Kapitel sechsunddreißig
Eamonn kam um halb acht nach Hause und aß mit
Deirdra und den Kindern zu Abend. Er war bester Laune, und seine
Frau schien ebenfalls guter Dinge zu sein. Als der Nachtisch
gegessen war und Kaffee serviert wurde, baten die Kinder wie auf
ein geheimes Zeichen allesamt darum, vom Tisch aufstehen zu
dürfen.
Deirdra schenkte Eamonn den Kaffee ein und gab
Sahne und Zucker dazu. »Ich hab eine Neuigkeit für dich,
Eamonn.«
Er schlürfte seinen Kaffee und horchte mit halbem
Ohr auf das Baseballspiel, das im Kinderzimmer begonnen hatte.
Geistesabwesend fragte er: »Und die wäre?«
Deirdra strich sich das Haar aus dem Gesicht und
grinste: »Na, rate mal. Komm, rate.«
»Was ist denn Tolles, Hühnchen? Du weißt doch, dass
ich bei solchen Ratespielen versage.«
Sie strahlte, als er sie Hühnchen nannte. Das hatte
er zu Anfang ihrer Ehe immer gesagt, als er sie noch gemocht hatte.
Sie wusste schon lange, dass er sie nicht liebte, aber dieser Tage
wäre sie schon froh gewesen, wenn er sie wenigstens wieder
mögen würde.
Sie legte die Hände an die Wangen, wie sie es von
Demi Moore in einem Film gesehen hatte, und sagte aufgekratzt: »Ich
bin wieder schwanger.«
Sie lächelte, obwohl sie sah, dass er blass wurde.
Sie zwang sich sogar noch zu einem Lächeln, als seine Lippen zu
einer schmalen Linie wurden, und sie lächelte weiter, als er die
Serviette auf den Tisch knallte.
»Das ist doch wohl ein Scherz. Sag, dass es nur ein
Scherz ist!« Verhaltene Wut schwang in seiner Stimme mit.
Sie schüttelte den Kopf. Jetzt lächelte sie nicht
mehr, ihr Gesicht war bleich und erstarrt wie seins. Was Eamonn
auch tat, wie sehr er sie auch ausnutzte, wie schimpflich er sie
behandelte oder wie sehr er sie vernachlässigte - und er
vernachlässigte sie bisweilen geradezu schamlos -, sie liebte ihren
Mann noch immer. Sie hatte ihm Kind auf Kind geschenkt, um ihn an
sich zu binden. Aber jetzt musste sie endgültig einsehen, dass sie
gescheitert war. Allein sein Gesichtsausdruck hätte der stärksten
Frau den letzten Mut geraubt. Ihr nahm er ihn auf jeden Fall.
»Scheiße, ich glaub es einfach nicht, Deirdra«,
fuhr er sie barsch an. »Nach Paul hatten wir uns darauf geeinigt,
dass neun Kinder reichen. Aber nein, du glaubst, du brauchst nur
ein Kind zu kriegen und danach vielleicht noch eins, und schon
schmachte ich wieder nach dir. Aber man kann Liebe nicht erzwingen,
Lady. Und man kann sie weder mit Geld noch mit Babys erkaufen,
Darling. Je eher du das einsiehst, desto besser. Ich werde
weiterhin die Rechnungen bezahlen und dafür sorgen, dass wir alles
haben, was wir brauchen, das wär’s dann auch. Krieg das Baby, klar,
bring’s zur Welt, aber komm niemals mehr zu mir ins Bett. Scheiße,
du überlistest mich nicht nochmal. Es ist nämlich eine lästige
Mühe, Deirdra, eine verdammte Zumutung, auf dich raufzusteigen. Ich
denke an Gott und die Welt, wenn ich mich auf dir abplage, nur
nicht an dich. Krieg also dieses Kind und mach draus, so viel du
kannst, denn es wird das letzte sein, das du von mir
bekommst.«
Deirdra hörte sich seine Tirade an, ohne mit der
Wimper zu zucken. Was hatte Eamonn Docherty, dass sie ihn so sehr
begehrte, dass sie den Gedanken, ohne ihn leben zu müssen, nicht
ertragen konnte, obwohl sie wusste, dass ihr Leben dann nur besser
werden konnte? Ohne ihn würde sie sich entwickeln, würde endlich zu
dem Menschen werden, der sie war. Stattdessen
versuchte sie mit aller Kraft, so zu sein, wie er es sich ihrer
Meinung nach wünschte.
Plötzlich und zum allerersten Mal ging ihr auf, wie
ihr Mann wirklich war. Sie steckte sich eine Zigarette an. Ihre
Hände zitterten, ihr Herz raste. Die Demütigung fraß sich in ihre
Seele.
»Weißt du was, Eamonn?«
Er antwortete, ohne ihr einen Blick zu schenken.
»Was?«
»Ich habe dir fünfzehn Jahre meines Lebens
geschenkt.« Ihre Stimme war leise, aber auch überraschend
beherrscht. Keine Spur von Tränen oder Wut wie gewöhnlich. »Sieben
davon hab ich mit Schwangerschaften verbracht …«
»Und wessen Schuld war das?«, unterbrach er.
Sie stützte beide Hände auf den Tisch und schrie:
»Hör mir zu! Jetzt rede ich!«
Er war so schockiert, dass er schwieg.
»Bei Gott, ich habe dich all diese Jahre geliebt.
Auch wenn du nächtelang weggeblieben bist. Wenn du nach Hause kamst
und nach den anderen Frauen rochst. Wenn du nicht daran gedacht
hast, dass Ostern war oder Weihnachten oder der Geburtstag eines
der Kinder. Wie oft bist du Weihnachten nach Las Vegas geflogen,
wie oft warst du in England oder sonst wo, ohne mich je zu fragen,
ob ich mitkommen wollte. Ich gebe zu, dass ich oft schwierig war,
aber doch nur deswegen, weil ich dich so liebte. Jetzt hast du mir
die letzte Demütigung zugefügt. In Zukunft werde ich dich um nichts
mehr bitten. Ich werde mein Kind bekommen, ich werde dieses Baby
haben. Mein Baby! Und so wahr mir Gott helfe - ich werde
dich nie wieder belästigen, obwohl ich nicht verstehe, warum es
eine Belästigung sein sollte, wenn eine Frau ihren Ehemann um ein
wenig Zeit und Zuwendung bittet. Du hättest doch so tun können, als
läge dir etwas an mir und uns, Eamonn. Wenigstens so tun hättest du
können. Aber stattdessen bist du nur grausam gewesen. Die vielen
Jahre nichts als grausam. Während ich nie aufgehört habe, mich zu
bemühen und zu hoffen.«
Sie stand auf. Ihre würdevolle Haltung verblüffte
ihn.
»Wenn du gehen willst, dann geh, ich würde es
verstehen. Wenn du bleibst, schauspielern wir weiter wie immer. Ich
hab mich weiß Gott seit fünfzehn Jahren an die Heuchelei gewöhnt.
Aber ich sehe auch ein, dass sie jetzt nicht mehr als eine sinnlose
Scharade wäre.«
Sie wandte sich zur Tür. Er war fassungslos.
Dass Deirdra so mit ihm zu sprechen wagte!
Sie zog die Tür leise hinter sich zu. Und plötzlich
hatte er das Gefühl, etwas sehr Wertvolles verloren zu haben. Die
Leere, die sie zurückgelassen hatte, würde er nie wieder füllen
können. Das wusste er.
Weil er einen Menschen willkürlich zerstört hatte.
Eine kleine Person, eine unbedeutende Person.
Doch diese Person war seine Frau.
Eamonn machte sich auf den Weg zu dem Apartment in
Manhattan, das er stets anmietete, wenn Tommy aus England kam. Es
lag in der Nähe der Fifth Avenue, sehr zentral und in einer Gegend,
in der man abends zum Auto gehen konnte, ohne sich vor
Straßendieben fürchten zu müssen. Als er in den Lift stieg, pfiff
er vor sich hin, denn von Tommy erwartete er Neuigkeiten über
Cathy.
Im Lauf der Jahre hatte er unglaublich oft an sie
gedacht. Manchmal dachte er tagelang an sie und verfiel ihretwegen
sogar in Depressionen. Zu wissen, dass Tommy sie haben konnte, wann
immer er wollte, schmerzte ihn wie ein Messerstich zwischen die
Rippen. Mit anhören zu müssen, wie der andere Mann unaufhörlich ihr
Loblied sang, machte ihn rasend eifersüchtig. Er wollte besitzen,
was Tommy gehörte.
Wie leicht hätte er es doch haben können!
Er spielte für Tommy den guten Kumpel und dazu den
großzügigen Gastgeber, der seinen englischen Widerpart in New York
ausführte und verschwenderisch bewirtete. Dabei hoffte er
stets, dass sein Kumpan seiner Frau daheim erzählte, wie weit
Eamonn Docherty es gebracht hatte.
Es wusste, dass es kindisch war und dumm, aber er
tat es schon seit Jahren.
Er hatte das Gefühl, über Tommy Zugang zu Cathy zu
haben, obwohl er sie doch in all den Jahren nicht ein einziges Mal
zu Gesicht bekommen hatte.
Tommy öffnete grinsend die Tür. Eamonn warf ihm
einen bedeutungsvollen Blick zu, als er eingetreten war und die
Dusche rauschen hörte.
»Du bist ja schnell. Noch keine Stunde aus dem
Flieger und schon Gesellschaft, hm?«
Tommy wirkte leicht verlegen. »Carla. Die ruf ich
immer an. Wir haben da eine Vereinbarung.«
Eamonn ging zum weißen Ledersofa und ließ sich in
die Kissen sinken. »Und wie steht’s bei euch drüben?«, erkundigte
er sich.
Tommy zuckte die Achseln. »Wie immer.«
»Frau und Kind?«
Tommy setzte sich ebenfalls und antwortete gut
gelaunt: »Beiden geht es prima. Kitty wird von Tag zu Tag ihrer
Mutter ähnlicher. Obwohl sie dunkel ist wie ich, hat sie die blauen
Augen ihrer Mutter geerbt und auch deren Temperament. Klar, wenn
Cathy von Carla wüsste, könnt ich mich gleich begraben lassen! Aber
so ist es nun mal, Eamonn. Ich brauch eben gewisse Dinge - Dinge,
die sie mir nicht gibt.«
»Wieso, was gibt dir denn die entzückende Cathy
nicht?«, fragte er ehrlich neugierig.
»Erstens einmal gibt sie mir nicht sich selbst -
Cathy. Das hat sie noch nie getan. Seit dem Tag unserer Hochzeit
steht etwas zwischen uns, aber ich weiß nicht, was es ist …« Er
schwieg einen Moment und fuhr mit schwerer Zunge fort: »Doch, ich
weiß es. Sie hasst es, dass ich für die IRA arbeite, egal, wie
wenig
ich persönlich mit der Gewalt zu tun habe. Deswegen will sie ja
auch nie wieder etwas mit dir zu tun haben.« Er verstummte.
Eamonn hätte diese Offenheit niemals von Tommy
erwartet, daher hegte er den Verdacht, dass sie eher mit
Drogenkonsum zu tun hatte als mit einem ehrlichen Bekenntnis.
»Hast dir wohl ein paar Linien reingezogen,
was?«
Tommy lachte überdreht. »Nur ‘n bisschen Koks, ‘nen
Joint und ‘n paar Downer. Man muss die Feste feiern, wie sie
fallen, oder?«
Eamonn nickte.
An ein Gespräch über ihre Arbeit war nicht zu
denken, das stand fest. Carla, fast zwei Meter große und satte
achtzig Kilo schwere inkarnierte Frauenpower aus Puerto Rico, kam
aus der Dusche und lächelte ihm zu. Mit Freuden hätte sie beide
Männer vernascht, aber da musste sogar Eamonn passen.
Er stand auf, löste fünf Hundert-Dollar-Scheine von
der Geldrolle, die er in der Tasche hatte, und gab sie Carla mit
der Aufforderung, sich für ein paar Stunden unsichtbar zu machen.
Tommy merkte gar nicht, dass sie gegangen war, so höllisch breit
war er. Er wollte nur über sich reden.
»Die Sache mit Cathy ist, also ich liebe sie, aber
sie hat so hohe Erwartungen, verstehst du? Sie sieht sich fast wie
eine Heilige, und alle müssen ihr nacheifern und ihr gerecht
werden. Wenn in den Nachrichten was über Irland kommt, herrscht das
große Schweigen. Sie macht mich wahnsinnig. Wenn sie nur irgendwas
sagen würde. Irgendwas, damit ich reagieren könnte. Ich hab keine
Chance. Sie braucht ja nicht mal mein Geld, denn mit ihren Clubs
verdient sie mehr als genug. Ich weiß gar nicht, warum sie mit mir
verheiratet bleibt. Glaub mir, das ist die reine Wahrheit. Aber ich
muss sagen, Hörner hat sie mir noch nicht aufgesetzt, da bin ich
sicher. Ich könnte niemals ohne Cathy leben. Bevor ich mit ansehen
müsste, dass ein anderer sie bekommt, würde ich sie umbringen. Ist
doch verrückt, oder? Ich würde sie lieber tot sehen als in den
Armen eines Mannes,
den sie lieben könnte, der Gefühle in ihr weckt. Denn das krieg
ich nicht hin, gottverdammte Scheiße!«
Eamonn war entsetzt. Während der zwölf Jahre ihrer
Zusammenarbeit hatte Tommy nur in den höchsten Tönen von seiner
Frau gesprochen. Niemals hatte er auch nur angedeutet, wie schlecht
es anscheinend zwischen ihnen stand. Seine Worte waren
unbegreiflich, das bestürzende Eingeständnis eines Mannes, sein
Leben vergeudet zu haben.
Wie auch Eamonn sein Leben vergeudet hatte.
Tommy wäre mit der Hingabe Deirdras glücklich
geworden, während Eamonn eine Frau wie Cathy brauchte, die stark
war wie er selbst. Es war ihm nicht entgangen, dass Tommy trank,
aber er hätte den Grund dafür ahnen müssen. Der Mann, den er vor
sich hatte, tat ihm leid, aber er war gleichzeitig erleichtert,
denn jetzt wusste er wenigstens, dass Cathy nicht glücklich war und
auch keinen anderen Mann liebte. Also konnte er sich noch Hoffnung
machen.
Später nahm er Tommy in einen Privatclub in
Brooklyn Heights mit, den er fünf Jahre zuvor mit Petey gekauft
hatte. Hier ließen sie ab und zu wichtige Geschäftspartner
verwöhnen. Die Frauen waren erstklassig und Spezialistinnen in
ihrem jeweiligen Metier. Das Etablissement war wie ein Folterkeller
ausgestattet, und Barbarella, eine hochgewachsene Domina um die
vierzig, mit einer roten Langhaarperücke und hohen Lederstiefeln,
schwang das Zepter.
Sie bot etwas für jeden Geschmack und verlangte von
ihren Gästen astronomische Preise dafür, in Gesellschaft williger
Gespielinnen ihre abartigsten Fantasien ausleben zu können.
Barbarella handelte mit Erniedrigung und Schmerzen, und sie kannte
ihre Kundschaft gut. Im Halbdunkel der Zellen ihres Kellergewölbes
prügelte sie die letzten Geheimnisse aus ihnen heraus.
Aber sie war auch den Gästen zu Diensten, die es
genossen, Schmerzen zu verabreichen, und hatte eine Reihe von
Frauen zu
bieten, die es genossen, sich auspeitschen zu lassen, und sich
diese Lust obendrein mit vielen harten Dollars versüßen ließen.
Sogar Barbarella war verblüfft, wie viele Männer es liebten, einer
Frau Schmerzen zuzufügen, bis sie wimmerte und um Gnade flehte.
Dass Tommy zu diesen Männern gehörte, wusste sie schon lange. Er
liebte es, dominant zu sein, war aber für ihre Sklavinnen keine
ernste Gefahr. An diesem Abend gab sie ihm eine Frau namens
Fenella, eine Fellatioexpertin, die sich damit brüstete, über
tausend Schwänze gelutscht und jeden einzelnen davon geliebt zu
haben.
Als Tommy, bis zum Kragen voll von Koks und Cognac,
mit Fenella in einem der kleineren Räume verschwand, ging Eamonn an
die Bar und bestellte einen Drink. Irgendwie war er stolz auf
diesen Club, und es erfüllte ihn mit Genugtuung, all den
Berühmtheiten und vornehmen Bürgern Unsummen dafür abzuknöpfen,
dass er ihnen sämtliche kranken Vergnügungen bot, nach denen sie
gierten.
Er hatte zwei Drinks geleert und ein paar
geringfügige Probleme mit Barbarella geklärt, als ein langhaariger
junger Mann zu ihnen trat.
»Sie sollten sich vielleicht um Ihren Freund
kümmern, Mr. Docherty«, sagte er eindringlich. »Ich glaube, es wird
Zeit, dass er nach Hause geht.«
Der Anblick, der sich Eamonn bot, als er in
Gegenwart des jungen Mannes die Tür zu Tommys Raum öffnete, konnte
nur aus einem Horrorfilm stammen. Er hatte noch nie so viel Blut
gesehen. Es war überall verspritzt, auf dem ganzen Bett, an den
Wänden, auf dem Boden, ja sogar an der Decke. Tommy sah aus wie
darin gebadet, und für einen kurzen Moment dachte Eamonn, er sei
Opfer eines Auftragsmords geworden. Erst dann sah er die Frau mit
aufgeschlitzter Kehle und schloss daraus, dass es ihr Blut sein
musste.
Eine Stimme riss ihn aus der Erstarrung. »Wir
müssen sie hier wegschaffen, Mr. Docherty. Wir können uns nicht
leisten,
dass die Polizei hier auftaucht. Ich habe Fenella immer wieder
gewarnt, die Freier so anzumachen.«
Die Stimme des Jungen klang verblüffend gelassen
und überlegt. Eamonn hingegen glaubte sich in einem surrealen
Alptraum gefangen.
Tommy weinte Rotz und Wasser. Nackt von der Taille
abwärts stand er in einer Blutlache.
»Gott sei Dank hat Fenella wie die meisten Frauen,
die hier arbeiten, keine Familie - zumindest nicht in der Nähe. Sie
war eine Ausreißerin aus Kansas. Es kümmert niemanden, wenn sie
verschwindet. So was ist an der Tagesordnung.«
»Was ist denn passiert?«, erkundigte sich Eamonn
widerwillig, und er musste dabei an die zu Tode geprügelte Caroline
denken.
»Wie ich Ihren Freund hier verstanden habe, muss
sie ihn wohl immer mehr herausgefordert haben. Fenella war so. Sie
war unterwürfig, aber manchmal trieb sie das Spiel auf die Spitze.
Manche von den Männern gehen nur halbherzig ran, aber sie wollte
gnadenlos geschlagen werden. Ich hab sie schreien gehört. Klar,
hier wird andauernd geschrien, aber Barbarella hat mir selbst
beigebracht, zwischen Lustschrei und Angstschrei zu unterscheiden.
Ich hab den Hauptschlüssel, und es ist mein Job, alles zu
kontrollieren. Ich bin reingegangen und hab sofort gesehen, dass er
sie mit dem Glas aufgeschlitzt hat. Es liegt da unten auf dem
Boden.«
Eamonn nickte stumm.
»Ich hole Barbarella, und dann regeln wir das«,
fuhr der junge Mann fort. »Dort hinten ist ein Bad. Duschen Sie
Ihren Freund ab, und ich besorge inzwischen was zum Anziehen,
okay?«
Tommy weinte noch immer und zitterte am ganzen
Körper. Eamonn schaffte es nicht, den völlig verkrampften Mann
unter die Dusche zu bugsieren. Nach ein paar Minuten kam
Barbarella, ohne Perücke und Stiefel, aber mit zwei stämmigen
Frauen. Sie brachten schwarze Müllsäcke und Reinigungsutensilien
mit.
Eamonn stand regungslos da und sah gebannt zu, wie
Tommy schluchzte und wimmerte und weinte. Rotz lief ihm aus der
Nase, Tränen rannen über seine Wangen.
»Also, ich hätte Ihrem Freund im Leben nicht
zugetraut, dass er so ausrasten könnte. Kam mir wie ‘n ganz
normaler Typ vor«, sagte Barbarella. Sie schien tatsächlich die
Contenance verloren zu haben. »Ich lass ihre Leiche zu Mario’s
bringen - die beseitigen sie bei der nächsten Einäscherung. Seien
Sie unbesorgt, morgen verweht sie schon der Wind.«
In Eamonn stieg Übelkeit auf. Wann hatten die
Menschen es aufgegeben, menschlich zu sein? Was war nur aus dieser
Welt geworden? Obendrein fühlte er sich auch noch verantwortlich.
Er hatte Tommy schließlich hergebracht und eingeweiht.
Cathy hatte schon vor Jahren Recht gehabt, aber
Eamonn hatte bis jetzt gebraucht, um klar zu sehen, was er war:
Abschaum.