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D’Agosta blickte auf das kleine Häufchen verchromter Merallteile auf Margos Arbeitstisch und nahm eines von ihnen zur Hand, nur um es nach kurzer Betrachtung mit einem angewiderten Gesicht wieder hinzulegen.

»Was sind das bloß für verdammte Dinger?« fragte er. »Sind Sie sicher, daß sie nicht doch durch irgendeinen Zufall auf diesen Opferstein gekommen sein können?«

»Ich versichere Ihnen, Vincent, sie waren sorgfältig arrangiert«, antwortete Pendergast. »Fast so, als wären sie eine Art Opfergabe.« In der Stille, die folgte, ging Pendergast ruhelos in dem kleinen Büro auf und ab.

»Da ist übrigens noch etwas, was mir Kopfzerbrechen bereitet«, sagte er. »Mir will einfach nicht in den Sinn, weshalb die Kreaturen, die Kawakita getötet haben, auch gleich die Pflanzen in seinen Aquarien vernichtet haben. Warum sollten sie die Quelle für ihre Droge zerstören? Für Süchtige ist es doch das schlimmste, wenn sie keinen Stoff mehr haben. Und dennoch wurde das Labor mit voller Absicht niedergebrannt, darauf deuten alle Spuren hin.«

»Vielleicht bauen die Kreaturen die Pflanze ja längst woanders an«, meinte D'Agosta und fingerte gedankenverloren an seiner Brusttasche herum.

»Na los, zünden Sie sich schon eine an«, sagte Margo.

D'Agosta sah sie erstaunt an. »Ist das Ihr Ernst?«

Margo nickte lächelnd. »Nur dieses eine Mal. Und nur, wenn Sie mir versprechen, daß Sie Dr. Merriam nichts davon erzählen.«

»Ich werde mich hüten«, entgegnete D'Agosta strahlend. »Das bleibt unser Geheimnis.« Er nahm die Zigarre aus der Brusttasche, wickelte sie aus ihrer Zellophanhülle und machte mit einem Bleistift ein Loch ins Mundende. Dann ging er an das einzige Fenster des Büros und schob es nach oben. Genüßlich zündete er die Zigarre an und blies den Rauch in die Luft über dem Central Park.

Ich wünschte, ich hätte ein Laster, an dem ich so viel Gefallen fände wie er an seiner Raucherei, dachte Margo ein wenig neidisch.

»Ich habe ebenfalls über die Möglichkeit einer neuen Quelle für die Drogen nachgedacht«, erklärte Pendergast, »und habe deshalb in den Astortunnels Ausschau nach einem unterirdischen Garten oder Labor gehalten. Aber mir ist nichts Derartiges untergekommen.«

D'Agosta zog zufrieden an seiner Zigarre. »Sehen Sie sich bloß dieses Chaos da unten an«, sagte er und deutete nach Süden.

»Horlocker kriegt junge Hunde, wenn er das sieht.«

Margo trat ans Fenster und blickte auf den im Licht des Sonnenuntergangs gelbgrün schimmernden Park, unter dessen Bäumen sich schon lange Schatten abzeichneten. Rechts, von Central Park South her, drang das Geräusch unzähliger Autohupen zu ihr herauf, und ein Strom von Menschen ergoß sich langsam wie dickflüssiger Sirup auf die Grand Army Plaza. »Da findet wohl schon wieder eine Demonstration statt«, sagte Margo.

»Und was für eine«, brummte D'Agosta. »Die wollen dem Bürgermeister Saures geben.«

»Ich hoffe bloß, daß Dr. Frocks Wagen nicht igendwo in diesem Verkehrschaos steckengeblieben ist«, murmelte Margo. »Er haßt Menschenmengen.«

Sie blickte von den Demonstranten hinüber auf das stille Oval des Wasserreservoirs. Um Mitternacht würden sich aus diesem künstlichen See fünfhunderttausend Kubikmeter Wasser in den tiefsten Untergrund von Manhattan ergießen und alles Leben dort ertränken. Einen Augenblick lang taten Margo die Wrinkler, die dort unten in der Falle saßen, fast leid. Es war bestimmt kein schöner Tod, in einem finsteren Tunnel jämmerlich ersaufen zu müssen. Aber dann dachte sie an die blutverschmierten Mäusekäfige, an die erschreckende Angriffslust, die selbst der harmlose Einzeller B. meresgerii unter dem Einfluß der seltsamen Droge an den Tag gelegt hatte.

Dieses Teufelszeug verstärkte die natürliche Aggressivität, die von Natur aus in fast jedem Lebewesen schlummerte, um ein vielfaches. Und Kawakita, der diese Verwandlung am eigenen Leib erlitten hatte, war der Meinung gewesen, daß die durch Glaze hervorgerufenen Veränderungen nicht mehr rückgängig zu machen waren ...

»Bin ich froh, daß wir jetzt hier oben und nicht dort unten sind«, murmelte D'Agosta nachdenklich und blies eine bläuliche Rauchwolke aus dem Fenster.

Margo nickte. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Pendergast hinter ihr ruhelos durch das kleine Büro tigerte und Dinge in die Hand nahm, die er gleich darauf wieder weglegte.

Wenn die Sonne das nächstemal über dem Park aufgeht, dann wird eine halbe Million Kubikmeter weniger Wasser im Reservoir sein, dachte Margo mit einem letzten Blick auf die friedlich glänzende Wasseroberfläche, die das Orange, Rot und Grün des Sonnenuntergangs reflektierte. Die Ruhe dieses Bildes stand in einem seltsamen Kontrast zu den Rufen der Demonstranten und dem aggressive n Hupkonzert der im Stau stehenden Autos.

Moment mal! dachte Marge plötzlich stirnrunzelnd. Wieso grün? Ich habe doch noch nie einen grünen Sonnenuntergang gesehen!

Angestrengt blickte sie auf die große, schimmernde Fläche, die rasch immer dunkler wurde, und ein ebenso abwegiger wie entsetzlicher Gedanke schoß ihr durch den Kopf Stehendes Wasser und frische Luft ...

Ja ist das denn möglich? fragte sie sich. Aber das wäre doch bestimmt schon jemandem aufgefallen. Oder vielleicht doch nicht?

Margo drehte sich um und blickte auf Pendergast, der sofort mit seinem ruhelosen Hin- und Herlaufen aufhörte.

»Ist was, Dr. Green?« fragte er und hob eine Augenbraue.

Sie sagte nichts, aber Pendergast trat ans Fenster und folgte ihrem Blick hinab auf das Reservoir. Als er sie nach einer Weile schweigend ansah, erkannte sie, daß ihm derselbe Gedanke wie ihr gekommen war.

»Wir sollten besser mal nachsehen«, sagte er leise.

Ein hoher Maschendrahtzaun trennte das Wasserreservoir von dem an seinem Ufer entlanglaufenden Spazierweg. D'Agosta packte den Zaun und riß ihn mit einem kräftigen Ruck an einer Stelle in die Höhe, so daß Margo und Pendergast darunter hindurchkriechen konnten. Anschließend hob Pendergast den Zaun von der anderen Seite für D'Agosta an. Margo watete inzwischen bereits hinaus ins Wasser zu einer Fläche mit seerosenartigen Pflanzen. Dort angekommen, riß sie die erstbeste davon aus und hielt sie in das rapide abnehmende Licht.

»lilicea mbw unensis«, sagte sie und zeigte den anderen die fleischigen Wurzeln, von denen noch das Wasser tropfte. »Ganz ähnlich wie die Reste, die ich bei Kawakita gefunden habe. Offenbar bat er die Pflanze so verändert, daß sie auch in unserem Klima gedeiht.«

»Da also haben sie die Droge angebaut«, sagte D'Agosta, der noch immer seine Zigarre rauchte.

Pendergast und er wateten hinaus zu Margo und rissen nun selber einige der Pflanzen aus. Ein paar späte Jogger unterbrachen ihre roboterhaften Runden um das Reservoir und betrachteten neugierig die bizarre Gruppe. Schließlich sah man nicht alle Tage eine junge Frau im Laborkittel, einen übergewichtigen Mann, er an einer dicken Zigarre zog und einen großen, ungewöhnlich hellblonden Mann in einem teuren Maßanzug bis an die Hüften in den Trinkwasservorräten von Manhattan stehen.

Pendergast zeigte Margo eine der Pflanzen, an deren Stengel eine aufgeplatzte haselnußbraune Samenkapsel hing. »Die Pflanzen samen aus«, erklärte Pendergast mit ruhiger Stimme.

»Wenn das Reservoir entleert wird, werden diese Samen in den Hudson gespült – und von dort aus hinaus ins Meer.«

Durch die Stille, die seinen Worten folgte, drang aus der Ferne das Hupkonzert der Autos an Margos Ohr.

»Glücklicherweise können diese Pflanzen im Salzwasser nicht gedeihen«, fuhr Pendergast fort. »Oder etwa doch, Dr. Green?«

»Nein, natürlich nicht. Der Salzgehalt ...« Margo konnte nicht weitersprechen, denn ein schrecklicher Gedanke brannte sich seinen Weg durch ihr Bewußtsein. »Großer Gott. Wie dumm von mir.«

Pendergast sah sie fragend an.

»Der Salzgehalt«, sagte sie.

»Ich fürchte, ich verstehe nicht, was Sie meinen«, erwiderte Pendergast.

»Der einzige Einzeller, den die Droge aus dem Pflanzenvirus verändert hat, war B. meresgerii«, fuhr Margo langsam fort. »Bei den Laborbedingungen, unter denen wir B. meresgerii zusammen mit der Droge getestet haben, gab es einen gravierenden Unterschied gegenüber anderen Mikroorganismen: Der Nährboden war auf salzhaltiger Basis, denn B. meresgerii ist ein Organismus, der aus dem Meer kommt, einem salzigen Lebensraum also.«

»Und?« fragte D'Agosta.

»Es sieht so aus, als würden die Viren erst durch eine Salzlösung aktiviert werden. Und so wird es auch mit den Viren dieser Samen sein: Wenn sie das Meer erreichen, dann wird das Salz das Virus im Atlantik freisetzen.«

Margo ließ die Pflanze fallen und machte einen Schritt zurück.

»Wir haben im Labor gesehen, was die Droge mit einem einzigen Mikroorganismus anstellt. Wenn sie in den Ozean gelangt, kann sie dort weiß Gott welchen Schaden anrichten. Das komplette Ökosystem des Meeres könnte aus den Fugen geraten und das Virus in die Nahrungskette gelangen. Was dann geschieht, will ich mir lieber nicht ausdenken.«

»Moment mal., unterbrach sie D'Agosta. »Der Atlantik ist verdammt groß.«

»Es ist nachgewiesen, daß Samen von Süßwasserpflanzen von Meeresströmungen viele tausend Meilenweit transportiert werden«, erklärte Margo. »Wer weiß, in welche Meeresarme oder Lagunen diese Samen gelangen und möglicherweise zu keimen beginnen? Genausowenig kann man vorhersehen, welche Pflanzen oder Tiere sich das Virus als Wirtsorganismus sucht«

Pendergast nahm die Pflanzen, die er ausgerissen hatte, und watete an Land.

»Wir haben drei Stunden Zeit, um das zu verhindern«, sagte er.