Siebentausend ausgebildete Imperiale
Raumsoldaten waren tot.
Auf der anderen Seite:
Ein vernichteter Zerstörer der Rebellen.
Zweihundertunddreiundneunzig tote Honjo-Rebellen.
Ein überwältigender Sieg für das Imperium.
Sten wandte sich mit düsterem Blick von der Gedenktafel für die Toten der Aisling ab. Er war gottfroh, daß Berhal Flue als explodierte Leiche auf einem Kurs ins Nirgendwo war. Denn wenn er überlebt hätte, hätte Sten ihn erschießen lassen.
Er war sogar versucht gewesen, Waldman zu entlassen, und er hätte das auch getan, wenn er nicht damit hätte rechnen müssen, dadurch jede weitere Unterstützung von den Honjo-Welten zu verlieren.
Statt dessen erklärte er die toten Honjo zu Märtyrern der Revolution, kündigte an, daß ein neues Kriegsschiff den Namen Flue tragen würde, und verteilte großzügig Medaillen und Bonusse für die Soldaten beider Schiffe.
Im kleinen Kreis der Offiziere der Aoife, der Victory und der Bennington sowie seiner noch in der Ausbildung befindlichen Bhor-Offiziere forderte er jedoch jeden auf, der sich für einen General Kuribayashi hielt, das auf der Stelle kundzutun und sich damit die Mühe zu ersparen, sich nach einer angemessenen Zahl selbstmörderisch mutiger Einwände eigenhändig den Bauch aufzuschlitzen.
Sten würde diese Pflicht liebend gerne an Ort und Stelle erfüllen.
Seine Ansprache richtete sich dabei vor allem an die Bhor. Sie hatten, wie die meisten
Händlerkulturen, einen besonders ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb. Andererseits war diese Spezies von berserkerhaften Auftritten regelrecht begeistert, und Sten hatte jetzt erst einmal die Nase von Gedenktafeln gestrichen voll.
Dann versuchte er, den Vorfall einstweilen zu vergessen.
Er ging noch einmal seine Strategie durch.
Konnte er momentan noch etwas tun, etwas, das er bei seinen bereits angelaufenen Plänen nicht berücksichtigt hatte? Er glaubte nicht. Die Rekruten aus den Clustern der Cal'gata würden in Kürze heimlich auf den Wolfswelten eintreffen, und Sten war auf das entsprechende Wutgeheul gefaßt, wenn er anfangen würde, Veteranen aus den
Begleitschiffen der Bhor und seinen eigenen Schiffen herauszunehmen und als Ausbilder und Kommandokader einzusetzen.
Er brauchte immer noch jemanden, der Mahoneys Dokumente analysierte. Natürlich hatte er zuerst an Alex gedacht, aber er brauchte den Schotten als Chef seiner Geheimdienstabteilung.
>Wenn man eine Revolution anzettelt<, dachte er, >ist der schlimmste Moment eigentlich der, in dem einem zum ersten Mal auffällt, wie schwach man letztendlich mit wirklich befähigtem Personal bestückt ist.<
Das wenige, was ihm wichtig erschien und das er von der Logistik her auch ausführen konnte, war in die Wege geleitet. Plötzlich entstand ein Bild vor seinem inneren Auge: eine gewaltige, massive Kugel kollabierten Materials aus dem Herzen eines Pulsars.
Die massige Kugel hing an einer Stahltrosse. Und Sten war ein Zwerg, der mit einer Feder auf diese Kugel einschlug.
>Sehr schön<, dachte er. >Fällt dir noch mehr ein, was deine Laune ein wenig aufbessert?< Doch, da gab es noch etwas. Kilgour und Cind aufsuchen und sich an dem einen oder anderen Stregg gütlich tun. Ah ja, noch etwas. Kilgour nach einer Weile aus dem Zimmer jagen und sich einen Monat oder so an Cinds Zehen oder so gütlich tun.
Schon wesentlich besser gelaunt, suchte er seine Revoluzzerfreunde auf.
Sie waren gerade beim Packen.
Cind klärte ihn auf. Sie könnte für die Bhor sprechen, doch die waren eine Maschine - oder besser ein Moloch -, der zum Großteil aus eigenem Antrieb lief. Ihre andere vorgebliche Pflicht, nämlich Sten als Leibwächterin zu dienen, wurde bereits mehr als perfekt von den Gurkhas erledigt.
Außerdem hatte sie plötzlich gespürt, wie sich ihr Horizont weitete - sogar noch bevor Otho sich seinen kleinen Scherz erlaubt hatte -, und sie fing an, die Begrenzungen ihrer Rolle als Rüpel oder als Anführer in einer Gruppe von Rüpeln zu sehen.
Sie habe angefangen, sich für die AM2
Problematik zu interessieren und einen womöglich einzigartigen Weg neuer Nachforschungen entdeckt, fuhr Cind fort. Das Privatkabinett hatte intensiv nach dem Material gesucht und nichts gefunden. Sie verfolgte jetzt jede Spur, die damals aufgenommen worden war, so gut es aus der Entfernung, ohne auch nur in die Nähe der Erstwelt zu gelangen, eben ging.
"Als mir das Mädel von der Idee erzählt hat", unterbrach sie Alex, "hab ich zuerst die Stirn gerunzelt und mich gefragt, ob das ein Witz sein soll, wo doch jeder weiß, daß das Privatkabinett nur in Sackgassen herumgestochert hat.
Natürlich hat mir Cind daraufhin erklärt, daß es keinen besseren Weg gibt, Fehler zu vermeiden, als zu wissen, warum und woran deine Vorgänger gescheitert sind; dann mußt du deine Zeit nämlich nicht damit verplempern, in die gleichen Fallen zu tappen."
Cind erzählte weiter.
Die ursprünglichen Nachforschungen hatten nicht viel ergeben, so daß sie sich bereits gefragt hatte, ob die Zeit nicht doch vergeudet sei. Doch dann fiel ihr in einem später für alle zugänglichen Überblick über die letzten Monate des Privatkabinetts die Information auf, daß sie damals unter dem Titel AM2-Sekretär eigens einen Energiezaren namens Sr.
Lagguth angeheuert hatten. Lagguth war nicht allzulange nach einer der ersten Vollversammlungen des Kabinetts verschwunden, und die Gerüchte besagten, daß dieses Treffen eigens als Notsitzung hinsichtlich der AM2-Krise einberufen worden war.
"Tja", meinte Sten, "da ist er höchstwahrscheinlich aufgestanden, hat ihnen erzählt: >Ich habe keinen Schimmers und dann haben sie ihn hopsgenommen."
"Kann schon sein", sagte Cind. "Aber zuerst wurde er von Kyes unter die Fittiche genommen."
Kyes. Der nonhumanoide Spezialist für
künstliche Intelligenz, der ebenfalls verschwunden war, nachdem das Kabinett Poyndex von seinem Posten als Chef des Mercury-Corps direkt auf einen Stuhl im Kabinett selbst befördert hatte. Auch für dieses Verschwinden gab es keinerlei Erklärungen.
Sten hatte jedoch, als Teil seiner allgemeinen Nachforschungen über das Kabinett, auch diesem Fall 'hinterhergespürt. Er hatte erfahren, daß Kyes'
Spezies eine symbiotische Lebensform war, die ihre eigentliche Intelligenz einem Parasiten verdankte.
Nach einer gewissen Zeit war die Lebensspanne dieses Parasiten jedoch abgelaufen, woraufhin sich jeder Grb'chev in einen sabbernden Idioten verwandelte. Wahrscheinlich hatte man Kyes, der die bekannte Zeitspanne schon weit überschritten hatte, eines Morgens gefunden, wie er am Fenster stand, den Sonnenaufgang beobachtete und sagte:
"Es leuchtet", und ihn daraufhin ohne viel Aufhebens in das "Grb'chev-Heim für zeitweise Verwirrte" gesteckt.
"Schon möglich", lenkte Cind ein. "Der Kult des Ewigen Imperators glaubt jedoch daran, daß er direkt in den Dialog mit den Heiligen Sphären überführt wurde, was auch immer das zu bedeuten hat.
Trotzdem müssen wir uns das noch einmal vor Augen führen. Kyes, ein Computergenie, und sein Kumpan, ebenfalls ein Spezialist auf diesem Gebiet, beide am AM2 interessiert. Ach ja, noch etwas. Kurz nachdem Kyes Lagguths Beichtvater wurde, verschwanden sämtliche Daten, die das Kabinett über AM2 gesammelt hatte. Einfach weg."
"Aha", meinte Sten, bei dem einige Alarmglocken klingelten. "Ich halte den Bericht, auf den du gestoßen bist, für eine Fälschung. Der Imperator hat diese Dateien frisieren lassen; und zwar nach seiner Rückkehr. Anschließend hat er das Fiche ausgegeben, das du als Desinformation benutzt."
"Schon möglich", sagte sie. "Ich mache mich jedenfalls auf die Reise zu Lagguths Heimatplaneten und stelle dort ein paar dumme Fragen. Es sei denn, du hast eine bessere Idee."
Sten hatte eine bessere Idee, doch sie diente lediglich seiner persönlichen Befindlichkeit und brachte sie alle sachlich keinen Deut weiter.
"Und du begleitest sie?" wollte er von Alex wissen.
"Hier muß ich dir ein dickes fettes >Nein< entgegenschleudern, so wie eine fohlende Stute. Ich habe eine Verabredung mit einer Gurgel. Oder mit etwas, von dem ich hoffe, daß es die Luftröhre des Imperators ist.
Die Ideen von deinem Mädel sind nicht mal so dumm, Sten. Ich bin nach der gleichen Taktik vorgegangen. Nur daß ich mich nach dem Imp umgesehen habe. Falls du dich noch daran erinnerst: als wir im Altai-Cluster bis zur Halskrause in Terroristen steckten, hast du nach dem Imp geschrien und keine Antwort gekriegt. Du weißt schon - nachdem Iskra die Studenten massakriert hatte?"
Sten erinnerte sich. Nur zu gut. Er hatte einen Anruf nach dem anderen per Direktverbindung von der Botschaft zum Imperialen Palast auf der Erstwelt losgelassen. Man hatte ihn damit abgespeist, daß der Imperator indisponiert sei.
"Ich dachte immer, er wollte mir damals nur aus dem Weg gehen", sagte Sten. "Ich habe nie herausgefunden, weshalb; andererseits habe ich mir seither auch keine Gedanken mehr darüber gemacht."
"Genau. Vielleicht wollte der Imp wirklich nicht mit dir reden, alter Knabe. Ich habe mir die Mühe gemacht und alles nachgeprüft. Es gibt immer noch sichere Verbindungen zur Erstwelt, wenn man ein paar alte Kumpels von Mantis am richtigen Ort sitzen hat. Und noch ein paar andere Kollegen, die jetzt bei privaten Sicherheitsdiensten arbeiten.
Ich bin da auf eine interessante Sache gestoßen.
Zur betreffenden Zeit - obwohl niemand einen Kalender darüber geführt hat - ist der Imp damals zur Erde gereist. Ohne irgendwem Bescheid zu sagen, ohne Fanfaren und Glockenklang."
"Weshalb denn?"
"Darüber konnte ich noch nicht mal eine Theorie ausfindig machen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß er ausgerechnet zu einer Zeit, wenn die Kacke so richtig am Dampfen ist, einen kleinen Angelurlaub eingeschoben haben soll. Für solche Aktionen war damals wie heute einfach nicht die richtige Zeit.
Und noch eine andere kleine Merkwürdigkeit, die mir meine Quellen innerhalb des Imperialen Militärs geflüstert haben. Zur gleichen Zeit, als der Imp angeblich zum Angeln war, wurden einige Knaben aus dem Dienst versetzt, zu besonderen Aufgaben, direkt zur Imperialen Emourage auf der Erde. Jungs von den Feuerwerkern."
Die Feuerwerker: Bombenentschärfer und
Gegenspionage-Experten. Warum bestellte sie der Imperator auf die Erde? Sten überlegte einen Augenblick und nickte dann. Es war an der Zeit, jemanden auf die Erde zu schleusen, der herausfand, was in drei Teufels Namen sich da eigentlich abgespielt hatte.
"Bin schon weg", sagte Alex, dem das Nicken nicht entgangen war. "Obwohl ich mich nicht gerade darauf freue. Dort oben geistern noch ein paar miese Erinnerungen im Nebel herum."
Allerdings. Sten hatte damals ein
Überfallkommando zum Angriff auf die palastartige Ferienresidenz geführt, die ein Stück flußaufwärts vom alten Angelplatz des Ewigen Imperators am Umpqua River lag. Dort war das Privatkabinett zu einer Konferenz zusammengekommen.
Sten hatte als einziger von zehn Teammitgliedern überlebt. Dabei waren sie alle langjährige Mantis-Agenten gewesen, Kollegen und Freunde von Sten und Alex.
Ein weiterer Ort voller blutgetränkter
Erinnerungen. Wie Vulcan.
"Suchst du nach etwas Bestimmtem?"
"Ich habe keinerlei Anhaltspunkte. Ich werde einfach ein bißchen herumwandern, die Nase in die Euft strecken und den Arsch schön am Boden lassen.
Ich habe Sr. Wild gefragt, ob er mir einen Piloten und ein kleines Schiff borgt.
Er hat mir einen kleinen Flitzer und einen seiner angeblich ausgebufftesten Piloten zur Verfügung gestellt. Ein Menschenmädel namens Hotsco. Wild meinte, sie hat sich freiwillig für den Job gemeldet.
Also wahrscheinlich eine Hirngeschädigte.
Hab sogar schon mit ihr geredet. Sehr hübsch, wenn man auf die schlanke Sorte abfährt, die mit dem schmalen Becken und den kleinen Möpsen und
'ner Hüfte, die man mit einer Hand umfassen kann.
Ich hab ja seit jeher Angst, daß ich so eine mal im Sturm meiner romantischen Leidenschaft in der Mitte entzweibreche. Aber da sie einem nicht gerade Augenschmerzen verursacht, hab ich mich für die gute alte Liebespaartarnung entschieden.
Vorausgesetzt, jemand glaubt ernsthaft, daß diese Hotsco mit ihren Haaren bis zum Hintern und den blitzenden Augen sich für einen Klotz wie mich interessieren könnte."
Der Bhor-Geheimdienst würde Alex' Arbeit übernehmen, solange er weg war. Außerdem hatte er Marl - seine Agentin zur Ausbildung - sowie den Geheimdienstspezialisten der Bhorpolizei, Wachtmeister Paen, als verantwortliche Offiziere für sein persönliches Projekt eingesetzt: das Gegenspionageprogramm, das er über den
erfolgreich umgedrehten Hohne laufen hatte. Der Imperiale Spion hatte eine Erleuchtung gehabt, genau wie Alex es Marl vorausgesagt hatte, nachdem er einige Zyklen im finstersten Verlies eines der pittoresken Gefängnisse der Bhor zugebracht hatte.
"Prima. Dann läuft also alles Tickety-Tickety, wie ein Nähmaschinchen. Was mir zu denken gibt, denn schließlich haben wir es hier nicht mit einer Nähmaschine zu tun.
Und jetzt? Bin ich etwa schon weg? Hat keiner von euch das Verlangen, mir einen Abschiedskuß zu geben? Ich habe mir extra vor zwei Epochen die Hauer geputzt."
Sten spendierte ihm statt dessen einen
Abschiedstrunk. Oder zwei. Auch Cind fand die Zeit, sich ihnen anzuschließen.
Beim Stregg beklagte er sich laut darüber, daß er jetzt die Probleme kennengelernt habe, die der Job als Galionsfigur so mit sich brächte. Nie hatte man mehr so richtig Spaß.
Cind tätschelte seine Wange.
"Es ist halt so wie in dem alten Lied", sagte sie:
">Du stehst ganz einfach lässig rum. Und wenn was zappelt, legst du's um.<"
>Einfach rumstehen<, dachte Sten.
Von wegen.
Auch Ida vernachlässigte Regel 3 der
Führungsvorschriften für die Obere Führungsebene, Unterparagraph D, schmählich: immer möglichst viele kleine Soldaten zwischen sich und das Bumm-Bumm da vorne schieben. Sten hatte beschlossen, die Roma so lange wie möglich im Hintergrund zu belassen, sie als weit im Raum stehende Aufklärer sowie für nicht ganz hasenreine Transporte kleiner Überfallkommandos einzusetzen. Irgendwann würden sie auffliegen, doch Sten wollte den größtmöglichen Nutzen aus diesen Händlern ziehen, bevor man sie als Feinde des Imperators identifizierte.
Das bedeutete aber auch, daß Ida selbst nicht einmal daran denken durfte, aktiv in die Geschehnisse einzugreifen.
Ida hatte sich einen großartigen Plan ausgedacht; einen, dem Sten sofort aus vollem Herzen zustimmen mußte. Sie hatte ihn nicht mit Details gelangweilt, etwa damit, um wen es sich bei dem Agenten vor Ort handelte, der diese "Bombe" legen würde.
Natürlich hatte Ida vor, den widerwärtigen Apparillo eigenhändig zu installieren. Romantiker oder Leute, die Frau Kalderash nicht näher kannten, hätten das vielleicht für ein lobenswertes Beispiel dafür gehalten, wie man seine Leute an vorderster Front führt, oder womöglich hätten sie sich wehmütig an die gute alte Zeit von Mantis erinnert.
Aber natürlich hatte Ida in Wirklichkeit herausgefunden, daß der Agent vor Ort gute Aussichten auf einen ordentlichen Batzen Profit hatte, eine Gelegenheit, die auch Jon Wild sofort witterte.
Und so kam es, daß eine krass übergewichtige und herrschsüchtige Frau in Begleitung ihres unscheinbaren Ehemannes auf der Handelswelt Giro ankam. Es sah ganz so aus, als hätte er das Geld, sie hingegen den Mumm. Doch da sie mit mehreren Millionen harter Credits auftauchten, die einen Tag nach ihrer Ankunft von der Erde überwiesen wurden, scherte sich niemand um ihre privaten Arrangements.
Zivilisationen, ob nun menschlich oder
nichtmenschlich, neigen dazu, bestimmte Fiktionen zu akzeptieren. Eine der am weitesten verbreiteten ist diejenige, daß Wertpapiere aller Art - Aktien, Pfandbriefe und dergleichen - in direkter Beziehung zum Gesundheitszustand der Regierung bzw. der Aktiengesellschaft stehen. Über die Jahrhunderte hinweg haben sie alle auf die gleiche Weise funktioniert: La Bourse, Wall Street, Al-Manamah, das Drks'lSystem.
Ida hatte schon vor langer Zeit herausgefunden, wie die beiden besten Regeln im Wertpapierhandel lauteten: l. Gehe der überlieferten Weisheit aus dem Weg. 2. Die Aktien sind nicht die Firma. Ihre nichtaristotelische Herangehensweise an den Markt als wechselwirkendes System hatte ihr mehrere Zillionen Credits eingebracht.
Auf ihren periodisch auftretenden Raubzügen hatte sie neben vielen anderen schrägen Tatsachen gelernt, daß Giro eine der Welten war, die sich auf Wertpapiere und Finanzierungen spezialisiert hatten, und daß sich hier außerdem die Zentralcomputer des gesamten Systems befanden.
Der vorgeschobene Grund dafür, daß Ida - und, ja, auch ihr Mann - ihre Anlagegeschäfte nicht von einem Börsenmakler von ihrem Heimatplaneten aus erledigen ließen, bestand darin, daß sie sich gerne im Zentrum des Geschehens befanden. Auch das interessierte niemanden so richtig.
Sie und Wild hatten ihren großen Auftritt eines schönen Morgens, als die Handelsfirma Chinmil, Bosky, Trout 8t Grossfreund gerade ihre Türen öffnete. Ida hatte sich die Firma sorgfältig ausgesucht, und zwar nicht etwa wegen ihrer beachtlichen Größe und der überall verstreuten Zweigstellen, sondern vielmehr deshalb, weil CBT
8t G für ihre liberale Auslegung der Imperialen Sicherheitsbestimmungen bekannt war. Ida wußte, daß sich die Gauner in Schlips und Kragen am leichtesten blenden ließen. Sie waren nicht nur davon überzeugt, daß sie als allererste mit ihren jeweiligen betrügerischen Maschen daherkamen, sondern obendrein davon, daß alle anderen, angefangen von den Polizisten bis hinunter zu den Kunden, Vollidioten waren.
Ida tat ihre Absicht kund, ihre Beteiligungen über ihr Heimatsystem hinaus auszuweiten und zu streuen, wobei sie nicht versäumte, den gewaltigen Betrag zu erwähnen, den sie als Spielgeld veranschlagt hatten. Mit erstaunlicher
Geschwindigkeit wurden sie vom Empfangschef zum Geschäftsleiter, von dort zum Juniorpartner und dann sofort zu Sr. Bosky durchgereicht.
Ida tat so, als lauschte sie seinen Ratschlägen, begab sich in die Nähe eines Zentralterminals und fing an zu kaufen. Und zu verkaufen.
Dabei redete sie unaufhörlich auf Bosky ein:
"Sr. Bosky, wenn ich also Ihren Rat befolge und langfristig in TransMig mache, das, was ich bei Cibinium habe, behalte, mich um dieses neue Angebot bei Trelawny kümmere ... Jonathan, hör auf mit der Zappelei, wir wissen schon, was wir tun ...
äh, und wenn ich dann aus Soward fünf Prozent Kommunalanleihen herausziehe ... sieh dir diese Quote an ... das hätte ich Ihnen voraussagen können
... ein guter Tip, Sr. Bosky, und wie ich gerade sagte, ich interessiere mich für Trelawny, obwohl mir die Ertragsaussichten hier nicht unbedingt -"
Bosky blieb innerhalb eines E-Tages komplett auf der Strecke.
Ida kicherte in sich hinein. Sie fand, daß jeder, der so durchtrieben wie Chinmil und Konsorten war
- besonders einer der Partner -, in der Lage sein müßte, einen Tag oder etwas länger zu verfolgen, unter welchem von Idas Bechern die Murmel lag.
Doch sie plapperte immer weiter, während ihr Geld hierhin und dahin und überallhin floß.
Bosky war versucht, diese nervige Frau zum Gehen aufzufordern, doch ihm war nicht entgangen, daß Ida innerhalb zweier Börsentage ihre Investition verdoppelt hatte.
Er fing an, ihr zuzuhören. Sehr genau. Und er fing an, sein eigenes Geld und das der Firma auf Idas Spuren zu investieren.
Natürlich war das, was Ida mit ihrem Kapital anstellte, in Wirklichkeit etwas ganz anderes, als Bosky dachte, doch es würde mindestens einen Zyklus dauern, bis sich die Verwirrung lichten und Bosky aufgehen würde, wie viele Megacredits er verloren hatte.
Er bemerkte auch nicht, daß Wild während Idas Geplapper unbehelligt ein Programm in den Zentralcomputer der Firma eingespeist hatte. Stufe eins. Es dauerte eine E-Woche, bis das Programm exakt positioniert war.
In der gleichen Nacht wurde Stufe zwei aktiviert.
Lange nach Mitternacht schlichen Ida und Wild aus ihrer Hotelsuite zu einem völlig sauberen und anonymen A-Grav-Gleiter, den Wild besorgt hatte, und brausten in die dunkle Nacht davon.
Am nächsten Tag erhielt Ida die obligatorische schlimme Nachricht von zu Hause. Ein billiger, dummer Trick, mit dem man sie aus jeder Grundschule für Spione hochkantig hinausgeworfen hätte. Aber trotz der großmäuligen Behauptungen der Geschäftsleute, sie hätten Geschichte, Spionage und Militärstrategie studiert, tun Geschäftsleute in Wirklichkeit nicht viel mehr, als sich einige griffige Kernsätze zu merken, mit denen sie ihre Saufkumpane davon überzeugen, daß sie gefährliche Raubtiere sind.
Ida versprach Bosky, daß sie schon bald zurückkommen würden.
Sie verließen Giro auf einem Linienschiff der Luxusklasse, gingen jedoch gleich beim ersten Zwischenstop wieder von Bord und wechselten in eins von Wilds Schiffen über, das dort für sie bereitstand. Dann verschwanden sie ganz. Sogar das Schiff, das sie für ihre Flucht benutzt hatten, wurde völlig aus den Verzeichnissen gestrichen und erhielt neue Registrierungen, angefangen von den Maschinen über den Navigationscomputer bis zur Außenhülle. Das war nur eine der vielen kulturellen Besonderheiten der Roma.
Noch bevor sie das Linienschiff verlassen hatten, war Stufe drei aktiv geworden, ein völlig automatisches Programm, das schon vor einiger Zeit eine halbe Galaxis entfernt in einer der kleinsten Zweigniederlassungen von CBT & G ins System eingespeist worden war,
Alle Investitionen Idas wurden sofort in harte Währung umgewandelt und die Credits zur Erde geordert. Den Ermittlern gelang es später, das Geld durch drei Waschanlagen zu verfolgen, bis sich die Spur verlor.
Sowohl Ida als auch Wild hatten ihr eigenes Vermögen vervielfacht und waren jetzt reich genug, um Krösus als Botenjungen anzustellen. Sie hatten dermaßen viel verdient, daß Ida sich beinahe schuldig fühlte und aus reinen Gewissensgründen für Sten und Kilgour ein Päckchen schnürte. "Wie verdammt angenehm ist es doch", meinte sie, "wenn man in der Lage ist, Gutes zu tun, indem man Gutes tut, oder wie auch immer diese Grammatik-Typen es ausdrücken."
Stufe zwei ging am nächsten Morgen in aller Frühe los, im gleichen Moment, als der
Wertpapiermarkt seinen nächsten "Handelstag"
eröffnete.
Buchstäblich.
Sechsundzwanzig kleine, aber ungewöhnlich gemeine nukleare Sprengsätze pusteten das automatisierte Computerzentrum von Giro - und damit den zentralen Wertpapiercomputer des Imperiums -
vom Antlitz des Planeten. Die
Sprengladungen waren von Kilgour, dem genialen Bombenbastler, entwickelt worden, noch bevor er sich auf den Weg zu seiner eigenen Mission gemacht hatte.
Verluste alles in allem: ein Hausmeister, der in einer Kantine sturzbetrunken ohnmächtig geworden war, anstatt sie routinemäßig zu verriegeln, sowie eine Handvoll finsterer Sicherheitstypen.
Nanosekunden später schlug das Desaster erste Wellen in den Liviekanälen und den heißen geschäftlichen "Drähten". Panik. Wer ... wieso ...
wie konnte jemand nur ;.. was würde das jetzt ...
Anarchie ... Widerwärtigkeit ... gegen diese und jene Regel verstoßen...
Der Markt fiel im freien Fall Hunderttausende von Punkten. Und erholte sich sofort wieder, nachdem der klare Verstand wieder reagierte.
Der Horror war nicht ganz so entsetzlich.
Natürlich gab es Backup-Computer. Und
selbstverständlich konnte das ein Monster, das überhaupt auf die Idee kam, einen wichtigen Teil der Zivilisation zu vernichten, auf keinen Fall wissen.
Der Hauptbackup-Computer ging online.
Wilds Programm fing an zu laufen.
Ein angestellter Wertpapierhändler bemerkte es zuerst, als er seine Workstation einschaltete. Statt ihm einen Marktüberblick zu liefern, zeigte ihm sein Bildschirm das Porträt des Ewigen Imperators. Mit mürrischem Gesichtsausdruck. In voller Uniform.
Sein Finger zeigte direkt auf den Angestellten. Die synthetisierte Stimme dröhnte: "DEIN IMPERIUM
BRAUCHT DICH!" Dann blieb das Bild stehen und stehen ... und der Angestellte fluchte etwas von verdammten Politikern vor sich hin, von verdammten - dann hielt er erschrocken inne, blickte sich schuldbewußt um, da die Innere Sicherheit in letzter Zeit dazu übergegangen war, die Geschäftswelt zu überprüfen, und bootete erneut.
Durch das Neubooten wurde Idas Virus aktiviert, und ganz plötzlich brauchte das Imperium alles und jeden, und alle und jeder fluchten vor sich hin, ebenso wie sie fluchten, als die allgegenwärtige Warnung vor Piraten auf ihren Schirmen erschien, nachdem sie ebenfalls neu gebootet hatten ...
... und der Virus veränderte sich und verbreitete sich weiter. Verbreitete sich und veränderte sich und verbreitete sich und veränderte sich ...
... und das System des Backup-Computers stürzte ab, und während es abstürzte, übertrug es den Virus auf ein anderes Backup-System.