Kapitel sieben
Richard Gates strich sich über die Stirn und
seufzte. Madge sah zu, wie er sich eine Zigarette ansteckte und
ausgiebig daran zog.
»Du willst also sagen, Madge, das Mädchen, deine
Tochter, hat Ron erstochen, als ihr beide euch gezofft habt?«
Sie nickte heftig, reine Unschuld unter
verschmierter Wimperntusche. »Sie wollte es ja gar nicht, Mr.
Gates, aber sie verliert so schnell die Beherrschung. Er hat mich
fast totgeschlagen, und da kam sie rein und hat wohl rot gesehen.
Ich hab mein Lebtag so was nicht gesehen.« Madge schloss die Augen
in gespieltem Grauen.
Gates lachte leise. »Du hast den Beruf verfehlt,
Madge. Du hättest Schauspielerin werden sollen. Jetzt hören wir
aber mit den Albernheiten auf - und du unterschreibst mir eine
hübsche kleine Aussage, in der du gestehst, Ron vom Leben zum Tode
befördert zu haben. Dann können wir alle nach Hause gehen und uns
‘ne Mütze Schlaf gönnen, hä? Bis auf dich natürlich.« Jetzt klang
seine Stimme tief und bedrohlich.
Madge zündete sich eine Zigarette an und stieß
hörbar die Luft aus. »Tut mir leid, Mr. Gates, aber ich kann Sie
nicht anlügen. Ich weiß, was passiert ist. Verstehen Sie? Ich war
nämlich dabei und Sie nicht.«
Richard Gates ging um den Tisch herum und sah der
alten Schabracke mitleidlos in die Augen. »Erinnerst du dich,
Madge, dass da vor ein paar Jahren bei den Docks ein Seemann
erstochen wurde?«
Sie nickte geistesabwesend. »Ja, irgendwie war da
was. Aber was hab ich damit zu tun?«
Gates drückte seine Zigarette aus und lächelte.
»Ich hab dich damals verhört, Madge, zusammen mit diesem
Klappergestell, das sich deine Freundin schimpft, und der großen
schwarzen Schnepfe.«
»Scheißdreck, Gates. Wenn Sie meinen, ich hätte
damit was zu tun, müssen Sie bekloppt sein. Ich kannte den Kerl
nicht, keine von uns hat ihn gekannt. Das können Sie mir nicht
anhängen. Unfair wär das.«
Gates rieb sich den fast kahlen Schädel, spürte die
restlichen dünnen Haare und lächelte.
»Wenn’s nach mir ginge, Madge, wärst du schon bald
hinter Gittern. Man nennt mich Ganovenfreund. Ich kenn den
Spitznamen sehr wohl und hab ihn mir auch verdient. Aber ich loche
auch jeden ein, den ich einlochen will, kapiert? Weil ich’s nämlich
kann. Ich kann Leute hinter Gitter bringen; ich kann sogar dafür
sorgen, dass sie ganz verschwinden. Und wenn ich hier und da
durchblicken lasse, dass du zu singen angefangen hast, könnte ich
dir dadurch das Leben zur Hölle machen … Keine drei Meter entfernt
von hier ist ein junges Mädchen eingesperrt. Deine Tochter. Ich
will, dass sie noch eine kleine Chance im Leben hat. Ich will sie
hier rausholen und weg von dir. Vielleicht wird sie dann diese
Chance tatsächlich bekommen.«
Madge sah den Mann verblüfft an. »Wieso sollte
Ihnen an der was liegen - an ihr oder sonst jemand? Ich kenn Ihren
Ruf. Freund der Huren und Kumpel der Ganoven. Nicht abgeneigt, sich
ab und an mal einen blasen zu lassen, so für lau. Die Huren
einzuschüchtern, dass sie nach seiner Pfeife tanzen. Und wieso
sollten gerade Sie sich plötzlich Sorgen machen um meine
Kleine?«
Sie stützte sich auf den Holztisch und richtete
sich auf. Abschätzig grinsend schüttelte sie den Kopf. »Ich mach
das nicht. Nicht für die Kleine und ganz besonders nicht für Sie.
Mich kriegt man nicht hinter Gitter. Und das geht auch einfach
nicht
für mich. Ich bin dafür zu alt. Sie wird wieder draußen sein,
bevor sie sich’s versieht, und dann läuft bald wieder alles ganz
normal. Ist ja nicht so, dass ich’s nicht machen will, aber ich
kann’s nicht. Es geht einfach nicht.« Ihre Stimme brach, und sie
ließ den Kopf hängen, während sie zuhörte, was der Mann ihr noch zu
sagen hatte.
»Ich kenne Huren, die würden für ihre Kinder töten,
aber zu denen gehörst du nicht«, fauchte er sie an. »Du bist
menschlicher Abschaum der allerschlimmsten Sorte. Die Kleine werden
sie im Bau mit Haut und Haaren vernaschen, und das weißt du genau.
Sie ist noch keine vierzehn. Zu jung für eine Mordanklage, aber alt
genug, um viele verdammte Jahre hinter Schloss und Riegel zu
kommen. Willst du das für dein Kind? Dass es in die Mühle der
Justiz gerät? Weggeschlossen und vergessen? Genau das wird nämlich
mit ihr passieren. Sie wird allen und jedem ausgeliefert sein. Um
Ron geht’s dann gar nicht mehr. Ich kenn mich in diesen Dingen aus,
Madge. Sie wird bestimmt nicht glimpflich davonkommen. Du wirst es
aber, denn im Knast wird man dich als Mörderin respektieren, oder?
Du kannst von Anfang an damit rechnen, in fünf bis sieben Jahren
wieder draußen zu sein. Warum machst du es allen - dir nicht minder
- so schwer? Wenn ich nämlich will, dass du einfährst, Madge, dann
fährst du ein, Lady.«
Sie schüttelte wieder den Kopf. »Tut mir wirklich
leid, ich krieg’s einfach nicht über mich.«
Gates schloss die Augen und konnte nur mit großer
Mühe an sich halten. »Denk drüber nach, was ich gesagt habe, und
triff die richtige Entscheidung.«
Beim Hinausgehen zündete er sich noch eine
Zigarette an und inhalierte tief. Die Nacht schritt voran, und
seine Geduld nahm ab.
Er öffnete das Guckloch zu Cathys Zelle, sah das
Mädchen eingekuschelt in ihre Decke und fragte sich, wieso es ihm
nicht scheißegal war, was mit ihr wurde.
»Dieser Ire möchte Sie sprechen, Mr. Gates -
Docherty, das Großmaul aus den Docks. Sagt, er ist wegen dem
Mädchen gekommen.«
Gates nickte und sagte: »Schicken Sie ihn rein, und
bringen Sie uns zwei Tassen Tee. Aber nicht von dem aufgekochten
Mistzeug.«
Der Constable grinste. Unter den Ranghöheren hatte
niemand für Gates etwas übrig, aber die ihm untergebenen Beamten
mochten und respektierten ihn auf ihre Weise.
Er war von Natur aus fair, was sie zu schätzen
wussten, und überdies besaß er die erstaunliche Fähigkeit, sich
viele Details ihres Privatlebens einzuprägen; die Namen ihrer
Ehefrauen, Gebrechen ihrer Mütter, Erkrankungen ihrer Kinder, aber
auch deren Leistungen - derlei brachte er ins Gespräch. Wie jeder
wusste, legte Gates Wert darauf, alles über jeden zu erfahren. Eben
das beunruhigte seine Vorgesetzten am allermeisten, und nicht
selten behielt er durch dieses Wissen die Oberhand, wenn er mit
ihnen zu tun hatte.
Gates beendete gerade einen schriftlichen Bericht,
als die Tür aufging und Eamonn Docherty das Büro betrat. Begleitet
wurde er von dem Beamten, der die gewünschten Becher Tee
brachte.
Argwöhnisch musterten die beiden Männer einander.
Schließlich nahm Gates einen kleinen Schluck Tee und sagte leicht
belustigt: »Ist ja schon ‘ne ganze Weile her, Sie irischer
Schmarotzer. Wie geht’s denn?«
Eamonn lachte, aber selbst in den eigenen Ohren
klang es hohl. »Mir geht’s ganz gut mit meiner kleinen Ehefrau. Und
selbst?«
Gates zuckte die Achseln und brachte mit einer
gekonnten Bewegung seine stattliche Körpergröße zur Geltung. »Danke
der Nachfrage.« Seine tiefe Stimme klang nicht mehr bedrohlich,
sondern fast freundlich.
Eamonn trank seinen Tee und wartete darauf, dass
der größere
Mann das Wort ergriff. Es war ungewohnt für ihn, der kleinere zu
sein, und deswegen fühlte er sich unwohl wie selten. Gates nutzte
diese Situation aus, indem er sich in aller Gemütsruhe eine
Zigarette ansteckte.
»Sie haben es also gehört?«
Eamonn nickte. »Mrs. Sullivan hat einen von ihren
Jungs rübergeschickt - ist ja mal unsere Nachbarin gewesen. Kennen
uns schon seit Jahren. Wie hält sich die Kleine denn? Auf ihre
Weise liebt sie Madge nämlich sehr, und so übel die Alte auch sein
mag, meistens stand das Mädchen für sie an erster Stelle. Ich lieb
das Püppchen auch. Ich nehm sie mit mir heim, und die Frau kann
sich verpissen. Cathy ist wie mein eigen Fleisch und Blut.«
Gates kaute an der Unterlippe, bevor er sprach.
»Ihr eigener Sohn, der stand doch vor kurzem noch unter
Mordverdacht, oder irre ich mich?«
Eamonn runzelte die Stirn und bedauerte, in den
vorangegangenen Stunden so viel getrunken zu haben. Er überlegte,
was der Mann wohl mit diesen Worten beabsichtigen mochte. Als sich
dann Fassungslosigkeit in seiner Miene widerspiegelte, trommelte
Gates mit den Fingern auf seine Schreibtischplatte.
»Ist der Groschen gefallen? Madge schiebt die
Schuld auf das Kind.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Ich wünschte, es wäre so. Jedenfalls steht
zweifelsfrei fest, dass die Kleine es getan hat. Um ihrer Mutter zu
helfen, so wie ich’s mir zusammenreime. Sie kennen Madge, dafür
haben Sie ja wohl lange genug mit ihr zusammengelebt. Die ist Hure
durch und durch. Sie kann bestens damit leben, das Mädchen alles
allein ausbaden zu lassen und selbst unbehelligt davonzukommen. Ich
hab ihr die Daumenschrauben angesetzt und gesagt, dass ich sie
trotzdem kriege, aber sie gibt immer noch nicht klein bei. Womit
könnte ich sie denn sonst noch unter Druck setzen?«
Eamonn rollte sich eine Zigarette und ließ sich
viel Zeit, um nachdenken zu können. Als er übers Papier leckte,
sagte er: »Bleibt alles unter uns, kann ich mich drauf
verlassen?«
»Na klar. Was denken Sie wohl, was ich vorhabe -
gleich ‘ne Anzeige in der verschissenen Lokalzeitung
aufgeben?«
Schweren Herzens ließ sich Eamonn auf den
Polizisten ein. Aber Gates war in der Unterwelt wohlbekannt, nicht
als käuflicher Bulle, sondern als Polizist mit Sinn für Fairness
und der Neigung, logischen Argumenten zugänglich zu sein. Dass ihm
seine Vorgesetzten aus den großen Pranken fraßen, verstand sich
zudem von selbst. Eamonn hoffte, dass er die Kleine vor dem
Schlimmsten bewahren konnte. Die Vorstellung, dass sie verängstigt
und allein in einer Gefängniszelle saß, verursachte ihm
Übelkeit.
»Ohne noch jemanden mit reinzuziehen, sag ich eins:
Erinnern Sie Madge daran, wie sie vor ‘ner Weile mit Susan P.
gearbeitet hat. Da kriegt sie bestimmt so das Schlottern, dass sie
mit allem einverstanden ist.«
Gates zog verwundert die Augenbrauen hoch. »Susan
P.? Die spielt doch in einer anderen Liga als Madge. Wozu könnte
Susan sie denn gebraucht haben? Da muss ich wohl persönlich
nachhaken und rausfinden, was mir entgangen ist.«
Eamonn schloss die Augen. »Glauben Sie mir, wenn
ich Ihnen rate, lieber nicht zu tief zu graben. Den Durchblick hab
ich auch nicht, aber soweit ich weiß, stecken da wohl einige
wichtige Leute mit drin.«
»Macht mich mächtig neugierig.« Gates’ Stimme klang
wieder bedrohlich.
»Neugier kann aber auch mächtig gefährlich werden,
Gates. Vergessen Sie das nicht.«
Der grinste und zeigte dabei seine weißen Zähne.
»Keine Sorge, ich werd dran denken. Und nun, Mr. Docherty, trinken
Sie Ihren Tee aus und fangen ganz am Anfang an. Ich muss alles
wissen. Und ich schätze, Sie sind genau der richtige Mann, mir
alles zu erzählen.«
»Eins noch, bevor ich anfange - wenn Madge nicht
nachgibt, dann geh ich für das Kind in den Knast. Bin ich eben
zufällig bei Madge reingeschneit und hab den Kerl erwischt - irgend
so ‘n Scheiß. Egal, auf jeden Fall hol ich mein Püppchen hier
raus.«
Mit seinen stahlblauen Augen sah Richard Gates sein
Gegenüber durchdringend an und schüttelte dann widerwillig
bewundernd den Kopf. »Sie sind gerade in meiner Achtung gestiegen,
Docherty. Ich hätte gedacht, sie würden einen Scheißdreck auf die
ganze Sache geben und sich von Madge so weit fernhalten, wie’s nur
geht.«
»Würde ich auch, wenn es nur um sie ginge. Ich hab
mich jahrelang von ihr aushalten lassen, das weiß jeder, aber
irgendwie hat sie mir auch was bedeutet. Kann schon ‘ne komische
Blüte sein, die alte Madge. Den Kopf würde ich aber niemals
hinhalten für sie. Mit Cathy, das ist schon anders. Ich könnte es
nicht ertragen, ihr junges Leben ruiniert zu sehen. Sie hat’s schon
schwer genug gehabt, aber die Kleine weiß sich auch
durchzuboxen.«
Eamonn lächelte bei diesen Worten, und Gates
lächelte zurück.
»Gemeinsam kriegen wir bestimmt was hin.«
Eamonn zündete seine Selbstgerollte noch mal an und
fragte: »Warum machen Sie das? Was ist denn für Sie drin?«
Gates zuckte die Achseln. »Das ist ja das Komische
- da ist kein Hintergedanke. Mir tut das Mädchen einfach leid. Sie
ist zu jung und verletzlich, um auf den Müll geworfen zu werden,
aber glauben Sie mir, genau dazu wird es kommen, wenn wir nicht
eingreifen. Also, erzählen Sie mir jetzt, worum es bei der
Geschichte geht?«
Eamonn schüttelte abwehrend den Kopf. »Wenn’s
irgend geht, will ich nicht darin verwickelt werden. Ein bisschen
Druck, dann reißt Madge garantiert ihre große Klappe auf.«
»Ich hab da noch eine bessere Idee«, sagte Gates.
»Ich frag einfach Susan P. Wir kennen uns schon ewig - sind alte
Freunde.«
Das wunderte Eamonn nicht. Gates war ein Polizist
der anderen Sorte. Er mochte die meisten Kriminellen, mit denen er
zu tun hatte, obgleich man über hellseherische Fähigkeiten verfügen
musste, um das spitzzukriegen. Aber es gab auch Ausnahmen.
Seit Jahren kursierte eine Geschichte, die Gates
und einen Mann betraf, der als Vergewaltiger verdächtigt wurde. Es
hatte sich dann angeblich ein Unfall ereignet, bei dem der Mann die
Treppen hinuntergestürzt und anschließend im Krankenhaus gestorben
war.
Derartige Geschichten festigten Gates’ Ruf, sowohl
im Dienst als auch im Zivilleben. Richter betrachteten ihn zwar mit
gewissem Argwohn, aber ob sie ihn nun mochten oder verabscheuten,
sie respektierten ihn, weil er nie versucht hatte, einem
unschuldigen Menschen etwas anzuhängen. Alle, die er schnappte und
vor Gericht brachte, hatten es verdient, wenn auch die
Anschuldigungen das eine oder andere Mal konstruiert waren. Wenn
Gates sie nicht wegen Bankraubs vor den Kadi bringen konnte, dann
kriegte er sie wegen Ladendiebstahls ran. Jedenfalls entwischte ihm
keiner.
»Cathy scheint mir ein gutes Kind zu sein«, sagte
er. Eamonn Senior nickte nachdrücklich. »Ein Diamant ist sie.
Aufgeweckt und intelligent, zu verflucht gut für Madge, obwohl das
Mädchen für sie über glühende Kohlen laufen würde, Mr. Gates, und
das ist Tatsache.«
»Yeah, ist mir schon klar, und deswegen hab ich
vor, was für sie zu tun. Da gibt’s nämlich kein vertun …« Er hielt
inne, um sich eine Zigarette anzustecken. »… jemand muss was
drehen. Und warum auch nicht, wenn dadurch eine langweilige Nacht
ein bisschen interessanter wird.«
Sie beide wussten, dass er log, aber keiner sagte
was.
Susan P. schaute ihrem besten Mädchen bei der
Arbeit zu. Das Surren der kleinen Kamera war nicht zu überhören,
als der
Höchst Ehrenwerte Dennis Crumb, Parlamentsabgeordneter der Labour
Party und Stütze der Bergarbeiter aus Wales, sich anschickte, die
junge Dame, die rücklings vor ihm lag, oral zu beglücken. Susan P.
musste laut lachen.
»Na, los doch, Kleine, zeig ihm, was du
kannst.«
Der Einwegspiegel bot Susan so gut wie alles, was
sie an Amüsement brauchte. Menschen dabei zuzusehen, wie sie
bezahlten Sex hatten, interessierte und unterhielt sie. Sie
beobachtete gern, auf welch vielfältige Weise die Männer meinten,
eine Frau erregen zu können, und wie die einzelnen Frauen darauf
reagierten.
Sie war stets von neuem verblüfft, wie verdammt
unbeholfen und naiv sich die meisten Männer anstellten. Sie
glaubten tatsächlich, dass eine Frau, die sie noch nie zuvor
gesehen hatten, die aber von ihnen bezahlt worden war und mit ihnen
nicht das Geringste gemein hatte, tatsächlich Vergnügen an dem
geheimen Sex fand, den sie ihnen bot. Glaubten sie etwa im Ernst,
wenn sie an den Brustwarzen einer Frau fummelten, als stellten sie
am Radio einen Sender ein, oder wie mit der Nassbürste eines
Staubsaugers zwischen die Beine einer Frau fuhren, um sie oral zu
beglücken, dass die Empfängerin ihrer sexuellen Aufmerksamkeiten
dabei auch nur das geringste Quäntchen Lust empfand? Sie sah zu,
wie Naomi sich wand und stöhnte. An der Kleinen war echt eine
Schauspielerin verlorengegangen. In diesem Moment sah die Hure
ihrer Madam direkt ins Gesicht und zwinkerte verschwörerisch. Dann
fing sie wieder zu stöhnen und zu winseln an, diesmal lauter und
penetranter. Der Höchst Ehrenwerte Abgeordnete saugte immer
versessener, über alle Maßen zufrieden mit sich. Susan P. grinste.
Wahrscheinlich spielte ihm seine Frau schon seit Jahren ähnlich
gekonnt etwas vor.
Sie hörte, dass die Tür geöffnet wurde, ließ sich
aber nicht davon abhalten, das Schauspiel wie gebannt
weiterzuverfolgen. Es vergingen einige Minuten, bis sie Zeugin
wurde, wie der Mann sich selbst zum Orgasmus brachte und auf die
Brüste des
Mädchens spritzte. Dann schaltete sie die Spiegelbeleuchtung aus
und sagte: »Richard Gates, du tauchst aber auch immer an den
interessantesten Stellen meiner kleinen Filme auf.«
Sie drehte sich zu ihm um, breitete einladend die
Arme aus, ging auf ihn zu und drückte ihn so dicht an sich, wie
sein Bauch es zuließ.
»Kein Gramm Fett, alles nur Narbengewebe. Wie
immer.«
Gates schmunzelte. »Gehört alles dir, und du kannst
dich bedienen, wann du willst.«
Susan strich sich eine kastanienbraune Locke aus
den Augen und sagte: »Danke für das Angebot, aber ich ziehe es vor,
im Publikum zu sitzen.« Nachdem zwei Whisky eingeschenkt waren und
sie beide eine Zigarette zwischen den Lippen hatten, nahmen sie auf
dem kleinen Sofa in ihrem Büro Platz, und Susan erkundigte sich
typisch weitschweifig: »Was willst du?«
Richard musterte sie eine Weile. Ihre Augen waren
dunkelgrün und ihre Gesichtszüge makellos. Groß und schlank, hatte
sie bereits zwei erwachsene Kinder, was niemand glauben mochte. Sie
lebte von Kaffee, Kokain und Zigaretten, besaß großartiges
Stilgefühl und einen absolut wundervollen Humor. Aus den
tiefliegenden Augen sprach die geheime Sinnlichkeit ihres Wesens;
ihre Bewegungen waren geschmeidig und beherrscht, von animalischer
Anmut.
Sie hatte nie für Geld oder um der Geltung willen
mit einem Mann geschlafen, sondern besaß ein Gespür dafür, Frauen
zu finden, die gerade das mit Vorliebe taten und auch hervorragend
ausführten. Sie war die erfolgreichste Madam in London und
beschützte ihre Mädchen mit hingebungsvollem Eifer. Das verschaffte
ihnen nicht nur Respekt, sondern sicherte ihnen überdies einen
komplikationslosen Übergang in die Lebensjahre nach dreißig -
etwas, womit sonst nur wenige Huren rechnen konnten.
»Ich brauche Hilfe, Sue, und du bist die Einzige,
von der ich sie bekommen kann.«
»Wie kommt es, dass ich dir umso weniger traue, je
netter du dich gibst, Richard?«
»Weil du mich so gut kennst, und wenn ich etwas
Wichtiges möchte, dann bin ich eben noch netter als sonst.«
»Du bist so vieles, Richard, und man sagt dir noch
mehr nach. Nur eins bestimmt nicht: Dass du etwa nett wärst.« Er
spielte den Beleidigten, und beide lachten.
»Großer Gott!« Susan P. stand auf und schaltete die
Spiegelbeleuchtung wieder ein. »Nun sieh sich einer diesen Trottel
an! Ehrlich, Männer sind doch wirklich albern. Verzogen, kindisch
und total lächerlich. Anwesende natürlich ausgenommen.«
»Natürlich. Ich würde dem Arsch sowieso nicht meine
Stimme geben, aber wie man hört, kommt er bei Hausfrauen bestens
an.«
Der Höchst Ehrenwerte brüstete sich im Augenblick
vor einer gelangweilten Naomi mit Geschichten über seine sexuellen
Großtaten, und sie lauschte scheinbar hingerissen.
»Das Mädchen ist gut. Wie heißt sie?«
Susan P. lachte und zeigte dabei ihre teuren weißen
Zähne. »Die ist schon über alle Berge, wenn sie dich nur riecht.
Ihr Macker brummt achtzehn Monate, und in den ist sie unsterblich
verliebt, das kleine Schmuckstück. Weder aus Liebe noch für Kohle
würde sie einen Bullen ranlassen, mein Guter. Hat sogar schon einen
Chief Constable bei ‘ner Freimaurerfeier abblitzen lassen.«
Gates schüttelte in gespielter Verzweiflung den
Kopf. »Ficken wollte ich, nicht gleich heiraten.«
Susan grinste.
»Vergiss das eine wie das andere. Bei der landest
du nicht, bedaure.«
Gates machte ein zerknirschtes Gesicht. »Na ja,
dann mach wenigstens das Licht aus, Susan. Behaarte Ärsche waren
noch nie mein Ding. Kommen wir zur Sache. Ich will Madge Connor
festnageln und weiß aus der Gerüchteküche, dass du mir genau
die richtigen Informationen geben könntest, um ihr einen Strick zu
drehen.«
Susan P.s Miene änderte sich augenfällig. Ihre
Augenlider wurden schwer, und sie wirkte auf einmal schläfrig. »Ich
verpfeife niemanden, Gates, das solltest du besser wissen als alle
anderen«, sagte sie mit schneidender Stimme.
Er trank seinen Scotch aus. »Du wirst es tun, wenn
ich dir den Grund nenne. Ihre Tochter hat gestern Abend einen
Freier erstochen, und Madge meint, die Kleine soll die Suppe allein
auslöffeln. Das will ich verhindern. Die Kleine ist noch ein Kind,
und was sie getan hat, trifft sie schon schlimm genug. Da muss sie
nicht auch noch ins Gefängnis wandern. Ich brauche eine Handhabe
gegen Madge, damit sie nicht anders kann, als dem Mädchen die Haut
zu retten. Nichts von dem, was du mir erzählst, wird anderweitig
verwendet. Darauf hast du mein Wort.«
»Warum setzt du dich so für dieses Mädchen ein?
Wenn sie’s doch getan hat? Und warum sollte mich das
kümmern?«
Gates schüttelte den Kopf.
»Stell dir vor, es wär deine Tochter, Susan, und
ihr blüht eine Gefängnisstrafe. Was würdest du als Mutter tun, hm?
Ich sag dir, was du machen würdest - du würdest Himmel und Hölle in
Bewegung setzen, um sie davor zu bewahren. Wie auch immer, ich will
nur, dass Madge Connor genau das tut. Und wenn es sein muss, nehm
ich sie gnadenlos in die Zange. Also kommen wir zum Grund meines
Besuchs. Reden Sie, Mylady.«
Susan gab die Reserve auf und lehnte sich zurück.
»Ich erinnere mich an die Kleine. Ich hab sie gesehen, als ich mal
in deren Wohnung kam. Um ehrlich zu sein - ich hab gedacht, sie
würde mal enden wie ihre Mutter. Hab sogar überlegt, ob ich sie
nicht zu mir hole. Hübsches kleines Ding, mit den großen Augen und
dem blonden Haar. Wenn ich dich nicht besser kennen würde, käme ich
auf den Gedanken, dass du dich deswegen so ins Zeug legst.«
Gates reagierte verärgert, und Susan besänftigte
ihn in aller
Eile. »Ich mein ja nur, wenn’s ein anderer wäre … Mann Gottes, es
gibt von denen jede Menge. Das solltest du doch wissen.«
Sie schaute versunken in ihr leeres Glas, überlegte
hin und her, was sie ohne allzu große Bedenken sagen konnte. Nach
einer Ewigkeit begann sie leise: »Ich hab sie für ein abgekartetes
Spiel benutzt. Du weißt schon, wenn erst die eine Hure vorgeschoben
wird und dann eine zweite auftaucht, die alles klarmacht? Madge,
aufgerüscht und frisch geschrubbt, lieferte für mich ein Päckchen
ab. Sie war der Lockvogel, auch wenn sie’s nicht wusste. Sie
brachte das Päckchen zum Haus eines Richters am High Court. Damit
lief das Erpressungsspiel an. Madge gab aber nur ein paar
Standfotos ab. Den Film selbst ließ ich ihm von einer jüngeren Hure
direkt ins Amtszimmer bringen. Du weißt schon, wie es läuft. Seine
Frau will wissen, wieso eine alte Schachtel Briefe für ihn abgibt,
und ihm geht der Arsch auf Grundeis, wenn er feststellt, dass zur
selben Zeit an seinem Arbeitsplatz ein Film abgegeben wurde, der
ihn beim Ritt auf einer jungen Stute zeigt. Für den Fall, dass die
Schmiere jemanden beschattet, setze ich immer zwei Frauen ein. Wenn
es eine allein nicht schafft, die Ärsche mundtot zu machen, dann
schaffen es zwei ganz bestimmt. Du kennst doch die ganze Chose,
Gates. Ich hab Madge nur einmal benutzt.«
Er hatte aufmerksam zugehört und fragte dann: »Wer
also war dieser Richter?«
Susan P. schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht
einmal dir sagen. Es sei denn, du gibst mir dein Wort, dass du
meine Molly aus Holloway rausholst?«
Gates verdrehte die Augen und nickte. »Immer noch
einen Extrawunsch in petto, was?«
»Molly arbeitet gut, ist aber eine Plage, wenn sie
zu viel getrunken hat«, erläuterte Susan. »Körperverletzung wirft
man ihr vor, und Dienstag ist die Verhandlung.«
»Ist so gut wie erledigt«, versicherte ihr Gates.
»Und wie heißt der Mistkerl nun?«
Besser gelaunt scherzte Susan: »Du wirst es nicht
glauben.«
»Warten wir’s doch ab?«
»Es ist der Lord Oberrichter höchstpersönlich. Hat
eine Vorliebe für blutjunge Mädchen in Schuluniform - nicht
besonders originell, aber was soll’s. Es reicht jedenfalls, dass
den Jungs von News of the World die Luft wegbleibt, wenn sie
die Fotos je auf ihren Schreibtisch bekommen.«
Gates schüttelte den Kopf und lachte leise. »Der
geile alte Bock!«
Susan P. griente. »Ganz meine Meinung. Na,
vielleicht noch einen Drink?«
Gates hob sein leeres Glas, lehnte aber dankend ab.
»Nicht für mich, Mädchen. Ich kann nicht mehr, sondern muss mal
…«