieses Hilfsmittel war schon öfters bei gefährlichen Fanatikern zum Einsatz gekommen.
Kilgour hatte auch von mutigen Leuten gehört, die sich vor einem Himmelfahrtskommando eine Bombe hatten einsetzen lassen, um jede Möglichkeit auszuschließen, gefangen und gefoltert zu werden und damit ihre Kollegen preiszugeben.
Eine Bombe herauszunehmen war jedoch ein neuer Dreh. Und genau das hatte seiner Meinung nach stattgefunden.
>Hmmm<, überlegte Alex. >Aha. Jetzt wissen wir auch, wo der Knallermann herkommt, der immer hochgeht, wenn der Imp stirbt! Er ist tief im Bauch dieses Irren versteckt, vielleicht dort, wo einmal sein Blinddarm war. Ist ja auch egal. Die Frage lautet vielmehr: Wer hat ihn da hineingebastelt?
Je tiefer ich buddele, desto weniger bin ich mir der Dinge sicher wunderte er sich.<<
>Na und? Wenn du ein Leben gewollt hättest, in dem es nichts als das Absolute gibt, dann hättest du ja Mönch werden können. Oder gemeiner Soldat bleiben.<
Alex weigerte sich weiterzudenken. Aus
unvollständigen Daten gezogene Folgerungen führten fast immer zu waghalsigen Schlüssen. Er würde später näher darüber nachdenken.
Sie fütterten Tjanting noch mit ein paar Drinks und erzählten ihr dann, daß sie wieder zurück ins Hotel müßten.
Tjanting sah ihnen nach. Nach einigen Sekunden runzelte sie die Stirn, und ein eigenartiger Ausdruck zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.
Ein halbes Universum entfernt tranken zwei Männer Schnaps; sie kippten sich den
Selbstgebrannten in einer rollenden Bar nicht weit von einer Baustelle entfernt hinter die Binde. Einer der Männer war Vertragsschweißer, der andere der Vizepräsident einer Bank, der sich ab und zu gerne unters Volk mischte.
"Hast du schon gehört, was passiert ist, als der Ewige Imperator sich ein Joygirl geholt hat?" fragte der Schweißer. "Beim ersten Mal sagt er: Ich mach dich fertig, daß du nur so stöhnst. Er tut es, und sie tut es auch.
Beim zweiten Mal sagt er: Ich mach dich fertig, daß du nur so schreist. Er tut es, und sie tut es auch.
Dann sagt er: Beim nächsten Mal bring ich dich ordentlich zum Schwitzen. Das Joygirl lehnt sich zurück und sagt: Ha? Und er sagt: Klar, beim nächsten Mal ist es nämlich Hochsommer ..."
Der Bankier kicherte höflich. "Nach allem, was ich so gehört habe, ist der Imperator doch immer der Ansicht, daß ein Mann gewisse Dinge selbst erledigen muß. In diesem Fall handelt es sich eben um den Kleinkram."
Der Schweißer erwiderte das höfliche Lachen, wurde jedoch gleich darauf wieder ernst. "Ist dir schon aufgefallen, Eis, daß der Imperator bei seinen offiziellen Auftritten niemals mit einer Frau auf dem Bildschirm zu sehen ist?"
"Warum auch?"
"Aus keinem besonderen Grund", antwortete der Schweißer. "Aber wenn du der Oberguru wärst, dann würde ich doch mal annehmen, daß dir überall Massen von scharfen Mädels auflauern, hab ich recht? Stell dir nur vor, du würdest morgen in die oberste Chefetage befördert, na?"
"Schon möglich. Aber da hätte meine Frau auch noch ein Wörtchen mitzureden."
"Auch in dieser Hinsicht hat der Imperator nichts zu bieten."
"Vielleicht lebt er deswegen ewig", gab der Bankier zu bedenken. "Er spart sich seine wertvollen natürlichen Kräfte auf."
"Vorausgesetzt, er hat überhaupt welche."
Beide Männer lachten, dann konzentrierte sich ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Livie-Schirm, auf dem soeben das dritte Viertel des A-Grav-Ball-Matches losging.
Beide "Witze" entstammten Rykors Werkstatt.
Mehr oder weniger lustig bewirkten sie genau das, was sie sollten: das Image des Imperators, omnipotent zu sein, anzukratzen. In diesem Beispiel sogar recht direkt.
Diese und andere Witze machten gemeinsam mit einigen wirklich fiesen, hinter der vorgehaltenen Hand geflüsterten Gerüchten die Runde durch das Imperium - und zwar mit einer Geschwindigkeit, die sogar noch leicht über dem Stardrive lag.
Alex' allabendliche rituelle Handlung bestand darin, ihr Zimmer nach Wanzen und anderen unliebsamen Gästen abzusuchen. Erst dann machte er sich in der Naßzelle frisch. Anschließend duschte Hotsco, puderte sich die Nase und legte sich neben ihn in das große, altmodische Federbett. Aber nur um zu schlafen. Als Profi und Moralist, der er war, dachte Alex nicht im Traum daran, eine Tarnung derart schändlich auszunutzen. Außerdem fand er die schlanke junge Frau nicht im geringsten attraktiv. Sie war einfach nicht sein Typ.
Das log er sich jedenfalls in immer kürzeren Abständen vor.
Er wusch und schrubbte an sich herum, genoß den Luxus des weichen Wassers, das gegen seinen Körper prasselte, und erinnerte sich an Zeiten und Einsätze, in denen es Wasser ausschließlich zum Trinken gegeben hatte, und nicht einmal dafür genug. Er drehte sich um, um den Wasserstrahl von BRAUSE auf STRAHL zu stellen, als plötzlich ein Kichern an sein Ohr drang, ein -Kichern, das Alex'
Expertenohren auf weniger als zwei Zentimeter Entfernung peilten.
"Rück rüber", sagte Hotsco. "Und gib mir die Seife. Dein Rücken kann auch eine Abreibung vertragen."
"Äh, Mädel..."
"Ich sagte, rück rüber."
Alex tat, wie ihm befohlen. Hotsco fing an, ihm den Rücken zu schrubben, wobei sie die Seife in langsamen, sinnlichen Kreisbewegungen über seine Haut gleiten ließ.
"Ich seh nicht hin", sagte sie. "Aber ich habe da so eine Vermutung, was der Schotte unter seinem Kilt trägt."
"Und?" fragte Alex, über dessen Gesicht sich jetzt ein Grinsen zog. "Willst du mal etwas anfassen, das fünfundzwanzig Zentimeter lang ist? Dann mußt du zwanzigmal unter meinen Sporran greifen."
Hotsco lachte. Ihre Finger bewegten sich weiter, verfolgten eine gezackte rote Kerbe auf Kilgours Bizeps.
"Was ist das?" staunte sie.
"Da hab ich blöderweise Zick gemacht, als Zack angesagt war. Narben sind eine gute Methode, um dein Ego vor dem Überschnappen zu bewahren.
He, Mädel, ich glaub, jetzt schrubbst du schon meine Brust!"
"Ganz recht", sagte Hotsco verträumt. "Außerdem ist das nicht mehr die Seife."
"Wenn ich mich jetzt umdrehe", sagte Alex mit leicht belegter Stimme, "dann kann aus Spaß sehr schnell Ernst werden."
"Mhmm."
Alex drehte sich um und hob Hotsco in seine Arme. Ihre Lippen fanden sich, und Hotscos Beine wanden sich um seine Hüften.
Einige Zeit später kamen sie aus der Dusche heraus. Sie mußten Kilgours Bademantel als Handtuch benutzen, denn der ganze Raum sah aus, als sei darin eine Wasserbombe hochgegangen.
Draußen leuchtete der Mond über der Bucht und den verlöschenden Lichtern von San Francisco.
"Und jetzt", meinte Alex, "hauen wir uns in die Federn, und ich muß mir keine Sorgen mehr darüber machen, ob meine McLean-Kraft allmählich nachläßt."
"So nennst du das also?" staunte Hotsco. Sie ging zum Schminktisch, holte eine Tube mit
aromatischem Öl heraus und fing an, es sich langsam in die Haut einzureihen, wobei sie lächelnd über ihre Schulter blickte.
"Wenn du das Mädel mit der Seife bist", meldete sich Alex zu Wort, "dann wäre es doch nicht mehr als gerecht, wenn ich den Burschen mit den Flutschefingern spiele, oder?"
Er nahm ihr die Tube aus der Hand, drückte ein wenig Öl auf seine Finger, und dann, ganz plötzlich, gewann sein Instinkt die Oberhand über seine Lust.
Er warf Hotsco zur Seite, quer über das Bett. Sie landete in den Federn, viel zu erschrocken, um einen Schrei auszustoßen - und dann explodierte der Spiegel über dem Schminktisch.
Kilgour machte eine Rolle rückwärts Richtung Tür, kam hoch, hatte wie durch Zauberei die Pistole in der Hand, kniete, legte an ... drei Schuß krachten wie einer... und draußen auf dem Balkon ging die Brust des Mordschützen in Fetzen.
Jemand oder etwas fiel krachend gegen die Tür, und Kilgour schickte drei weitere AM2-Geschosse durch das splitternde Holz. Von der anderen Seite ertönte ein Schrei.
Alex packte den winzigen Transponder, ihre einzige Hintertür, schob ihn in den Mund und schnappte sich Hotsco mit einem Arm. Dann machte er zwei gewaltige Schritte quer durch das Zimmer, zerbrach das, was vom Rahmen der Balkontür übrig war, stieg auf den Balkon hinaus und sprang. Hotsco schrie leise auf.
Bis zum grasbewachsenen Boden waren es sieben Meter. Alex fiel, drehte seinen Körper im Fallen, nahm die Beine zusammen und benutzte den uniformierten Polizisten, der zu ihm hochstarrte, als Trampolin.
Die Rippen des Polizisten knackten gräßlich, und er stieß ein blutiges Gurgeln aus. Kilgour ging in die Knie und fing die Wucht der Landung auf. Sofort stand er wieder aufrecht und eilte in das schützende Gebüsch, das das Hotel umgab, ohne Hotsco oder die Pistole fallen zu lassen.
Dicht neben ihm explodierte ein AM2-Geschoß im weichen Boden - >also sind's die Jungs des Imperators<, stellte Kilgour fest. Er wirbelte herum und pumpte, ohne genau zu zielen, vier Schuß in das Zimmer, das sie gerade eben überstürzt geräumt hatten.
Dann raste er weiter.
Bis sich das Überfallkommando, besser gesagt der aus Polizisten und Innerer Sicherheit zusammengesetzte Killertrupp recht besann, war das weiße Schemen des nackten Schwerweltlers im Unterholz verschwunden.
Jetzt jaulten Sirenen los. Lichter blinkten und Funkgeräte quäkten durcheinander.
Aber Kilgour war weg.
Erst nach zwei Kilometern blieb Alex stehen. Er schätzte, daß er sich irgendwo nahe der Spitze der Halbinsel befand, mitten in dem ausgedehnten Dschungel, in dem Tiger, die man vor einigen Menschenaltern aus dem Zoo befreit hatte, ihr Unwesen trieben.
>Das sollten sich die Kätzchen sehr genau überlegen<, dachte er. >Ich bin jetzt nämlich nicht zum Scherzen aufgelegt und hatte für den Rest dieses netten Abends ganz andere Pläne.< Obwohl Hotsco auf "der anderen Seite des Gesetzes" aufgewachsen war, war sie an derlei Geschehnisse nicht gewöhnt; schon gar nicht, wenn sie mit Lichtgeschwindigkeit über sie hereinbrachen.
Aber sie hätte sich eher die Zunge abgebissen, als vor Alex das Gesicht zu verlieren.
"Ich vermute", sagte sie lässig, "das Imperium hat Lunte gerochen."
"Genau", gab Alex zurück. "Die hatten Willyguns. Die Zolltante hat uns verpetzt. Ich hab ohnehin ihren Nachnamen nicht richtig verstanden, Hotsco ... lautete er nicht Campbell ?"
Er schien überhaupt nicht zu bemerken, daß sie beide splitternackt waren und ihre einzige Verteidigung gegen eine Stadt und eine Welt, die sich schon bald mit Gebrüll auf sie stürzen würden, aus einer Pistole und einem Transponder bestand.
"Was nun?" frage Hotsco.
"Wir haben zwei Möglichkeiten", erläuterte Alex.
"Nummer eins: wir spüren die beiden Mädels vom Liebestanz beim alten Merkins auf. Die werden nicht gleich erbleichen, wenn ein junges verliebtes Paar vor ihrer Tür steht, nackt wie Gott sie schuf.
Dort können wir mit der Sache fortfahren, die wir kaum - 'tschuldigung, Mädel - angefangen hatten, als die Kacke zu dampfen anfing. Hast du noch die Karte von denen?"
"Die mußte ich leider zurücklassen", antwortete Hotsco. Jetzt, nachdem der Schock nachgelassen hatte, kam ihr die ganze Situation plötzlich sehr komisch vor. "Im Hotel. Soll ich sie rasch holen gehen?"
Alex überlegte.
"Lieber nicht", sagte er dann mit ernstem Gesicht.
"War nur so ein Gedanke. Also Option Nummer zwei: Wir schlagen uns zu den Docks durch, und entweder klauen wir dort ein Boot oder wir schwimmen zu der Insel mit den Vögeln mit den großen Schnäbeln rüber. Alcatruss?"
"Schwimmen? Ich kann nicht schwimmen."
"Kein Problem, Mädel. Ich brauch nur einen Arm, um die Haie zu vertreiben. Dann halte ich dich eben mit dem anderen Arm und klemme mir den Schießprügel zwischen die Kiefer. Wie sich's für einen braven Schotten ziemt. Dann kann ich immer noch mit den Füßen strampeln und mit dem natürlichen Ruder lenken, mit dem mich der liebe Herrgott ausgestattet hat. Es kann nicht weiter als einen oder zwei Kilometer bis dort rüber sein. Eine erfrischende Schwimmrunde am Morgen. Ich verspüre einen großen Drang, ohne unnötigen Zeitverlust zu dem kleinen Spielchen
zurückzukehren, das du mir vorhin beibringen wolltest. Wollen wir los ?"
Er verbeugte sich förmlich, nahm ihren Arm, und dann machten sie sich auf den Weg nach Süden, geradewegs auf das kleine Fischerdörfchen zu.
Flottenadmiral Anders, Chef der Imperialen Raumflottenoperationen, überflog die Prognosen auf den fünf Wandschirmen, dann fiel sein Blick auf die sechzehn Fiches, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten. Sein Gesicht war ausdruckslos. Er hatte gelernt, daß ein richtiger Kriegsherr im Augenblick der Entscheidung so auszusehen hatte.
Er war nicht sicher, was er davon halten sollte, da er, wie ihm sein Geheimdienstchef versichert hatte, der erste war, der diese Daten zu sehen und damit die Gelegenheit bekam, sie zu analysieren.
Immerhin bestand zunächst die Möglichkeit, soufflierte ihm sein Verstand behutsam, daß der Ewige Imperator keinen Scherz gemacht hatte, als er vor einiger Zeit sagte, Anders werde sich, wenn das Problem Sten aus dem Weg geräumt war, auf irgendeinem vergessenen Planeten als Kommandant zweier Ruderboote und einer Sandbank
wiederfinden. Er wollte jetzt unbedingt vermeiden, einen weiteren Fehler zu begehen.
Er beschloß, zunächst einmal skeptisch zu sein.
Da er ein listiger Mann war, drückte er seine Zweifel immer auf diese Art und Weise aus.
"Nennen Sie mir", sagte er, "drei Gründe, warum ich glauben sollte, daß dieses Ystrn-System der Ausgangspunkt für den nächsten Überfall des Verräters Sten ist. Und wie kommt Ihr
Nachrichtendienst auf die Idee, daß er sich ausgerechnet Al-Sufi als Ziel ausgesucht hat?"
Anders' Vize Sheffries fragte sich bei der Konzentration mit zwei aufeinanderfolgenden Fragen, ob sie jetzt drei oder sechs Gründe vorbringen sollte. So oder so - sie war jedenfalls von ihrem begriffsstutzigen Vorgesetzten mehr als enttäuscht. Sie hatte drei Dreier parat.
"Erstens: Al-Sufi ist eins der drei größten AM2
Verteilungszentren des Imperiums. Zweitens: Sten hat schon einmal ein solches Depot angegriffen.
Drittens: Revolutionäre mit beschränkten Mitteln, wie dieser Sten -"
"Es heißt: der Verräter Sten!" fuhr Anders dazwischen.
"'tschuldigung. Verräter wie Sten, die über kaum Schlachtschiffe und Truppen verfügen, haben es normalerweise auf spektakuläre Ziele abgesehen.
Insbesondere, wenn diese Ziele dem Feind einen möglichst großen Schaden zufügen, 'tschuldigung, den Heimatplaneten, gegen die sie rebellieren. Der Fachausdruck dafür lautet >Neuralgische Ziele<.
Mit anderen Worten -"
"Mit anderen Worten", unterbrach sie Anders,
"nachdem er einen kleinen Erfolg mit seinem Angriff auf Dusable verbuchen konnte, warum sollte er da nicht als nächstes Al-Sufi angreifen."
"Vielen Dank, Sir. Sie haben meine Gedanken auf bewundernswerte Weise zusammengefaßt.
Viertens: die Schlacht um Al-Sufi/Durer, im Volk allgemein als Durer bekannt, war einer der größten Siege des Imperators im Tahn-Krieg. Es wäre nur zu logisch, wenn der Verräter Sten versuchte, dieses Bild in den Dreck zu ziehen.
Fünftens: da Sten augenscheinlich - obwohl uns da nur unzureichende Daten vorliegen - zum Zeitpunkt der Al-Sufi/Durer-Schlacht nicht im Dienste der Imperialen Streitkräfte stand -"
Anders brachte Sheffries mit einer ungeduldigen Handbewegung zum Schweigen. "Schon gut", sagte er. "Sie haben mich überzeugt.
Für diese Operation brauchen wir drei Flotten.
Alarmieren Sie meinen Stab. Ich werde meinen Plan so bald wie möglich bekanntgeben."
"Drei Flotten, Sir?"
"Genau. Ich schlage vor, diese Rebellion mit einem Schlag zu vernichten. Ich möchte, daß sich alle meine Soldaten ihrer Beteiligung an diesem denkwürdigen, schicksalhaften Augenblick bewußt sind."
"Sir. Die Plus/Minus-Wahrscheinlichkeit meiner Prognose beträgt nur 80 Prozent. Außerdem habe ich noch keinerlei Prognosen dahingehend angestellt, ob Sten - ich meine, der Verräter Sten - persönlich an dem Überfall teilnimmt."
"Natürlich macht er selbst mit", fuhr ihr Anders ungeduldig dazwischen. "Ich würde es tun. Sie würden es tun." Er lächelte. "Der Ewige Imperator wird sich über diese Neuigkeiten freuen. Sobald der Verräter Sten vernichtet ist, Sheffries, werde ich höchstpersönlich dafür sorgen, daß Sie zum Flaggoffizier ernannt werden."
Sheffries gelang es, ein erfreutes Gesicht aufzusetzen; sie salutierte und ging hinaus.
>Wunderbar<, dachte sie finster. >Und falls irgend etwas schiefgeht, dann heißt es: Würden Sie bitte die Füße über Kreuz legen, Commander Sheffries, wir haben leider nur drei Nägel ...<
Sten brütete gerade über dem >Überfall auf Al-Sufi< und dem besten Dreh hinsichtlich der Darstellung des Rendezvous-Punktes im Ystrn-System, als die Nachricht mit dem Vermerk STRENG GEHEIM von einem Laufboten aus dem Nachrichtenzentrum überbracht wurde. Sie stammte von Seilichi, von Sr. Ecu.
Er fluchte, fand eine Dekodierungsmaschine und gab Porenmuster, Retinareflex, persönlichen Kode und alles weitere ein.
Dann überflog er Ecus Nachricht und den Appell von Marr und Senn.
Verdammt. Er wußte, von welcher anderen Person sie sprachen. Natürlich handelte es sich um Haines. Ja, er erinnerte sich nur zu gut und mit bebendem Herzen an diese Party, den Garten und an die schwarze Kugel vor dem Mond.
Es war logisch, daß dieser Verrückte, der sich Ewiger Imperator nannte, alle Leute, die Sten näher kannten, festnehmen und einem Gehirnscan unterziehen ließ.
Er war froh, daß es Haines offensichtlich gelungen war, dem Netz zu entwischen, doch dann fragte er sich, ob der Imperator und sein Satrap Poyndex das Netz erneut ausgeworfen und sie vielleicht doch erwischt hatten. Oder ob sie ihre Suche ausgedehnt und sich Marr und Senn geschnappt hatten, nachdem die ihren
"Reklamezettel" losgeschickt hatten. Die dritte und wahrscheinlichste Möglichkeit bestand darin, daß Poyndex' IS-Leute Marrs und Senns amateurhaften kryptographischen Versuch entdeckt und sich auf die Lauer gelegt hatten.
Erster Impuls: aufsatteln und zur Rettung eilen.
Dieser Adrenalinstoß wurde eiskalt abgebremst.
>Von wegen. Darüber bist du doch wohl hinaus.
Du hattest die Chance, dich zu erheben, dich selbst zum Gesetzlosen zu machen und die Rebellion gegen den Imperator auszurufen. Das ist in Ordnung.
Jeder hat das Recht, sich seine eigene Selbstmord-Methode auszusuchen.
Aber es gibt viele andere, die sich dir angeschlossen haben. Bist du für die nicht auch verantwortlich? Also kannst du dich nicht allein aufgrund einer vagen Hoffnung gleich in das nächste Abenteuer stürzen! Du mußt dich um die wichtigen Dinge kümmern.
Es wäre schließlich nicht das erste Mal, daß du einen Freund oder sogar eine Geliebte im Stich lassen mußt, um die Mission nicht zu gefährden, oder?<
Natürlich.
Das Funkgerät summte. Sten drückte auf den Kontaktschalter.
"Ja?"
"Mister Kilgour", berichtete der Funkoffizier.
"Auf dem Weg hierher. Ankunft in etwa einer E
Stunde. Mission erfolgreich abgeschlossen. Ich habe ihn jetzt dran."
Sten wollte gerade sagen, daß er mit Alex erst nach seiner Ankunft sprechen wollte, überlegte es sich jedoch anders.
"Verschlüsselt?"
"Selbstverständlich, Sir."
"Stellen Sie ihn durch."
Das Bild wechselte. Alex war zu sehen, an seiner Seite eine schüchtern lächelnde Frau. >Oje<, dachte Sten. >Das muß. diese Schmugglerin sein, die sich freiwillig dafür gemeldet hat, Kilgour zur Erde zu bringen.< Sten blickte seinen Freund an.
"Willkommen daheim", sagte er.
"Danke, Boß."
"Ich will dir nicht zu nahe treten, aber... du siehst ziemlich abgerissen aus."
"Ich hab mir da eine ziemlich vertrackte Aufgabe gestellt."
"Bist du aufgeflogen?"
"Jawoll. Aber nicht durch den Imp, obwohl ich eine interessante Begegnung mit ein paar IS-Typen hatte. Ich werd's dir aber nicht auf die Nase binden.
Außerdem bin ich auch der eigentlichen Sache auf die Spur gekommen, aber das erzähle ich dir nur unter vier Augen.
Was war denn während meiner Abwesenheit so alles los?"
Sten klärte Alex rasch auf und erzählte ihm auch von Marrs und Senns Nachricht, ohne ihn jedoch von seiner Entscheidung in Kenntnis zu setzen.
"Aha." Alex nickte. "Weiß schon. Du hast keine Wahl, was?"
Sten antwortete nicht.
"Sobald ich zurück bin, mache ich die Victory klar zum Abflug, alter Knabe. Dauert nur einen ETag."
Sten blinzelte.
Alex lächelte. "Du hast dich anders entschieden, stimmt's? Du hast an Pflicht und Verantwortung gedacht, stimmt's?"
"So was in der Richtung."
"Tja ... denk mal an all die Jungs und Mädels, die mit dir Rebellen spielen. Einige sind aus ganz eigennützigen Gründen dabei. Andere wollen der noblen Sache der Zivilisation dienen. Aber die meisten sind dabei, weil sie dich und dein nettes Gesicht mögen, alter Knabe.
In gewisser Hinsicht ist das jetzt ein schwieriger Abschnitt in deinem Leben, mein lieber Sten. Wir alle sollten unsere Entscheidungen logisch und im Hinblick auf den Nutzen für alle Lebewesen treffen.
Aber so funktioniert's nun mal nicht.
Und wenn dir so viele Narren nachlaufen, weil du ein netter Kerl bist, warum solltest du dann nicht ebenso denken wie sie? Und einfach so das Leben für einen Rebellenkumpel aufs Spiel setzen, hm?
Denn wenn du nicht gewillt bist, auf diese Weise mit wehenden Fahnen unterzugehen, dann sind wir keinen Deut besser als der Imp und sollten am besten sofort mit dem ganzen Quatsch aufhören.
Du solltest nicht warten, bis dir die Stunde schlägt und so was alles.
Ich denke, dir bleibt keine andere Wahl, als Haines und diese beiden Pelzkugeln zu suchen."
Es war völlig falsch und so ziemlich das Dümmste, was Sten tun konnte, warum entschied er sich dann dafür? Scheißegal, die Rebellion war ohnehin zum Scheitern verurteilt. Er hatte so gut wie keine Chance, das Imperium zu stürzen. Warum also nicht mit wehenden Fahnen und einer noblen Geste untergehen?
"Sprich weiter", sagte er. Dann kam er wieder zu sich, und ein bösartiges Grinsen zog sich über sein Gesicht. Er erinnerte sich an einen tollkühnen Plan, den er einmal vor dem Ausbruch aus einem Gefängnis ausgeheckt hatte, und er dachte daran, daß man den gleichen Trick vielleicht noch einmal einsetzen konnte.
"Negativ, Mister Kilgour. Die Victory werde ich nicht brauchen. Alles was ich brauche, ist eine Robo-Kiste der Bhor und die Aoife. Ich muß mich nicht um jeden Preis zum Don Quickshot machen.
Ach ja, und ein Livie-Team und ein paar Schauspieler. Ich brauche drei Piloten, zwei Schlägertypen und einen Idioten mit Stahlzähnen.
Ungewaschen und ziemlich bescheuert muß er aussehen. Und dann brauche ich noch so an die fünfzehn süße, verschreckt aussehende Kinder.
Und jetzt beweg deinen Hintern hierher. Ich brauche deine Talente. Und jemanden, der die Festung hält, solange ich weg bin und Sir Gawain spiele. Aus und Ende."
Stens Plan stand nach weniger als einem Tag.
Er begab sich zwar immer noch in die Fänge des Todes, doch wenigstens auf gerissene, schmutzige, heimtückische Weise anstelle eines blödsinnigen
"Angriffs in voller Uniform und unter wildem Gefuchtel mit einem Büchsenöffner mit
Elfenbeingriff", was er schon seit jeher verabscheut hatte.
"Soward Control, hier Transporter Juliette.
Befinden uns noch im Raum, Koordinaten
übertragen ... jetzt. Verwenden Einflugschneise Quebec Neun Sieben für Handelsschiffe. Erbitten Landeanweisungen. Over."
Und so kam der Terror auf die Erstwelt.
"Juliette, hier Soward Control. Wir haben Ihre Koordinaten. Übermitteln Landedaten... jetzt. Bitte Daten eingeben und nach Beendigung Ihres Anflugs das ALS von Quebec Neun Sieben aktivieren, over."
"Soward, hier Juliette. Warten Sie ... oje, ich habe hier ein kleines Problem mit Ihren Daten, Control.
Sie wollen uns weit draußen in der südöstlichen Ecke abstellen, richtig?"
"Bestätigt."
"Da muß ich Sie um einen Gefallen bitten, Soward. Kann ich nicht ein bißchen näher ran? Ich habe eine ganze Landung voller Stipendiaten an Bord, und die Schüler wären wirklich ganz aus dem Häuschen, wenn wir ein bißchen näher an allem dran wären. Außerdem müssen sie dann nicht so weit bis zum Terminal laufen. Kriegen wir einen
Transferbus?"
"Hier Soward. Kein Problem. Wir bringen Sie gleich hier drüben unter, direkt neben dem Tower.
Übertragen neue Daten ... jetzt. Und was den Bus betrifft... wir haben nur einen kommerziellen Dienst.
Soll ich einen Leichter bestellen?"
"Hier Juliette. Danke für die Änderung. Und, äh, negativ wegen des kommerziellen Leichters. Meine Kinder haben nicht viel Geld. Die ganze Ladung besteht aus diesen bedürftigen Schülern."
"Roger. Vielleicht können wir -"
Das Signal von der Juliette brach ab.
"Juliette, hier Soward Control. Juliette, bitte antworten Sie."
Statisches Rauschen. Keine Antwort. Der Controller drückte automatisch auf die Tasten NOTFALL und STANDBY.
"Hier Tower", sagte er. "Ich habe ein hereinkommendes Schiff, schon fast unten, und plötzlich ist der Funkkontakt abgebrochen. Der Pilot sagte, sie hätten Kinder an Bord. Alles bereithalten."
Rettungsmannschaften begaben sich in ihre Fahrzeuge.
Der Raumhafenlotse berührte ein Sensorfeld und suchte alle Standardlandefrequenzen sowie die Imperialen Notruffrequenzen ab.
"Juliette, hier -"
Die Juliette meldete sich wieder, doch jetzt sprach eine andere Stimme.
"Hier Soward Landekontrolle. Identifzieren Sie sich. Ist dort die Juliette?"
Ein Lachen.
"Ja. Genau. Ist das hier der Hebel für die visuelle Übertragung ... jawoll. Und los."
Ein Schirm wurde hell und gab den Blick auf eine entsetzliche Szene auf der Kommandobrücke der Juliette frei. Die vier Besatzungsmitglieder lagen in großen Blutlachen auf dem Boden. Vor dem Empfänger stand ein wild dreinblickender Mann in einem verdreckten und befleckten Kombi. Er hielt eine Pistole in der Hand.
Hinter ihm waren zwei ebenso abstoßende Spießgesellen zu sehen. Jeder hielt ein sich windendes Kind fest und drückte ihm ein Messer an die Kehle.
"Sie sehen, was hier los ist", sagte der Mann. "Ich will jetzt eine Direktleitung zu einer Imperialen Livie-Station. Sofort!"
"Das kann ich nicht..."
Der Mann machte eine kurze Handbewegung, und einer seiner Kollegen schlitzte eine Kehle auf.
Blut sprudelte, das andere Kind kreischte, und ein Körper fiel leblos zu Boden.
"Hol dir das nächste", sagte der Mann, und sein Kollege verschwand, um kurz darauf mit einem weiteren Kind im Schlepptau wieder aufzutauchen.
"Siehst du? Wir machen hier keine Späßchen.
Besorge uns sofort eine -"
Der Mann von Soward Control hämmerte bereits auf seine Tastatur ein.
"Und daß du mir ja überzeugend klingst", sagte der Kidnapper. "Ich hab hier nämlich noch vierzehn Dreckfresser, denen ich mit größtem Vergnügen den Hals durchschneiden würde. Oder vielleicht fällt mir auch noch was ganz anderes ein ... was
Schlimmeres."
Und so nahm das Drama der Juliette seinen Lauf.
Die Einspeisung wurde live über den Sender KBNSQ ausgestrahlt, der seine Lizenz inzwischen zurückerhalten hatte, zur Zeit aber von einem neuen, auf der Erstwelt gelegenen Hauptquartier aus sendete.
Die Erstwelt hielt den Atem an, während der heruntergekommene Transporter über dem
Raumhafen Soward kreiste. Der Mann verkündete seine Forderungen.
"Ich will eine Verbindung zum Ewigen Imperator. Nicht mit so 'nem verdammten Funkgerät wie dem hier. Sondern von Angesicht zu Angesicht.
Er muß da etwas klarstellen. Er muß damit aufhören, meiner Familie das anzutun, was er schon die ganze Zeit über tut. Es ist nicht in Ordnung, daß ein derart mächtiger Mann sich mit ein paar kleinen Untertanen auf einer Hinterwäldlerwelt anlegt, das ist einfach nicht in Ordnung. Das muß ein Ende haben, und zwar sofort. Meine Familie ist schon beinahe ausgelöscht.
Verdammt, wenn sich nicht bald etwas ändert, dann ist mir alles egal und ich lasse diesen verdammten Transporter mit voller Geschwindigkeit in seinen verdammten Palast rasen. Sagen Sie das dem Imperator."
Geiselrettungsteams wurden zusammengestellt und warteten, ob man ihnen als letzte mögliche Maßnahme befahl, die Juliette zu stürmen. Die Schiffe der Imperialen Flotte, die in der Nähe der Erstwelt kreuzten, kamen dichter heran. Die bereits in Alarmbereitschaft versetzten Sicherheitskräfte von Arundel saßen einsatzbereit vor ihren Luftabwehrraketen und würden bei einer
Annäherung der Juliette sofort feuern.
Selbstverständlich durfte es und würde es keine persönliche Unterredung zwischen dem Imperator und den Männern an Bord der Juliette geben. Man durfte sich dem Terror nicht beugen.
Vermittler übernahmen die langwierigen
Verhandlungen, mit denen sie die Entführer so lange langweilen wollten, bis sie sich ergaben. Doch die Entführer reagierten nicht. Ihre einzige Antwort bestand darin, daß sie ihre Forderungen wiederholten, ausdruckslos in die Kamera starrten oder die Verbindung hin und wieder ohne jede Warnung abbrachen.
Für die Livies war das ein gefundenes Fressen.
Die Geschichte bot alles, was man sich nur wünschen könne. Durchgedrehte Terroristen; die niedlichsten Kids vor der Kamera, seit man den Kinderstar Shirlee Rich mit ihrem Orang Utan im Bett erwischt hatte; verständnisvolle
Psychodoktoren, die die Situation endlos analysierten; Experten, die herauszufinden versuchten, von welchem Planeten die noch immer unbekannten Terroristen stammen mochten; am Himmel kreuzende Kriegsschiffe; unbekannte Truppenbewegungen, über die nicht einmal der abgebrühteste Livie-Show-Gastgeber spekulieren durfte, um zu verhindern, daß möglicherweise ein geheimer Rettungsplan aufgedeckt wurde; Versicherungsmanager aus der Chefetage von Lloyds, die erläuterten, was mit dem Transporter Juliette alles geschehen sein mochte, seit er während des Tahn-Kriegs bei der Durchführung eines Imperialen Spezialauftrags verschwunden war; entschlossen aussehende Waffenspezialisten, die bereit waren, alles - auch ihr Leben - zu opfern.
Und das Beste dabei: es geschah wirklich.
Das einzige Hindernis, das sich der Aoife in den Weg stellte, als sie sich der Erstwelt näherte, war mechanisch, einfältig und mindestens schon seit drei Zyklen veraltet. Berhal Waldman mußte die Aufforderung zur Identifzierung nicht einmal analysieren, weil er sie sofort in einem Standard
Code-Fiche entdeckte. Alle waren mit etwas anderem beschäftigt.
Die Aoife landete ohne Schwierigkeiten.
Niemand nahm von ihr Notiz, nicht einmal das winzige Dorf am anderen Ende des engen Tals.
Dieser widerliche Unhold an Bord der Juliette hatte gerade das nächste Kind abgeschlachtet.
Der Zerstörer war ein kleines Schiff - zumindest im All, verglichen mit einem Schlachtelefanten und Trägerschiff wie der Victory, oder auf der weiten, leeren Fläche eines Landefeldes, wo das Auge keinen Vergleich fand. Der Turm, neben dem er landete, sah hingegen vergleichsweise wie ein Kinderspielzeug aus. Waldmans Finger huschten über die Tasten und ließen die Aoife auf ihren McLean-Generatoren knapp über dem Boden schweben. Es wäre ziemlich unhöflich gewesen, inmitten dieses wunderhübsch angelegten Gartens einen fünf Meter tiefen Abdruck zu hinterlassen.
Nicht nur aus ästhetischen Gründen. Man hätte zusätzlich eventuellen Neugierigen unnötige Anhaltspunkte dafür gegeben, was geschehen war.
Vom Turm her war keine Bewegung
festzustellen.
Die Schnellfeuerkanonen der Aoife schwenkten herum, Honjo-finger lagen feuerbereit auf den Auslösern.
Die Rampe des Schiffs glitt heraus und senkte sich auf den Boden. Sten trat hinaus. Er trug einen gepanzerten Kampfanzug und eine Willygun. Doch das Visier an seinem Helm stand offen.
Waldman hielt das für einwandfrei verrückt; drinnen konnte die Innere Sicherheit auf der Lauer liegen. Sten fiel jedoch keine andere Methode ein, wie er jemandem klarmachen konnte, daß man ihn nicht angreifen, sondern retten wollte.
Als er die Tür beinahe erreicht hatte, öffnete sie sich.
Marr und Senn standen auf der Schwelle.
"Ich muß schon sagen", sagte Marr, "Ihr Auftritt erfolgt in einem wahrlich barocken Stil, mein junger Captain."
"Allerdings. Sehr barock. Jetzt aber nichts wie weg hier, bevor uns jemand in der Mitte entzweibarockt. Aphorismen heben wir uns für später auf, Leute."
Und plötzlich stand auch Haines in der Tür.
"Hat ja lange genug gedauert."
"Tut mir leid, aber ich mußte kurz anhalten und mir die Schuhe zubinden."
Hinter Haines wurde ein Mann sichtbar. Schlank.
Frühe Glatzenbildung. Nicht jung, nicht alt. Die Kleidung etwa zehn Jahre hinter der neuesten Mode zurück. Sten tippte auf Haines' Ehemann. Nicht gerade die Sorte Mann, mit der er sie in Verbindung gebracht hätte.
>Mach dir mal darüber keine Sorgen, du Idiot. So wie du es auch immer allen anderen rätst. Und jetzt Schluß.<
Senn, Haines und Sam'l liefen auf das Schiff zu.
Marr zögerte einen Moment, dann bückte er sich und hob einen kleinen, mehrfarbigen Kieselstein auf.
"Vielleicht bleibt nichts mehr übrig, wohin wir zurückkehren können."
Dann begab auch er sich an Bord der Aoife und Sten folgte ihm.
"Abheben, Sir?" fragte Waldman, als Sten wieder auf der Brücke stand.
"Moment noch."
Er betrachtete einen Bildschirm, der einen Ausschnitt der Brücke der Juliette zeigte. Vor der Kamera war niemand zu sehen, weder Geisel noch Terrorist.
"Strahlen Sie es aus."
"Jawohl, Sir." Der Funker neben dem Bildschirm drückte auf einen Knopf, und die Aoife sandte einen einzigen kodierten Buchstaben an dir Juliette.
Absolutes Chaos auf dem Monitor.
Brüllen. Schreie. Die Entführer bellten unverständliche Worte. Ein junges Mädchen riß sich los und versuchte wegzurennen. Sie wurde niedergeschossen. Der Entführer kreischte etwas in einer nicht zu übersetzenden Sprache. Seine Pistole schwang herum und zuckte. Genau in den
Empfänger. Funkstille.
"Meine Güte, meine Güte", stöhnte Marr und legte die Arme um Senn. "Diese armen kleinen Menschenkinder!"
"Tja", sagte Sten. "Schlimm, schlimm. Und es wird immer schlimmer. Berhal Wildman, bringen Sie uns weg von hier. Ungefähr fünfhundert Meter, bitte."
Die Aoife schoß himmelwärts.
Sten erwies sich als wahrhaftiger Prophet. Ein zweiter Bildschirm erwachte zum Leben. Diesmal handelte es sich um einen kommerziellen Sender.
Farbschmierer ... Schärfe ... ein zerfetztes Raumschiff ... McLean-Generatoren aus... ein Schleier aus dem Heck des Schiffes, als der Yukawa-Antrieb auf volle Kraft ging ...
Unzusammenhängendes Geschrei von einem
Livie-Reporter: "Grauen ... das Grauen ... oh, dieses Grauen ..."
"Vollgas nach Hause, wenn ich bitten darf, James."
Die Aoife raste in den Hyperraum, gefolgt von einem Knall, als die Luft in das Vakuum rauschte, das der Zerstörer hinterließ.
Diese Explosion verhallte ungehört, wurde von einer weitaus größeren übertönt, als die Juliette mitten auf das Hauptlandefeld von Soward hinunterknallte. Es gab kein Feuer und auch keinen Schrott. Nur einen rauchenden Krater.
Sten wandte sich betrübt ab, als die Empfänger der Aoife die Verbindung zu der kommerziellen Sendung verloren.
"Was für eine schlimme Sache", sagte er. "Alle diese netten Kinderlein, wie Erdbeermarmelade über das Gelände verschmiert. Erdbeer? Eher Tomate.
Schmeckt salziger.
Und so sinnlos. Wie unangenehm für sie, obwohl sie später wahrscheinlich sowieso alle Axtmörder oder Rechtsanwälte oder etwas Ähnliches geworden wären. Für uns kam es jedoch gerade günstig.
Oder wie Mister Kilgour sagen würde: >Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen.<"
Marr und Senn rissen sich aus ihrem erstarrten Entsetzen und richteten ihre großen Augen auf Sten.
Haines brachte die Sache auf den Punkt.
"Weißt du, daß du ein ausgemachtes Arschloch bist, Sten?"
"Das hat meine Mutter auch immer gesagt", stimmte ihr Sten fröhlich zu.
"Danke", sagte sie ziemlich ernst.
"Ach was, nicht der Rede wert. Du kennst mich doch. Sankt Sten. Töter tugendhafter Jungfrauen, Retter der Drachen."
Inmitten dieser Frotzelei fühlte sich Sten plötzlich außerordentlich wohl in seiner Haut. Und zu seinem großen Erstaunen waren sie alle ungeschoren davongekommen.
Offiziell wurde der Juliette-Zwischenfall als tragisches Ereignis gehandelt, ein weiteres Beispiel für die wachsende kollektive Psychopathologie einer überdrehten Zivilisation. Insgeheim waren sich die Spezialisten jedoch ziemlich sicher, daß man sie an der Nase herumgeführt hatte. Nicht, daß von dem Band, das Stens Schauspieler während des Fluges von Vi aufgenommen hatten, auch nur eine winzige Spur übriggeblieben wäre. Von der Robo-Kiste der Bhor war bis auf ein Loch im Landefeld und ein paar fettigen Rauchfahnen überhaupt nichts übriggeblieben. Doch die Spezialisten wußten, daß sie wenigstens ein paar Kohlenstoffreste der mindestens achtzehn Personen hätten finden müssen, die vor oder während der Bruchlandung gestorben waren, und wenn sie noch so heftig zerrissen worden waren.
Als Sten ein Gerücht darüber zu Ohren kam, fluchte er ordentlich. Wenn er ein wenig mehr über die Sache nachgedacht hätte, hätte er bestimmt zehn oder mehr tote Rinder aus der Metzgerei besorgen können, und dann hätte wirklich niemand etwas gemerkt.
Drei gewaltige Imperiale Schlachtflotten stießen aus dem Hyperraum in das Ystrn-System vor; sämtliche Waffenstationen waren besetzt und brannten darauf, die Rebellion zu zerschlagen.
Sechs Planeten kreisten mitsamt ihren Monden und kleineren Trabanten um einen toten Stern.
Nichts.
Kein Sten.
Keine Rebellenflotte.
Überhaupt nichts.
Und wenn man den höchst gründlichen,
sorgfältigen Analysen trauen konnte, war noch niemals zuvor irgendein bekanntes Schiff in dieses System eingedrungen. Es war auf einer Sternenkarte vermerkt und seither niemals erforscht worden. Was nicht heißen mußte, daß es dort nichts zu erforschen gab.
Stens großer Bluff hatte funktioniert. Besser gesagt, er funktionierte immer noch. Er hatte natürlich niemals daran gedacht, Al-Sufi zu überfallen oder sich sonst mit seiner winzigen Kriegsflotte so nahe an die Erstwelt heranzuwagen.
Die Täuschung, die durch Hohnes umgedrehtes Netz gesickert und auch von anderen Agenten im ganzen Imperium weitergeleitet worden war, stellte lediglich einen ersten Schritt dar.
Sten spielte Lügenpoker mit dem Imperator.
Diesmal war wirklich nichts da.
Beim nächsten Mal waren möglicherweise sehr wohl Spuren zu finden, die darauf hindeuteten, daß Sten oder einige seiner Schiffe vor kurzem hier vorbeigekommen waren.
Da der Imperator es sich nicht leisten konnte, Berichte über Stens Aufenthalt zu ignorieren, konnte man dieses Spiel nicht nur endlos weiterspielen und dabei AM2, Imperiale Schiffe und Nachschub sowie den Glauben, den die Imperiale Raumflotte noch an ihren Geheimdienst und an den Arsch des Imperators hatte, zersetzen - es würde sich sogar auszahlen.
Und zwar so heftig, daß es die Imperialen Kräfte bis auf die Knochen erschüttern würde.