Kapitel siebenundvierzig
NEW YORK, 1995
Beladen mit Einkaufstüten verließ Cathy das Kaufhaus Saks an der Fifth Avenue. Wie immer im Frühling war sie lebensfroh und unternehmungslustig.
Morgens war sie allein im Central Park spazieren gegangen, hatte Kaffee getrunken, eine Zigarette geraucht und das Leben und Treiben beobachtet. Die Natur erwachte zum Leben. Das Gras war grüner als sonst, die Bäume schmückten sich langsam mit Blättern, und die Sonne hatte so viel Kraft, dass der Wind vom Atlantik erträglich wurde.
Sie hatte New York lieben gelernt und auch Amerika. Im Lauf der acht Jahre, in denen sie die Stadt regelmäßig besucht hatte, war sie fast selbst zur New Yorkerin geworden. Sie hatte sich vor einem Jahr sogar ein Loft in der Nähe der Bleecker Street gekauft. Die Gegend erinnerte sie an Londons Soho, und unter den Künstlern und trendbewussten jungen Leuten auf den Straßen fühlte sie sich heimisch.
Sie aß in Chinatown Chow Mein mit Shrimps und trank dazu einen Kräutertee, bevor sie mit ihren Einkaufstüten zu Fuß nach Little Italy ging, wo sie um halb drei mit Eamonn verabredet war. Als sie The Baker’s Bar betrat, entdeckte sie Anthony Baggato. »Kein Eamonn da?«
Anthony liebte sie. Er liebte ihr Gesicht, ihr Haar und ihren britischen Akzent. »Er wird gleich da sein, Prinzessin. Was möchtest du trinken?«
Er schnippte mit den Fingern, und schon erschien eine Kellnerin. Sie trug ein kurzes schwarzes Kleid und stakte auf unmöglich hohen Absätzen einher. Cathy lächelte ihr zu. »Ich hätte gern ein Glas Weißwein.«
Die junge Frau notierte die Bestellung, und Cathy und Anthony schauten ihr nach, wie sie zum Tresen stöckelte.
Cathy lachte. »Du bist unmöglich, Anthony.«
Er hob die Arme, als habe er nichts zu erwidern. »Ich schaue, ich träume, ich genieße. In meinem Alter bleibt mir nichts anderes übrig.«
Er war ein Riesenkerl und wog mit Anfang sechzig noch immer gut hundertzehn Kilo. Während er sprach, ließ er die junge Kellnerin nicht aus den Augen. Sie war kaum mehr als zwanzig, hatte ein sehr hübsches Gesicht und schaute ungnädig drein.
»Mein Güte, Cathy, wie viel kann eine Frau nur einkaufen? Jedes Mal, wenn ich dich sehe, bist du schwer beladen. Ich kann nur hoffen, dass du den Irenlümmel für das ganze Zeug bezahlen lässt.«
»Ich bin eine unabhängige Frau. Ich verdiene mein eigenes Geld und gebe mein eigenes Geld aus.«
Anthony spielte den Sizilianer, zog scherzhaft die Schultern hoch und sagte laut: »Warum hab ich nicht eine wie dich gefunden? Meine Frau ist ständig am Einkaufen, aber sie kauft nur unnützes Zeug. Mein Apartment hat mehr als eine Million Dollar gekostet und ist randvoll mit Tinnef. Deswegen setz ich da keinen Fuß mehr rein.« Anthony hatte seine vorletzte Frau vor fünf Jahren gegen eine Achtundzwanzigjährige ausgetauscht, ein Revuegirl mit aufgeworfenen Collagenlippen und Brüsten, die allen Gesetzen der Schwerkraft Hohn sprachen.
Eamonn betrat die Bar, und als er Cathy sah, verbesserte sich seine Laune sofort. Wie gewöhnlich sah sie zum Anbeißen aus. In dem engen weißen Kostüm, das ihre schlanken Beine betonte, hätte sie es mit jedem Filmstar aufnehmen können.
Nach acht Jahren bezauberte sie ihn noch immer. Und auch heute gab sie ihm Auftrieb, trotz seiner zahllosen Sorgen.
»Da erwisch ich euch beide also schon wieder. Was denkst du dir eigentlich dabei? Dich hinter meinem Rücken mit diesem Anthony zu treffen?«
Sie lachten, und Cathy sagte: »Wie froh ich bin, dass wir aufgeflogen sind. Es war sein furchtbarer Stress, unser Verhältnis geheim zu halten.« Sie nippte an ihrem Wein, während die Männer über Geschäfte sprachen.
»Reibereien mit Igor?«, fragte Anthony.
Eamonn zuckte die Achseln. »Dieselbe Scheiße wie immer.«
Anthony lachte. »Willst du damit sagen, die rote Kacke ist noch nicht am Dampfen?«
»Ja, mit der Betonung auf noch
Beide Männer sahen besorgt aus, aber dann erhellte sich Eamonns Miene. »Wir haben immer noch eine Menge Zeit, und wenn es hart auf hart kommt, mach ich es selbst klar. Wäre ja nicht das erste Mal.«
»Was hat das alles zu bedeuten?«, wollte Cathy wissen. »Immer redet ihr in Rätseln.«
Die beiden Männer sahen sie an, und Cathy blieb die Anspannung in ihren Gesichtern nicht verborgen.
»Denk dir nichts dabei, Süße, ist alles nur Unsinn.« Anthony erhob sich schwerfällig. »Ich muss langsam los, denn ich bin mit Jack verabredet.«
Er küsste Cathy formvollendet die Hand. »Bis wir uns wiedersehen. Und vergiss nicht, Kleines, wenn du den Schwachkopf leid bist - ein Anruf genügt. Wann fliegst du morgen?«
»Viertel nach acht in der Frühe.« Sie verzog das Gesicht. »Ich möchte gar nicht weg, Anthony, aber die Pflicht ruft. Du kennst das ja.«
»Ein verdammt guter Club, den du da drüben hast. Hat mir ausgezeichnet gefallen. Viertel nach acht, sagst du?« Er sah Eamonn durchdringend an. »Also geht’s morgen nach London? Dann auf Wiedersehen. Bis zum nächsten Mal.«
Er verließ die Bar. Cathy und Eamonn schauten ihm nach. Obwohl er dieser Tage nicht mehr so gut zu Fuß war, hatte er nichts von seinem gebieterischen und imposanten Auftreten verloren.
»Was sollte das denn? Dieser bedeutsame Blick?«, fragte Cathy.
»Keine Ahnung. Und - was möchtest du jetzt machen?«
Sie lächelte kokett. »Was meinst du denn, was ich machen möchte? Ich fliege morgen. Ich hab ein paar Steaks gekauft, Wein und Salat. Abendessen, Bad, Bett. In der Reihenfolge.«
Eamonn schmunzelte. »Hört sich gut an.« Aber Cathy sah ihm an, dass er mit den Gedanken woanders war.
Er küsste sie auf die Nasenspitze. »Hör mal, ich setze dich in ein Taxi. Ich muss erst nochmal nach Hause und einiges regeln. Ich bin dann gegen sechs bei dir. Ist das in Ordnung?«
Cathy nickte, obwohl sie insgeheim gekränkt war, dass er sie so schnell wieder allein ließ. »Selbstverständlich, kein Problem«, sagte sie gewollt locker.
 
Deirdra blickte ihrem Mann missmutig entgegen, als er das Haus in Long Island betrat. »Womit habe ich denn dies seltene Vergnügen verdient?«
Er ignorierte ihre Ironie. »Ist heute etwas angeliefert worden?«
»Zwei Koffer, ich hab sie in der Garage abgestellt. Was, um Himmels willen, ist bloß in den Dingern drin? Die sind ja irre schwer.«
Eamonn drehte sich um und ging aus dem Zimmer. Zurück blieb seine vor Wut schäumende Ehefrau. Seit der Geburt von Hattie, ihrer jüngsten Tochter, hatte er sie nicht mehr angefasst. Sie lebten wie Mann und Frau, besuchten gemeinsam Veranstaltungen, ja, plauderten sogar am Frühstückstisch, wenn er denn über Nacht zu Hause geblieben war. Aber das war es auch schon.
Eins wusste sie jedoch: Anderen Frauen stellte er nicht nach. Meistens befand er sich mit ihr und den Kindern unter einem Dach. Nur ein paarmal im Monat musste sie ihn auf die Vermisstenliste setzen. Deirdra hatte sich damit arrangiert. So würde sich ihr Leben auch weiterhin abspielen, und das akzeptierte sie.
Eamonn ging hinaus in die Garage und sah sich die Koffer an. Sie waren unauffällig wie immer, aber unter dem Futter enthielten sie mehr als je zuvor. Eben das machte die Sache so besorgniserregend.
Sein üblicher Kurier war von einem jungen schwarzen Straßenräuber an der Ecke East 110th Street und Lexington Avenue umgebracht worden. Jetzt saß Eamonn mit der Ware da, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie selbst nach London zu bringen. Aber er musste auch am nächsten Nachmittag bei einem Mafiatreffen, das er nicht versäumen durfte, in Washington sein.
Als er die Koffer betrachtete, dachte er an Anthonys Idee, und am liebsten hätte er sie schnell wieder verworfen. Das konnte er Cathy nicht antun, niemals. Dennoch war ihm klar, dass er kaum eine andere Chance hatte. Außerdem würde sie nie erfahren, was er getan hatte. Die Ware war nicht zu entdecken. All die Jahre, in denen sie für die Russen Kurierdienste geleistet hatten, waren sie kein einziges Mal aufgefallen, weder hier in New York noch in London.
Die Sache war narrensicher.
Die Ware besaß Millionenwert und wurde stets im Voraus bezahlt. In den neunziger Jahren war die Nachfrage gestiegen, und inzwischen wickelten sie ihre Geschäfte mit Partnern in der ganzen Welt ab.
Er schloss die Augen und fragte sich, wie Cathy wohl reagieren würde, wenn sie erführe, worauf er sich diesmal eingelassen hatte. Er mochte gar nicht daran denken.
 
Cathy trug das kleine Weiße, das sie morgens bei Saks gekauft hatte. Es brachte ihre gebräunte Haut perfekt zur Geltung und war so geschnitten, dass es ihre Brüste betonte und ihre Taille noch schlanker erscheinen ließ. Als sie Eamonn die Tür öffnete, sah sie erstaunt, dass er zwei Koffer bei sich hatte.
»Du bist doch nicht etwa zu Hause ausgezogen?«
Sie klang so entgeistert, dass er lachen musste. »Die sind ein Geschenk. Ein Geschenk für meine transatlantische Geliebte.«
Cathy nahm die beiden Samsonite-Koffer näher in Augenschein. »Du machst Witze?«
»Nein, die sind für dich. Ich weiß, dass ich normalerweise andere Geschenke mache, und in der Tat habe ich einen Klunker von Cartier in der Brusttasche. Aber ich sah die beiden hier und dachte: genau das Richtige für meine Cathy, stoßfest, abschließbar und sicher.«
Er stellte sie im Schlafzimmer ab. Sie konnte es immer noch nicht so recht fassen. »Koffer? Du verblüffst mich doch immer wieder, Eamonn Docherty.«
Wie erwartet, hatte sie seine »Geschenke« angenommen. Doch nach dem Essen, als sie den Wein austranken und ihre Zigarette rauchten, sagte Cathy: »Es ist schon komisch, Eamonn. Als ich dich mit den Koffern sah, habe ich wirklich einen Moment lang geglaubt, du wärest ausgezogen. Ich weiß, ich hab immer gesagt, ich will nicht, dass wir zusammenleben, aber das hat damit zu tun, dass du inzwischen New Yorker bist und London meine Heimatstadt bleibt. Aber vorhin an der Tür hoffte ich wirklich ganz kurz, du würdest mir sagen, wir könnten immer zusammen sein … Ich weiß, es ist albern, denn wir haben beide unsere Verpflichtungen, wir haben jeder unser Leben, verschiedene Menschen, verschiedene Geschäfte. Da gibt es so viel, was uns trennt. Aber ich war ganz kurz überglücklich, weil ich glaubte, du kämst zu mir. Mir wurde klar, dass wir heute hätten zusammenleben können, wenn wir andere Wege gegangen wären. Richtig zusammenleben. Nicht nur einmal im Monat für ein verlängertes Wochenende.«
Sie trank einen Schluck Wein. »Ich will damit sagen, dass ich dich mehr liebe, als mir bewusst war. Ich liebe dich so, dass ich versuchen möchte, alles zu überwinden, was uns voneinander trennt.«
Er nahm ihre Hand. »Ich liebe dich, Cathy, und wir werden eines Tages zusammen sein. Das verspreche ich. Vielleicht schon früher, als wir ahnen.«
Sie lächelte glücklich. »Eine Tages, hm? Eines Tages werden wir wirklich zusammen sein?« Er nickte. Sie nahm seine Hand und führte ihn ins Schlafzimmer.
Die Aussicht aus dem Loft war grandios. Nachdem sie sich geliebt hatten, lagen sie im Dämmerlicht beieinander und sahen zu, wie die Sterne einer nach dem anderen aufgingen.
Wie magnetisch angezogen fiel sein Blick auf die Koffer, die seine Versprechungen zu verhöhnen schienen. All diese großen Worte von Liebe, und doch benutzte er diese Frau, weil er sich wieder einmal in die Ecke manövriert hatte. Er musste nach Washington fliegen. Seit Peteys Tod hatte Jack ihm sämtliche Verhandlungen überlassen, ja, hatte ihm so gut wie alles übertragen. Diesen Preis hatte Eamonn für den Tod seines Freundes zu zahlen. Obwohl Jack niemals etwas gesagt hatte, wusste Eamonn, dass sein Schwiegervater der Ansicht war, er hätte Petey zur Seite stehen und der IRA klarmachen sollen, dass Petey ein Recht auf seine Freiheit besaß. Jack, ein Ire der ersten Generation, hätte es besser wissen müssen. Wer sich der Sache verschrieben hatte, den entließ daraus nur der Tod.
Cathy atmete leise und ruhig neben ihm, aber Eamonn lief es kalt den Rücken hinunter. Wenn sie auch nur den Hauch einer Ahnung hätte, was sich in den Koffern befand, oder gar wüsste, wozu deren Inhalt benutzt werden sollte, würde sie ihn bis an ihr Lebensende hassen.
Er zündete sich eine Zigarette an und lag voller Unruhe in der Dunkelheit neben seiner schlafenden Geliebten, verzweifelt bemüht, seine Gedanken zu ordnen. Das Zeug nach England zu transportieren war relativ einfach. Das Problem bestand darin, es aus Cathys Wohnung zu bringen, ohne dass ihr bewusst wurde, was sie transportiert hatte.
Da kam Mr. Cheng ins Spiel.
Da wurde es wirklich schwierig.
Eamonn ärgerte sich über sich selbst und verspürte ungewohnte Furcht, die mit dem Ärger einherging. Er steckte in Schwierigkeiten, in bösen Schwierigkeiten, und das sowohl mit den Italienern als auch mit den Iren. Seine Geschäfte mit den Osteuropäern hatten in der Welt, in der er sich bewegte, zu Reibereien geführt. Obwohl Anthony Baggato überall dabei war, konnte er doch nicht auf verlässlichen Schutz zählen.
Die Iren würden ihn fallenlassen, wenn sie wüssten, worauf er sich eingelassen hatte. Er steckte bis zum Hals in der Sache. Nach allen zweifelhaften Geschäften, auf die er sich im Lauf der Jahre eingelassen hatte, war er den Russen mit Vertrauen begegnet und hätte in seinen schlimmsten Träumen nicht erwartet, dass alles derart außer Kontrolle geraten könnte.
Im Bett neben der einzigen Frau, die er je geliebt hatte, überkam ihn die grenzenlose Einsamkeit, die mit dem Verrat an einem geliebten Menschen einhergeht. Denn er verriet sie, betrog sie. Auch nachdem alles vorüber war, würde er doch genau wissen, was er ihr angetan hatte, und das würde schwer zu ertragen sein.
Er wusste, dass es Zeit war, der ganzen Sache Einhalt zu gebieten, Cathy aus dem Spiel zu nehmen und sich den Konsequenzen zu stellen, aber er wusste auch, dass er es nicht tun würde. Es ging nicht nur um eine Menge Geld, sondern darüber hinaus hatte er versprochen zu liefern. Und er würde liefern. Er musste liefern.
Er lag wach, denn ihm schwirrte der Kopf. Der Tag brach an, aber Schlaf wollte sich nicht einstellen.
Cathy hingegen schlief ruhig und sicher in den Armen des Mannes, den sie liebte.
Cathy vertilgte zum Frühstück zwei Spiegeleier, vier Streifen Schinkenspeck und ein paar Pfannkuchen mit Ahornsirup. Dazu trank sie einen Riesenbecher Kaffee.
Eamonn sah ihr zu und beneidete sie um ihren gesunden Appetit. Er konnte nichts essen und würde auch keinen Bissen runterkriegen, bevor er die Nachricht erhalten hatte, dass die Ware sich nicht mehr in Cathys Besitz befand, sondern an einem sicheren Ort gelagert war.
»Du siehst ja furchtbar aus, Eamonn, ist alles in Ordnung?«, fragte sie besorgt, aber er zuckte nur mit den Achseln.
»Hab mich wohl nur erkältet. Das wird schon.«
Sie widmete sich wieder ihrem Frühstück. Nach einer Liebesnacht war sie immer hungrig.
Eamonn steckte sich seine fünfte Zigarette an.
»Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist? Kann ich dir vielleicht helfen?«
Er schüttelte den Kopf. Jähzorn und schlechtes Gewissen mischten sich, als er sie anfauchte: »Heilige Scheiße, Cathy, gib endlich Ruhe! Ich hab doch gesagt, mir geht’s gut!«
Sie hörte zu essen auf und sah ihn mit großen Augen an. »Ich hab doch nur gefragt, Eamonn. Da brauchst du mir nicht gleich den Kopf abzureißen.«
Sie schob ihren Teller weg. »Ich muss noch packen und dann bald zum Flughafen. Beide Koffer brauche ich aber nicht. Jetzt hab ich ja diese Wohnung und kann viele Sachen gleich hierlassen. Ich komme leicht mit einem aus.«
Eamonn spürte Panik aufkommen. »Ich dachte, du nimmst alles mit nach England? Hast du das nicht gesagt?«, fragte er betont ungezwungen. »Die Wintersachen. Ich dachte, du wolltest sie Desraes Freund geben, dem, der amerikanische Mode liebt?« Er merkte selbst, dass er nur noch schwafelte.
Cathy lachte. »Dass du daran denkst.« »Ich finde, du könntest die Koffer ruhig benutzen. Schließlich habe ich sie dir doch gerade erst geschenkt. Wär doch schade, wenn einer von beiden nutzlos zurückbleiben müsste. Und außerdem möchte ich, dass du jedes Mal an mich denkst, wenn du sie packst.«
Sein launiger Ton brachte Cathy zum Lachen, und sie freute sich, dass seine Stimmung sich gebessert hatte.
»Dann will ich mal loslegen, und danach geh ich unter die Dusche. Viel Zeit bleibt nicht mehr.«
Als Cathy die beiden Koffer packte, sang sie vor sich hin. Der Klang ihrer Stimme an diesem friedlichen Morgen brach ihm fast das Herz.
 
Kaum war Eamonn vom Flughafen zurück und hatte sein Büro betreten, klingelte das Telefon. Anthony fragte ohne einen Gruß: »Ich nehme an, du hast gestern meinen Wink verstanden?«
»Sie hat das Zeug dabei«, beruhigte ihn Eamonn, »aber sie weiß absolut nichts davon.«
»So soll es sein«, dröhnte Baggato. »Je weniger Leute davon wissen, desto besser. Ich würde jedenfalls nicht wollen, dass man sich in der Stadt erzählt, ich hätte damit zu tun. Bist du bereit für die Reise nach Washington?«
Müde erwiderte Eamonn: »Ja. Was wollen die von mir?«
»Ich hab keine Ahnung«, sagte der andere Mann. »Sie machen so was ab und zu, um die Leute auf Trab zu halten. Solange du nichts von ihrem Geld abgezwackt hast, brauchst du dir keine Gedanken zu machen.« Er hielt inne. »Sag mir bitte, dass du nicht so dumm warst.«
Eamonn reagierte beleidigt. »Was hätte ich davon haben sollen? Gemessen an dem, was wir am Laufen haben, wär damit nur Kleingeld zu verdienen.«
Anthony gluckste. »Wohl wahr. Du hast Recht, entschuldige bitte. Aber selbst ich werde manchmal nervös. Es ist alles auf der Kippe, alles geht schief. Wie alle Italiener bin ich abergläubisch und heute Morgen sogar zur Messe gegangen, das erste Mal seit Jahren. Doch wie die Bibel sagt: Gott liebt die Sünder. Und ich bin zweifellos einer.« Nach einer kleinen Pause sagte er beiläufig: »Sollten sie dennoch aus irgendwelchen Gründen von Igor und allem erfahren, kann ich doch darauf zählen, dass du mich raushältst?«
Die Verachtung, die Eamonns ebenmäßige Züge überschattete, blieb seinem massigen Freund am anderen Ende der Leitung natürlich verborgen. »Du meinst, die sollen mich und Jack und noch ein paar andere ruhig umlegen, solange du ein biblisches Alter erreichst, hm?«
Anthony lachte entwaffnend. »Wenn du es so ausdrücken möchtest, ja, genau das meine ich.«
»Hast du was flüstern hören?«
»Ich schwöre bei meinen Kindern - nichts hab ich gehört«, versicherte ihm der Italiener. »Du weißt, dass Fancini letzte Nacht gestorben ist?«
Eamonn erblasste. »Du nimmst mich auf den Arm?«
»Sie haben ihm eine Kugel in den Hinterkopf gejagt und die zweite unters Kinn. Eine typische Mob-Hinrichtung. Das hat sogar die Polizei geschnallt. Die Leiche haben sie in seiner Auffahrt gelassen, in seinem Auto. Wer auch immer das befohlen hat, wollte, dass er gefunden wurde. Hattest du irgendwelche Geschäfte mit ihm laufen?«
Eamonn antwortete nicht. Fancini hatte eine Nebenrolle als Eamonns Kontaktmann zu Igors Partnern in Atlantic City gespielt. Soweit Eamonn wusste, ahnte nicht einmal Anthony etwas von seiner Beteiligung, obwohl er sie hier und da einmal zusammen gesehen hatte.
»Willst du damit sagen, dass der Mob Fancini unseretwegen hat aus dem Weg räumen lassen?«, fragte er schließlich.
»Nein, ich berichte dir nur Tatsachen. Fancini hat sich letzte Nacht zwei Kugeln eingefangen. Wer immer ihn hat umlegen lassen, wollte damit ein Zeichen setzen.«
Als keine Erwiderung kam, seufzte Baggato. »Nun, ich muss Schluss machen. Ich wünsche dir Frieden. Und vergiss nicht, es sind die ganz Großen, die du treffen wirst. Im Vergleich zu denen befehle ich eine Truppe aus Zinnsoldaten. Sei vorsichtig, sehr vorsichtig, und belaste weder dich noch sonst jemanden.«
»Und wenn sie bereits was wissen?«, fragte Eamonn zögernd.
»Wenn sie etwas wissen, biete ihnen ein Stück vom Kuchen an, ein verdammt großes Stück. Wenn nötig, biete ihnen sogar den ganzen Scheißkuchen an. Du wirst schon wissen, was zu tun ist. Du bist kein Dummkopf, das wissen die auch, und deine Verbindung mit den Iren garantiert dir eine gewisse Sicherheit. Beruf dich einfach auf ein paar Namen. Mach dir alles zunutze, was du aufbieten kannst. Wenn sie dir wirklich an den Kragen wollen, bist du eh ein toter Mann, es sei denn, du kannst einen Deal mit ihnen aushandeln.«
»Wie konnten wir uns nur auf diese Scheiße einlassen?«
Anthony lachte wieder, aber diesmal klang es ganz und gar nicht belustigt. »Das ist leicht beantwortet. Habgier ist schuld daran. Das hier sollte uns eine Lehre sein. Aus allem kann man lernen. Wir hatten mehr Scheißgeld als die katholische Kirche, aber wir wollten noch mehr, und wir wollten mit niemandem teilen. Nein, wir wollten alles für uns, und daraus folgt, wenn etwas schiefgeht, müssen wir auch die ganze Scheiße ausbaden. Wir haben nichts delegiert - verstehst du, was ich sagen will?«
Eamonn blieb stumm. Nachdem Anthony aufgelegt hatte, saß er da und kaute an seinem Daumennagel, was er schon als Kind getan hatte, wenn er nervös war. Er steckte in der Klemme, und diesmal hatte er mit zu vielen Leuten seine Probleme.
Zum ersten Mal in seinem Leben wusste Eamonn Docherty keinen Rat mehr.
Die Aufsteigerin
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