Kapitel zweiunddreißig
Cathy und Desrae hatten schon bald ihre frühere
Vertrautheit wiedergewonnen. Sie schämten sich beide und gaben sich
alle erdenkliche Mühe, nett zueinander zu sein. Desrae nahm sich
sogar vor, Sympathie für Eamonn zu entwickeln, wenn er damit seine
Ersatztochter glücklich machen konnte. Seit Eamonns Besuch war
Cathy aufgeblüht. Morgens um halb acht war sie bereits auf den
Beinen, angekleidet und geschminkt, aber seit dem Besuch des Iren
waren inzwischen drei Tage vergangen, und Desrae hoffte, dass er
sie nicht vergessen hatte.
Allmählich hatte Cathy aufgehört, alle zehn
Sekunden aus dem Fenster nach Eamonn Ausschau zu halten. Da sich
die Presse inzwischen anderen Ereignissen widmete, erwogen sie und
Desrae, für ihre Stammgäste den Club wieder zu eröffnen. Cathy
fand, das sei für Desrae das Beste, und Desrae fand, es sei für
Cathy das Beste. Sie beide brauchten auf ihre Weise eine
Beschäftigung, die sie ablenkte.
Cathy war zutiefst verletzt, dass Eamonn sie von
neuem im Stich ließ, kaum dass sie ihn wiedergefunden hatte. Immer
wieder überlegte sie, was sie an ihrem gemeinsamen Abend gesagt
oder getan haben mochte, das ihn veranlassen könnte, sie so zu
ignorieren.
Sie hatten geplaudert, gelacht und sich erinnert,
sie hatten über ihre gemeinsame Kindheit gesprochen, über ihre
Eltern und über das Leben, das sie seither geführt hatten. Er hatte
sie geküsst, bevor er ging, und sie wusste, dass er sie in dem
Moment begehrt hatte. Hätte sie darauf eingehen sollen? Sie hatte
mit Tommy geschlafen, als sein Vater erschossen worden war, und
sie liebte Tommy ganz gewiss nicht. Eamonn begehrte sie zweifellos,
aber sie blieb zurückhaltend, obwohl sie aus voller Überzeugung
sagen konnte, dass er der einzige Mann war, den sie je würde lieben
können.
Casper, der Geschäftsführer, freute sich, als
Cathy den Laden betrat, der ihrem Club als Fassade diente. Er war
fünfundfünfzig, hatte funkelnd grüne Augen, ein Gesicht voller
Falten und das schlimmste Toupet auf dem Kopf, das man sich
vorstellen konnte. Trotz seines lachhaften Aussehens und seiner
kuriosen Art genoss er im West End großen Respekt. Wenn es einen
Menschen gab, den er wirklich mochte, dann war es Cathy Duke. Daher
bemerkte er auch sofort die Traurigkeit in ihren Augen.
»Ist alles in Ordnung, Liebes? Du siehst ein
bisschen mitgenommen aus. Wie geht’s Desrae? Er wird doch mit allem
fertig, oder?«
»Ja. Wie zu erwarten, hat es ihn schwer getroffen.
Jetzt wollen wir den Club wieder eröffnen. Ich denke, es wird ihm
guttun, etwas zu tun zu haben, statt nur Trübsal zu blasen.«
Casper nickte verständnisvoll. »Gute Idee. Ich kann
dir gar nicht sagen, wie viele Leute angerufen haben. Euch ist
reichlich Umsatz entgangen. In der Old Compton Street hat ein neuer
Club aufgemacht. Nichts Großes, denk ich, ist wohl hauptsächlich
für Schwuchteln aus der Arbeiterklasse gedacht, aber Konkurrenz für
euch ist es trotzdem. Hab läuten hören, dass er einem Malteser
gehört. Einem gewissen Victor Bagglioni. Ich will ja nicht den
Teufel an die Wand malen, aber mit einem Ausländer, der so heißt,
könnte es Ärger geben. Am besten setzt du dich bald mit Tommy in
Verbindung.«
Sie nahm seinen Rat zur Kenntnis und ging in den
Club, um sich zur Beruhigung ihrer Nerven einen Brandy
einzuschenken. Seit Tagen hatte niemand von Tommy gehört. Die
Warnung vor dem Malteser machte sie beklommen.
Eamonn war müde, aber er musste Cathy unbedingt
sehen. Nachdem jetzt alles arrangiert war, hatte er ein paar Tage
ganz für sich, und sie stand ganz oben auf seiner Liste. Auf dem
Weg zu ihrer Wohnung pfiff er vor sich hin.
Dann sah er sie.
Sie trug eine einfache Baumwollbluse und einen
langen zitronengelben Rock. Er sah ihre Brüste unter dem dünnen
Stoff wogen, denn sie hatte auf einen BH verzichtet. Ihr langes
blondes Haar war mit zwei Kämmen nach hinten gesteckt, und die
schmale Taille betonte sie durch einen gelben Gürtel. Sie sah aus
wie jedes andere Mädchen im London der siebziger Jahre, aber sie
war schöner als alle Frauen, die er in seinem Leben gesehen hatte.
Das Verlangen nach ihr regte sich wie immer, und sie machte
Erinnerungen lebendig, die er für vergessen und begraben gehalten
hatte.
Er musste an ihr chaotisches Heim in Bethnal Green
denken und das Gefühl der Ruhe und Geborgenheit, das sie ihm
geschenkt hatte. Solange sie einander hatten, war alles gut
gewesen. Dennoch, er hatte sie benutzt und ausgenutzt, das wusste
er. Aber Cathy besaß ein großes Herz und hatte ihm vergeben.
Schon als Kinder hatten sie mehr durchmachen
müssen, als den meisten Menschen während ihres ganzen Lebens
abverlangt wurde. Aber sie hatten in der Gemeinsamkeit etwas
gefunden, das sie widerstandsfähig machte, aneinanderkettete und
dazu verurteilte, einander zu lieben, denn ihre Lebensumstände
waren so ähnlich und so hoffnungslos, dass sie wahres Glück
höchstes gemeinsam finden konnten.
Als Cathy ihn erblickte, bemerkte Eamonn, wie ein
Lächeln ihr wunderhübsches Gesicht leuchten ließ, und sein Herz
schlug ihr entgegen. Sie lief auf ihn zu, mit strahlenden Augen und
einem Lächeln voller Vertrauen. Wie hatte er ihr nur wehtun können?
Nun, er war inzwischen ein ganz anderer Mensch und brauchte
niemandem mehr etwas zu beweisen. Diesmal würde er sie gut
behandeln, das schwor er sich.
»Warst du auf dem Weg zu mir?«, fragte sie
aufgeregt und hoffnungsvoll.
»Wohin sollte ich denn sonst wollen? Cathy, komm
mit in mein Hotel. Da können wir ungestört reden. Ich glaube,
Desrae hält nicht besonders viel von mir.«
Trotz des scherzhaften Tonfalls verstand Cathy
sofort und nickte. Sie wusste, dass sie eigentlich nach Hause gehen
musste, um Desrae von den Problemen im Club und den Sorgen wegen
Tommys Verschwinden zu berichten. Sie wusste haargenau, was sie tun
müsste, aber wieder einmal brauchte Eamonn nur zu pfeifen, damit
sich Cathy in seine Arme stürzte.
Diesmal würde er alles von ihr bekommen, was er
wollte.
Absolut alles.
Cathy war äußerst beeindruckt von der Suite, die
Eamonn im Ritz bewohnte. Feixend öffnete er eine Flasche Champagner
und meinte: »Das hier ist Dom Perignon und nicht die gepanschte
Plörre, die ihr bei euch im Club serviert.«
»An unserem Kribbelwasser gibt es nicht das
Geringste auszusetzen, Freundchen, außer dass noch niemand seinen
Markennamen gehört hat.«
Sie lachten beide.
Cathy trank ihren Champagner in einem langen Zug
aus und fühlte sich schon leicht benommen, denn im Club hatte sie
ja bereits zur Beruhigung einen großen Brandy getrunken. Als Eamonn
sich zu ihr auf die schmale Brokatcouch setzte und sie an sich zog,
stellte sie ihm erst einmal eine Frage.
»Was machst du überhaupt in England, Eamonn?
Neulich Abend hast du geredet und geredet, aber richtig erzählt
hast du nichts.«
Sie war scharfsinnig, das wusste er nur zu gut.
Jetzt überlegte er, wie viel er ihr erzählen sollte.
Als er ihr in die Augen sah, legte sie ihm die Arme
um den Hals und küsste ihn sanft auf die Lippen. »Du hast mir so
gefehlt,
Eamonn«, flüsterte sie. »Du bist der einzige Mann, der mir etwas
bedeutet, als Freund wie als Geliebter.«
Er führte sie ins Schlafzimmer mit dem riesigen
Doppelbett, schloss die schweren Vorhänge und schaute zu, wie sie
sich auszog. Sie war so schüchtern, so sichtlich unerfahren, dass
sie ihn rührte. Eamonn war inzwischen aggressive Frauen gewohnt.
Seine Ehefrau, Klosterschülerin und hingebungsvolle Mutter, war
eine nimmersatte Liebhaberin. Aber Cathy, die in Soho wohnte und im
täglichen Leben von Sex umgeben war, erwies sich als angstvoll
scheu.
Sie schlüpfte nackt ins Bett und wartete auf ihn.
Nachdem er sich ausgezogen hatte, riss er ihr die Decke weg und
verschlang sie im Halbdunkel mit seinen Blicken. »Du bist
wunderschön, Cathy.«
Er berührte sanft eine ihrer Brüste und kniete sich
auf dem Bett neben sie. Cathy sah zu, wie sich sein Mund um die
Brustwarze schloss. Sie stöhnte. Von seinen zärtlichen Bissen
konnte sie nicht genug bekommen.
Er drückte ihre Beine auseinander, wanderte mit den
Lippen an ihrem Körper hinunter und liebkoste sie mit der
Zunge.
Eamonn wusste, dass er sich meisterhaft auf dieses
Liebesspiel verstand. Er verwöhnte Cathy mit seiner ganzen Kunst,
bis sie es kaum mehr ertragen konnte, und drang schließlich in sie
ein. Er ritt sie und schaute auf ihre vollen Brüste, die bei jedem
seiner Stöße tanzten. Ihre schmale Taille ließ Cathy umso größer
erscheinen, und er genoss den Anblick, den sie in der Ekstase bot.
Ihre Augen waren geschlossen, ihre Lippen geöffnet. Lange blonde
Haarsträhnen umschmeichelten ihr Gesicht. Er spürte, wie sich ihr
Orgasmus aufbaute und ihn umfing, bis er nach einem Crescendo
rhythmischer Stöße gemeinsam mit ihr zum markerschütternden
Höhepunkt gelangte.
Als Eamonn erschöpft über ihr lag, schloss sie ihn
in die Arme und drückte ihn liebevoll an sich. Er küsste sie und
schmiegte sich an sie. »Cathy, meine Cathy, das war wundervoll … du
kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich gebraucht habe
…«
Sie lag unter ihm, das Gesicht an seinem Hals
vergraben. Noch durchlief ein Kribbeln ihren Körper, und sie genoss
es unendlich, seine Haut zu spüren. Dann stemmte er sich auf,
blickte hinunter in ihr Gesicht und fragte zärtlich: »Es war doch
schön für dich, oder?«
Cathy lächelte zaghaft und nickte. Er zog sie noch
einmal an sich, und sie lagen schweigend beieinander, während er
darauf wartete, dass sein hektischer Herzschlag zur Ruhe kam und er
wieder normal zu atmen vermochte. Sie war nicht temperamentvoll bei
der Sache wie seine sonstigen Frauen, aber sie war eben seine
Cathy, das Mädchen, das er liebte.
Er umarmte sie ein letztes Mal und wäre nicht
Eamonn Docherty, seines Vaters Sohn gewesen, wenn er nicht gehofft
hätte, ihr ein Kind gemacht zu haben. Dadurch hätte sie nur ihm
gehört, auch wenn er nicht bei ihr sein konnte. Denn er musste nach
New York zurück, und zwar bald. Deirdra wurde bereits unruhig und
drohte, in London aufzutauchen, wenn er nicht schleunigst
zurückkehrte.
Verglichen mit seiner schwergewichtigen Ehefrau und
ihren sexuellen Ansprüchen war Cathy wie ein frischer Lufthauch. Er
liebte ihren Geruch, liebte es, sie zu fühlen, liebte alles an ihr
und beschloss, oft nach London zu kommen, um sie zu sehen.
Er hielt sie fest umschlungen und überlegte dabei,
wie er ihr beibrachte, dass er Frau und Familie hatte, und sie
gleichzeitig so umschmeicheln konnte, dass sie trotzdem
verständnisvoll und freudig auf seinen nächsten Besuch
wartete.
Sie hatte ihm von der Bedrohung durch Victor aus
Malta erzählt, und ganz plötzlich kam ihm die Erleuchtung, wie er
fortgehen und sich dennoch Cathys Wohlwollen erhalten konnte. Er
fasste einen Plan, den er so schnell wie möglich in die Tat
umsetzen würde. Auf diese Weise ergab sich ein Ausweg, und er nahm
sich vor, alles daranzusetzen, niemals Cathys Liebe und Zuneigung
zu verlieren.