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Hayward setzte sich den Schutzhelm auf, klappte das Visier hoch und blickte auf die blauuniformierte Masse ihrer Kollegen, die sich vor dem U-Bahnhof in der 59th Street versammelt hatte. Sie sollte sich bei Abteilung fünf unter dem Befehl eines Lieutenant Miller melden, was sich in dem Chaos auf dem großen Platz als gar nicht so einfach darstellte.
Hayward sah, wie Chief Horlocker zusammen mit Jack Masters, dem taktischen Koordinator des Einsatzes, aus einem Streifenwagen stieg. Masters war ein magerer, säuerlich dreinblickender Mann mit langen Armen, die normalerweise herunterhingen wie die eines Gibbons, jetzt aber aufgeregt durch die Luft wirbelten, als er einer Gruppe von Lieutenants Anweisungen gab, auf Karten deutete und imaginäre Anmarschrouten in die Luft malte. Horlocker stand daneben, hielt einen Zeigestab wie ein Offiziersstöckchen in der Hand und deute
te damit ab und zu auf die Karte, um einen besonders wichtigen Punkt herauszustreichen. Schließlich entließ Horlocker die Lieutenants, und Masters griff zu einem Megaphon. »Achtung, Achtung«, schallte gleich darauf seine rauhe Stimme über den Platz.
»Haben alle Abteilungen sich jetzt gesammelt?«
Das allgemeine Gemurmel, das wohl »nein« heißen sollte, erinnerte Hayward irgendwie an ein Pfadfinderlager.
»Abteilung eins sammelt sich hier vor dem Bahnhof«, bellte Masters und deutete auf den Platz vor der Tür.
»Abteilung zwei auf der Ba hnsteigebene. Abteilung drei...«
Nacheinander wies Masters den einzelnen Abteilungen ihre Position zu. Als Hayward zu der für Abteilung fünf vorgesehenen kam, breitete Lieutenant Miller gerade eine Karte aus, in der das Gebiet, das er zu durchkämmen hatte, blau eingezeichnet war.
Miller trug eine hellgraue Kampfuniform, deren lockerer Sitz seine enorme Leibesfülle nur mangelhaft kaschieren konnte.
»Also hört mal her, Leute«, sagte er gerade, als Hayward zu der Gruppe stieß, »wir haben die Aufgabe, die tieferen U-Bahn und Versorgungstunnels unter dem Columbus Circle von Pennern zu säubern. Ich will keine unnötigen Konfrontationen, daß das klar ist. Und daß mir ja keiner den Helden spielt, okay? Was wir hier tun, ist im Grunde genommen genauso aufregend wie ein Einsatz als Verkehrspolizist. Sollten wir auf massiven Widerstand stoßen, setzt ihr eure Masken auf und schießt Tränengas, mehr nicht. Laßt euch nicht provozieren, sondern zeigt den Pennern, wer das Sagen hat. Aber ich rechne eigentlich nicht mit größeren Schwierigkeiten. Wenn ihr euren Job richtig macht, dann sind wir in einer Stunde wieder draußen.«
Hayward öffnete den Mund, hielt ihren Kommentar dann aber doch zurück. Ihr kam der Einsatz von Tränengas im Untergrund äußerst problematisch vor. Vor Jahren, als die Bahnpolizei noch eigenständig gewesen war, hatte ein dahingehender Vorschlag eines hohen Vorgesetzten fast eine Revolte bei den unteren Rängen ausgelöst. Tränengas war schon an der Oberfläche schlimm genug, unter der Erde jedoch war es geradezu mörderisch.
Miller blickte in die Runde. Um seinen Hals baumelte an einem neonfarbenen Band eine dunkle Sonnenbrille.
»Denkt daran, daß die meisten der Maulwürfe besoffen sind oder unter irgendwelchen Drogen stehen«, verkündete er. »Zeigt Autorität, und sie werden euch folgen. Scheucht sie auf und treibt sie nach oben wie Kühe, wenn ihr versteht, was ich meine. Wenn sie erst einmal in Bewegung sind, könnt ihr sie am Laufen halten.
Treibt sie zu diesem Sammelpunkt hier, wo auch die Gruppen vier und sechs ihre Leute hinbringen. Von dort aus schaffen wir die Maulwürfe dann durch den parkseitigen Ausgang nach oben.«
»Lieutenant Miller?« meldete sich Hayward, die nicht länger schweigen konnte, nun doch zu Wort.
Der Lieutenant sah sie an.
»Ich bin in diesen Tunnels Streife gegangen und kenne die Obdachlosen dort recht gut. Ich glaube nicht, daß sie sich so einfach hinaufführen lassen werden, wie Sie denken.«
Millers Augen weite ten sich erstaunt »Sie wollen da unten Streife gegangen sein?« fragte er ungläubig.
»Ja, Sir«, antwortete Hayward und nahm sich vor, dem nächsten, der ihr diese Frage stellte, einen kräftigen Tritt in die Eier zu verpassen. »Ich war früher bei der Bahnpolizei.«
»Großer Gott«, sagte Miller kopfschüttelnd.
Auch die anderen Polizisten starrten Hayward jetzt an.
»Sind sonst noch irgendwelche Ex-Bahnpolizisten unter euch?« fragte Miller in die Runde. Ein Polizist hob die Hand.
Er war ein dicker Schwarzer mit einer Figur wie ein Kleiderschrank.
»Name?« bellte Miller.
»Carlin«, antwortete der Mann langsam.
»Sonst noch wer?« fragte Miller. Niemand rührte sich.
»Okay.«
»Schade, daß man nicht mehr von uns zu diesem Ausflug eingeladen hat, Sir«, meinte Carlin mit seiner weichen, tiefen Stimme. »Wir kennen diese Tunnels wie unsere Westentasche und wissen, daß es dort unten ziemlich gefährlich werden kann.«
»Was Sie nicht sagen, Carlin«, entgegnete Miller, »aber jetzt hören Sie mir mal gut zu: Sie haben Ihr Gas, Ihren Gummiknüppel und Ihre Waffe, also machen Sie sich mal nicht vor Angst in die Hosen. Und wenn ich das nächstemal Ihre Meinung hören will, dann frage ich Sie danach.« Miller blickte sich um. »Ehrlich gesagt, es sind mir sowieso schon zu viele Leute an dieser Operation beteiligt. Für so etwas braucht man eine kleine, schlagkräftige Elitetruppe, nicht so ein riesiges Aufgebot. Aber bitte, wenn der Chief es so haben will, dann kriegt er es eben auch so.«
Hayward schätzte die Abteilung auf etwa hundert Polizisten.
»Allein unter dem Columbus Circle dürften an die dreihundert Obdachlose hausen«, sagte sie ohne Betonung.
»Ach ja? Und wann haben Sie sie das letztemal gezählt, wenn ich fragen darf?«
Hayward erwiderte nichts.
»Immer diese Besserwisser«, murmelte Miller vor sich hin.
»Also, Leute, aufgepaßtl Das ist eine taktische Operation, bei der wir zusammenbleiben und strikt unsere Befehle befolgen. Ist das klar?«
Die Polizisten nickten. Carlin warf Hayward einen vielsagenden Blick zu und verdrehte die Augen. Es war klar, was er von Miller hielt.
»Okay. Jeder sucht sich einen Partner!« befahl Miller und rollte die Karte zusammen.
Hayward wandte sich an Carlin, der zustimmend nickte. Als sie ihn genauer musterte, sah sie, daß ihr erster Eindruck sie getrogen hatte: Carlin war gar nicht dick, sondern lediglich so kräftig gebaut wie ein Gewichtheber. An seinem Körper schien nicht ein Gramm Fett »Wo waren Sie bei der Bahnpolizei eingesetzt?« wollte er wissen.
»Hauptsächlich unter dem Pennsylvania Bahnhof. Ich heiße übrigens Hayward.« Aus dem Augenwinkel sah Hayward, wie Miller sie höhnisch grinsend beobachtete: Da haben sich ja die zwei Richtigen zusammengefunden, schien seine Miene ausdrücken zu wollen.
»Eigentlich ist das, was wir hier tun, Männerarbeit«, wandte Miller sich an Hayward. »Da kann es manchmal auch ziemlich ungemütlich werden. Wenn Sie also lieber hierbleiben wollen, dann.«
»Ich glaube, daß Sergeant Carlin genügend Mann für uns beide ist«, unterbrach ihn Hayward. »Finden Sie nicht, Lieutenant?«
Dabei blickte sie erst anerkennend auf Carlins durchtrainierte Figur und dann auf Millers Schmerbauch. Ein paar Polizisten in der Nähe brachen in unterdrücktes Gelächter aus, und Miller schnitt eine Grimasse. »Na schön. Sie können ja die Nachhut machen.«
»Polizeibeamte!« ließ sich auf einmal Chief Horlockers megaphonverstärkte Stimme vernehmen. »Wir haben weniger als vier Stunden, um den Untergrund rund um den Central Park von Obdachlosen zu säubern. Denken Sie immer daran, daß Punkt Mitternacht viele Millionen Liter Wasser aus dem Reservoir in das Kanalsystem abgelassen werden und sich niemand mehr in den Tunnels befinden darf. Es ist also von höchster Wichtigkeit, daß bis Mitternacht die Ihnen zugeteilte Zone vollkommen menschenleer ist. Dies ist keine vorübergehende Evakuierung. Wir werden diese Aktion vielmehr dazu benutzen, um die Tunnels unter dem Central Park ein für allemal von Obdachlosen zu säubern. Sie haben nun alle Ihre Instruktionen erhalten und stehen unter der Leitung kompetenter Offiziere. Es gibt somit keinen Grund, weshalb Sie nicht ein oder zwei Stunden vor dem festgesetzten Termin mit Ihrer Arbeit fertig sein sollten. Wir haben dafür gesorgt, daß die von Ihnen nach oben gebrachten Personen ein warmes Essen und eine Unterkunft für die Nacht erhalten. Erklären Sie ihnen das, falls nötig. An den Ausgängen, die auf Ihren Karten verzeichnet sind, werden Busse auf sie warten, die sie dann in die Unterkünfte in Manhattan und anderen Stadtvierteln bringen. Mit Widerstand rechnen wir nicht, falls es aber doch welchen geben sollte, befolgen Sie Ihre diesbezüglichen Befehle.«
Horlocker ließ den Blick über die versammelten Einsatzkräfte schweifen, bevor er das Megaphon wieder an den Mund hob.
»Ihre Kollegen in den nördlichen Abschnitten werden ihre Operation zeitgleich mit Ihnen beginnen, denn nur so wird der größtmögliche Effekt erreicht. Denken Sie immer daran, daß im Untergrund Ihre Funkgeräte nur sehr eingeschränkt funktionieren, die Kommunikation zwischen den einzelnen Gruppen wird daher enorm schwierig sein. Halten Sie sich deshalb genau an den vorgegebenen Zeitplan.«
Dann rief er: »Und jetzt, Leute, tut eure Pflicht!«
Die Abteilung stand stramm, als Horlocker zwischen den Beamten hindurch zum Ausgang lief. Als er an Hayward vorbeikam, blieb er stehen und runzelte die Stirn. »Sie sind wohl Hayward, D'Agostas besonderer Liebling.«
Du kannst mich mal, dachte Hayward. »Ich arbeite mit Lieutenant D'Agosta zusammen, Sir«, sagte sie laut.
Horlocker nickte. »Na denn, tun Sie Ihre Arbeit.«
»Sir, ich glaube, Sie sollten ..«, fing Hayward an, aber in diesem Augenblick kam ein aufgeregter Adjutant und erzählte etwas von einer Demonstration im Central Park, die viel größer sei als angenommen. Der Chief wandte sich brüsk ab und verschwand, gefolgt von seinem Stab, in Richtung auf den Streifenwagen, mit dem er auch gekommen war. Miller warf Ha yward einen mißbilligenden Blick zu.
»Eine Abteilung nach der anderen: Marsch!« befahl Masters, der das Megaphon von Horlocker übernommen hatte.
Miller wandte sich mit einem schiefen Grinsen an seine Polizisten: »Okay, Leute, dann laßt uns mal auf Maulwurfjagd gehen.«