Kapitel 29
Verschwommen. Sehr verschwommen. Noch
schlimmer ... dann etwas besser, als das Objektiv automatisch scharfstellte.
Eine leicht abschüssige Bergwiese. Eine Reihe von Hügelkuppen ringsumher. Die Kuppen waren mit Höhleneingängen übersät. >Anpassung<, sagte Stens Bewußtsein. >Du befindest dich mitten in einer Stadt.< Die Oberfläche dieser Wiese war künstlich. Ebenso wie die Hügelkuppen. Die gähnenden Höhlen waren Zugänge, die in gewaltige unterirdische Komplexe führten.
Fast am Ende der Wiese erhob sich die Ruine eines ehemals niedrigen Gebäudes mit gewölbten Öffnungen. Es war absichtlich eingedrückt worden, als sich ein riesiges Imperiales Schlachtschiff zur Landung auf ihm niedergelassen hatte.
Vor dem Gebäude stand eine Plattform.
Korrektur. Ein Gerüst.
Daraufstand ein schwarzgekleideter Mann, den Kopf halb von einer Kapuze verdeckt. Er hielt eine Pistole in der Hand.
Vor ihm zwei Imperiale Soldaten in voller Kampfmontur. Zwischen ihnen eingekeilt ein großes Wesen mit goldenem Fell.
Ein rascher Blick in die Runde: auf der "Wiese"
standen dichtgedrängt viele dieser goldenen Kreaturen. Zwischen ihnen und dem Gerüst weitere Imperiale Truppen in der braungefleckten Kampfuniform der Garde. Die Mündungen ihrer Waffen zielten auf die Menge.
Ein pelziger Kopf huschte im Unschärfebereich durch sein Gesichtsfeld.
Eine Bewegung. Jetzt konnte Sten das Gerüst wieder sehen.
Geräusche: Trommelwirbel.
Geräusche: ohrenbetäubendes Pfeifen.
"Der Kerl, der hier den Hauptdarsteller abgibt, ist Dr. Tangeri", erläuterte Alex' Stimme. "Da du weißt, daß die Cal'gata nicht sprechen, sondern pfeifen, kannst du dir ausmalen, daß sie nicht gerade begeistert darüber sind, daß ihr Anführer den Abgang machen will. Wir befinden uns hier an dem Ort, den die Cal'gata ihre >Versammlungsstätte< nennen. So was wie ein Parlament. Jedenfalls war es das bis vor kurzem noch."
Eine Lautsprecherstimme dröhnte los. Ihr Echo wurde von dem Schlachtschiff zurückgeworfen.
"Du kannst die Worte nicht verstehen. Der Kerl mit dem Mikro hat eine völlig veraltete Ausrüstung.
Er erzählt den Cal'gata, daß jetzt die Strafe für Hochverrat vollstreckt wird und daß weitere Bestrafungen folgen werden."
Die Echos verklangen, und Tangeri wurde mit dem Gesicht zur Menge gedreht. Im gleichen Moment kam die Hand des Henkers hoch, und die Pistole feuerte. Die Vorderseite von Tangeris Schädel explodierte, der Körper fiel in sich zusammen.
Die Soldaten schleuderten den Leichnam nach vorne, von dem Gerüst herunter.
"Und jetzt", meldete sich Kilgours Stimme wieder, "wird es interessant."
Pfiffe, lauter und lauter, dann gedämpft durch die Regler des Aufnahmegeräts. Schwarzbild.
"Der Kerl, der den Recorder trägt, geht näher ran."
Unscharfe Bewegungen. Rennen. Er bewegt sich mit der Menge. Gewehrschüsse. Schreie.
Menschliche Schreie. Vorwärtsrennen. Ein kreischender Tangeri mit blutgetränktem Fell schwenkt eine Imperiale Willygun.
Die Perspektive kippt und wechselt mehrmals. Er bewegt sich über etwas hinweg. Etwas Weiches. Ein Körper. Ein zerrissener Imperialer Soldat.
Unbändiges Gebrüll.
Schwarzbild.
"Das Schlachtschiff hat mit einer
Schnellfeuerkanone losgeballert."
Wieder ein Bild. Der Himmel. Ein Fleck ein Objekt ein herabstürzender Habicht... Explosion.
TONAUSFALL ... dissonantes Kreischen ...
Schwarzbild.
"Wie's aussieht", erläuterte Kilgours Stimme, "hat es einer der Cal'gata geschafft, mit einer kleinen Nuckelpinne abzuheben, und die Begleitschiffe des Schlachtschiffs haben es nicht geschafft, ihn aufzuhalten. Und er dachte, ein Schlachtschiff gegen sein Leben, das ist doch ein gutes Geschäft.
Ich finde, der Junge hat recht."
Dann wieder Bewegung. Rufe. Dann Himmel, und Sten stöhnte auf, als ihn der Schmerz erfaßte.
Dann schwarz und aus.
Er konnte sehen. Noch jemand konnte sehen.
Jetzt war er weit von der Versammlungsstätte entfernt. Sie lag tief unter ihm. Das Schlachtschiff war von lodernden Flammen umgeben, der Platz sah verlassen aus. Ein Schwärm Imperialer Zerstörer kreiste im Luftraum über dem Wrack. Plötzlich verwandelte sich ein Zerstörer in einen Feuerball, und wieder schaltete das Aufnahmegerät ab.
Sten streifte den Livie-Helm ab.
"Was geschah mit dem ersten Cal'gata? Mit dem, der die ersten Aufnahmen machte?"
Alex zuckte mit grimmigem Grinsen die
Schultern.
"Keine Ahnung. Wahrscheinlich umgekommen.
Warum hätte sonst ein anderer die Ausrüstung aufgehoben? Aber zu deiner Information: das Schlachtschiff war die Odessa, und die Imperialen büßten zwei Bataillone der 2. Gärdedivision ein. Der Schmuggler von Wilds Truppe, der uns das Band gebracht hat, meinte, daß auch an die 10.000
Cal'gata draufgegangen sind. Ich muß nicht eigens betonen, daß die offiziellen Nachrichten des Imperiums kein Wort über den Vorfall berichtet haben."
"Also das verstehen sie unter Werbekampagne", sagte Cind bitter. "Vermutlich bemühen sich solche Mörder wie die Gardisten sehr darum, eine nette, harmlose Bezeichnung für ihre eigentliche Beschäftigung zu finden."
"Es ist schlimm genug, daß die Garde solche Befehle befolgt", grollte Otho. "Schlimmer ist jedoch, daß der Imperator diese Vorfälle Gerechtigkeit nennt."
Sten erhob sich, ging zu einem Bildschirm hinüber, starrte das Bild an und dachte nach. Die Victory und ihre Eskorte hingen im interstellaren Raum, weit weg von allen von Menschen
besiedelten Planeten.
"Dann bin ich also tot", überlegte er laut, "aber die Rebellion geht weiter."
"Wie ein Sommerfeuer in einer Eisoase, ein Feuer, das zertreten, aber nicht ganz gelöscht wurde und jederzeit wieder aufflammen kann", bestätigte Otho. "An einer Stelle verglimmt es, an der anderen lodert es wieder auf. Hier lassen sie sich auf ein Gefecht ein, dort klatschen sie einen Imperialen Wachtposten mit einem Stein an sein Wachhaus."
"Und, wie du gesehen hast, die Cal'gata geben nicht auf", fügte Alex hinzu. "Genau wie die Zaginows. Womöglich hat der Imp genug
Streitkräfte beisammen, um sie zu vernichten, aber nach meiner Vermutung erst in frühestens drei oder vier E-Tagen.
Einige deiner Verbündeten haben um Frieden gebeten, andere jedoch sind auf die Barrikaden gegangen oder leisten passiven Widerstand, aus Gründen, die nur sie kennen.
Außerdem finden auf der Erstwelt Säuberungen statt, in der Garde, quer durch alle Streitkräfte, sogar innerhalb des Parlaments, in dem sowieso nur Arschkriecher hocken. Der Imp hat ziemliche Probleme am Hals, alter Knabe."
Die hatte der Ewige Imperator allerdings. Er mochte glauben, Sten getötet zu haben, doch der Preis dafür war wesentlich höher ausgefallen, als er erwartet hatte. Die Vernichtung der Manabi, einer Rasse, die überall als Ideal respektiert und bewundert wurde, hatte ein unterschwelliges Unbehagen in sämtlichen raumfahrenden
Zivilisationen ausgelöst.
Natürlich lief die Propagandamaschine des Imperiums auf Hochtouren. In ihrer Version war der Imperator von Sten in eine Falle gelockt worden und hatte dem Inferno nur knapp entkommen können, nachdem er den Anführer der Rebellen im Zweikampf besiegt und getötet hatte.
Merkwürdigerweise brachte das nicht viel.
Sten war tot, der Imperator lebte, mehr kam dabei nicht heraus.
Und es war vielen Wesen klar, daß das Angebot des Imperators hinsichtlich Frieden und Machtteilung nicht mehr bedeutet hatte, als viele ohnehin vermutet hatten; es war nur ein Köder für die Falle gewesen, die der Imperator selbst gestellt hatte.
Die Rebellion flammte auf, erstarb, erhob sich wieder, flackerte weiter, zersplitterte die ohnehin schon überdehnten Kräfte und Möglichkeiten des Imperiums.
Sten hatte keine Zeit darauf verschwendet, die Manabi zu betrauern, und sich auch nicht dafür verflucht, daß er jene letzte Schlacht nicht ausgefochten hatte, trotz aller Konsequenzen. Er konnte nicht. Er war hereingelegt worden. Na und?
Der Krieg hatte soeben erst begonnen.
Ihm war nicht aufgefallen, daß er laut gesprochen hatte, bis er Othos zustimmendes Grollen hörte. Er drehte sich um.
"Allerdings", sage Otho. "Die Zeit ist gekommen, daß du dich wieder zeigst. Du bist nicht gestorben.
Die Zeit ist reif dafür, daß du erneut mit deiner Streitmacht zuschlägst."
Alex und Cind schüttelten den Kopf. Alex wollte etwas sagen, ließ dann aber Cind den Vortritt.
"Wenn wir das tun", gab sie zu bedenken, "und die Schlachtflotten wieder zusammenstellen, die nicht von den Imperialen Streitkräften vernichtet worden oder in unbekannte Ecken des Universums geflohen sind - woher wissen wir dann, daß wir nicht wieder an der gleichen Stelle ankommen, an der wir schon einmal gestanden haben? Auge in Auge mit einem weiteren Pyrrhussieg, bei dem alle drauf gehen und keiner gewinnt?
Auf diese Art haben meine Vorfahren, die Jann, immer gekämpft. Es gibt unzählige Geschichten und Balladen, wie wir bis zum letzten Mann und zur letzten Frau durchgehalten haben.
Sehr eindrucksvoll", sagte sie mit vor Sarkasmus triefender Stimme, "und sehr inspirierend für junge Helden. Aber für mich funktionierte es nicht mehr so recht, später, als ich erwachsen geworden war und herausfand, daß wir nicht nur diese Schlachten verloren hatten, sondern sehr oft den ganzen Krieg.
Oder, wie Alex es ausdrücken würde: macht sich gut, taugt aber nix."
Kilgour nickte.
"Das Mädel hat es besser ausgedrückt, als ich es selbst könnte. Ich sage nur: Culloden, damit unser Otho nach der Sitzung was zum Nachschlagen hat."
Sten nickte Alex und Cind zustimmend zu; er erinnerte sich an seinen ersten Ausbilder, einen Kriegsveteranen namens Lanzotta, der gleich am ersten Ausbildungstag der angetretenen
Rekrutenformation erklärt hatte:
"Der eine oder andere General hat einmal gesagt, die Aufgabe eines Soldaten besteht nicht darin, zu kämpfen, sondern zu sterben. Falls einer von euch Pilzflechten es bis zur Prüfung schafft, wird er den Soldaten auf der gegnerischen Seite dabei helfen, für ihr Vaterland zu sterben. (...) Wir bilden Kampfmaschinen aus, keine Verlierer."
"Rykor", sagte Sten. "Logikcheck."
Die Psychologin winkte mit einer Flosse aus ihrem Tank herüber. Sie betrauerte die Manabi, insbesondere Sr. Ecu, mehr als alle anderen.
>Vielleicht<, dachte sie und versuchte den großen Schmerz zu verdrängen, der ihr immer wieder Tränen die ledrigen Wangen hinunterrinrien ließ, vielleicht haben die anderen als erfahrene Soldaten nur schon viel öfter geliebte Wesen verloren als ich.
All die Jahre, die vielen Jahrzehntes dachte sie weiter. >Immer wieder habe ich die blutige Arbeit für den Imperator erledigt, und nur, weil selten ein Leichnam vor mir lag< - ein kurzer Gedankenblitz erinnerte sie an einen Kleinkriminellen, der sich beim Gehirnscan vor ihren Augen in den Tod wand
, >glaubte ich, ich wüßte, wie man mit dem Verlust umgeht.
Lerne daraus, Rykor. Lerne, daß alles, was du predigst, logisch und praktisch sein kann. Aber der nächste Patient, der nicht in der Lage zu sein scheint, die Wahrheit deiner tröstlichen Worte oder deiner Logik zu akzeptieren -
halte ihn nicht für
schwerfällig oder widerspenstige
"Fahr fort, Sten", sagte sie und zwang sich zur Aufmerksamkeit.
"Wenn ich plötzlich von den Toten
wiederauferstehe, werde ich vermutlich eine beachtliche Anzahl von Verbündeten gewinnen, alte und neue. Ignoriere das. Wenn ich aber weiterhin als tot gelte ... wird dann die Verfolgung und Bestrafung meiner ehemaligen Freunde schlimmer ausfallen?
Werden mehr Leben ausgelöscht, als wenn ich den Stein von meinem Grab rolle?"
Rykor dachte intensiv nach.
"Nein", sagte sie schließlich. "Deine Logik ist akzeptabel. Verfolgung ... irrationale Rache, wie sie der Imperator momentan übt ... ist schrecklich. Aber ein offener Krieg fordert weitaus mehr Verluste, inklusive der Unschuldigen."
"Das dachte ich auch", sagte Sten.
"Also gut, Soldaten, hier ist mein Plan", verkündete er dann. "Wir haben den offenen, geradlinigen Angriff ausprobiert, und er hat nicht so richtig funktioniert. Vielleicht war es mein Fehler, denn ich habe noch nie zu den Kriegern gehört, die sich in der prallen Mittagssonne am wohlsten fühlen.
Reflexionen an der Rüstung sind mir ein Greuel, wenn nicht mehr."
Sten war überrascht, daß er schon wieder so etwas wie einen Scherz zuwege brachte. Na schön, es sah also ganz so aus, als würde er die herbe Lektion des Krieges erneut lernen: wer seine Gefallenen zu lange betrauert, wird ihnen bald folgen.
"Diesmal gehen wir die Sache richtig an. Im Dunkeln, im Nebel, von hinten und mit einem Dolch im Ärmel. Und ich denke, daß ein Teil des Plans darin besteht, daß ich weiterhin als tot gelte.
Keine Feldschlachten mehr, Leute, nur noch im äußersten Notfall. Jetzt geht es dem Imperator selbst an den Kragen. Und dieses Mal schnappen wir ihn uns, oder wir töten ihn. So oder so."
Er blickte sich um. Rykor schwieg. Otho legte die Stirn in Falten und grunzte dann seine Zustimmung.
Cind und Alex nickten, ebenso Captain Freston.
"Bin froh, das zu hören, mein Freund. Lang lebe Mantis und so weiter", sagte Alex. "Das paßt ganz gut zu meinen Plänen. Ich hätte gerne die Erlaubnis zu einem kleinen Alleingang. Ich will Poyndex."
Alex erklärte, daß er die neuen Säuberungen analysiert habe. Einige der Opfer waren offene oder auch geheime Verbündete Stens. Andere hatten offensichtlich den Ewigen Imperator beleidigt. Doch andere Hinrichtungen oder Gefängnisstrafen ließen sich nicht so eindeutig erklären.
"Ich hab versucht, die grundsätzliche Unfähigkeit eines jeden Tyrannen mit ins Spiel zu bringen", fuhr Alex fort. "Aber der Computer hat sich an meinen Gedankengängen verschluckt und meinte nur, ich soll's noch mal probieren."
Was er auch getan hatte. Dabei war er auf Poyndex gekommen. Und hatte zähneknirschend anerkennen müssen, daß der Mann wirklich schlau war. Zuerst hatte er gedacht, daß Poyndex der Säuberungsliste die Namen seiner eigenen Feinde hinzufügte; das tat jeder
Geheimdienstchefnormalerweise, wenn sein Herrscher ein paar Köpfe rollen sehen wollte. Aber Poyndex war weitaus gerissener. Er hatte keine Probleme, seine Feinde dann zu beseitigen, wenn er es für richtig hielt, denn der Imperator hatte ihm sehr viel Autorität übertragen -
nicht zuletzt die
Erlaubnis, seine eigenen Widersacher zu töten, ohne sich deswegen das Mäntelchen des Imperators umhängen zu müssen.
Die Erklärung war schließlich ganz einfach. Alex glaubte, daß Poyndex versuchte, sich selbst - und nur sich - für den Imperator unverzichtbar zu machen.
"Ohne dabei den Imperator merken zu lassen", fügte Alex hinzu, "daß Poyndex selbst große Ambitionen auf den Thron hat, aber das kommt noch, das kommt bestimmt."
Alex erfuhr, daß die Gurkhas entlassen worden waren. Zuerst hielt er es für eine Laune des Imperators, weil ein Zug oder so sich freiwillig gemeldet hatte, unter Sten zu dienen, bevor er die Rebellion ausrief. Dann dachte er, man habe sie entfernt, um Poyndex eigener Schöpfung, der Inneren Sicherheit, das Terrain zu überlassen. Das war jedoch nur ein Teil der Begründung, der allerdings im gleichen Maß auch auf den Austausch des Mercury Corps und der Sektion Mantis gegen die IS zutraf.
Poyndex führte aber noch weitaus mehr im Schilde, davon war Alex überzeugt. Poyndex beabsichtigte, die einzige Verbindung des Imperators zur Außenwelt zu sein - zu seinen Offizieren, seiner Armee, seinem Parlament, seinem Volk.
"Natürlich ist der Mann kirre", sagte Alex.
"Bevor er die einzige Verbindung zwischen dem Imperator und seinem Thron wird, macht der Imp ihn einen Kopf kürzer. Man denke nur an einige Jungs aus der Vergangenheit: Bismarck. Yezov.
Himmler. Kissinger. Jhones.
Die einzige graue Eminenz, die nicht stolperte, war Richelieu. Poyndex ist zwar recht fähig, aber er ist kein Richelieu."
Aber all das lag in der Zukunft. Gegenwärtig gelang es ihm sehr gut, den Ewigen Imperator zu isolieren. Wenn man jetzt noch bedachte, daß Poyndex ohnehin ein Wendehals war, der zunächst während des Interregnums dem Mercury Corps vorgestanden hatte, dann von den Verschwörern ins Privatkabinett geholt worden war und schließlich seine Kabinettskollegen an den Imperator ausgeliefert hatte ...
"Ich habe so einen Plan", erklärte Alex. "Ich will ein bißchen mit beiden Köpfen spielen. Mit dem von Poyndex, und dem von meinem Freund, dem Imp.
Wie in den bekannten Gedichtzeilen: >Sie jagten, bis es dunkel ward/ doch fanden sie weder Feder noch Kopf/ und auch sonst kein Zeichen, daß hier die Stelle war/ wo der Bäcker traf auf den Snark.<"
Sten beobachtete seinen Freund. Er wußte, daß Alex nur dann weiter ins Detail gehen würde, wenn man ihn eigens dazu aufforderte. Sollte Kilgour doch sein eigenes Ding durchziehen.
"Wie willst du an ihn herankommen?" fragte Sten. "Soweit ich weiß, kommt der Schurke so gut wie nie aus Arundel heraus, es sei denn, er geht mit dem Imperator auf Reisen."
Alex grinste.
"Ich habe mich gut mit Marr und Senn angefreundet. Auch wenn sie schon pensioniert sind und nicht mehr so gut mit dem Imp stehen, kennen sie sich doch ziemlich gut in Arundel aus. In dem neuen Arundel. Und das wurde exakt nach den Plänen des alten Arundel gebaut, behaupten sie; die beiden sind nämlich mit dem Architekten sehr gut befreundet. Sie kennen wirklich jeden Winkel auswendig, denn sie waren schon dort, bevor du mit deinen Folien und Lageplänen aufgekreuzt bist."
Sten zog die Stirn kraus. Arundel war die Festung des Imperators auf der Erstwelt, die zur dreifachen Größe aufgeblasene Kopie einer Burg aus der Frühzeit der Erde, komplett mit weitläufigen Befestigungs-und Gartenanlagen ringsherum, sowie mit unterirdischen Kommandobunkern und
Quartieren. Die Festung war gleich zu Beginn des Tahn-Krieges bei einem fehlgeschlagenen Versuch, den Imperator zu töten, zerstört worden. Nach der Rückkehr des Imperators war das Schloß neu aufgebaut worden.
Dann kapierte er. Er erinnerte sich an diese mehrschichtige Lagekarte und an seine eigene Zeit als gewissenhafter Anführer der Imperialen Leibgarde. Und er erinnerte sich an einen gewissen Gefängnisausbruch einige Monate später, ein Ausbruch aus den Verliesen Arundels.
Sten nickte.
"Du machst das schon, Alex", sagte er. "Welche Art von Unterstützung brauchst du?"
"Ich habe alles, was ich brauche. Wild leiht mir ein Schiff. Einen Piloten habe ich auch schon. Auf der Erstwelt wird mich jemand erwarten. Und ab dann lautet das Motto: einer rein, zwei raus."
Alex salutierte sehr präzise, geradeso, als wären er und Sten wieder beim Militär. Sten war etwas verwirrt, stellte sich aber in Habachtstellung vor ihn hin und erwiderte den Gruß. Es war ein sehr spröder, sehr militärischer Abschied.
Dann war Kilgour auch schon weg.
Alex hatte nicht die ganze Wahrheit gesagt. Er war zu dem Schluß gekommen, daß sein Plan hinsichtlich Poyndex am besten als Soloaktion über die Bühne ging. Aber es steckte mehr dahinter.
Sein Nacken kribbelte noch immer.
Er genoß jeden einzelnen Tag, jede Minute, denn er hatte das unbestimmte Gefühl, es könnte sich sehr wohl um seine letzte handeln. Er hatte sein Haus seine gewaltigen Ländereien und seine Schlösser auf Edinburgh - in Ordnung gebracht. Vorausgesetzt, sie waren inzwischen nicht vom Imperator
niedergebrannt worden.
Jetzt war es soweit.
>Wenigstens folge ich der eigenen Vernunft<, dachte er, >und nehme den kleinen Sten nicht mit.< Sofort verscheuchte er diese Stimmung und die Gedanken.
>Hat keinen Sinn, sich wie ein tapferer Nordmann hinzustellen und anzufangen, über das Schicksal zu brüten. Damals auf der Erde, vor vielen Äonen, haben wir uns ihr Gejammer angehört, dann haben wir uns hinter sie geschlichen und ihnen die Kehlen aufgeschlitzt.
Immer mit einem Lächeln auf den Lippen von der Bühne abtreten, alter Knabe.<
Er stand vor der Tür zu seinem eigenen Quartier.
Als er die Hand auf den Öffner legte und die Tür auf glitt, hörte er ein Kichern.
Die erste Frau, die er sah, war Marl.
>Großer Gott<, dachte er. >Ich war felsenfest davon überzeugt, daß mich das Mädel während der Ausbildung so komisch angeschaut hat, und der Herr weiß, daß sie eine tolle Frau ist, mit Kraft in den Knochen und einem Hirn unter der Schädeldecke.
Genau mein Typ, ich hatte auch schon über uns beide nachgedachte
Aber die kleine Hotsco hatte zuerst die Initiative ergriffen, und Alex, nett wie er nun mal war, hatte nicht genau gewußt, was er, wenn überhaupt, zu Marl sagen sollte -vorausgesetzt, er hatte sich hinsichtlich der gegenseitigen Anziehung nicht getäuscht. Und da er nun mal kein Egoist war, hatte er sich aus der Spionageabteilung, die er aufgebaut hatte, soweit wie möglich herausgehalten.
Gleich nachdem sich die Tür hinter ihm
geschlossen hatte, fiel ihm auf, daß Marl heute, im engen Wickelrock und in dieser luftigen Bluse, besonders atemberaubend aussah.
Ebenso wie Hotsco, die eins von Alex' Hemden und einen Hauch Parfüm hinter jedem Ohr trug.
>Oje<, dachte er, >das kann ja heiter werden.<
"Meine Damen", brachte er gerade noch heraus.
Marl und Hotsco sahen einander an und lachten.
Jetzt entdeckte Alex die leere Flasche in dem Eiskübel.
"Kommt mir so vor", sagte Hotsco, "als wüßte unser Held nicht so recht, was er jetzt tun soll."
"Ich glaube", nuschelte Alex, "ich brauche einen kleinen Drink."
Hotsco stand auf und holte ihm einen Drink aus der Bar der kleinen Wohnung. Stregg. Mit Eis.
"Deine Freundin Marl ist vor einigen Stunden hier aufgekreuzt. Sie hat mir ein paar Geschichten über Spione und so weiter erzählt. Wir haben uns ...
ein wenig unterhalten."
Hotscos Zunge kam heraus und ... befeuchtete ihre Lippen.
"Wie sich herausstellte, haben wir einige ...
gemeinsame Interessen", sagte sie. "Abgesehen von dir, meine ich."
"Oje."
Jetzt fing Marl zu lachen an.
"Solange Sten offiziell tot ist", sagte sie, "gibt es in Richtung Gegenspionage nicht mehr viel zu tun.
Die Bhor haben alles gut in der Hand. Und da ich der Sektion vorstehe, habe ich mir selbst ins Gewissen geredet. Ich habe mir gesagt, daß ich zuviel arbeite und dringend eine Pause brauche."
Alex kippte den Stregg, und während seine Speiseröhre allmählich aus dem Hyperraum zurückkehrte, goß er sich gleich noch einen ein.
"Marl kam vorbei", sagte Hotsco, "und ich habe sie hereingebeten. Sie ist eine tolle Frau, weißt du."
"Weiß ich", sagte Alex mit mißtrauischem Unterton.
"Auf ihrem Planeten gibt es ein paar ... gute alte interessante Sitten", schnurrte Hotsco. "Sitten und Gebräuche, die uns beiden durchaus gefallen könnten."
"Oje."
"Du wiederholst dich, Alex."
Marl und Hotsco versuchten beide, mit wenig Erfolg, ernst zu bleiben.
"Ich habe mir überlegt, daß sie vielleicht mit uns zur Erstwelt kommen könnte", sagte Hotsco. "Die Reise dauert ziemlich lange, wie du vielleicht weißt.
Sie fand die Idee wunderbar. Also half ich ihr beim Packen. Sie ist reisefertig. Ist das nicht aufregend?"
Alex erholte sich langsam.
"Ja, klar doch. Wenn du willst, jederzeit, Marl.
Wahrscheinlich hältst du die Reise in die Höhle des Löwen für eine Vergnügungsfahrt, aber von mir aus, bitte sehr."
Marl kam auf ihn zu und küßte ihn beruhigend und dankbar auf die Wange.
"Wann geht's los?"
"Ich dachte, wir zischen gleich ab", meinte Alex.
"Hotscos Schiff ist vollgetankt und startklar."
"Müssen wir denn sofort weg?" erkundigte sich Hotsco. "Ich habe noch mit Marr und Senn gesprochen ... sie liefern uns gleich ein herrliches Abschiedsessen. Reicht die Frühschicht nicht aus?"
"Warum ausgerechnet morgen früh?"
Hotsco ging zu dem gewaltigen runden Bett und ließ sich der Länge nach darauf fallen. Angeblich war es einst für eine der Lieblingsvergnügungen des Imperators gebaut worden. Sie streckte sich und rollte darauf herum wie ein kleines Kätzchen.
"Ich finde, hier ist viel mehr Platz", gurrte sie.
"Viel mehr als auf meinem Schiff. Selbst wenn wir die Kojen in meiner Kabine zusammenrücken.
Stimmt's, Marl?"
"Oje", war alles, was Alex jetzt noch herausbrachte.