Kapitel fünfundzwanzig
Eamonn öffnete die Augen und ließ den Blick durchs
Zimmer schweifen. Überall Blumen und Karten. Noch verschwamm alles
vor seinen Augen.
Als er sich bewegte, spürte er einen Schlauch an
der Seite, und ihm dämmerte, dass er in einem Krankenhaus sein
musste. Als er sich erinnerte, was geschehen war, vergoss er Tränen
der Erleichterung. Eine muntere Krankenschwester betrat das Zimmer
und fragte lächelnd: »Sie sind also wach?«
Eamonn versuchte nochmals, klar zu sehen, aber es
war vergeblich. Die junge Frau lachte. »Sie sind während der ganzen
letzten Woche immer mal wieder aufgewacht. Entspannen Sie sich,
bevor Sie sich’s versehen, wird alles wieder sein wie immer.«
Eamonn fühlte sich hoffnungslos schwach, aber sein
Verstand funktionierte. Er bemühte sich, die Augen offen zu halten,
denn bestimmt gab es etwas, das er tun musste, bestimmt galt es,
eine Schlacht zu schlagen.
Er sank in Schlaf. Petey und Jack wurden
telefonisch darüber informiert, dass sich sein Zustand gebessert
hatte, und atmeten auf.
Die Mahoneys versuchten zu verstehen, was
geschehen war. Santorini war unter so bizarren Umständen gestorben,
dass es überall Schlagzeilen machte. Die Männer der Mafia kannten
kein anderes Gesprächsthema. Sie waren mit allen möglichen
schockierenden und abstoßenden Mordszenarien vertraut, aber
die blasphemische Weise, auf die Santorini von der IRA gekreuzigt
und hingerichtet worden war, hatte sogar sie erschüttert.
Den Mahoneys wurden neuerlich Respekt und eine
gewisse widerwillige Bewunderung zuteil, und das kam allen Iren
zugute.
Die Geschichte vom Hausbesuch bei Don Pietro wurde
unter Verschluss gehalten, damit nicht ein paar Chaoten, die solche
Respektlosigkeit nicht schlucken mochten, einen Zwischenfall
provozierten.
Indessen suchte Petey Mahoney die Mädchen aus, die
in seinem neuen Etablissement arbeiten sollten. Er war
entschlossen, sich seinem Bruder zu beweisen und eine weitere Bar
zu eröffnen, die jener in Harlem glich, aber weniger anrüchig sein
sollte.
Darunter verstand Petey, dass die Mädchen sauber
waren, große Titten vorzuweisen hatten und hübsche Gesichter
besaßen. Er hatte das Geld, die Power und das Knowhow. Jack würde
es für eine großartige Idee halten, und er selbst freute sich schon
auf das Schulterklopfen.
Petey und Jack war inzwischen aufgegangen, dass die
Italiener jetzt tatsächlich mit ihnen an einem Strang zogen und die
Zukunft rosig aussah. Die neue Bar mit dem Namen Petey’s Place
sollte schon vor Ablauf der Woche eröffnen. Für die Ausschanklizenz
war gesorgt, und die Lokalität, ein alter Spielclub, war mit
Goldanstrich und neuen Brokatvorhängen verschönert worden. Sogar
den Tresen hatte man lasiert, und die alten Tische und Stühle waren
zum ersten Mal seit Jahren abgescheuert und poliert worden. Rosa
Beleuchtung sorgte für eine behagliche und intime Atmosphäre.
Petey war stolz.
Er ließ die Mädchen im Lautrec’s antreten, der
kleinen Obenohne-Bar eines Freundes. Auf der Straße hieß es, der
neue Club sei für Männer mit viel Geld gedacht. Folglich waren die
meisten Mädchen aus den weniger anspruchsvollen Bars in ihrer
ganzen aufgetakelten Pracht aufgekreuzt, Lipgloss und
Plateauschuhe in Hülle und Fülle, und der Geruch von billigem
Parfüm war kaum auszuhalten.
Petey war in seinem Element.
Die Mädchen hatten sehr bald kapiert, dass er hier
das Sagen hatte, und hingen an ihm wie die Kletten, und Petey wäre
nicht Petey gewesen, wenn er es nicht genossen hätte. Mit Blicken
verschlang er gerade eine besonders heiße Stripperin mit riesigen
Silikonbrüsten und chirurgisch aufgepepptem Gesicht, als einer von
DeMarcos Capos an ihn herantrat.
Petey kannte den Mann vom Sehen. Er war ein
Italiener alter Schule, trug elegante Anzüge, hatte kurze Haare und
ging niemals ohne Krawatte und ein dazu passendes Tuch in der
Brusttasche unter die Leute.
Petey begrüßte ihn höflich, aber misstrauisch. Der
Mann, ein gewisser Anthony Baggato, lächelte verständnisvoll. »Mr.
Mahoney, ich hoffe, ich störe Sie nicht bei der Arbeit? Ich wollte
mich nur ein wenig mit Ihnen unterhalten. Gibt es hier einen Ort,
wo wir ganz unter uns wären?«
Petey nickte. Immer noch misstrauisch führte er den
Mann demonstrativ und umständlich durch den ganzen Club bis ins
Büro seines Freundes. Sollte ihm etwas zustoßen, wollte er viele
Zeugen haben.
Baggato war nicht besonders groß, machte aber eine
eindrucksvolle Figur. Sein aufgesetztes Lächeln und seine kalten
Augen verunsicherten die Leute. Dass er eines Tages Don sein würde,
war seit Santorinis Tod nicht nur seine eigene Meinung, sondern
auch die aller anderen.
»Mr. Mahoney - oder darf ich Sie Peter
nennen?«
Petey stand nervös an der Tür. »Hören Sie, Mr.
Baggato, sagen Sie, was Sie zu sagen haben, und dann reden wir von
Vornamen und solchem Scheiß. Sie tauchen hier mitten am Tage auf,
ich bin im Club eines Freundes und muss arbeiten. Wir haben ja
kürzlich einige Unstimmigkeiten gehabt, und
mich interessiert jetzt nur: Was, zum Teufel, wollen Sie?
Vielleicht Ärger?«
Anthony Baggato lächelte nachsichtig. Die
Ausdrucksweise des Mannes ließ zu wünschen übrig, aber Anthony
verstand ihn und gab sich alle Mühe, ihm die Furcht zu
nehmen.
»Ich bin nicht in Familienangelegenheiten hier -
sondern in eigener Sache. Ich benötige einen Lieferanten, und mir
wurde empfohlen, mich in dieser Angelegenheit am besten an Sie zu
wenden. Mehr bezwecke ich mit diesem Besuch nicht. Angebot und
Nachfrage, darum dreht sich doch alles.«
Petey hörte gespannt hin. »Was genau möchten Sie
denn von mir geliefert haben?«
Baggato sagte freundlich und bestimmt: »Ich möchte,
dass Sie mich und meine Leute mit Heroin beliefern.«
Petey bekam den Mund nicht wieder zu.
»Ich kann Ihre Verwirrung nachvollziehen, aber
verstehen Sie bitte, Mr. Mahoney, es geht hier um eine private
Transaktion. Ich will mit großen Mengen des Stoffs handeln. Ich
will Großlieferant werden und meine eigenen Kontakte in New York
beliefern. Diese Unterhaltung ist natürlich inoffiziell, das
versteht sich. Und der Deal betrifft allein Sie und mich. Bis auf
einige wenige meiner Männer wird niemand sonst je mit einbezogen
werden. Wie Sie wissen dürften, sind die fünf Dons, die Oberhäupter
unserer Familien, strikt gegen jeglichen Drogenhandel, aber was sie
nicht wissen, macht ihnen auch kein Kopfzerbrechen, capisce?
Also, ich brauche einen guten Lieferanten, und ich brauche einen,
der Diskretion wahrt, was unsere Geschäfte betrifft. Mich hat sehr
beeindruckt, wie sich Ihre Familie in der Affäre um Santorini
verhalten hat. Ich habe das Gefühl, dass wir gute Partner werden
könnten.«
Mit einem schneeweißen Taschentuch tupfte er sich
sorgfältig die Lippen ab. »Ich weiß, dass Sie als Dealer Zugang zum
größten Lieferanten haben. Ich rede hier von Südamerika. Ich kann
Ihnen sicheren Transport nach Miami garantieren und genauso
sicheren Weitertransport der Drogen an jeden beliebigen Ort in den
Vereinigten Staaten. Ich spreche vom ganz, ganz großen Geschäft,
nicht von Trinkgeldern. Ich brauche Ihre Antwort und Ihr
Versprechen, dass dieses Gespräch strikt unter uns bleibt.«
Petey hatte inzwischen Stielaugen. Hier wurde von
viel Geld gesprochen. Bedeutende Geldsummen, und er sah bereits
eine endlose Prozession von Dollarzeichen und Nullen vor dem
Komma.
Heroin im Wert von einer Million Dollar war leicht
auf die Straße zu bringen. Eine Menge im Wert von zehn Millionen
dürfte fast ebenso leicht zu verteilen sein. Und warum nicht der
Mann sein, der dabei hilft? Die Nachfrage riss nie ab, und das
Beste am Handel mit Heroin war, dass jeden Tag neue Kunden
dazukamen. Die größte Transaktion, die Petey abgewickelt hatte, war
ein Sechs-Unzen-Deal für 30 000 Dollar gewesen. Durch Tito, den
Bruder einer ehemaligen Freundin, stand er auf freundschaftlichem
Fuß mit den Kolumbianern. Wenn der Profit hoch genug war, ließ sich
Jack wahrscheinlich überreden.
Petey wusste, dass Tito kein Problem damit haben
würde, mit ihm als Mittelsmann die Italiener zu beliefern.
Es war das Geschäft des Jahrhunderts. Er hätte in
Jubel ausbrechen können, aber er streckte nur die Hand aus und
sagte lässig: »Meine Freunde nennen mich Petey.«
Mit diesem Handschlag wurde eine Allianz besiegelt,
die viele Jahre andauern sollte.
Eamonn war sechs Wochen zuvor aus dem Krankenhaus
entlassen worden und noch nicht ganz auf den Beinen, als er eine
Nachricht von Maria Santorini erhielt. Er warf den Brief weg, denn
er wollte einen Schlussstrich unter jenen Lebensabschnitt ziehen
und bei allen Menschen Abbitte leisten, denen er durch seine
törichte Handlungsweise geschadet hatte.
Er beschloss, außer Deirdra keine Frau zu sehen,
und versuchte,
sie zu lieben, so gut Eamonn eben jemanden lieben konnte. Nur
Cathy hatte je sein Herz wirklich berührt, und er fürchtete, dass
es seit ihrer Abwesenheit versteinert war.
Deirdra lauschte voller Hingabe den Schmeicheleien
des blendend aussehenden jungen Mannes, den sie heiraten würde, und
sonnte sich darin, dass er offenbar so viel Freude an ihr und ihrer
Konversation fand. Sie wusste, dass sie nicht die erste Wahl für
ihn war und ihn nur auf Umwegen bekommen hatte, aber umso mehr war
sie entschlossen, ihn jetzt nicht mehr loszulassen.
Die Ereignisse nach Eamonns Verwundung hatten den
Mahoneys geschäftlich nur genützt. Sie trieben nicht nur das Geld
für die irische Sache ein, sie hatten auch teil an einem der
größten Heroingeschäfte der amerikanischen Geschichte. Eamonn ging
darin auf, als sei dieser Handel für ihn maßgeschneidert, und Jack
konnte nach anfänglichen Vorbehalten seinem Bruder Petey von Herzen
zustimmen, dass eine Allianz mit den Itakern letztlich nur positiv
sein konnte.
Es war diese Allianz, die ihnen zusätzliche
Glaubwürdigkeit und den Status der maßgebenden irischen Familie im
Staat New York einbrachte. Sie wurden in die Welt des wahren Geldes
und der wahrhaft Reichen katapultiert. Eamonn und Petey
organisierten den Drogenhandel mit der Präzision einer
militärischen Operation. Sie fanden Wege, das Geld zu waschen und
fast als ehrbare Geschäftsleute dazustehen.
Eamonn heiratete Deirdra im Frühling 1974 in der
Kirche des heiligen Antonius von Padua. Diese Kirche in der
Sullivan Street in Manhattan hatte noch nie zuvor eine so illustre
Hochzeitsgesellschaft beherbergt. Die ersten Familien versammelten
sich vollständig, und die eingeladenen Italiener mischten sich mit
ihrem eigenen Flair unter die irischen Gäste in ihrem
Hochzeitsstaat.
Wie es sich für ein gutes katholisches Mädchen
gehört, wurde Deirdra in der Hochzeitsnacht schwanger, und Eamonn
musste sehr bald feststellen, dass er sich eine Frau mit dem
sexuellen Verlangen eines Mannes eingehandelt hatte. Davon ließ er
sich jedoch nicht abschrecken, sondern genoss es.
Zumindest anfangs.
Niemand wusste, was ihnen die Zukunft bringen
würde, aber an jenem Tag genossen sie das Gefühl, vom Schicksal mit
guten Karten bedacht worden zu sein.
Die Sonne schien, das Glockengeläut klang fröhlich,
und die Braut war glücklich.
Was wollte man noch mehr?