Kapitel fünfundvierzig
Am nächsten Tag ging es Kitty schon viel besser, aber im Krankenhaus hieß es, man wolle sie zur Beobachtung noch ein paar Tage dabehalten. Sie schien keine Erinnerung an die erlittenen Torturen zu haben, und man kam überein, sie in Ruhe zu lassen, bis sie das, was sie erlebt hatte, von selbst ansprach.
Das war ganz nach Cathys Wunsch. Je weniger über die Qualen gesprochen wurde, desto besser.
Richard sorgte dafür, dass die Polizei entsprechend instruiert wurde und Kitty nicht behelligte. Es hatte den Anschein, als wolle das Mädchen nur noch schlafen. Die Ärzte rieten, sie schlafen zu lassen. Sie würde die Geschehnisse auf ihre eigene Weise verarbeiten.
Cathy hielt die Hand ihrer Tochter, und ihre Liebe teilte sich ohne Worte mit. Mehr brauchte Kitty nicht, denn solange ihre Mutter, Desrae oder Richard bei ihr waren, fühlte sie sich glücklich. Cathy reichte es zu sehen, dass ihre Tochter zu Kräften kam und die Wunden an ihrer Seele heilten. Sie brauchte nur die Gewissheit, Kitty bei sich zu haben, behütet und in Sicherheit.
Als Kitty nach dem langen Schlaf aufwachte, sah sie ihre Mutter an und lächelte. »Ich hab Hunger, Mom. Kann ich was zu essen bekommen?«
Cathy schmunzelte. »Und ob du das kannst. Die Mädels kommen nachher, um dich zu besuchen, was sagst du?«
Kitty stellte sich vor, was für Gesichter die Krankenschwestern und Ärzte machen würden, wenn die »Mädels« aufliefen. Aber dann fiel ihr Michaela ein, und ihr Gesicht verdüsterte sich.
»Warum ist Michaela gekommen, um mich abzuholen, Mom?«
Sekundenlang fehlten Cathy die Worte. »Das weiß bis jetzt noch niemand, Liebling.«
Kitty zupfte nervös an ihrer Bettdecke. »Ich möchte ihn nicht sehen, Mom.«
Bei diesen Worten wurde Cathy klar, dass sich Kitty an mehr erinnerte, als sie zugab. Aber sie war eigensinnig wie ihre Mutter.
»Keine Angst, Kleines«, sagte Cathy besänftigend. »Alles ist wieder gut, und es wird dir nie wieder Böses geschehen. Das verspreche ich dir.«
Kitty versuchte ein Lächeln. »Ich liebe dich, Mom. Ich liebe dich so sehr.«
Sie schlossen einander in die Arme und weinten. So saßen sie auch noch da, als Desrae mit den Mädels aus dem Club hereinschneite. Wie eine zwitschernde Vogelschar umflatterten sie das Mädchen, überreichten Körbe mit Obst und Süßigkeiten und legten Kitty schließlich eine bestickte giftgrüne Bettjacke um die Schultern. Während sie noch rechts und links Küsschen gaben, davon schwärmten, wie gut die Kleine doch schon wieder aussah, und nicht oft genug gute Besserung wünschen konnten, flüsterte Desrae Cathy zu: »Susan P. ist draußen. Fahr mal für ein paar Stunden nach Hause.«
Cathy nickte. Nachdem sie sich von den aufgeregt plappernden Fummeltrinen verabschiedet hatte, verließ sie das Krankenhaus und stieg erleichtert in Susans Wagen.
Als sie im ersten Stau standen, brach Susan P. das Schweigen: »Wie geht es ihr?«
»Sie erinnert sich an mehr, als sie zugeben will, Sue, aber sie scheint es ganz gut wegzustecken.«
Susan P. drehte die Scheibe des Lotus runter und fauchte einen Fußgänger an, der sich zwischen den Autos hindurchquälte. »Bist wohl lebensmüde, was?« Übergangslos wandte sie sich an Cathy. »Eddie Durrant will wissen, wann wir unseren Teil der Abmachung erfüllen.«
Cathy lehnte sich auf dem Ledersitz zurück und atmete tief durch. »Das muss bald geschehen, nicht? Und was ist mit Michaela?«
Susan zuckte die Achseln. »Wurde heute Morgen beseitigt. Seine Leiche wird in ein paar Jahren irgendwo an den Essex Marshes angespült werden. Vergangen und vergessen.«
Cathy steckte sich eine Zigarette an und sah gedankenverloren hinaus auf den Verkehr. »Ich kann dir gar nicht genug danken, Susan.«
Die ältere Freundin warf ihr einen Blick zu. »Bedank dich nicht bei mir. Es war das Schicksal, das ihn uns vom Hals geschafft hat, Liebes, genau wie das Schicksal auch Campbell beseitigen wird. Es ist alles arrangiert. Wir müssen nur abwarten. Er wird sich im Gefängnis die Pulsadern aufschneiden. Zumindest wird es sich meiner Meinung nach so zutragen. Die Frage ist nur noch, wann es geschieht, und das kann uns nur Richard sagen. Hoffentlich sehen wir danach von Eddie Durrant nur noch den Rücken.«
»Was passiert mit all den anderen Leuten, die bei der Party mitgemacht haben?« Cathys Stimme klang bitter.
Susan P. grinste. »Ein guter Fang, unter anderem ein Richter vom Obersten Gerichtshof, ein Stuckateur aus East London und ein paar Leute aus dem Außenministerium. Ist das nicht schön zu hören? Wie diese Perversen zusammenfinden, ist mir schleierhaft. Aber gleich und gleich gesellt sich gern, heißt es doch, oder?«
Sie hielten vor Cathys Haus. »Durrant ist da drinnen. Ich bring nur den Wagen weg und bin in ungefähr fünfzehn Minuten bei dir, okay? Richard ist auch oben. Er wird inzwischen mehr wissen, hoffe ich.«
Eddie Durrant war mit einer kubanischen Zigarre und einem großen Scotch in Cathys Salon gesetzt worden. Cathy war wie immer davon beeindruckt, wie blendend und respektabel er aussah. Gates war schweigsam wie immer und sprach erst dann, wenn er etwas zu sagen hatte.
Cathy war froh über Eddie Durrants Anwesenheit, denn die Ereignisse des vergangenen Abends machten sie immer noch verlegen. Sie begrüßte die Besucher mit einem Lächeln.
»Wie geht es Ihrer Tochter?«, fragte Eddie.
Cathy trat zu ihm und streckte die Hand aus. Als er sie schüttelte, gab sie Auskunft. »Gut, danke.«
»Schön. Das hört man gerne. Kinder sind kostbar.«
»Da haben Sie Recht. Darf ich Ihnen noch mal nachschenken?«
»Ein Kaffee wäre mir lieber, aber zuvor sollten Sie hören, was Mister Gates zu sagen hat.«
Richard sprach sehr ruhig, doch was er sagte, ließ sie frösteln.
»Campbell wird keine Aussage machen. Er ist sich sicher, dass die anderen Leute zu große Angst haben, um als Zeugen aufzutreten. Wir haben daher beschlossen, ihn auszuschalten, während er sich in Haft befindet. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Er wird morgen sterben. Die anderen werden allesamt büßen. Dieser Johnny ist bereit, als Zeuge auszusagen, und wir hoffen, dass Cathy wegen ihres traumatischen Erlebnisses nicht vor Gericht erscheinen muss. Ihre Aussage könnte verlesen werden. Campbells ›Selbstmord‹ wird von der Jury als Schuldeingeständnis gewertet werden. Außerdem können wir die ganze Sache nach unserem Gutdünken aufbauschen, sobald Campbell erstmal aus dem Weg ist. Also, Mr. Durrant, so sieht es aus.«
Der große Schwarze nickte, höchst zufrieden mit den neuen Entwicklungen. »Sie sind ein Polizist nach meinem Geschmack, Mr. Gates. In Fällen wie diesem siegt die Gerechtigkeit nur selten, wie Sie wohl wissen. Ich nehme an, der Oberste Richter kommt auch davon?« Richard ignorierte den Spott in seiner Stimme.
Das Telefon klingelte. Cathy ging in die Küche, um das Gespräch anzunehmen. Eamonn war dran, und als sie seine Stimme hörte, wurde ihr klar, dass sie während der vergangenen vierundzwanzig Stunden nicht ein einziges Mal an ihn gedacht hatte. Sie antwortete nicht sofort, und Eamonn, der eine schlechte Verbindung vermutete, sagte laut: »Ist alles in Ordnung? Ich hab schon ein paarmal angerufen, aber niemand ist rangegangen.«
Sie sah das Blinken am Anrufbeantworter. Eamonn sagte die Wahrheit. Sie schilderte ihm in kurzen Worten, was geschehen war. Anschließend fragte er: »Geht es ihr gut?«
Cathy nickte und vergaß, dass er sie natürlich nicht sehen konnte.
»Klappt es denn mit unserem Wochenende? Ich hab dich so vermisst, Cathy, du weißt gar nicht, wie sehr du mir fehlst.«
Sie glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. »Hab ich richtig gehört, Eamonn? Meine Tochter, mein einziges Kind, wurde von einem Pädophilen entführt und beinahe vergewaltigt - von einer Horde Männer -, und du meinst ganz im Ernst, dass ich sie hier einfach zurücklasse und am Wochenende nach New York komme? Bist du tatsächlich so dämlich?«
Eamonn verstummte. »Ich ruf dich am Wochenende an, Cathy«, sagte er schließlich. »Du bist ja im Moment nicht du selbst. Du müsstest doch wissen, dass ich nicht so egoistisch …«
Sie unterbrach ihn mit lauter Stimme und vergaß dabei ihre Besucher im Nebenzimmer.
»Erzähl keine Scheiße, Eamonn! Du bist schon immer ein selbstsüchtiger Bastard gewesen und wirst immer einer bleiben. Ich hätte im nächsten Flugzeug nach New York gesessen, wenn du mich gebraucht hättest. Aber das ist nicht dein Stil, oder? Alles muss schön problemlos sein, stimmt’s? Also, du bekommst mich zu Gesicht, wenn es so weit ist - und keinen Augenblick vorher! Meine Tochter, unsere Tochter, braucht mich, und ich werde dafür sorgen, dass sie bekommt, was sie braucht.«
»Ich finde, du wirst ein bisschen ungerecht, Cathy. Ich bin nicht der Feind …«
»Nein, das bist du nicht. Mit meinen Feinden werde ich allein fertig, aber trotzdem vielen Dank für dein Angebot, mir zu helfen - ich weiß es zu schätzen. Auch wenn du es noch gar nicht gemacht hast!«
»Cathy, Liebling, bitte, hör mich an.« Seine Stimme verriet Anteilnahme, aber er ließ auch seinen ganzen Charme spielen. »Wenn du mich brauchst - ich bin da. Ich dachte nur, dass du vielleicht eine kleine Atempause gebraucht hättest. Es tut mir leid, ich wollte dich nicht verärgern. Ich steig ins nächste Flugzeug, ich chartere einen Jet, ich tu alles, um dich glücklich zu machen.«
»Das dürfte nicht nötig sein. Ich muss hier noch einiges regeln, dann melde ich mich.«
Eamonn wusste, dass er damit entlassen war, und das wurmte ihn. Er schluckte seinen Unmut hinunter und sagte einschmeichelnd: »Ich liebe dich, Baby, vergiss das nie.«
»Ich liebe dich auch, Eamonn.« Sie legte auf und merkte in dem Moment, dass sie ihn wirklich noch immer liebte - wenn auch nicht mehr so sehr, wie sie einmal gedacht hatte.
Als sie sich zur Tür wandte, sah sie Richard dort stehen. Er hatte nur den letzten Teil des Gesprächs mitgehört, und das tat ihr weh, denn er war mehr wert als fünfzig Eamonns.
Auch wegen seiner strafenden Blicke hätte sie am liebsten ihren ganzen Frust laut hinausgeschrien. Stattdessen schenkte sie ihm ein Lächeln.
»Ich mache uns Kaffee.«
»Lass dir Zeit, keine Eile«, sagte er. »Wie geht’s denn Eamonn?«
Plötzlich ärgerte sich Cathy über alle beide. Da gab es so viel, was sie zu bedenken, was sie zu bewältigen hatte, und die beiden Männer, die ihr etwas bedeuteten, machten ihr noch zusätzlich das Leben schwer.
»Es geht ihm ausgezeichnet, danke«, sagte sie sarkastisch. »Kommt am Wochenende her, um mein Händchen zu halten und mich richtig durchzuficken. Du kennst doch Eamonn - ist immer zur Stelle, wenn man ihn braucht. Scheiße!«
»Es gibt keinen Grund, in diesem Ton mit mir zu sprechen, Cathy. Ich bin nicht dein Feind.«
Sie seufzte, und ihr Kampfgeist schwand. Er hatte dasselbe Wort benutzt wie Eamonn. Konnte es sein, dass alle Männer insgeheim Frauenfeinde waren? Vielleicht gar nicht so abwegig.
»Ach, lasst mich doch alle in Ruhe. Ich will nichts mehr hören!«
Richard ging, und ein paar Sekunden später hörte sie die Eingangstür zufallen. Sie rannte durch die Wohnung und folgte ihm hinaus auf die Straße, wo abendlicher Verkehr herrschte und die ersten Nachtschwärmer vorbeischlenderten.
»Richard, bitte warte doch!«, rief sie mit schriller Stimme. An der Ecke Greek Street hatte sie ihn eingeholt. »Bitte, Richard, verzeih mir. Bitte, es tut mir leid. Ich war gekränkt und unglücklich. Ich hab’s nicht so gemeint, ich schwöre, ich hab’s nicht so gemeint.«
Er sah sie an. Er wusste, dass sie die Wahrheit sagte. Aber es hatte ihn verletzt. Nach allem, was zwischen ihnen gewesen war, hatte es ihn wirklich verletzt.
Sie klammerte sich an ihn, und die Passanten starrten sie neugierig an, die kleine Blondine und den großen kahlköpfigen Mann.
Er umarmte sie. »Schon gut, Cathy. Beruhige dich. Es ist dir ja verziehen, okay? Und jetzt hör bitte auf zu weinen, Liebes, bitte. Auch gute Freunde streiten sich mal, das ist ganz natürlich.«
Er brachte sie zurück zu ihrer Wohnung und besänftigte sie unterwegs mit tröstenden Worten. Als sie ankamen, stellten sie fest, dass Eddie Durrant so rücksichtsvoll gewesen war, die Wohnung zu verlassen. Richard drückte sie wieder an sich, aber sie wollte nicht aufhören zu weinen, sondern wiederholte nur immer wieder: »Es tut mir leid, glaub mir bitte, es tut mir so leid.«
Schließlich sah er ihr in die Augen und sagte sanft: »Hör zu, Cathy, du hast harte Tage hinter dir. Ich versteh dich doch. Trinken wir erstmal einen Kaffee, hm? Ich möchte Kitty besuchen und endlich was essen. Lass uns einfach wieder normal werden.«
Sie nickte. Trotz ihrer rotgeränderten Augen und der Schniefnase war sie in seinen Augen wunderschön. Wie auch immer sie aussehen mochte, er würde immer seine Cathy in ihr erkennen.
Und deswegen würde er sie immer lieben.
 
Trevale war sehr mit sich zufrieden. Er hatte keine Erklärung abgegeben und bei den Verhören die Aussage verweigert. Er vertraute darauf, schon bald freigelassen zu werden, weil die anderen Beteiligten sich eher selbst die Kehle durchschneiden würden, als ihn zu bezichtigen, an den Geschehnissen beteiligt gewesen zu sein. Er hatte dafür gesorgt, dass ihm sein Ruf als durchgeknallter Irrer unter Umständen wie diesen von Nutzen war.
Als er auf seiner Pritsche lag und Rachepläne schmiedete, wurde die Zellentür geöffnet. Er setzte sich auf und grinste breit, als zwei vierschrötige Polizisten eintraten.
»Kann ich gehen? Habt ihr endlich festgestellt, dass ihr einen Unschuldigen eingesperrt habt, ihr verdammten Trottel?«, tönte er arrogant und provozierend.
Sie schlossen die Zellentür hinter sich. Als ihn der größere von beiden zu Boden schlug, nahm er noch an, dass sie ihn zu einem Geständnis zwingen wollten, und hoffte nur, dass sie deutliche Spuren hinterlassen würden. Das käme ihm nur zugute - vielleicht würde er die Arschlöcher sogar verklagen. Er grinste bei dem Gedanken und musste dann sogar laut lachen.
»Schlagt mich nur, Jungs, ich hab nichts dagegen. Ich bitte euch sogar darum.« Das Grinsen wich aus seinem Gesicht, als er das Schneidemesser sah. Er wollte aufstehen, wurde aber gnadenlos zu Boden gedrückt.
»Gute Nacht, Mr. Campbell.«
Die rasiermesserscharfe Klinge fuhr über seine Handgelenke und wurde zur Sicherheit noch über seine Kehle gezogen. Gleich darauf verließen die Männer eilig seine Zelle. Er lag auf dem Boden, und mit jedem Herzschlag quoll mehr Blut aus seinen Wunden. Deutlich hörte er die beiden auf der anderen Seite der Tür lachen.
Er raffte sich auf und torkelte zur vergitterten Luke in der Tür. Sie ließ sich natürlich nicht öffnen. Er sah sich in der Zelle um. Sie war völlig verschmutzt, die Wände mit Graffiti bedeckt. Der Gestank aus dem Toilettenbecken war bestialisch. Plötzlich wurde Trevale Campbell klar, dass er hier sterben würde. In dieser armseligen kleinen Zelle. Allein.
Zwanzig Minuten später kamen sie zurück und brachten eine Tasse Tee und ein Sandwich für den eingesperrten Mann. Es war alles klug inszeniert. Ein neuer Insasse sollte sein Zellengenosse werden und als Zeuge für seinen »Selbstmord« dienen. Dieser junge Mann, in Gewahrsam wegen eines Verkehrsdelikts, wäre bei dem Anblick, der sich ihm bot, beinahe in Ohnmacht gefallen.
Alles schwamm in Blut, aber es war das Gesicht des Toten, das ihm die Fassung raubte. Seine Augen waren aus den Höhlen hervorgetreten, und eine derart wutverzerrte Fratze hatte der Junge noch nie gesehen.
Auf dem Boden der Zelle war ein einziges Wort zu lesen, mit Blut geschrieben: BASTARDE.
 
In ihrer Wohnung füllte Cathy die Geschirrspülmaschine und hörte dabei ihren Anrufbeantworter ab.
Die erste Nachricht war von Eamonn. Sie hörte nur mit halbem Ohr hin, denn heute war Eamonn nicht mehr als nur eine Stimme auf Band. Die zweite Nachricht war von Michaela, und Cathy hörte fassungslos, aber voller Hass zu.
»Hallo, Cathy, versuche nur, dich zu erreichen … ich ruf dann später wieder an.« Mickey hatte offenbar herausfinden wollen, ob entweder Cathy oder Desrae aus irgendeinem Grund Kittys Schule aufsuchen wollten. Das war einleuchtend, denn er selbst wollte ja das Mädchen abholen. Sie hoffte, dass er in der Hölle schmorte.
Die dritte Nachricht ließ sie aufhorchen. Sie erkannte die Stimme. Es war zweifellos die von Shaquila Campbell.
»Mrs. Pasquale? Hier ist Shaquila, rufen Sie mich bitte zurück? Ich habe Informationen für Sie, an denen Sie bestimmt interessiert sind.« Sie nannte ihre Handynummer und legte auf.
Cathy verzichtete darauf, auch noch die restlichen Nachrichten abzuhören. Stattdessen warf sie sich ihren Mantel über und verließ die Wohnung. Eine Stunde später stand sie vor Shaquilas Tür.
Die Frau wirkte sehr nervös. »Sie hätten anrufen sollen. Wenn Terry wüsste … ich mein, gestern hat er sich unheimlich aufgeregt …«
Cathy berührte den Arm der Frau. »Beruhigen Sie sich, Shaquila. Sie haben nie wieder etwas von ihm zu befürchten.«
Shaquila machte große Augen. »Was soll das heißen?«
»Er ist tot«, flüsterte Cathy. »Oder wird es zumindest sehr bald sein.«
Shaquila sah sie an, als hätte Cathy den Verstand verloren.
»Er ist tot, glauben Sie mir, dieser Mann ist aus Ihrem Leben verschwunden«, beharrte Cathy. »Er hat einen Selbstmord mit Beihilfe begangen, wie man es in der Unterwelt nennt, und sich die Pulsadern und die Kehle aufgeschlitzt. Oder er wird es spätestens heute Abend noch tun.«
Tonlos fragte Shaquila: »Ist das wirklich wahr?«
Cathy nickte. »Es ist wahr. Sie können aufatmen, Shaquila. Er wird nie wiederkommen.«
Die andere Frau schloss die Augen, von ihren Gefühlen überwältigt. »Wie oft ich von diesem Tag geträumt habe! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie das ist.«
Cathy lachte leise. »Das kann ich doch, Shaquila, glauben Sie mir.«
»War es Ihre Tochter, die er gestern in seiner Gewalt hatte?«
Cathy nickte abermals. »Ich bin gerade noch rechtzeitig bei ihr gewesen. Aber vielen Dank für Ihre Warnung, auch wenn ich sie nicht früh genug bekommen habe. Ich weiß, was es für Sie bedeutet hat, sich so gegen Terry aufzulehnen.«
»Ich hatte furchtbare Angst. Ich habe das Mädchen nicht gesehen, sondern nur gehört, dass er von ihr sprach. Ich erinnerte mich daran, dass Ihre Tochter Kitty heißt, und hab zwei und zwei zusammengezählt. Ich hoffe, es geht ihr gut?«
»Mitgenommen, verschüchtert, aber okay. Nochmal vielen Dank.«
Plötzlich lachte Shaquila laut. »Ist er wirklich tot?«
Cathy sagte gut gelaunt: »Mausetot.«
Mit Rotwein tranken sie auf Terrys Tod und lachten und plauderten wie zwei langjährige Freundinnen. Shaquila war keine lebende Tote mehr, sondern hatte ein neues Leben geschenkt bekommen.
»Was werden Sie jetzt tun?«, fragte Cathy.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Allein mich frei bewegen zu können, wird ein großartiges Gefühl sein, verstehen Sie? Nicht darauf warten zu müssen, dass er mich abholen kommt, wann und wie oft es ihm passt. Endlich bin ich frei.«
»Glauben Sie, je wieder ein normales Leben führen zu können? Sie wissen schon, mit einem anderen Mann?«
Shaquila lachte verbittert. »Ich will keinen Mann, vielen Dank, und bevor Sie mich fragen - ich will auch keine Frau. Ich möchte nur frei sein. Ich möchte meine Kinder großziehen und glücklich sein.«
»Ich verstehe, was Sie sagen wollen, aber Sie sind so schön, Shaquila, dass die Männer Sie nicht in Ruhe lassen werden.«
Sie zuckte die Achseln. »Was auch immer. Wie ist es denn mit Ihnen? Sind Sie verheiratet, geschieden, oder was?«
»Verwitwet. Aber es gibt da einen Mann. Er lebt in den Staaten, und daher sehe ich ihn nur einmal im Monat. Aber wir können damit gut leben. Außerdem ist da noch jemand, den ich noch mehr zu lieben glaube, aber er ist älter als ich und vollkommen anders als der, den ich habe.«
»Wie viel älter?«
Cathy rechnete nach. »So ungefähr sechzehn Jahre. Ich weiß nicht genau, aber er sieht auch noch viel älter aus, als er wirklich ist.«
»Es gibt ein altes afrikanisches Sprichwort - Je älter der Bock, desto härter sein Horn.«
Sie lachten.
»Nochmals vielen Dank, Shaquila, ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie versucht haben, mir zu helfen«, sagte Cathy.
Sie umarmten einander, wie es nur Frauen tun.
»Danke, Cathy, du hast mich aus einem Alptraum befreit, der fast mein ganzes Leben dauerte.«
»Nun ist er vorüber.« Sie sah auf die Uhr. »Es wird leider Zeit, Shaquila, ich muss wieder ins Krankenhaus.«
Sie umarmten einander nochmal.
»Mach dich nicht rar, okay?«
Cathy schmunzelte. »Nein, werde ich nicht tun. Pass auf dich auf.«
Shaquila nickte. »Du auch, und nochmals vielen Dank.«
Sie schloss die Tür. Ihr Leben, ihr wahres Leben würde jetzt anfangen. Nach einem Stoßseufzer ballte sie die Fäuste und machte einen kleinen Luftsprung.
012
An diesem Abend feierte Cathy mit allen, die ihr nahestanden, aber im Herzen war sie traurig. Richard war mit einer von Susan P.s Frauen gekommen, die er sehr gut zu kennen schien. Als sie ihn so vertraut mit der hochgewachsenen Brünetten reden sah, versetzte es ihr einen Stich. Sie musste sich gestehen, dass sie eifersüchtig war.
Susan trat zu ihr. Sie hatte mehr Kokain als sonst geschnupft und redete los, ohne nachzudenken.
»Yvonne ist eine von seinen Favoritinnen und weiß genau, worauf Richard steht.«
Cathy lächelte. »Ich hätte gar nicht gedacht, dass er dafür bezahlt.«
»Und ob er das tut. Mag es manchmal auch ein bisschen exotisch, unser Richard. Weiß, was er will, und gönnt es sich.«
»Kann ich mir vorstellen.«
Susan P. sah ihre Freundin an und fragte betroffen: »Bin ich jetzt ins Fettnäpfchen getreten?«
Cathy zuckte die Achseln. »Keineswegs.«
»Er hat wirklich sehr viel für dich übrig. Das weißt du doch, oder?«
»Mir liegt auch viel an ihm - als Freund. Er ist ein guter Freund.« Als sie ihn dort mit der beeindruckenden Prostituierten stehen sah, wusste sie, dass sie füreinander niemals mehr als nur gute Freunde sein würden.
Jetzt, da die Gefahr vorüber war, wusste sie nicht, ob sie überhaupt mehr wollte als das. Vielleicht waren die Gefühle für Richard gestern Abend nur den Ereignissen zuzuschreiben.
Außerdem hatte sie doch Eamonn. Eamonn, ihren irischen Jungen, den Mann, der ihr die Unschuld genommen hatte, den Mann, den sie mit Herz und Seele liebte.
War es möglich, zwei Männer zu lieben? Cathy meinte es zu tun, auf verschiedene Weise. Plötzlich kam ihr der Gedanke, dass sie durchaus zwei Männer lieben könnte, aber keinen von beiden brauchte.
Einer war ihr Geliebter, einer ein guter Freund - der beste Freund, den man sich denken konnte.
Und eben dabei würde sie es belassen.
Terry Campbells Tod im Gefängnis machte Schlagzeilen. Der scheinbare Selbstmord war einer von vielen, die es im Laufe der letzten Jahre gegeben hatte.
Auf der Straße atmete man bei der Nachricht auf. Der einzige Mensch, der um Trevale weinte, war seine Mutter. Die Nachricht brach ihr das Herz.
Sie hatte ihren Sohn mit einer Leidenschaft geliebt, die so hemmungslos wie pervers gewesen war. Sie starb noch im selben Jahr und wurde neben ihm bestattet. Dafür sorgte Shaquila. Aber es wurde kein Grabstein aufgestellt, gar nichts. Kein einziger Hinweis darauf, dass sie gelebt hatten.
Auch dafür sorgte Shaquila.
Die Aufsteigerin
cole_9783641027995_oeb_cover_r1.html
cole_9783641027995_oeb_toc_r1.html
cole_9783641027995_oeb_fm1_r1.html
cole_9783641027995_oeb_ata_r1.html
cole_9783641027995_oeb_fm2_r1.html
cole_9783641027995_oeb_ded_r1.html
cole_9783641027995_oeb_fm3_r1.html
cole_9783641027995_oeb_p01_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c01_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c02_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c03_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c04_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c05_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c06_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c07_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c08_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c09_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c10_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c11_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c12_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c13_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c14_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c15_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c16_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c17_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c18_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c19_r1.html
cole_9783641027995_oeb_p02_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c20_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c21_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c22_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c23_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c24_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c25_r1.html
cole_9783641027995_oeb_p03_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c26_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c27_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c28_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c29_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c30_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c31_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c32_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c33_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c34_r1.html
cole_9783641027995_oeb_p04_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c35_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c36_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c37_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c38_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c39_r1.html
cole_9783641027995_oeb_p05_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c40_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c41_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c42_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c43_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c44_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c45_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c46_r1.html
cole_9783641027995_oeb_p06_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c47_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c48_r1.html
cole_9783641027995_oeb_c49_r1.html
cole_9783641027995_oeb_elg_r1.html
cole_9783641027995_oeb_cop_r1.html