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Eine Stunde nach dem spontanen Aufflackern der Straßenschlacht am Central Park begannen die ersten Kämpfer, deren Energie ebenso aufgebraucht war wie ihre Wut, langsam milde zu werden. Diejenigen, die von Anfang an dabeigewesen waren, bewarfen sich jetzt eher mit Beleidigungen und Drehungen und weniger mit Fäusten, Knüppeln und Wurfgeschossen. Andere strebten zum Schauplatz des Geschehens, darunter viele gewaltbereite Betrunkene, die auf jeden losgingen, dessen Nase ihnen nicht gefiel. Wo immer neue Gewalt aufflammte, stürzten sich sofort sensationslüsterne Fernsehteams auf die Szenerie. Fast noch schlimmer als die wirklichen Tätlichkeiten aber waren die Gerüchte, die sich wie ein Lauffeuer per Telefon und Fax in der ganzen Stadt verbreiteten und in die von jungen Republikanem besuchten Singlebars in der First und der Second Avenue ebenso gelangten wie ins eher linke East Village. Manche der Gerüchte besagten, daß eine große Anzahl von Obdachlosen einem brutalen Vernichtungsfeldzug der Polizei zum Opfer gefallen sei, während andere von einem Mob marxistischer Krimineller sprachen, der Banken verwüstete, unbeteiligte Bürger auf offener Straße abknallte und teure Geschäfte plünderte. Bald trafen von derlei Horrorgeschichten mobilisierte Aktivisten beider Seiten im Central Park ein, wo sie auf die letzten Gruppen von Obdachlosen stießen, die noch immer auf der Flucht vor dem Tränengas der Polizei aus dem Untergrund strömten.

Mitten im dunklen Park hatte sich ein letztes Häuflein der ursprünglichen »Säubert New York«-Bewegung zusammengefunden. Die meisten von ihnen waren zwar längst voller Panik in ihre Häuser und Eigentumswohnungen zurückgekehrt, doch harrten diese letzten Wohlhabenden und Einflußreichen auf der großen Rasenfläche aus in der Hoffnung, daß es der Polizei endlich gelingen würde, die Kämpfe zu beenden. Was sich allerdings ziemlich schwierig gestaltete, denn die Dunkelheit im Park machte zusammen mit den vielen Möglichkeiten, sich im dichten Unterholz zu verstecken und auf verschlungenen Pfaden zu fliehen, ein effektives Eingreifen der Beamten fast unmöglich.

Auch scheuten sich die Polizisten, massiv gegen die Kämpfenden vorzugehen, denn von ganz oben war der Befehl ergangen, nur ja niemanden von den »Säubert New York«-Demonstranten zu verletzen. Kein Polizeichef konnte es sich leisten, seine Leute mit Knüppeln und Tränengas gegen die Creme de la creme der Stadt vorgehen zu lassen.

Hayward sah zu, wie die Sanitäter Officer Beal in einen Krankenwagen schoben; Beal stöhnte und hielt sich seinen bandagierten Kopf »Passen Sie doch auf!« fuhr Hayward die Sanitäter an. Als Beal im Krankenwagen lag, beugte sie sich hinein und fragte: »Wie geht es Ihnen?«

»Ging schon mal besser«, erwiderte Beal mit einem schwachen Lächeln.

Hayward nickte. »Das wird schon wieder«, meinte sie und wandte sich zum Gehen.

»Sergeant?« rief Beal ihr hinterher. Hayward blieb stehen.

»Miller, dieser Bastard, hat mich einfach liegenlassen. Ohne Sie und Carlin wäre ich jetzt nicht hier. Sie haben mir das Leben gerettet.«

»Nicht der Rede wert«, sagte Hayward. »Das gehört zu unserem Job, oder etwa nicht?«

»Kann sein«, antwortete Beal. »Trotzdem werde ich Ihnen das nie vergessen. Miller hätte mich da unten ersaufen lassen.«

Hayward überließ Beal der Obhut der Sanitäter und ging nach vorne zum Fahrer des Krankenwagens. »Gibt es was Neues?« fragte sie.

»Was wollen Sie denn hören?« gab der Fahrer zurück, der gerade auf einem Klemmbrett etwas notierte. »Die Schlußkurse der Börse? Football-Ergebnisse? Oder die neuesten Auslandsnachrichten?.

»Sie sind wohl ein echter Witzbold. Ich will wissen, was hierlos ist.«

Über Central Park West lag eine fast surrealistisch anmutende Stille. Die sonst so stark befahrene breite Straße war bis auf ein paar Streifen- und Krankenwagen vollkommen leer. Die wenigen nicht zu Bruch gegangenen Straßenlaternen beleuchteten in unregelmäßigen Abständen den mit Glasscherben, Betonbrocken und jeder Menge Unrat übersäten Asphalt.

»Wo haben Sie die letzte Stunde denn gesteck?« fragte der Fahrer verwundert. »Am Mittelpunkt der Erde?«

»Damit haben Sie gar nicht mal so unrecht«, entgegnete Hayward. »Meine Kollegen und ich haben die Obdachlosen aus den Tunnels unter dem Central Park nach oben getrieben. Wir stießen auf ziemlich massiven Widerstand, und dabei wurde auch der Mann verwundet, der jetzt hinten in Ihrem Wagen liegt. Wir waren ziemlich tief unten und mußten ihn erst herauftragen. Und jetzt finden wir hier eine Geisterstadt vor ...«

»Sieh mal einer an. Sie also haben die Obdachlosen nach oben getrieben«, sagte der Fahrer. »Dann sind also Sie für den ganzen Schlamassel hier verantwortlich.«

»Wofür?«

Anstatt einer Antwort deutete der Fahrer auf den dunklen Central Park. Durch das Krächzen des Funkgeräts und die weit entfernten Geräusche der Stadt konnte Hayward im Park Menschen schreien, Sirenen heulen und Megaphone plärren hören.

»Wissen Sie, daß es heute abend wieder eine Demonstration von diesen ›Säubert New York‹-Leuten gegeben hat?« fragte der Fahrer.

»Ich habe davon gehört.«

»Na ja, die Demo zog gerade hier vorbei, als auf einmal all die Obdachlosen aus dem Untergrund heraufkamen. Sie müssen ziemlich geladen gewesen sein, denn sie brachen sofort einen Streit mit den Demonstranten vom Zaun. Offenbar habt ihr ihnen dort unten mit euren Schlagstöcken etwas zu sehr zugesetzt. Jedenfalls war hier sofort die schönste Straßenschlacht im Gange. Soviel man mir erzählt hat, sind die Leute einfach durchgedreht. Sie haben sich angeschrieen, mit allem möglichen Zeugs beworfen, verprügelt und einander niedergetrampelt. Schließlich fingen sie an, Schaufenster einzuwerfen und Geschäfte zu plündern. Die Polizei hat eine volle Stunde gebraucht, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Ehrlich gesagt, ganz unter Kontrolle ist sie noch immer nicht, aber wenigstens ist es Ihren Kollegen gelungen, den Tumult in den Park abzudrängen.«

Die Sanitäter im hinteren Teil des Wagens gaben dem Fahrer ein Zeichen, der daraufhin die Sirene einschaltete und das Fahrzeug in Bewegung setzte. Hayward blieb zurück und sah, wie das Blaulicht des Krankenwagens über die Kalksteinfassaden der Häuser huschte, aus deren Fenstern neugierige Menschen ihren Kopf herausstreckten. Ein paar mutige Bewohner hatten sich sogar hinaus auf die Straße gewagt und betrachteten im Schutz ihrer uniformierten Türsteher die Verwüstungen. Ein paar Querstraßen weiter konnte Hayward die türmchenbewehrte Fassade des Dakota-Hauses erkennen. Das mächtige Gebäude erhob sich hinter seinem stilisierten Burggraben wie eine Festung, der auch der wütendste Mob nichts anhaben konnte. Unweigerlich blickte Hayward hinaufzu dem Eckturm, dessen dunkle Fenster zu Pendergasts Wohnung gehören mußten, und fragte sich, wo der FBI Agent jetzt wohl sein mochte.

»Ist Beal gut weggekommen?« hörte Hayward Carlin von hinten rufen. Sie drehte sich um und sah, wie seine massige Gestalt auf der dunklen Straße näher kam.

»Vor einer Minute«, antwortete sie. »Was ist mit dem anderen?«

»Der wollte sich nicht behandeln lassen. Haben Sie was von Miller gehört?«

Hayward schnitt eine böse Grimasse. »Nein. Wahrscheinlich hockt der jetzt schon längst in einer Bar an der Atlantik Avenue, kippt sich ein Bier nach dem anderen rein und gibt mit seinen Abenteuern an. Aber so läuft das nun mal. Er wird befördert, und wir bekommen eine Disziplinarstrafe wegen Insubordination.«

»Diesmal nicht«, sagte Carlin mit einem wissenden Lächeln.

»Wieso nicht?« fragte Hayward, redete dann aber weiter, ohne Carlin Gelegenheit zu einer Antwort zu geben.

»Wir sollten uns irgendwo melden, wahrscheinlich werden wir gebraucht.« Sie nahm ihr Funkgerät und schaltete es ein. Sofort tönte ein Schwall von abgehackten, aufgeregten und sich gegenseitig überlagernden Meldungen aus dem kleinen Lautsprecher:

... rücken auf die große Wiese vor. Brauche dringend mehr Leute, um ... Ich habe acht von ihnen hier, aber ich kann sie nicht mehr lange festhalten. Wenn nicht bald Verstärkung kommt, hauen die mir einfach ab ...

Verdammt noch mal, wo bleibt denn der Krankenwagen, den ich vor zehn Minuten angefordert habe? Wir haben Verletzte, einer davon schwer ... Großer Gott, im südlichen Quadranten kommen immer noch Penner herauf ...

Hayward schaltete das Funkgerät aus und steckte es zurück in das Futteral an ihrem Gürtel. Dann bedeutete sie Carlin mit einer Handbewegung, ihr zum Streifenwagen zu folgen, der an der nächsten Kreuzung stand.

Neben dem Wagen war ein Polizist mit Helm und Schild postiert und beobachtete mit einer Schrotflinte in der Hand die Straße.

»Wer hat das Kommando über diese Operation, Officer?« fragte Hayward.

Der Polizist schob das Visier seines Helms nach oben und sah sie an. »Im Belvedere muß es wohl so eine Art vorgeschobenen Kommandoposten geben«, antwortete er. Jedenfalls habe ich das von der Zentrale gehört Aber hier geht alles drunter und drüber, deshalb würde ich mich nicht unbedingt drauf verlassen.«

»Wir müssen zum Belvedere Castle«, sagte Hayward zu Carlin und lief los.

Als sie nebeneinander die Straße entlangtrabten, fühlte sich Hayward unwillkürlich an eine Tour erinnert, die sie vor zwei Jahren in einem Filmstudio in Hollywood einmal gemacht hatte. Dort war sie durch eine Kulisse gegangen, die eine Straße in Manhattan zeigte und in der unzählige Musicals und Gangsterfilme gedreht worden waren. Alles hatte man täuschend ähnlich nachgebaut: die Fassaden, die Schaufenster, die Straßenlaternen und Hydranten – nur eines hatte gefehlt: die Menschen. Hayward hatte sich in dieser gespenstisch verlassenen Filmstraße seltsam unwohl gefühlt und sich immer wieder sagen müssen, daß sich nur wenige hundert Meter von ihr entfernt hinter den Mauern des Studiogeländes die lebendige Stadt Los Angeles befand.

Dasselbe Gefühl hatte sie auch an diesem Abend mitten in New York. Obwohl sie in der Ferne die Hupen der Autos und das Heulen der Sirenen hörte und wußte, daß vor ihr im Central Park ihre Kollegen versuchten, mit einem randalierenden Mob fertig zu werden, bemächtigte sich ihrer angesichts der fast leeren Straße das be

klemmende Gefühl, durch eine Geisterstadt zu laufen.

»Großer Gott!« murmelte Carlin neben ihr und riß sie aus ihren Gedanken. »Das ist ja unglaublich.«

Hayward vor blieb stehen und blickte nach Süden. Jenseits der 65th Street bot sich ihr und Carlin ein Bild der Verwüstung: Luxusgeschäfte mit eingeschlagenen Schaufenstern, herrschaftliche Hauseingänge mit herabgerissenen Markisen und demolierte Autos am Straßenrand legten Zeugnis davon ab, daß hier ein erbitterter Kampf getobt haben mußte.

»Sieht aus, als hätten die Maulwürfe da ihre Wut ausgelassen«, sagte Hayward, während sie die Straße überquerte und auf den Eingang zum Park zustrebte. Nach dem Chaos, das sie eben gesehen hatte, kamen ihr die schmalen Asphaltpfade, die hinein in die Dunkelheit führten, geradezu ruhig und idyllisch vor.

Als sie allerdings die zerstörten Parkbänke und die umgeworfenen Abfallbehälter sah, wurde ihr klar, daß auch hier vor nicht allzu langer Zeit eine wilde Schlacht stattgefunden haben mußte. Und der Lärm bewies, daß diese Schlacht in anderen Teilen des Parks noch immer andauerte.

Auf einmal blieb Hayward stehen und packte Carlin am Arm.

Direkt vor ihnen war eine Gruppe von Menschen – wie viele genau, konnte sie wegen der Dunkelheit nicht sehen –, die offenbar auf dem Weg zur großen Rasenfläche waren. Da sie weder Helme noch Schilde trugen, erkannte Hayward, daß es keine Polizisten waren.

So leise sie konnte, rannte sie der Gruppe hinterher. Als sie zehn Meter hinter den Leuten war, rief sie: »Halt, Polizei!« und legte die rechte Hand an den Griff ihres Dienstrevolvers.

Die Gruppe kam zu einem abrupten Halt und drehte sich zu ihr um. Es waren vier, nein, fünf jüngere Männer, die Jacketts und Polohemden trugen. Hayward registrierte, daß zwei von ihnen Baseballschläger aus Aluminium dabeihatten und einer ein großes Messer, das wohl aus seiner Küche stammte.

Die Männer starrten sie grinsend an.

»Was gibt's?« fragte einer von ihnen und trat auf sie zu.

»Bleiben Sie stehen!« befahl Hayward. Der Mann hielt inne.

»Und jetzt sagt mir mal, wo ihr hinwollt, Jungs.«

Der Mann vor ihr schnaubte verächtlich. Offenbar fand er ihre Frage ziemlich blöd. Mit einer kaum wahrnehmbaren Kopfbewegung deutete er auf den Park.

»Wir haben da drinnen was zu erledigen«, erklärte einer aus der Gruppe.

Hayward schüttelte den Kopf. »Nein. Ihr habt nachts im Park nichts zu suchen.«

»Ach ja?« fragte der Mann direkt vor Hayward und machte einen weiteren Schritt auf sie zu. »Unsere Freunde werden gerade von irgendwelchen dreckigen Pennem zusammengeschlagen, und wir sollen hier nichts zu suchen haben?«

»Das hier ist eine Polizeiaktion«, informierte ihn Hayward.

»Die Polizei kümmert sich doch einen Scheißdreck um das, was hier vorgeht«, gab der Mann zurück. »Sehen Sie sich doch bloß mal um. Dieser Abschaum hat schon die halbe Stadt demoliert.«

»Sie sollen schon zwei Dutzend Leute umgebracht haben«, sagte ein Mann, der ein Handy ans Ohr hielt, deutlich angetrunken. »Darunter auch Mrs. Wisher. Zusammen mit den Kommunistenschweinen aus dem East Village und Soho schlagen sie alles kurz und klein. Da können wir doch nicht einfach so tatenlos zusehen!«

»Da hören Sie's«, sagte der Mann bei Hayward. »Also lassen Sie uns gefälligst weitergehen.«

Hayward nahm die Hand von ihrem Revolver und zog ihren Gummiknüppel aus dem Gürtel. »Wer von euch auch nur einen Schritt macht, der kriegt eines übergebraten«, drohte sie. Carlin neben ihr griff ebenfalls zu seinem Knüppel.

»Ihnen macht es wohl Spaß, das große Wort zu schwingen«, knurrte der Anführer der Gruppe verächtlich.

»Mit einer Waffe im Gürtel und einem solchen Kleiderschrank als Verstärkung ist das ja auch kein Kunststück.«

»Meinen Sie wirklich, Sie können es mit uns allen fünfen aufnehmen?« fragte einer aus der Gruppe.

»Vielleicht will sie uns ja mit ihren Möpsen zu Tode drücken«, ließ sich ein anderer vernehmen, was bei seinen Gefährten ein dreckiges Grinsen hervorrief.

Hayward atmete tief durch und steckte den Gummiknüppel wieder in ihren Gürtel zurück. »Officer Carlin«, sagte sie, »bitte treten Sie zwanzig Schritte zurück.«

Carlin blieb stehen.

»Tun Sie, was ich Ihnen sage!« fauchte Hayward.

Carlin starrte sie einen Augenblick an, dann ging er, ohne die Augen von der Gruppe zu nehmen, zurück auf den Weg, den sie eben verlassen hatten.

Hayward trat auf den Wortführer zu. »Jetzt hör mir mal gut zu, mein Junge«, sagte sie ruhig und sah ihm dabei direkt in die Augen. »Ich könnte meinen Knüppel und meinen Revolver hier ins Gras legen und noch immerjedem einzelnen von euch traurigen Yuppie-Bürschlein eine Tracht Prügel verpassen, daß ihm Hören und Sehen vergeht, aber das will ich nicht. Wenn ihr aber jetzt nicht augenblicklich das tut, was ich euch befehle, dann müssen eure Mütter morgen früh im Polizeipräsidium eine dicke Kaution für euch hinterlegen, wenn sie euch aus dem Knast heraushaben wollen. Und wenn eure Eltern auch noch soviel Geld und Einfluß haben – ihr bekommt trotzdem eine Strafe wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und tätlichen Angriffs auf eine Polizeibeamtin aufgebrummt, das verspreche ich euch. Und wie ihr wißt, ist es mit einer Vorstrafe Essig mit dem Studium und der schönen Karriere. Euren Daddies wird das ganz bestimmt nicht gefallen.«

Hayward hielt einen Augenblick inne und sah die jungen Männer an. »Und jetzt laßt eure Waffen fallen«, sagte sie dann ungerührt.

Einen Augenblick bewegte sich niemand.

»Ich habe gesagt, ihr sollt die Waffen fallen lassen!« schrie Hayward, so laut sie konnte. Gleich darauf lagen Baseballschläger und das Küchenmesser im Gras. Hayward lächelte zufrieden und trat einen Schritt zurück.

»Officer Carlin«, sagte sie leise. Einen Augenblick später stand der Polizist neben ihr.

»Soll ich sie filzen?« fragte er.

Hayward schüttelte den Kopf. An die Gruppe gewandt befahl sie: »Legt eure Führerscheine zu den Waffen ins Gras – und keine Fisimatenten.«

Die jungen Männer zögerten eine Weile, dann holte der Wortführer eine Brieftasche aus seinem Jackett, entnahm ihr eine Plastikkarte und ließ sie zu Boden fallen. Die anderen taten es ihm nach.

»Ihr könnt sie euch morgen im Polizeipräsidium wieder abholen. Fragt nach Sergeant Hayward. Und jetzt möchte ich, daß ihr alle sofort den Park verlaßt – begeht euch auf dem schnellsten Weg nach Hause und ab in die Heia, habt ihr mich verstanden?«

Keiner sagte ein Wort.

»Kriegt die Lady denn keine Antwort?« polterte Carlin mit einemmal los.

»Ja, wir haben verstanden«, murmelte der Wortführer zerknirscht.

»Dann macht, daß ihr weg kommt!« bellte Hayward. Die jungen Männer setzten sich in Bewegung und trabten zuerst langsam, dann immer schneller auf den Ausgang des Parks zu. Bald waren sie in der Dunkelheit verschwunden.

»Eingebildetes Pack«, sagte Carlin. »Glauben Sie wirklich, daß es Tote gegeben hat?«

Hayward schnaubte verächtlich, während sie sich bückte, um die Waffen und die Führerscheine aufzuheben.

»Eher nicht. Aber solange solche Gerüchte im Umlauf sind, werden immer mehr Burschen wie diese hierherströmen und die Situation zusätzlich verschärfen.« Mit einem leisen Seufzer gab sie Carlin die Baseballschläger. »Lassen Sie uns gehen und den Einsatzleiter suchen.Vermutlich werden wir heute nacht noch gebraucht.

Und morgen bekommen wir dann einen Riesenanschiß wegen der Geschichte unten im Tunnel.«

»Nein, den kriegen wir nicht«, sagte Carlin und grinste.

»Das haben Sie vorhin schon mal gesagt. Was meinen Sie eigentlich damit, Carlin?«

»Damit meine ich, daß diesmal Miller den Anschiß kriegt und wir zur Abwechslung ein dickes Lob.«

»Und seit wann haben Sie diese hellseherischen Fähigkeiten?«

»Seit mir unser Freund Beal, den Sie vorhin in den Krankenwagen verfrachtet haben, gesagt hat, daß er der Sohn von Steven X. Beal ist.«

»Doch nicht etwa von Senator Steven Beal?« fragte Hayward und riß die Augen auf.

»Genau von dem«, erwiderte Carlin. »Normalerweise behält der Junge das für sich, weil er nicht will, daß er bevorzugt behandelt wird. Aber der Schlag auf den Kopf hat ihm offenbar die Zunge gelöst«

Hayward blieb einen Augenblick lang reglos stehen, dann schüttelte sie den Kopf und setzte sich wieder in Bewegung.

»Sergeant?« fragte Carlin.

»Ja?«

»Warum mußte ich vorhin eigentlich weggehen?«

»Weil ich den Burschen zeigen wollte, daß ich keine Angst vor ihnen habe. Und daß ich es ernst meine.«

»Hätten Sie es getan?«

»Was getan?«

»Sie wissen schon«, sagte Carlin. »Hätten Sie ihnen wirklich eine Tracht Prügel verpaßt?«

Hayward blieb stehen und sah Carlin an, das Kinn leicht nach oben gereckt. »Ja, was glauben Sie denn?«

»Ich glaube ...«, antwortete Carlin, zögerte aber dann einen Moment »Ich glaube, daß Sie eine knallharte Frau sind, Mrs. Hayward.«