Kapitel siebenundvierzig
NEW YORK, 1995
Beladen mit Einkaufstüten verließ Cathy das
Kaufhaus Saks an der Fifth Avenue. Wie immer im Frühling war sie
lebensfroh und unternehmungslustig.
Morgens war sie allein im Central Park spazieren
gegangen, hatte Kaffee getrunken, eine Zigarette geraucht und das
Leben und Treiben beobachtet. Die Natur erwachte zum Leben. Das
Gras war grüner als sonst, die Bäume schmückten sich langsam mit
Blättern, und die Sonne hatte so viel Kraft, dass der Wind vom
Atlantik erträglich wurde.
Sie hatte New York lieben gelernt und auch Amerika.
Im Lauf der acht Jahre, in denen sie die Stadt regelmäßig besucht
hatte, war sie fast selbst zur New Yorkerin geworden. Sie hatte
sich vor einem Jahr sogar ein Loft in der Nähe der Bleecker Street
gekauft. Die Gegend erinnerte sie an Londons Soho, und unter den
Künstlern und trendbewussten jungen Leuten auf den Straßen fühlte
sie sich heimisch.
Sie aß in Chinatown Chow Mein mit Shrimps und trank
dazu einen Kräutertee, bevor sie mit ihren Einkaufstüten zu Fuß
nach Little Italy ging, wo sie um halb drei mit Eamonn verabredet
war. Als sie The Baker’s Bar betrat, entdeckte sie Anthony Baggato.
»Kein Eamonn da?«
Anthony liebte sie. Er liebte ihr Gesicht, ihr Haar
und ihren britischen Akzent. »Er wird gleich da sein, Prinzessin.
Was möchtest du trinken?«
Er schnippte mit den Fingern, und schon erschien
eine Kellnerin. Sie trug ein kurzes schwarzes Kleid und stakte auf
unmöglich
hohen Absätzen einher. Cathy lächelte ihr zu. »Ich hätte gern ein
Glas Weißwein.«
Die junge Frau notierte die Bestellung, und Cathy
und Anthony schauten ihr nach, wie sie zum Tresen stöckelte.
Cathy lachte. »Du bist unmöglich, Anthony.«
Er hob die Arme, als habe er nichts zu erwidern.
»Ich schaue, ich träume, ich genieße. In meinem Alter bleibt mir
nichts anderes übrig.«
Er war ein Riesenkerl und wog mit Anfang sechzig
noch immer gut hundertzehn Kilo. Während er sprach, ließ er die
junge Kellnerin nicht aus den Augen. Sie war kaum mehr als zwanzig,
hatte ein sehr hübsches Gesicht und schaute ungnädig drein.
»Mein Güte, Cathy, wie viel kann eine Frau nur
einkaufen? Jedes Mal, wenn ich dich sehe, bist du schwer beladen.
Ich kann nur hoffen, dass du den Irenlümmel für das ganze Zeug
bezahlen lässt.«
»Ich bin eine unabhängige Frau. Ich verdiene mein
eigenes Geld und gebe mein eigenes Geld aus.«
Anthony spielte den Sizilianer, zog scherzhaft die
Schultern hoch und sagte laut: »Warum hab ich nicht eine wie dich
gefunden? Meine Frau ist ständig am Einkaufen, aber sie kauft nur
unnützes Zeug. Mein Apartment hat mehr als eine Million Dollar
gekostet und ist randvoll mit Tinnef. Deswegen setz ich da keinen
Fuß mehr rein.« Anthony hatte seine vorletzte Frau vor fünf Jahren
gegen eine Achtundzwanzigjährige ausgetauscht, ein Revuegirl mit
aufgeworfenen Collagenlippen und Brüsten, die allen Gesetzen der
Schwerkraft Hohn sprachen.
Eamonn betrat die Bar, und als er Cathy sah,
verbesserte sich seine Laune sofort. Wie gewöhnlich sah sie zum
Anbeißen aus. In dem engen weißen Kostüm, das ihre schlanken Beine
betonte, hätte sie es mit jedem Filmstar aufnehmen können.
Nach acht Jahren bezauberte sie ihn noch immer. Und
auch heute gab sie ihm Auftrieb, trotz seiner zahllosen
Sorgen.
»Da erwisch ich euch beide also schon wieder. Was
denkst du
dir eigentlich dabei? Dich hinter meinem Rücken mit diesem Anthony
zu treffen?«
Sie lachten, und Cathy sagte: »Wie froh ich bin,
dass wir aufgeflogen sind. Es war sein furchtbarer Stress, unser
Verhältnis geheim zu halten.« Sie nippte an ihrem Wein, während die
Männer über Geschäfte sprachen.
»Reibereien mit Igor?«, fragte Anthony.
Eamonn zuckte die Achseln. »Dieselbe Scheiße wie
immer.«
Anthony lachte. »Willst du damit sagen, die rote
Kacke ist noch nicht am Dampfen?«
»Ja, mit der Betonung auf noch!«
Beide Männer sahen besorgt aus, aber dann erhellte
sich Eamonns Miene. »Wir haben immer noch eine Menge Zeit, und wenn
es hart auf hart kommt, mach ich es selbst klar. Wäre ja nicht das
erste Mal.«
»Was hat das alles zu bedeuten?«, wollte Cathy
wissen. »Immer redet ihr in Rätseln.«
Die beiden Männer sahen sie an, und Cathy blieb die
Anspannung in ihren Gesichtern nicht verborgen.
»Denk dir nichts dabei, Süße, ist alles nur
Unsinn.« Anthony erhob sich schwerfällig. »Ich muss langsam los,
denn ich bin mit Jack verabredet.«
Er küsste Cathy formvollendet die Hand. »Bis wir
uns wiedersehen. Und vergiss nicht, Kleines, wenn du den
Schwachkopf leid bist - ein Anruf genügt. Wann fliegst du
morgen?«
»Viertel nach acht in der Frühe.« Sie verzog das
Gesicht. »Ich möchte gar nicht weg, Anthony, aber die Pflicht ruft.
Du kennst das ja.«
»Ein verdammt guter Club, den du da drüben hast.
Hat mir ausgezeichnet gefallen. Viertel nach acht, sagst du?« Er
sah Eamonn durchdringend an. »Also geht’s morgen nach London? Dann
auf Wiedersehen. Bis zum nächsten Mal.«
Er verließ die Bar. Cathy und Eamonn schauten ihm
nach. Obwohl er dieser Tage nicht mehr so gut zu Fuß war, hatte er
nichts von seinem gebieterischen und imposanten Auftreten
verloren.
»Was sollte das denn? Dieser bedeutsame Blick?«,
fragte Cathy.
»Keine Ahnung. Und - was möchtest du jetzt
machen?«
Sie lächelte kokett. »Was meinst du denn, was ich
machen möchte? Ich fliege morgen. Ich hab ein paar Steaks gekauft,
Wein und Salat. Abendessen, Bad, Bett. In der Reihenfolge.«
Eamonn schmunzelte. »Hört sich gut an.« Aber Cathy
sah ihm an, dass er mit den Gedanken woanders war.
Er küsste sie auf die Nasenspitze. »Hör mal, ich
setze dich in ein Taxi. Ich muss erst nochmal nach Hause und
einiges regeln. Ich bin dann gegen sechs bei dir. Ist das in
Ordnung?«
Cathy nickte, obwohl sie insgeheim gekränkt war,
dass er sie so schnell wieder allein ließ. »Selbstverständlich,
kein Problem«, sagte sie gewollt locker.
Deirdra blickte ihrem Mann missmutig entgegen, als
er das Haus in Long Island betrat. »Womit habe ich denn dies
seltene Vergnügen verdient?«
Er ignorierte ihre Ironie. »Ist heute etwas
angeliefert worden?«
»Zwei Koffer, ich hab sie in der Garage abgestellt.
Was, um Himmels willen, ist bloß in den Dingern drin? Die sind ja
irre schwer.«
Eamonn drehte sich um und ging aus dem Zimmer.
Zurück blieb seine vor Wut schäumende Ehefrau. Seit der Geburt von
Hattie, ihrer jüngsten Tochter, hatte er sie nicht mehr angefasst.
Sie lebten wie Mann und Frau, besuchten gemeinsam Veranstaltungen,
ja, plauderten sogar am Frühstückstisch, wenn er denn über Nacht zu
Hause geblieben war. Aber das war es auch schon.
Eins wusste sie jedoch: Anderen Frauen stellte er
nicht nach. Meistens befand er sich mit ihr und den Kindern unter
einem
Dach. Nur ein paarmal im Monat musste sie ihn auf die
Vermisstenliste setzen. Deirdra hatte sich damit arrangiert. So
würde sich ihr Leben auch weiterhin abspielen, und das akzeptierte
sie.
Eamonn ging hinaus in die Garage und sah sich die
Koffer an. Sie waren unauffällig wie immer, aber unter dem Futter
enthielten sie mehr als je zuvor. Eben das machte die Sache so
besorgniserregend.
Sein üblicher Kurier war von einem jungen schwarzen
Straßenräuber an der Ecke East 110th Street und Lexington Avenue
umgebracht worden. Jetzt saß Eamonn mit der Ware da, und es blieb
ihm nichts anderes übrig, als sie selbst nach London zu bringen.
Aber er musste auch am nächsten Nachmittag bei einem Mafiatreffen,
das er nicht versäumen durfte, in Washington sein.
Als er die Koffer betrachtete, dachte er an
Anthonys Idee, und am liebsten hätte er sie schnell wieder
verworfen. Das konnte er Cathy nicht antun, niemals. Dennoch war
ihm klar, dass er kaum eine andere Chance hatte. Außerdem würde sie
nie erfahren, was er getan hatte. Die Ware war nicht zu entdecken.
All die Jahre, in denen sie für die Russen Kurierdienste geleistet
hatten, waren sie kein einziges Mal aufgefallen, weder hier in New
York noch in London.
Die Sache war narrensicher.
Die Ware besaß Millionenwert und wurde stets im
Voraus bezahlt. In den neunziger Jahren war die Nachfrage
gestiegen, und inzwischen wickelten sie ihre Geschäfte mit Partnern
in der ganzen Welt ab.
Er schloss die Augen und fragte sich, wie Cathy
wohl reagieren würde, wenn sie erführe, worauf er sich diesmal
eingelassen hatte. Er mochte gar nicht daran denken.
Cathy trug das kleine Weiße, das sie morgens bei
Saks gekauft hatte. Es brachte ihre gebräunte Haut perfekt zur
Geltung und
war so geschnitten, dass es ihre Brüste betonte und ihre Taille
noch schlanker erscheinen ließ. Als sie Eamonn die Tür öffnete, sah
sie erstaunt, dass er zwei Koffer bei sich hatte.
»Du bist doch nicht etwa zu Hause
ausgezogen?«
Sie klang so entgeistert, dass er lachen musste.
»Die sind ein Geschenk. Ein Geschenk für meine transatlantische
Geliebte.«
Cathy nahm die beiden Samsonite-Koffer näher in
Augenschein. »Du machst Witze?«
»Nein, die sind für dich. Ich weiß, dass ich
normalerweise andere Geschenke mache, und in der Tat habe ich einen
Klunker von Cartier in der Brusttasche. Aber ich sah die beiden
hier und dachte: genau das Richtige für meine Cathy, stoßfest,
abschließbar und sicher.«
Er stellte sie im Schlafzimmer ab. Sie konnte es
immer noch nicht so recht fassen. »Koffer? Du verblüffst mich doch
immer wieder, Eamonn Docherty.«
Wie erwartet, hatte sie seine »Geschenke«
angenommen. Doch nach dem Essen, als sie den Wein austranken und
ihre Zigarette rauchten, sagte Cathy: »Es ist schon komisch,
Eamonn. Als ich dich mit den Koffern sah, habe ich wirklich einen
Moment lang geglaubt, du wärest ausgezogen. Ich weiß, ich hab immer
gesagt, ich will nicht, dass wir zusammenleben, aber das hat damit
zu tun, dass du inzwischen New Yorker bist und London meine
Heimatstadt bleibt. Aber vorhin an der Tür hoffte ich wirklich ganz
kurz, du würdest mir sagen, wir könnten immer zusammen sein … Ich
weiß, es ist albern, denn wir haben beide unsere Verpflichtungen,
wir haben jeder unser Leben, verschiedene Menschen, verschiedene
Geschäfte. Da gibt es so viel, was uns trennt. Aber ich war ganz
kurz überglücklich, weil ich glaubte, du kämst zu mir. Mir wurde
klar, dass wir heute hätten zusammenleben können, wenn wir andere
Wege gegangen wären. Richtig zusammenleben. Nicht nur einmal im
Monat für ein verlängertes Wochenende.«
Sie trank einen Schluck Wein. »Ich will damit
sagen, dass ich
dich mehr liebe, als mir bewusst war. Ich liebe dich so, dass ich
versuchen möchte, alles zu überwinden, was uns voneinander
trennt.«
Er nahm ihre Hand. »Ich liebe dich, Cathy, und wir
werden eines Tages zusammen sein. Das verspreche ich. Vielleicht
schon früher, als wir ahnen.«
Sie lächelte glücklich. »Eine Tages, hm? Eines
Tages werden wir wirklich zusammen sein?« Er nickte. Sie nahm seine
Hand und führte ihn ins Schlafzimmer.
Die Aussicht aus dem Loft war grandios. Nachdem sie
sich geliebt hatten, lagen sie im Dämmerlicht beieinander und sahen
zu, wie die Sterne einer nach dem anderen aufgingen.
Wie magnetisch angezogen fiel sein Blick auf die
Koffer, die seine Versprechungen zu verhöhnen schienen. All diese
großen Worte von Liebe, und doch benutzte er diese Frau, weil er
sich wieder einmal in die Ecke manövriert hatte. Er musste
nach Washington fliegen. Seit Peteys Tod hatte Jack ihm sämtliche
Verhandlungen überlassen, ja, hatte ihm so gut wie alles
übertragen. Diesen Preis hatte Eamonn für den Tod seines Freundes
zu zahlen. Obwohl Jack niemals etwas gesagt hatte, wusste Eamonn,
dass sein Schwiegervater der Ansicht war, er hätte Petey zur Seite
stehen und der IRA klarmachen sollen, dass Petey ein Recht auf
seine Freiheit besaß. Jack, ein Ire der ersten Generation, hätte es
besser wissen müssen. Wer sich der Sache verschrieben hatte, den
entließ daraus nur der Tod.
Cathy atmete leise und ruhig neben ihm, aber Eamonn
lief es kalt den Rücken hinunter. Wenn sie auch nur den Hauch einer
Ahnung hätte, was sich in den Koffern befand, oder gar wüsste, wozu
deren Inhalt benutzt werden sollte, würde sie ihn bis an ihr
Lebensende hassen.
Er zündete sich eine Zigarette an und lag voller
Unruhe in der Dunkelheit neben seiner schlafenden Geliebten,
verzweifelt bemüht, seine Gedanken zu ordnen. Das Zeug nach England
zu transportieren war relativ einfach. Das Problem bestand darin,
es aus Cathys Wohnung zu bringen, ohne dass ihr bewusst wurde, was
sie transportiert hatte.
Da kam Mr. Cheng ins Spiel.
Da wurde es wirklich schwierig.
Eamonn ärgerte sich über sich selbst und verspürte
ungewohnte Furcht, die mit dem Ärger einherging. Er steckte in
Schwierigkeiten, in bösen Schwierigkeiten, und das sowohl mit den
Italienern als auch mit den Iren. Seine Geschäfte mit den
Osteuropäern hatten in der Welt, in der er sich bewegte, zu
Reibereien geführt. Obwohl Anthony Baggato überall dabei war,
konnte er doch nicht auf verlässlichen Schutz zählen.
Die Iren würden ihn fallenlassen, wenn sie wüssten,
worauf er sich eingelassen hatte. Er steckte bis zum Hals in der
Sache. Nach allen zweifelhaften Geschäften, auf die er sich im Lauf
der Jahre eingelassen hatte, war er den Russen mit Vertrauen
begegnet und hätte in seinen schlimmsten Träumen nicht erwartet,
dass alles derart außer Kontrolle geraten könnte.
Im Bett neben der einzigen Frau, die er je geliebt
hatte, überkam ihn die grenzenlose Einsamkeit, die mit dem Verrat
an einem geliebten Menschen einhergeht. Denn er verriet sie, betrog
sie. Auch nachdem alles vorüber war, würde er doch genau wissen,
was er ihr angetan hatte, und das würde schwer zu ertragen
sein.
Er wusste, dass es Zeit war, der ganzen Sache
Einhalt zu gebieten, Cathy aus dem Spiel zu nehmen und sich den
Konsequenzen zu stellen, aber er wusste auch, dass er es nicht tun
würde. Es ging nicht nur um eine Menge Geld, sondern darüber hinaus
hatte er versprochen zu liefern. Und er würde liefern. Er
musste liefern.
Er lag wach, denn ihm schwirrte der Kopf. Der Tag
brach an, aber Schlaf wollte sich nicht einstellen.
Cathy hingegen schlief ruhig und sicher in den
Armen des Mannes, den sie liebte.
Cathy vertilgte zum Frühstück zwei Spiegeleier,
vier Streifen Schinkenspeck und ein paar Pfannkuchen mit
Ahornsirup. Dazu trank sie einen Riesenbecher Kaffee.
Eamonn sah ihr zu und beneidete sie um ihren
gesunden Appetit. Er konnte nichts essen und würde auch keinen
Bissen runterkriegen, bevor er die Nachricht erhalten hatte, dass
die Ware sich nicht mehr in Cathys Besitz befand, sondern an einem
sicheren Ort gelagert war.
»Du siehst ja furchtbar aus, Eamonn, ist alles in
Ordnung?«, fragte sie besorgt, aber er zuckte nur mit den
Achseln.
»Hab mich wohl nur erkältet. Das wird schon.«
Sie widmete sich wieder ihrem Frühstück. Nach einer
Liebesnacht war sie immer hungrig.
Eamonn steckte sich seine fünfte Zigarette
an.
»Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist? Kann
ich dir vielleicht helfen?«
Er schüttelte den Kopf. Jähzorn und schlechtes
Gewissen mischten sich, als er sie anfauchte: »Heilige Scheiße,
Cathy, gib endlich Ruhe! Ich hab doch gesagt, mir geht’s
gut!«
Sie hörte zu essen auf und sah ihn mit großen Augen
an. »Ich hab doch nur gefragt, Eamonn. Da brauchst du mir nicht
gleich den Kopf abzureißen.«
Sie schob ihren Teller weg. »Ich muss noch packen
und dann bald zum Flughafen. Beide Koffer brauche ich aber nicht.
Jetzt hab ich ja diese Wohnung und kann viele Sachen gleich
hierlassen. Ich komme leicht mit einem aus.«
Eamonn spürte Panik aufkommen. »Ich dachte, du
nimmst alles mit nach England? Hast du das nicht gesagt?«, fragte
er betont ungezwungen. »Die Wintersachen. Ich dachte, du wolltest
sie Desraes Freund geben, dem, der amerikanische Mode liebt?« Er
merkte selbst, dass er nur noch schwafelte.
Cathy lachte. »Dass du daran denkst.« »Ich finde,
du könntest die Koffer ruhig benutzen. Schließlich habe ich sie dir
doch gerade erst geschenkt. Wär doch schade,
wenn einer von beiden nutzlos zurückbleiben müsste. Und außerdem
möchte ich, dass du jedes Mal an mich denkst, wenn du sie
packst.«
Sein launiger Ton brachte Cathy zum Lachen, und sie
freute sich, dass seine Stimmung sich gebessert hatte.
»Dann will ich mal loslegen, und danach geh ich
unter die Dusche. Viel Zeit bleibt nicht mehr.«
Als Cathy die beiden Koffer packte, sang sie vor
sich hin. Der Klang ihrer Stimme an diesem friedlichen Morgen brach
ihm fast das Herz.
Kaum war Eamonn vom Flughafen zurück und hatte
sein Büro betreten, klingelte das Telefon. Anthony fragte ohne
einen Gruß: »Ich nehme an, du hast gestern meinen Wink
verstanden?«
»Sie hat das Zeug dabei«, beruhigte ihn Eamonn,
»aber sie weiß absolut nichts davon.«
»So soll es sein«, dröhnte Baggato. »Je weniger
Leute davon wissen, desto besser. Ich würde jedenfalls nicht
wollen, dass man sich in der Stadt erzählt, ich hätte damit zu tun.
Bist du bereit für die Reise nach Washington?«
Müde erwiderte Eamonn: »Ja. Was wollen die von
mir?«
»Ich hab keine Ahnung«, sagte der andere Mann. »Sie
machen so was ab und zu, um die Leute auf Trab zu halten. Solange
du nichts von ihrem Geld abgezwackt hast, brauchst du dir keine
Gedanken zu machen.« Er hielt inne. »Sag mir bitte, dass du nicht
so dumm warst.«
Eamonn reagierte beleidigt. »Was hätte ich davon
haben sollen? Gemessen an dem, was wir am Laufen haben, wär damit
nur Kleingeld zu verdienen.«
Anthony gluckste. »Wohl wahr. Du hast Recht,
entschuldige bitte. Aber selbst ich werde manchmal nervös. Es ist
alles auf der Kippe, alles geht schief. Wie alle Italiener bin ich
abergläubisch und heute Morgen sogar zur Messe gegangen, das erste
Mal seit Jahren. Doch wie die Bibel sagt: Gott liebt die Sünder.
Und ich
bin zweifellos einer.« Nach einer kleinen Pause sagte er
beiläufig: »Sollten sie dennoch aus irgendwelchen Gründen von Igor
und allem erfahren, kann ich doch darauf zählen, dass du mich
raushältst?«
Die Verachtung, die Eamonns ebenmäßige Züge
überschattete, blieb seinem massigen Freund am anderen Ende der
Leitung natürlich verborgen. »Du meinst, die sollen mich und Jack
und noch ein paar andere ruhig umlegen, solange du ein biblisches
Alter erreichst, hm?«
Anthony lachte entwaffnend. »Wenn du es so
ausdrücken möchtest, ja, genau das meine ich.«
»Hast du was flüstern hören?«
»Ich schwöre bei meinen Kindern - nichts hab ich
gehört«, versicherte ihm der Italiener. »Du weißt, dass Fancini
letzte Nacht gestorben ist?«
Eamonn erblasste. »Du nimmst mich auf den
Arm?«
»Sie haben ihm eine Kugel in den Hinterkopf gejagt
und die zweite unters Kinn. Eine typische Mob-Hinrichtung. Das hat
sogar die Polizei geschnallt. Die Leiche haben sie in seiner
Auffahrt gelassen, in seinem Auto. Wer auch immer das befohlen hat,
wollte, dass er gefunden wurde. Hattest du irgendwelche Geschäfte
mit ihm laufen?«
Eamonn antwortete nicht. Fancini hatte eine
Nebenrolle als Eamonns Kontaktmann zu Igors Partnern in Atlantic
City gespielt. Soweit Eamonn wusste, ahnte nicht einmal Anthony
etwas von seiner Beteiligung, obwohl er sie hier und da einmal
zusammen gesehen hatte.
»Willst du damit sagen, dass der Mob Fancini
unseretwegen hat aus dem Weg räumen lassen?«, fragte er
schließlich.
»Nein, ich berichte dir nur Tatsachen. Fancini hat
sich letzte Nacht zwei Kugeln eingefangen. Wer immer ihn hat
umlegen lassen, wollte damit ein Zeichen setzen.«
Als keine Erwiderung kam, seufzte Baggato. »Nun,
ich muss Schluss machen. Ich wünsche dir Frieden. Und vergiss
nicht, es
sind die ganz Großen, die du treffen wirst. Im Vergleich zu denen
befehle ich eine Truppe aus Zinnsoldaten. Sei vorsichtig, sehr
vorsichtig, und belaste weder dich noch sonst jemanden.«
»Und wenn sie bereits was wissen?«, fragte Eamonn
zögernd.
»Wenn sie etwas wissen, biete ihnen ein Stück vom
Kuchen an, ein verdammt großes Stück. Wenn nötig, biete ihnen sogar
den ganzen Scheißkuchen an. Du wirst schon wissen, was zu
tun ist. Du bist kein Dummkopf, das wissen die auch, und deine
Verbindung mit den Iren garantiert dir eine gewisse Sicherheit.
Beruf dich einfach auf ein paar Namen. Mach dir alles zunutze, was
du aufbieten kannst. Wenn sie dir wirklich an den Kragen wollen,
bist du eh ein toter Mann, es sei denn, du kannst einen Deal mit
ihnen aushandeln.«
»Wie konnten wir uns nur auf diese Scheiße
einlassen?«
Anthony lachte wieder, aber diesmal klang es ganz
und gar nicht belustigt. »Das ist leicht beantwortet. Habgier ist
schuld daran. Das hier sollte uns eine Lehre sein. Aus allem kann
man lernen. Wir hatten mehr Scheißgeld als die katholische Kirche,
aber wir wollten noch mehr, und wir wollten mit niemandem teilen.
Nein, wir wollten alles für uns, und daraus folgt, wenn etwas
schiefgeht, müssen wir auch die ganze Scheiße ausbaden. Wir haben
nichts delegiert - verstehst du, was ich sagen will?«
Eamonn blieb stumm. Nachdem Anthony aufgelegt
hatte, saß er da und kaute an seinem Daumennagel, was er schon als
Kind getan hatte, wenn er nervös war. Er steckte in der Klemme, und
diesmal hatte er mit zu vielen Leuten seine Probleme.
Zum ersten Mal in seinem Leben wusste Eamonn
Docherty keinen Rat mehr.