59

Margo nahm einen tiefen Zug aus ihrer Atemflasche und reichte das Mundstück an Smithback weiter. Der Sauerstoff sorgte fast augenblicklich für einen klaren Kopf. Margo sah nach vorne, wo Pendergast gerade ziegelförmigen Plastiksprengstoff rund um eine offene Luke plazierte. Jedesmal, wenn er ein weiteres Paket aus seinem Beutel nahm und es auf den Boden in Position brachte, stiegen kleine Wolken von Staub und Pilzsporen auf und versperrten Margo den Blick auf sein Gesicht. D'Agosta, der hinter ihr stand, hatte seine Waffe im Anschlag. Neben ihr lehnte Mephisto an der Tunnelwand, dessen Augen auf den Monitoren ihres Nachtsichtgeräts wie rotglühende Kohlen schimmerten.

Pendergast drückte die Zünder in den Sprengstoff, sah auf seine Patek Philippe-Uhr und stellte die Detonationszeit ein.

Dann nahm er seinen Beutel und bedeutete den anderen mit einer Geste,daß er hier fertig war. Sein Gesicht sah aus wie eine Maske aus grauem Staub, und sein sonst so makelloser schwarzer Anzug war zerrissen und schlammbespritzt Unter anderen Umstä nden hätte sein Anblick lächerlich gewirkt, aber Margo war weiß Gott nicht zum Lachen zumute.

Die Luft in dem Tunnel war so schlecht, daß Margo sich ständig die Hand über Mund und Nase hielt, bis es ihr zuviel wurde und sie sich wieder etwas Sauerstoff gönnte.

»Na, kriegt die Presse vielleicht auch noch einen Zug?« fragte Smithback mit einem schwachen Lächeln.

Margo gab ihm das Mundstück, und nachdem der Journalist tief eingeatmet hatte, nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn hinter Pendergast her durch die Dunkelheit. Von der Decke des Tunnels hingen jetzt große Eisenhaken. Nach einem Marsch von ein paar Minuten blieb Pendergast stehen, sah auf seinen Plan und zog dann ein Bündel Sprengstoff aus Margos Tasche, das er in eine Nische knapp unterhalb der Tunneldecke preßte. »Das wäre erledigt«, erklärte er. »Noch eine Serie von Ladungen, und dann kehren wir um. Wir müssen uns beeilen.«

Er ging weiter den Tunnel entlang, hielt aber nach ein paar Schritten abrupt inne.

»Was ist los?« flüsterte Margo, aber Pendergast brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.

»Haben Sie das gehört?« fragte er leise.

Margo lauschte in die Dunkelheit. Die dicke, feuchte Luft in den Tunnels kam ihr wie Watte vor, die alle Geräusche dämpfte. Dann aber hörte sie doch etwas: ein dumpfes Grollen direkt unter ihren Füßen, das wie weit entfernter Donner klang. »Was war das?« fragte sie.

»Ich bin mir nicht sicher«, murmelte Pendergast.

»Sind das vielleicht die SEALs, die ihre Sprengladungen zünden?«

Pendergast schüttelte den Kopf. »Dafür war die Detonation zu leise. Außerdem wäre es noch zu früh.« Er lauschte noch eine Weile mit gerunzelter Stirn, bevor er langsam weiterging.

Margo folgte ihm dichtauf und führte Smithback den Gang entlang, der einen merkwürdigen Verlauf durch das harte Felsgestein nahm. Dabei fragte sie sich, wer diesen Stollen drei Dutzend Stockwerke unter den Straßen von Manhattan wohl gebaut haben mochte. Sie stellte sich die Park Avenue vor, deren Asphaltbelag nur eine dünne Deckschicht über einem gigantischen Netzwerk aus Schächten, Tunnels, Galerien und Gängen war, die in vielen Ebenen tief in die Erde hinunterreichten, wie ein riesiges Insektennest, in dem ...

Margo schüttelte energisch den Kopf, um nicht an die Bewohner dieses Nestes denken zu müssen, und nahm einen weiteren tiefen Zug aus der Sauerstoffflasche. Als ihre Gedanken wieder klar waren, fiel ihr auf, daß weitere gedämpfte Geräusche von unten heraufdrangen. Diesmal aber waren es keine Explosionen, sondern folgten einem an- und abschwellenden Rhythmus, der Margo an das Hämmern einer Maschine erinnerte.

Pendergast blieb abermals stehen. »Seien Sie alle ganz leise. Wenn jemand etwas sagen muß, dann soll er flüstern, verstanden? Vincent, halten Sie den Blitz bereit.«

Vor ihnen endete der Tunnel an einem großen Eisenschild, aus dessen Oberfläche die Köpfe dicker Nieten ragten. In der Mitte dieser Metallwand befand sich eine kleine Tür, die weit offenstand. Pendergast trat vorsichtig über die Schwelle, den Flammenwerfer im Anschlag. Das Licht der kleinen Zündflamme hinterließ verwischte Leuchtspuren auf den Monitoren von Margos Nachtsichtbrille. Nach ein paar Sekunden winkte Pendergast der Gruppe, daß sie nachkommen solle.

Als Margo den Raum hinter der Metallwand betrat, hörte sie die Geräusche aus dem Untergrund auf einmal viel deutlicher.

Es war ein lautes Trommeln, in das sich leiser, murmelnder Gesang mischte.

An den Wänden des Raumes sah Margo Hebel und Instrumente aus von Grünspan überzogenem Messing, auf den zerbrochenen Skalen lag eine dicke Staubschicht. In einer Ecke standen eine massive Winde sowie ein verrosteter Generator.

 

Pendergast ging rasch in die Mitte des Raumes und kniete neben einer großen Metallplatte nieder. »Das hier ist die Schaltzentrale für die Astortunnels«, erklärte er. »Wenn ich mich nicht irre, dann befinden wir uns hier direkt über dem Kristallpavillon, einem privaten Wartesaal unter dem alten Knickerbocker Hotel. Von hier aus müßte man eigentlich hinunter in den Pavillon schauen können.«

Der FBI-Agent wartete ab, bis die anderen absolut still waren, dann löste er ein paar verrostete Klammern und schob die Metallplatte vorsichtig zur Seite. Ein schwaches flackerndes Licht drang von unten herauf, begleitet von dem ziegenartigen Gestank, an den nicht nur Margo so viele schreckliche Erinnerungen hatte. Das Geräusch von Trommeln und gedämpftem Gesang wurde lauter. Pendergast beugte sich vor und spähte in das Loch, wobei das trübe Licht aus dem Kristallpalast sein Gesicht in einen rötlichen Schimmer tauchte.

Nachdem er eine Weile so verharrt hatte, wandte er sich ab. »Vincent«, flüsterte er. »Sie sollten sich das einmal ansehen.«

D'Agosta trat vor, schob die Nachtsichtbrille auf die Stirn und schaute nach unten. Margo bemerkte, wie sich in seinen Augenbrauen dicke Schweißtropfen formten. Seine Hand glitt unwillkürlich an den Gürtel, wo sein Dienstrevolver steckte.

Dann trat er wortlos zurück.

Als nächster ging Smithback an das Loch und sah hinab. Dabei atmete er pfeifend durch die Nase und bewegte sich nicht von der Stelle.

»Der Schreiberling schnauft ja wie ein brunftiger Hirsch«, hörte Margo Mephisto mit leiser Stimme sagen.

Smithbacks Hände begannen erst kaum merklich, dann immer stärker zu zittern. Als D'Agosta ihn schließlich von dem Loch wegführte, beherrschte ein Ausdruck höchsten Entsetzens sein erstarrtes Gesicht.

Pendergast winkte jetzt Margo heran. »Dr. Green, ich wüßte gerne, was Sie davon halten«, flüsterte er und deutete nach unten.

Margo ging in die Knie, nahm ihre Nachtsichtbrille ab und schaute in den riesigen Raum hinab. Sie befand sich genau über den Trümmern eines zerstörten Lüsters, der in der Mitte eines gewaltigen Gewölbes baumelte. Darunter befand sich ein kreisrunder Saal, an dessen schmutzstarrenden Wänden sie große Mosaiken aus bemalten Kacheln sah. Neben zerbröselnden dorischen Säulen hingen noch die schlammverkrusteten Reste zerrissener Samtvorhänge wie stumme Zeugen längst vergangener Eleganz. Direkt unter den zum Teil abgebrochenen Armen des Lüsters, an denen sich immer noch einige erblindete Kristallplättchen befanden, war die Schädelhütte, von der Pendergast ihr erzählt hatte. Rings um das makabre Gebäude standen mindestens hundert in weite Mäntel mit großen Kapuzen gehüllte Gestalten, die sich zum Schlagen unsichtbarer Trommeln rhythmisch bewegten und einen monotonen, unverständlichen Gesang von sich gaben. Von allen Seiten strömten weitere Wesen der Versammlung zu und fielen, nachdem sie sich hinter ihren Artgenossen eingereiht hatten, ebenfalls in den Gesang ein. Das müssen die Wrinkler sein, dachte Margo mit einer Mischung aus Faszination und Grauen. »Sieht aus, als wäre das eine Art Ritual«, flüsterte sie.

»Genau«, antwortete Pendergast aus der Dunkelheit hinter ihr.

»Ohne Zweifel ist das auch der Grund dafür, daß keiner der Morde in einer Vollmondnacht verübt wurde. Bei dem Ritual – oder was auch immer es sein mag – müssen offenbar alle Kreaturen anwesend sein. Die Frage ist nur, wer jetzt, da Kawakita tot ist, den Ritus zelebriert.«

»Vielleicht hat es unter den Wesen eine Art Putsch gegeben«, sagte Margo. »In primitiven Gesellschaften kommt es nicht selten vor, daß ein Schamane von einem Rivalen getötet wird, der sich dann selbst an die Spitze der Gruppe setzt.« Trotz der Angst und der Abscheu, die sie empfand, folgte Margo fasziniert dem fremdartigen Spektakel unter ihr. »Mein Gott, wenn Dr. Frock das nur sehen könnte.«

»Sie haben recht«, pflichtete Pendergast ihr bei. »Wenn eine dieser Kreaturen nach einem Machtkampf Kawakitas Platz eingenommen hat, dann wäre das vielleicht eine Erklärung dafür, daß die Morde nach seinem Tod an Häufigkeit und Brutalität zugenommen haben.«

»Sehen Sie sich bloß an, wie diese Wesen sich bewegen«, flüsterte Margo. »Als hätten sie alle O-Beine. Das könnte ein Anzeichen für beginnenden Skorbut sein. Wenn sie kein Vitamin D aufnehmen können, wäre das die natürliche Folge.«

Auf einmal begann aus einem Teil des Raumes, den Margo nicht einsehen konnte, ein gutturales Geräusch aufzubranden, das wie eine Welle durch die Reihen der Wrinkler lief. Dann bildete sich eine Gasse zwischen ihnen, und eine Gestalt, die ebenfalls in einen weiten Umhang gehüllt war, wurde auf einer Sänfte aus Knochen und Leder langsam durch die Menge getragen. Gebannt verfolgte Margo, wie die Prozession die im flackernden Licht übernatürlich leuchtende Schädelhütte erreichte. Die Figur verschwand mitsamt der Sänfte im Inneren des Bauwerks, während der Gesang draußen an Lautstärke zunahm.

»Das war der Schamane«, flüsterte Margo atemlos. »Ich bin mir sicher, daß die Zeremonie nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.«

»Sollten wir nicht besser abhauen?« fragte D'Agosta leise.

»Nichts gegen Ihren Forscherdrang, Margo, aber diese Expedition wird nun mal nicht von National Geographic gesponsert. Außerdem sind da draußen dreißig Pfund hochexplosiven Sprengstoffs, die demnächst in die Luft fliegen werden.«

»Er hat recht«, sagte Pendergast, »und die letzte Ladung muß auch noch gelegt werden. »Kommen Sie, Dr. Green, wir müssen weiter.«

»Eine Sekunde noch, bitte«, zischte Margo. Unter ihr kam jetzt Bewegung in die Menge, als etwa ein Dutzend Wrinkler direkt auf die Schädelhütte zusteuerten. Vor dem Eingang knieten sie nieder und ordneten eine Reihe von schwarzen Gegenständen auf dem Boden zu einem Halbkreis an. Dann wurde der Gesang immer lauter, und eine Gestalt mit zwei brennenden Fackeln in den Händen trat aus der Hütte.

Margo strengte ihre Augen an und versuchte herauszufinden, was das für Gegenstände auf dem Boden waren. Aus der Entfernung sahen sie aus wie unregelmäßig geformte Gummibälle; ganz offensichtlich waren sie ein wichtiger Bestandteil der Zeremonie. Margo erinnerte sich daran, daß der Chuzdi-Stamm in Natal runde, weiß und rot bemalte Steine verwendete, um…

Dann zog eine der Gestalten an dem Objekt, das vor ihr lag, die Gummihaut weg und enthüllte etwas, das Margo instinktiv von dem Loch zurückweichen und leise aufstöhnen ließ.

Pendergast trat rasch näher und sah hinunter in den Wartesaal.

»Das waren die SEALs«, sagte er leise. »Die Wrinkler haben sie getötet.«

Auch Mephisto kam nun herbei, um einen Blick nach unten zu werfen. Das rötliche Licht, das aus dem Loch heraufdrang, schimmerte schwach auf seinem langen Bart. »Man soll eben nach einem üppigen Essen nicht ins Wasser gehen«, murmelte er sarkastisch.

»Meinen Sie, die haben ihre Ladungen noch gelegt, bevor man sie ...?« fragte D'Agosta, ohne den Satz zu Ende zu sprechen.

»Das können wir nur hoffen«, erwiderte Pendergastund schob die Eisenplatte über die Öffnung. »Und jetzt lassen Sie uns unsere Arbeit zu Ende bringen und dann verschwinden, solange noch Zeit dazu ist. Ich werde als erster und Vincent als letzter gehen. Und denken Sie daran, daß wir jetzt praktisch direkt im Nest der Kreaturen sind. Praktizieren Sie also äußerste Wachsamkeit«

»Praktizieren Sie äußerste Wachsamkeit«, äffte Mephisto die gespreizte Ausdrucksweise des FBI-Agenten nach.

Pendergast sah den Anführer der Obdachlosen mit mildem Tadel an. »Lassen Sie uns doch ein andermal über lhre schlechte Meinung von mir diskutieren«, sagte er leise. »Jetzt ist wirklich nicht die Zeit dafür.«

Die Gruppe verließ den Kontrollraum durch eine Tür an der gegenüberliegenden Wand und gelangte in einen weiteren aus Ziegeln gemauerten Gang. Nachdem sie diesen etwa hundert Meter entlanggegangen waren, blieb Pendergast stehen und deutete in einen Tunnel mit roh behauenen Felswänden, der nach rechts in die Tiefe führte. Aus dem Stollen drang deutlich das Trommeln und Singen aus dem Kristallpavillon herauf.

»Seltsam«, meinte Pendergast. »Dieser Zugang ist auf meinen Plänen nicht verzeichnet. Aber das ist jetzt ohnehin egal, denn unsere Ladungen werden das ganze Tunnelsystem hier zum Einsturz bringen.«

Sie gingen weiter und kamen nach ein paar Minuten zu einer großen, in die Wand des Ganges eingehauenen Werkstattnische, in der verrostete Eisenbahnräder und Ersatzteile für Signale und Weichen gestapelt waren.

Überall lag Werkzeug herum, und auf einem modrigen Holztisch stand noch ein Teller mit den verschimmelten Knochen eines halben Hühnchens. Die Nische machte den Eindruck, als sei sie Hals über Kopf verlassen worden.

»Was mag hier wohl passiert sein?« fragte D'Agosta.

»Das werden wir nie mehr erfahren«, entgegnete Pendergast.

»In einer Stunde existiert das alles nämlich nicht mehr.« Er deutete auf eine dicke Metalltür hinten an der Wand. »Dahinter befindet sich eine Treppe, die hinab zu den Astortunnels führt. Dort werde ich unsere letzte Ladung anbringen.« Er nahm einen Barren Sprengstoff aus seinem Beutel und rollte ihn in der dicken Staubschicht auf dem Boden.

»Wozu soll denn das gut sein?« fragte D'Agosta. »Zur Tarnung?«

»Genau«, antwortete Pendergast, während er den Plastiksprengstoff an den Fuß des Türpfostens drückte.

»Hier besteht durchaus die Gefahr, daß eine von den Kreaturen vorbeikommt und den Sprengstoff entdeckt.

Sind Ihnen die Fußspuren im Tunnel aufgefallen?«

Margo warf einen Blick nach draußen und sah, was Pendergast gemeint hatte. Der schlammige Boden des Ganges war voller Abdrücke von nackten Füßen. »Großer Gott«, hauchte sie und griff nach dem Sauerstoff.

Die Luftfeuchtigkeit betrug hier bestimmt an die hundert Prozent. Nachdem sie einen tiefen Zug genommen hatte, bot sie Smithback das Mundstück an.

»Danke«, sagte der Journalist und atmete langsam ein.

Margo sah, daß seine Augen jetzt nicht mehr so stumpf vor sich hin starrten, aber ansonsten bot der Mann ein Bild des Jammers: Seine Haare hingen ihm in die Stirn, sein Hemd war zerrissen und voller Blutflecke. Der arme Bill sieht aus wie etwas, das man gerade aus einem Abwasserkanal gefischt hat, dachte Margo; und wenn man es genau nimmt, kommt das der Wirklichkeit sogar ziemlich nahe. »Was war eigentlich an der Oberfläche los?« erkundigte sich Margo, um ihn auf andere Gedanken zu bringen.

»Die Hölle«, antwortete Smithback und gab ihr die Atemmaske zurück. »Als die Wisher-Demo in vollem Gange war, tauchten plötzlich Hunderte von Obdachlosen aus dem Untergrund auf. Direkt auf dem Broadway, können Sie sich das vorstellen? Jemand hat gesagt, die Polizei habe die Tunnels voll Tränengas gepumpt, um die Maulwürfe unter dem Central Park zu vertreiben.«

»Die Maulwürfe, Schreiberling«, zischte Mephisto, »die Maulwürfe sind wir. Wir scheuen das Licht des Tages, aber nicht deshalb, weil es hell und warm ist, sondern wegen der Dinge, die es enthüllt: Käuflichkeit und Korruption sowie Ausbeutung von unzähligen kleinen Arbeitsameisen, die tagtäglich in den Tretmühlen des Kapitalismus schuften müssen.«

»Ach, hören Sie doch auf!« sagte D'Agosta. »Ich wäre heilfroh, wenn ich nur schon wieder oben in dieser käuflichen, korrupten Welt der Ausbeuter wäre. Sie können sich dann von mir aus im dunkelsten Scheißloch verkriechen, das es unter dieser Stadt gibt, und ich werde Sie dort auch bestimmt in Ruhe lassen, darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«

Pendergast trat auf sie zu und sagte leise: »Während Ihrer kleinen Plauderei habe ich mir erlaubt, die letzte Ladung scharf zu machen.« Er rieb sich die Hände und versteckte den leeren Sprengstoffbeutel hinter einem Stapel alter Eisenbahnschwellen. »Und jetzt Schluß mit dem Gerede, sonst machen wir die Kreaturen nur noch auf uns aufmerksam. Außerdem geht in dreißig Minuten der Sprengstoff hoch, und dann möchte ich gerne aus dem Untergrund verschwunden sein.« Mit diesen Worten verließ er die Werkstattnische.

Er war erst ein paar Meter im Tunnel vorangekommen, als er plötzlich anhielt. »Sind Sie bereit, Vincent?«

hörte Margo ihn flüstern.

»Allzeit bereit!« gab D'Agosta zurück.

Pendergast überprüfte noch einmal seinen Flammenwerfer.

»Wenn es hart auf hart kommt und ich mit diesem Ding einen Feuerstrahl ausstoße, muß jeder stehenbleiben, bis die Flammen verschwunden sind. Die Flüssigkeit aus diesem Flammenwerfer bleibt erst einige Augenblicke an einer Oberfläche haften, bevor sie sich entzündet. Sobald es losgeht, müssen Sie sofort Ihre Nachtsichtgeräte ausschalten und abnehmen. Und sehen Sie zu, daß Sie keinen Blitz in die Augen bekommen.

Jetzt entsichern Sie Ihre Waffen, aber warten Sie mit dem Schießen, bis ich das Kommando gebe.«

»Was ist denn los?« fragte Margo, während sie den Sicherungshebel an ihrer Pistole umlegte. Aber dann roch sie auch schon den widerwärtigen Gestank der Kreaturen, der ihnen aus dem Tunnel entgegenwehte.

Kurz darauf hörte Margo raschelnde Geräusche vor und hinter sich. Pendergast gab D'Agosta ein Zeichen, der daraufhin das Einstellicht seines Blitzes anschaltete. Mit angsterfülltem Staunen sah Margo, wie Gruppen verhüllter Gestalten mit unheimlicher Geschwindigkeit von beiden Seiten auf sie zukamen.

Pendergast schrie einen Befehl, und D'Agosta löste den Blitz aus. Ein grelles weißes Licht von fast übernatürlicher Helligkeit raste durch den Tunnel und tauchte die düsteren Wände in Farbe. Dann hörte Margo ein seltsames zischendes Brüllen, und aus Pendergasts Flammenwerfer schoß ein breiter, orange und bläulich leuchtender Feuerstrahl. Obwohl sie hinter Pendergasts Rücken stand, spürte Margo eine sengende Hitzewelle auf dem Gesicht. Die Feuerwolke traf mit einem seltsam klatschenden Geräusch auf die angreifenden Kreaturen und hüllte sie in einen Wirbel aus Flammen, Rauch und Funken. Einen Augenblick lang kam es Margo so vor, als trüge die erste Reihe der Angreifer Umhänge aus hellem lebendigem Feuer. Dann waren die Kleidungsstücke auch schon zu Asche verbrannt und fielen in qualmenden Fetzen zu Boden. Wieder ging D'Agostas Blitz los und brannte Margo auf ewig ein gräßliches Bild von buckligen, mißgestalteten Körpern ins Gedächtnis, die wild um sich schlagend und am ganzen Körper brennend zusammenbrachen.

»Zurück in die Werkstatt!«schrie Pendergast.

Während die Gruppe in die Nische zurückhastete, schickte Pendergast den nachdrängenden Angreifern einen weiteren Feuerstrahl entgegen. In seinem orangefarbenen Licht sah Margo, wie immer mehr Kreaturen herbeiströmten. Instinktiv hob sie ihre Pistole und gab mehrere Schüsse ab. Zwei Wrinkler sanken getroffen zu Boden und wurden von den Nachdrängenden niedergetrampelt. Margo bemerkte, daß sie in der Aufregung Smithbacks Hand losgelassen hatte. Als sie sich nach dem Journalisten umsehen wollte, hörte sie direkt neben sich einen ohrenbetäubenden Lärm. Mephisto hatte beide Läufe seiner Schrotflinte gleichzeitig abgefeuert und lud die Waffe mit einer raschen Handbewegung wieder durch. Margo hörte das Gebrüll der getroffenen Kreaturen und einen lauten Schrei, von dem sie mit Erstaunen feststellte, daß er aus ihrem eigenen Mund kam.

D'Agosta holte aus und warf eine Handgranate mitten unter die Angreifer. Eine gewaltige Explosion erschütterte den Tunnel.

»Schnell!« rief Pendergast. »Zur Treppe!«

»Sind Sie wahnsinnig?« brüllte D'Agosta. »Da sitzen wir doch in der Falle.«

»Das tun wir jetzt schon«, antwortete der FBI-Agent. »Es sind einfach zu viele, und hier in der Werkstatt können wir nicht kämpfen, sonst jagen wir noch unseren eigenen Sprengstoff in die Luft. In den Astortunnels haben wir zumindest eine Chance!«

D'Agosta riß die Metalltür auf, und die Gruppe hastete die Treppe hinunter. Pendergast, der als letzter ging, jagte kurz vor der Tür den verfolgenden Kreaturen noch einmal eine mächtige Feuerwolke entgegen. Das Treppenhaus füllte sich mit beißendem Rauch, der Margo in den Augen brannte. Als sie sich umdrehte, sah sie, wie einer der Wrinkler mit einem hoch erhobenen Steinmesser auf Pendergast zustürzte, sein faltiges Gesicht zu einer wütenden Fratze verzerrt. Fast automatisch nahm Margo ihre Schießhaltung ein, hob die Pistole und zielte.

Als sie die monströse Gestalt im Visier hatte, drückte sie so lange ab, bis sie den Rest ihres Magazins verschossen hatte. Mit einem inneren Abstand, der sie selbst verblüffte, beobachtete sie, wie die Hohlmantelgeschosse riesige Löcher in die lederartige Haut der Kreatur rissen. Als die Gestalt zusammenbrach, tauchte sofort eine andere an ihrer Stelle auf und kam Margo bedrohlich nahe, bevor ein Flammenstoß von Pendergast sie in einen wild um sich schlagenden Feuerball verwandelte.

Am unteren Ende der Treppe gelangten sie alle schließlich in einen kleinen Raum mit hoher Decke und gekachelten Wänden und Boden, in den durch einen gotischen Torbogen das rötliche Licht aus dem großen Wartesaal hereinflackerte. Margo lud so hastig ihre Waffe nach, daß ihr die Hälfte der Patronen auf den Boden fiel. Rauchschwaden schwebten durch den Raum, der zu Margos großer Erleichterung leer war. Er schien früher einmal eine Art Nebenwarteraum gewesen zu sein, in dem sich die Fahrgäste die Zeit vertrieben hatten.

Auf mehreren niedrigen Tischen standen Schach- und Backgammonspiele herum, deren Figuren von Staub und Schimmel überzogen waren.

»Interessante Konstellation«, murmelte Mephisto beim Anblick eines der Spielbretter. »Schwarz war mit einem Bauern im Vorteil.«

Margo hörte ein Geräusch von der Treppe und sah, wie eine neue Gruppe von Wrinklern aus der Dunkelheit auf sie zukam.

Pendergast wirbelte herum und schoß eine lange Flamme in ihre Richtung. Auch Margo drückte wieder ab.

Das Knallen ihrer Pistole ging im allgemeinen Lärm der feuernden Waffen fast vollständig unter.

Nun waren auch durch den Torbogen rennende Kreaturen zu erkennen, die vom Pavillon her auf sie zukamen. Mit Entsetzen sah Margo, wie Smithback, der verzweifelt versuchte, seinen Granatwerfer nachzuladen, von einigen der Wesen gepackt und zu Boden gerissen wurde. Pendergast stand mit dem Rücken zu der gekachelten Wand und schickte einen weiten Feuerbogen hinüber zu den anstürmenden Kreaturen. Plötzlich überkam Margo eine seltsame Ruhe. Sorgfältig zielte sie auf die Köpfe der angreifenden Wrinkler und drückte ab. Eine der Kreaturen brach zusammen, danach eine zweite, und dann hatte sie ihr gesamtes Magazin verschossen. Rings um Margo drängten sich jetzt die Leiber von Dutzenden von Wesen, und Arme stark wie Stahlseile legten sich um ihren Hals und rissen ihr die Waffe aus der Hand. Ein modriger Gestank hüllte sie ein und nahm ihr die Luft zum Atmen. Vor Schmerz, Angst und Wut schrie sie auf. Hilflos sah sie ihrem unvermeidlichen Tod entgegen.