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Mit einer leinenen Reisetasche in der Hand stieg Pendergast rasch die breiten Stufen zum Eingang der New Yorker Stadtbibliothek hinauf. Hayward, ein paar Schritte hinter ihm, blieb kurz stehen und betrachtete die beiden Marmorlöwen, die die Treppe flankierten.

»Sie brauchen kein so besorgtes Gesicht zu machen, Sergeant«, meinte Pendergast. »Die haben heute schon gefressen.« Obwohl es ein heißer Tag war, trug der FBI-Agent einen olivgrünen Staubmantel, der ihm fast bis an die Knöchel reichte.

In der marmornen Eingangshalle der Bibliothek war es dunkel und angenehm kühl. Pendergast zeigte dem Portier seine FBI-Marke und stellte ihm mit leiser Stimme eine Frage. Dann nickte er Hayward zu und öffnete eine kleine Tür unterhalb der geschwungenen in den Lesesaal hinaufführenden Doppeltreppe.

»Sie kennen den Untergrund von Manhattan besser als wir alle zusammen, Sergeant Hayward«, sagte Pendergast, als sie in eine kleine, mit Leder ausgeschlagene Liftkabine stiegen. »Gibt es etwas, das Sie mir sagen wollen, bevor ich aufbreche?«

Der Aufzug setzte sich nach unten in Bewegung.

»Ja«, erwiderte

Hayward. »Bleiben Sie hier.«

Pendergast lächelte schwach. »Ich fürchte, diese Option steht mir leider nicht offen. Nur durch eigenen Augenschein kann ich mich davon überzeugen, ob der oder die Mörder wirklich in den Astortunnels leben.«

»Dann nehmen Sie mich wenigstens mit.« Pendergast schüttelte den Kopf. »Ich würde Ihr Angebot wirklich gern annehmen, glauben Sie mir. Aber zwei Personen machen nun mal mehr Lärm als nur eine, und diesmal darf ich auf gar keinen Fall entdeckt werden.«

Der Fahrstuhl kam in der untersten Ebene, die mit Drei B markiert war, zum Stehen. Pendergast und Hayward traten hinaus in einen dunklen Korridor. »Seien Sie auf der Hut«, sagte Hayward. »Die meisten Maulwürfe sind zwar in den Untergrund gegangen, weil sie Konfrontationen scheuen, aber trotzdem gibt es dort eine Menge unberechenbarer Typen. Besonders wenn sie Alkohol trinken oder Drogen nehmen, können sie verdammt gefährlich werden. Und vergessen Sie nie, daß Ihre Gegner im Dunkeln besser sehen und auch besser hören können als Sie. Außerdem kennen sie die Tunnels wie ihre Westentasche. In diesen drei Punkten sind Sie im Nachteil.«

»Stimmt. Aber ich werde mein Bestes tun, um diese Handikaps auszugleichen«, erklärte Pendergast und blieb vor einer alten Tür stehen, die er mit einem Schlüssel öffnete und Hayward dann aufhielt. Sie traten in einen Raum voller Regale, die vor alten Folianten förmlich überquollen; es roch stark nach Staub und Schimmel. Die Gänge zwischen den Regalen waren gerade mal einen halben Meter breit.

»Was machen wir hier eigentlich?« fragte Hayward, während sie Pendergast durch den Raum folgte.

»Von allen Ge bäuden, die für einen Einstieg in die Tunnels in Frage kamen, gab es für dieses hier noch die besten Pläne. Zwar liegt es nicht so nahe an den Astortunnels wie andere Ausgangspunkte, aber ich wollte wenigstens am Anfang meiner Expedition auf Nummer Sicher gehen.« Pendergast blieb stehen und sah sich um. »Aha«, sagte er dann und deutete auf einen engen Seitengang. »Hier muß es sein.«

Am Ende des Ganges befand sich eine kleine Tür. Pendergast sperrte sie auf und führte Hayward eine Treppe hinunter in einen engen Raum mit Lehmfußboden. »Direkt unter uns liegt ein Schacht, den man 1925 als Teil eines Rohrpostsystems angelegt hat; man wollte so Bücher von Bücherei zu Bücherei schicken. Wegen der Wirtschaftskrise wurde es nie fertiggestellt, und danach hat man die bereits gebauten Tunnels vergessen.«

Pendergast leuchtete den Boden mit seiner Taschenlampe ab, bis er eine Falltür entdeckte, die er mit Haywards Hilfe anhob.

Darunter führte ein runder Schacht mit gekachelten Wänden in die Tiefe. Pendergast beugte sich über das Loch und schickte den Lichtstrahl der Taschenlampe hinab in die Dunkelheit.

Nach einer Weile richtete er sich auf und zog sich den langen Staubmantel aus.

Hayward staunte nicht schlecht, als darunter ein Kampfanzug mit einem grau-schwarzen Tarnmuster und mattschwarzen Schnallen und Reißverschlüssen zum Vorschein kam.

»Ungewöhnliches Kleidungsstuck, nicht wahr?« meinte Pendergast lächelnd. »Das ist eine Spezialanfertigung für den Nachtkampf.« Er beugte sich hinunter zu seiner Tasche, holte eine Tube mit schwarzer Schminke heraus und rieb sich damit Gesicht und Hände ein. Als nächstes faltete er eine Rolltasche aus Filz auf und zeigte sie Hayward. »Das ist mein transportables Verkleidungsstudio«, erklärte Pendergast. »Darin ist alles, was ich brauche, um mein Aussehen zu verändern: Rasierer, Schminke, ein kleines Handtuch, ein Spiegel und Mastix, um einen falschen Bart ankleben zu können. Ich glaube zwar nicht, daß ich es diesmal benötigen werde, aber zur Sicherheit nehme ich es trotzdem mit.« Er steckte die Tube mit der schwarzen Schminke in die Rolltasche und verstaute diese dann in seinem Kampfanzug. Dann holte er aus der Leinentasche eine kurzläufige Pistole, deren mattes Material Hayward eher an Plastik als an Metall erinnerte.

»Was ist denn das?« fragte sie.

»Das ist der Prototyp einer neuen Neun-Millimeter-Pistole aus Deutschland«, antwortete Pendergast. »Die Kugeln sind ein Verbundmaterial aus Teflon und Keramik. Seit meiner Begegnung mit dieser Mbwun-Kreatur habe ich mir geschworen, kein Risiko mehr einzugehen. Mit diesem kleinen Wunderding hier kann ich ein Loch durch einen ausgewachsenen Elefanten pusten. Und zwar der Länge nach.«

»Beeindruckend«, meinte Hayward. »Damit könnten Sie auch auf Großwildjagd gehen.«

»Soviel zur aktiven Sicherheit«, erklärte Pendergast »Hier sehen Sie die passive.« Er zog den Reißverschluß seiner Kampfjacke auf und zeigte ihr die schußsichere Weste, die er darunter trug. Dann griff er wieder in seine Reisetasche und holte eine schwarze Mütze aus Kevlar heraus, die er sich sorgfältig auf den Kopf setzte.

Unter Haywards anerkennenden Blicken verstaute er noch ein Gerät zum Wasserfiltern und mehrere andere Kleinigkeiten in den Taschen seines Kampfanzugs.

»Und was ist das für Zeug?« fragte Hayward und deutete auf zwei durchsichtige Plastikbeutel, in denen sich dünne schwarze Streifen befanden. Sie sahen aus wie Schuhleder.

»Das ist Pemmican«

»Wie bitte?«

»Rindsfilet, das in dünne Streifen geschnitten, getrocknet und dann mit Beeren, Früchten und Nüssen versetzt wurde. Es enthält Proteine, Vitamine und Mineralien, kurz alles, was ein Mensch zum Leben braucht.

Darüber hinaus schmeckt es erstaunlich gut. Bisher hat noch niemand eine bessere Expeditionsnahrung erfunden. Lewis und Clark haben ihre Herstellung von den Indianern gelernt und auf ihren Entdeckungsreisen wochenlang nichts anderes gegessen.«

»Na, dann werden Sie da unten ja wenigstens keinen Hunger leiden«, bemerkte Hayward. Jetzt müssen Sie eigentlich nur noch aufpassen, daß Sie nicht verlorengehen.«

»Auch dafür habe ich vorgesorgt«, erwiderte Pendergast und zeigte ihr das Futter seiner Tarnjacke. »Das hier ist das Wichtigste überhaupt: detaillierte Karten. Ich habe mich von den Piloten im Ersten Weltkrieg inspirieren lassen und sie mir in meine Jacke gemalt.« Er deutete auf die Pläne von Tunnels und Ebenen, die er mit sicherer Hand auf den eierschalenfarbenen Stoff gezeichnet hatte.

Schließlich zog er den Reißverschluß wieder hoch und griff in seine rechte Hosentasche. »Hier«, sagte er zu Hayward und reichte ihr einen Schlüsselbund und seine FBI-Marke, »geben Sie das bitte Lieutenant D'Agosta.

Dort, wo ich jetzt hingehe, brauche ich so was nicht.«

Prüfend tastete er noch einmal die Taschen seines Anzugs ab, als wolle er sich vergewissern, daß er auch wirklich alles dabeihatte. Dann trat er auf die Falltür zu und stieg vorsichtig in den engen Schacht ein.

»Danke, daß Sie sich um meine Sachen kümmern«, sagte er und zeigte auf die Reisetasche und den Staubmantel.

»Das mache ich doch gerne«, entgegnete Hayward. »Schicken Sie mir eine Postkarte, wenn Sie unten angekommen sind.«