Kapitel einundzwanzig
Eamonn folgte Petey in die Wärme der Lennox Bar auf der Lennox Avenue. Hierhin retteten sich die rettungslos verlorenen Wetter - Männer, denen keine neuerliche Kreditverlängerung gewährt wurde oder die aus den verschiedensten Gründen erst gar keinen Kredit bekamen.
In der Lennox Bar konnten Männer spielen, die auf der schwarzen Liste standen. Alle Blicke richteten sich auf die Tür, als sie eintraten, und ein großer schlanker Mann mit rotblondem Haar und beeindruckend blauen Augen rutschte von seinem Barhocker und hastete zur Herrentoilette. Ohne zu zögern, setzten Petey und Eamonn ihm nach.
Sie durchquerten die Toilette und kletterten zum Fenster hinaus. In der Hintergasse wurde der flüchtige rotblonde Mann von Paddy und Seamus O’Connor festgehalten, zwei von Peteys schweren Jungs, die vorsorglich dort postiert worden waren.
Petey wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht und tat mit einem theatralischen Seufzer kund, wie bekümmert, aber auch gekränkt er war.
»Himmel auch, Jonjo, du machst mich noch wahnsinnig. Ich mein …« er sah sich zur Bestätigung seiner Worte nach Eamonn um, »… wir suchen bereits den ganzen Tag nach dir, und meine müden Beine machen schon gar nicht mehr mit. Und jetzt muss ich doch tatsächlich auch noch klettern - klettern - und in einer verschissenen Bar durch ein verschissenes Fenster steigen, um dich endlich zu erwischen! Bist du etwa lebensmüde, oder was?«
Jonjo gab keine Antwort.
Kopfschüttelnd gab Petey Eamonn einen Wink und lehnte sich an die Mauer, um sich eine Zigarette anzustecken. Eamonn trat vor und schlug den Mann zu Boden. Jonjo leistete nicht den geringsten Widerstand.
Kaum lag er, zusammengerollt wie ein Fötus, auf dem schmutzigen Fußboden, bearbeitete ihn Eamonn mit einem mörderischen Stakkato von Tritten. Jonjo blutete aus Wunden am Kopf und im Gesicht, seine Augen waren so geschwollen, dass er nichts mehr sah, seine Arme seltsam verkrümmt.
Eamonn, der kaum ins Schwitzen gekommen war, nahm sich jetzt die Beine des Mannes vor. Nach außen hin wirkte er unbeteiligt, aber der Kitzel und die darauf folgende Hochstimmung, in die ihn derartige Gewaltausbrüche versetzten, stellten sich sofort wieder ein. Die Brüder O’Connor sahen gebannt zu, wie hier ein Meister seine Arbeitsweise demonstrierte. Guten Gesprächsstoff würde es abgeben. Seit Eamonn sich der Organisation angeschlossen hatte, stieß er allseits auf neugieriges Interesse, denn obwohl alle in ihrem Job mit Gewalt zu tun hatten, mussten sie neidvoll anerkennen, dass dieser Mann deren Anwendung zu einer Kunstform perfektioniert hatte.
Zum guten Abschluss griff Eamonn noch zu einem Cutter. Er beugte sich über den leblosen Mann und schnitt ihm die Ohren ab. Zum Glück war Jonjo bereits bewusstlos, als immer mehr Blut in dunkelroten Rinnsalen auf den staubigen Boden sickerte. Eamonn richtete sich auf und ging davon. Sein Messer wischte er mit einem alten Lumpen ab.
»Wie wär’s mit einem Bier vorm nächsten Job?« Petey stellte fest, dass seine Stimme fast wie die eines Mädchens klang, aufgeregt und piepsig. Es mochte wohl sein, dass dieser Mann ihn ängstigte.
Eamonn schüttelte nur den Kopf und stieg ins Auto. Seufzend kam Petey seinem Wunsch nach, stieg ebenfalls ein und ließ den Motor an. Ihre Stimmung war angespannt, bis Eamonn endlich locker wurde und wieder sprach.
»Wen haben wir als Nächstes auf ‘m Zettel?«
Petey feixte. »Der wird dir gefallen. Geht um einen Gefallen für Carmine, einen italienischen Bruder von uns. Dem seine Tochter war mit einem Typen namens Inglesias verheiratet, der sie immer wieder versohlt hat. Inzwischen ist sie von ihm geschieden, aber er fährt drauf ab, sie einzuschüchtern, verstehst du? Sache ist jetzt - letzte Woche hat er die Kinder abgeholt und nicht wiedergebracht. Ich hab rausgekriegt, wo er wohnt, und wir werden ihm einen kleinen Besuch abstatten. Ein Mistkerl ist der … Carmine ist nicht aufgenommen, genießt aber Respekt und legt einen fetten Batzen auf den Tisch, damit wir die Sache für ihn regeln. Er will mit so einem Eheproblem nicht zu seinem Don gehen, was ja irgendwie verständlich ist. Ich finde den Drecksack, den wir jetzt besuchen, auch zum Kotzen. Ist ein Zuhälter vom alten Schlag. Prügelt seine Girls, fixt sie an und hat dazu auch noch eine Spezialagentur aufgezogen.«
Eamonn runzelte die Stirn. »Spezialagentur?«
Peteys angewidertes Grinsen machte sein Gesicht noch hässlicher. »Zieh dir das mal rein, Eamonn: Dieser Inglesias besorgt schwangere Frauen für Geschäftsreisende, die auf so was abfahren. Eine von diesen Frauen, neunzehn Jahre alt und aus Puerto Rico, wird in eine Wohnung gebracht, und man sagt ihr, sie muss nichts anderes tun als nur strippen. Man verspricht ihr auch, draußen vor der Tür steht ein Sicherheitsmann, und wenn sie fertig ist, bringt er sie aus dem Haus. Und sie ist um fünfhundert Dollar reicher. Die dämliche Pute fällt drauf rein. Na ja, schließlich ist sie schwanger und braucht das Geld.«
Er zuckte die Achseln und fuhr heiser fort: »Verdammt nochmal, vergewaltigt haben sie die Kleine! Schwanger, und sie haben sie vergewaltigt! Sieben Mann, einer nach dem anderen, in den Arsch und wer weiß was sonst noch! Also, ich hab auch Frauen laufen, das weißt du, jeder weiß das. Aber das sind Frauen, sind das - keine Kinder und keine Schwangeren -, echte und wahrhaftige Huren, die wissen, was sie sind und was sie tun. Die Kleine aus Puerto Rico haben sie am Central Park West aus dem Auto geworfen, obwohl sie schon die Wehen bekam. Ihr Baby ist gestorben, und sie hat fürs Leben ‘ne Macke weg. Also, diesem miesen Hundsfott muss ein für alle Mal Bescheid gestoßen werden.«
Eamonn schüttelte verständnislos den Kopf. »Und euer Carmine lässt seine Tochter diesen Abschaum heiraten?«
»Bis seine Tochter ihm gebeichtet hat, wusste er von nichts«, erklärte Petey. »Nach der Heirat glaubte Inglesias, auf der sicheren Seite zu sein. Ihr hat er ‘ne Mordsangst gemacht. Und jetzt denkt er, mit seiner Kohle und seinen Konnexions kann er sich aus allem rauslavieren. Wir werden ihm zeigen, dass er sich verflucht irrt. Was mich betrifft, ist er ein toter Mann. Zumindest ein lebender Toter, wenn du verstehst, was ich meine?«
Eamonn nickte. »Wo steckt er, und gibt’s einen Plan?«
»Das ist ja das Gute.« Petey kicherte verschlagen. »Er glaubt, wir treffen uns, um ein lohnendes Geschäft zu besprechen. Ich hab ihn am Telefon belabert und ihm das eine und andere Mal in verschiedenen Bars den Mund wässrig gemacht. Carmine weiß noch immer nicht über alle Geschäfte Bescheid, die der Mann macht, sondern glaubt, dass er nur ein ganz normaler Zuhälter ist. Ich hab’s geschafft, dass sich unser Inglesias in die Hosen pisst vor lauter Geilheit auf das große Geld, das ihm durch meine Hilfe winkt. Heute laufen wir bei ihm zu Hause ein und nehmen uns den Arsch in seinen eigenen vier Wänden zur Brust.«
Jetzt lachte Eamonn, entspannt und voller Tatendrang. »Und wo sind die Kinder?«
Petey winkte ab. »Die hat er gestern zurückgebracht. Dass er sie behalten hat, war nichts weiter als eine Schikane, um seine Exfrau einzuschüchtern. Er will die Bälger ja gar nicht. Gehört eben zu seinem Auftritt. Du verstehst: Ich hab keinen Bock mehr auf dich, aber vergessen wirst du mich so bald nicht, meine Beste! Na ja, jetzt wird er bald vergessen sein.«
Crussofixio Inglesias betrachtete die junge Frau neben sich und lächelte. Sie wollte zurücklächeln, aber mit geschwollenem Mund fiel es ihr schwer. Er war so attraktiv, sah so gut aus, dass sie immer noch zu glauben versuchte, dass er auch ein netter Kerl war, obgleich sie doch inzwischen zweifelsfrei festgestellt hatte, dass es nicht stimmte.
»Wenn du einfach getan hättest, was ich dir aufgetragen habe, wär das hier nicht passiert.« Mit einem langen knochigen Finger stieß er ihr auf die Brust. Es tat weh.
Sie nickte. Sogar ihr kurzes braunes Haar schien zu zittern, als sie so zu sein versuchte, wie er es von ihr verlangte.
»Tu einfach so, als hättest du Spaß daran. Kein Mann gibt mir gutes Geld für eine Braut, die so aussieht wie du. Ich mein, du bist potthässlich und bibberst rum wie ‘n verängstigtes Kaninchen. So mancher Mann sucht genau das, möchte die leicht grobe Nummer und findet es geil, wenn ‘ne Tusse ängstlich aussieht. Dann passt es. Dann bringt es Asche. Du musst ‘ne Schauspielerin sein, verstehst du? Es ist eine Kunst. Wann schnallst du das endlich?«
»Aber er hat mir wehgetan. Innen drin.«
Nach einem tiefen Zug von dem Joint, den er sich gerade angezündet hatte, sah Crussofixio die Hure mürrisch an. Er zählte zu den wenigen Menschen, die von Marihuana aggressiv werden. Statt ihn zu entspannen oder gar heiter zu stimmen, ließ es ihn zornig und rabiat werden, und er war von Natur aus schon unbeherrscht und reizbar. Er war ein Mann, der ganz ernsthaft glaubte, dass Frauen einzig und allein auf der Welt waren, um sich von Männern wie ihm ausbeuten zu lassen.
Crussofixio saß mit gespreizten Beinen auf einem Sessel und betrachtete das Mädchen, ein grausames Lächeln auf den Lippen. Ihre winzigen Brüste waren entblößt, ohne dass es ihr aufgefallen war. Das Top hatte sich gelöst und bauschte sich um ihre Taille. Ihre Brüste waren kaum mehr als Knospen und für einen echten Mann kaum von Interesse.
Sie war noch ein Kind und sah auch so aus. Als sich der fast zwei Meter große, massige und zur Fettleibigkeit neigende Crussofixio erhob, ragte er turmhoch über ihr auf.
»Guck dich doch nur an!«, wütete er. »Du siehst aus wie eine Schlampe, du siehst aus wie jede andere dreckige Hure an den Straßenecken dieser Stadt. Ich füttere dich durch, ich kauf dir Klamotten, ich kümmere mich um dich, und das hier ist der Dank dafür? Du hältst mich wohl für bescheuert, Herzchen. Und solltest du das wirklich tun, dann denk lieber noch mal nach, Mädchen!«
Sie zitterte vor Angst und wollte sich bei dem Mann entschuldigen, der sie geprügelt hatte, aber bevor er wieder die Hand heben konnte, um ihr eine Tracht zu verabreichen, klopfte es an der Tür.
»Mach die Tür auf«, herrschte er sie an. »Ich erwarte Geschäftsfreunde.« Stolz betrachtete er das übel zugerichtete Gesicht des Mädchens. Die Männer, mit denen es zur Zusammenarbeit kommen sollte, würden gleich sehen, wie gut er sich auf den Job verstand, die Mädchen nach seiner Pfeife tanzen zu lassen und die Zügel anzuziehen, wenn sie aus der Reihe tanzen wollten.
Als Eamonn und Petey die Wohnung betraten, lächelte Crussofixio ihnen entgegen. Das Mädchen hielt sie für neue Freier und versuchte trotz Tränen und Schmerzen ebenfalls zu lächeln.
Petey lachte laut. »Was geht denn hier ab? Ist das deine verschissene Tochter, oder was?« Er musterte das Mädchen. »Steck deine Titten weg, Süße.«
Er warf einen provozierenden Blick auf Crussofixio, der ihn verdutzt ansah. Diese Männer machten nicht den Eindruck, als seien sie zu ihm nach Hause gekommen, um Geschäftliches zu besprechen, sondern schienen beide unter Strom zu stehen. Eamonn erkannte er als den irren Iren, von dem alle sprachen, und ihm wurde flau im Magen.
»Eins meiner Mädchen. Hat versucht, mich mit einem Freier zu linken«, erläuterte er nervös. »Musste ihr eine Lektion erteilen, ihr wisst ja, wie das läuft.«
Petey schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß nicht, wie das läuft. Ich hab in meinem gottverdammten Leben noch nie ein kleines Mädchen für mich arbeiten lassen. Woher soll ich also wissen, wie es läuft?«
Crussofixio steckte in der Zwickmühle. Alles Mögliche hatte er sich von diesem Treffen versprochen, aber ganz bestimmt nicht, dass man ihn kritisierte oder einzuschüchtern versuchte.
»He, Mann.« Er versuchte zu lächeln. »Ich muss mir die Schlampen selbst vornehmen, damit ich mich drauf verlassen kann, dass sie auch anständig arbeiten …«
Petey schlug ihm ins Gesicht. »Scheiß auf dich, Mann! Scheiß auf dich und deine Scheißunternehmungen und deine schankerkranken Huren und deine miesen kleinen Clubs. Wir sind hier wegen einem Problem, Mann, wegen einem Scheißproblem, das du mit dem Vater von deiner Exfrau hast, mit Carmine. Ich hab ihm versprochen, dir die Eier abzuschneiden und sie ihm in einem Taschentuch zu bringen, und genau das werde ich auch tun. Nicht nur, weil ich es Carmine versprochen hab, sondern weil du die Grenzen verletzt hast, Mann, weil du sämtliche Grenzen des Geschmacks und des Anstands übertreten hast, als du Freier mit schwangeren Frauen versorgt hast. Selbst die Scheißnigger finden das zum Kotzen.«
Crussofixio sah ihn bestürzt an. Dann blickte er zu dem Mädchen auf dem Sofa. Sie beobachtete alles mit großen Augen und kalkweißem Gesicht. Außerdem zitterte sie noch am ganzen Körper von den Schlägen, die er ihr verabreicht hatte. Petey ergriff behutsam ihren Arm und führte sie aus dem Zimmer.
Crussofixio starrte mit offenem Mund und hervortretenden Augen fassungslos auf die beiden Männer. Er wusste, dass er sterben oder, schlimmer noch, als Krüppel enden würde, und ihm fielen all die Gelegenheiten ein, bei denen er jemanden abgestraft hatte. Zu guter Letzt sollte er also erleben, wie es war, selbst Opfer der Gewalt zu werden, und er hatte grässliche Angst, denn er wusste genau, wie sehr er es genossen hatte, andere Menschen zu Tode zu ängstigen. Er hob beide Arme, als wolle er seine Peiniger abwehren, obwohl diese noch gar nicht näher gekommen waren.
»He, Jungs, hört mir mal zu - Carmine lügt. Ich war mit seiner Tochter, diesem Flittchen, verheiratet, zum Teufel, ja. Hier geht’s aber ums Geschäft und nicht um ‘ne gottverdammte Familienfehde.«
Zum ersten Mal sprach Eamonn. »Was ist mit den schwangeren Frauen? Ich nehm an, die existieren auch nur in unserer Fantasie, oder?« Sein Londoner Akzent ließ den Mann zusammenzucken, so schroff hörte er sich in diesem feudalen Apartment in Manhattan an, so fehl am Platze.
»Du bist doch ein großer Junge - groß und mit Fettansatz. Bist leichtsinnig geworden, jetzt, wo du meinst, es kommt die ganz große Kohle rein«, fuhr Eamonn fort. »Ohne bewaffneten Schutz hättest du uns heute niemals reinlassen sollen. Du bist ein Stück Scheiße, Mr. Inglesias, wie man’s auch dreht und wendet, und heute ist dein letzter Tag auf Erden. Wie hört sich das an, äh? Komm schon, sag es mir. Es interessiert mich nämlich.«
Inglesias setzte sich auf das Sofa, auf dem eben noch die junge Nutte gesessen hatte, stützte den Kopf in die langgliedrigen und perfekt manikürten Hände und brach in Tränen aus.
Eamonn schoss ihm fünfmal in den Hinterkopf. Blut, Knochensplitter und graue Gehirnmasse explodierten über dem weißen Damastbezug. Anschließend schnitt Petey dem Mann mit dem Cutter die Eier ab, und pfeifend schlenderten die beiden Männer zurück zu ihrem Wagen.
Als sie losfuhren, sagte Eamonn: »Du lieferst tatsächlich seine Eier ab?«
»Und ob ich das tue«, feixte Petey. »Die hier«, sagte er und hielt das blutige Taschentuch triumphierend in die Höhe, »sind über zweihunderttausend Dollar wert. Wir haben heute auf mehr als nur eine Weise mordsmäßig zugeschlagen. Wir liefern die hier ab, gönnen uns einen verspäteten Lunch und ziehen los, um den Rest zu erledigen, den wir auf’m Zettel haben.«
Eamonn nickte, zufrieden mit diesem Vorschlag. »Arbeitsreicher Tag, hm?«
Sie lachten noch immer, als sie schon weit weg waren.
Die Aufsteigerin
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