Kapitel fünf
Eamonn sah seinen Vater an und grinste
herausfordernd.
»Du hast es getan, stimmt’s?« Der ältere Mann
sprach leise, und seine Stimme klang angespannt.
Eamonn nickte langsam. Aufreizend.
»Und wenn?« In seinem Tonfall mischte sich
kindliche Prahlsucht auf seltsame Weise mit männlicher
Anmaßung.
Eamonn betrachtete seinen Sohn und spürte, wie sehr
er sich zu ihm hingezogen fühlte. Sein Leben lang hatte er nichts
und niemanden geliebt außer seinem Kind, seinem Sohn. So schlecht
er selbst auch gewesen sein mochte - schlimmere Sünden als
Herumhuren und Prügeln hatte er nicht auf dem Gewissen. Sein
leiblicher Sohn jedoch war aus anderem Holz geschnitzt.
»Ist dir klar, was du getan hast, Sohn?«
Der Junge zuckte uninteressiert die Achseln.
Die Pranke, die ihn traf und vom Stuhl fegte, kam
absolut unerwartet. Als die Schläge auf ihn niederprasselten,
krümmte sich der Junge zusammen und rutschte auf dem Fußboden hin
und her, um dem Schlimmsten zu entgehen.
Erschöpft hielt Eamonn Docherty schließlich inne
und lehnte sich an die Wand des Esszimmers. Er wischte sich den
Schweiß aus dem Gesicht. »Sie werden dich an den Hammelbeinen
kriegen, Junge. Was ist bloß mit dir los? Hast du völlig den
Verstand verloren, dass du meinst, du könntest mit einem Mord
davonkommen?«
Der Junge rappelte sich mühsam auf. Dabei stützte
er sich auf
den Mahagonitisch, und wie Schandflecken blieben seine
Fingerabdrücke auf dessen gewienerter Oberfläche zurück.
Sie sahen einander an, zwei Männer, die einander
nicht trauten.
»Zum letzten Mal hast du deine Hand gegen mich
erhoben, Dad. Nochmal, und ich schlag zurück!«
Sie starrten einander in die Augen, gegen den Zorn
ankämpfend, der in ihnen brodelte. Doch dann sah Eamonn mit
Genugtuung, dass sein Vater den Blick senkte.
»Du bist ein verfluchter Idiot, Junge, wenn du
meinst, du kommst damit davon.«
Eamonn lachte. »Bin ich aber schon, Dad. Ist eine
Woche her, und weit und breit von Old Bill nichts zu sehen. Die
Bullen kümmert doch einer wie Carter einen Dreck, ebenso wie wir
ihnen scheißegal sind. Es stand im Evening Standard, und
seitdem keine verdammte Zeile mehr. Außer im Lokalteil natürlich.
Ja, man hat mir sogar einen Job angeboten.«
Das abfällige Schnauben seines Vaters ließ Eamonn
erstarren.
»Einen Job? Und was für ein Job soll das sein? Alte
Frauen mit dem Knüppel niederschlagen, um ihnen ihre kümmerliche
Rente zu stehlen? Bewaffneter Raubüberfall? Oder vielleicht ein
hübscher sauberer Job irgendwo als Aufpasser, genau richtig für
einen hartgesottenen Sechzehnjährigen. Teufel auch, mir
reicht’s!«
Eamonn sah seinen Vater in einen Sessel sinken. Von
einer Sekunde zur anderen war er ein alter Mann geworden. Die
mürrische Großspurigkeit, die für ihn so charakteristisch war,
fehlte ganz. Er schien sich geschlagen zu geben. Diese Veränderung
bei seinem Gegner machte den Jungen jedoch nicht froh, sondern sie
tat ihm weh. Trotz all seiner Fehler, ob nun real oder nur
nachgesagt, war sein Vater für ihn immer der Inbegriff des starken
Mannes gewesen. Jetzt stellte er fest, dass dieser starke Mann auf
wackligen Beinen stand und nicht das geringste Verständnis für die
Handlungen seines Sohnes aufbrachte. Das schmerzte.
»Dixon hat mir einen Job angeboten. Ist nicht mehr
als Miete kassieren, aber ein Anfang. Ich werd ganz groß
rauskommen, da bin ich sicher.«
Eamonn betrachtete seinen Sohn, nahm dessen
Körpergröße und attraktives Aussehen wahr, aber eben auch den
offenkundigen Mangel an Intelligenz.
»Mieten kassieren, äh? Sehr einträglicher Job. Das
heißt, wenn sie dich nicht erwischen, natürlich, oder du mit
jemandem Streit kriegst.«
Der große Mann beugte sich aus seinem Sessel vor
und redete beschwörend auf seinen Sohn ein: »Das ist es, was du
wirklich willst? Ich wollte, dass aus dir jemand wird, ein normaler
Mensch. Ich wollte nicht, dass du endest wie ich. Ich dachte, dass
du verachtest, was ich war, was aus mir geworden ist? Ich dachte,
dass du Besseres im Sinn hattest.«
»Hab ich auch, Dad. Und deswegen nehm ich den Job
an. Ich werde meine Tage nicht beschließen wie du, Kumpel, mich von
‘ner kleinen Witwe aushalten lassen und den letzten Penny aus ihr
rausquetschen. Nur dafür leben, dass der Pub endlich öffnet und
vorher ein anständiges Abendessen auf dem Tisch steht. Du hast
gemacht, was du dir vorgenommen hattest, Dad. Mich hast du
angespornt, mehr zu wollen als das, und das hier ist der einzige
Weg, es zu kriegen.«
»Spürst du denn gar keine Reue, Sohn? Dass du dem
jungen Burschen das Leben genommen hast?«
Eamonn zuckte wieder die Achseln. »Nein, eigentlich
nicht. Warum sollte ich auch? Wenn’s andersrum gekommen wär, hätte
er’s auch nicht bereut. Ich bin fast siebzehn, Dad, ein erwachsener
Mann. Was du denkst, ist mir egal. Das Komische ist, es war mir
schon immer egal. Du bist mir völlig egal, Alter. Du bist allen
egal außer dir selbst. Hast eine hohe Meinung von dir, hast du
schon immer gehabt. Aber ich hab dich schon immer als das gesehen,
was du warst - ein überlebensgroßer irischer Schmarotzer. Du hast
dich von Madge aushalten lassen. Was sie an
Geld brachte, hast du in den Pub getragen. Sie hat mit anderen
Männern geschlafen, und du hast mit ihr geschlafen, obwohl du’s
wusstest. Ich hab mehr Achtung vor ihr als vor dir, Dad. Weil Madge
bei all ihren Fehlern niemals vorgegeben hat, was zu sein, was sie
nicht war. Wenn du morgen früh tot umfallen würdest, hätte ich
keine Träne für dich. So, jetzt weißt du Bescheid.«
Der ältere Mann senkte den Kopf und starrte auf den
Linoleumboden. Tränen brannten ihm in den Augen, und er blinzelte
sie fort, bevor er seinem Sohn ins Gesicht sah.
»Ich hab mein Bestes versucht, Eamonn, mein Sohn.
Mehr als sein Bestes kann man nicht tun.«
»Genau das will ich ja sagen. Was dem einen sein
Bestes, reicht dem anderen noch lange nicht. Also jeder auf seine
Weise, stimmt’s? Zum Wochenende zieh ich aus.«
Als der Mann seinen Sohn aus dem Zimmer gehen sah,
überwältigte ihn nicht nur die Einsamkeit, sondern ihn überkam auch
das Gefühl, versagt zu haben. Er hatte sich ein anderes Leben für
seinen Sohn gewünscht, und jetzt sah es so aus, als würde es
tatsächlich ganz anders werden. Ein Trunkenbold war der Vater
gewesen, ein Nichtsnutz und Schürzenjäger, aber kriminell war er
niemals geworden - abgesehen von kleinen Diebstählen als
Schauermann. Aber sein Sohn hatte jetzt mit sechzehn schon die
Verbrecherlaufbahn eingeschlagen, indem er einen anderen Teenager
ermordet hatte. Und das Morden würde damit nicht zu Ende sein, das
wusste er. Von jetzt an würde Eamonn wie ein Verbrecher leben und
auch sterben wie ein Verbrecher. Das würde sein Schicksal sein, und
nichts und niemand auf Gottes Erdboden würde ihn davor bewahren
können.
Madge war froh, und das hätte ihre Tochter
überglücklich machen müssen. Stattdessen war Cathy verschlossen und
nervös. Madge, die ihrer Tochter dabei zuschaute, wie sie Tee und
Toast machte, bemerkte die dunklen Schatten unter deren Augen und
die eingefallenen Wangen.
»Ist auch wirklich alles in Ordnung, Liebes?«
Cathy lächelte nachsichtig. »Zum tausendsten Mal,
Mom, mir geht es gut. Hör auf, mich auszufragen. Ich bin nur müde,
sonst nichts.«
»Es ist Eamonn, stimmt’s? Das hat doch was mit ihm
zu tun. Die ganze Woche hängt er doch schon hier herum. Man sollte
meinen, ihr wärt an der Hüfte zusammengewachsen.«
Cathy vermied es geflissentlich, ihre Mutter
anzusehen, weil sie wusste, dass deren blaue Augen sie auf der
Stelle durchschauen und ihre Gedanken lesen würden. Man mochte von
Madge Connor halten, was man wollte: Sicher, sie vernachlässigte
ihre Tochter bisweilen sträflich, aber wenn sie etwas von ihr
wissen wollte, dann kriegte sie es auch raus.
»Ich weiß nicht, was du meinst, Mom. Ich war doch
immer schon ganz oft mit ihm zusammen.«
»Na ja, für meinen Geschmack siehst du ihn zu oft,
Mädchen. Ich weiß genau, was da läuft. Also versuch nicht, mich an
der Nase herumzuführen. Wenn er Carter erledigt hat, dann ist er
selbst so gut wie erledigt. Also halt dich von ihm fern,
Kleines.«
Cathys stahlblaue Augen funkelten, als sie sich
ihrer Mutter zuwandte. »Was weißt du denn schon? Er war bei mir,
und wenn welche von der Schmiere an die Tür klopfen, dann erzähl
ich ihnen dasselbe. Verdammt, Mom, von jedem anderen hätte ich’s
erwartet, nur nicht von dir! Er war doch immer wie ein eigener Sohn
für dich. Aber wenn sein Vater Ärger hätte, dann würdest du Himmel
und Hölle in Bewegung setzen, um ihm zu helfen.«
Madge schlürfte ihren Tee und griente, wodurch sie
ihre aufgebrachte Tochter noch mehr reizte. »Sein Vater, mag er
noch so ein Mistkerl sein, hätte sich diesen Ärger, wie du es so
nett nennst, niemals eingebrockt. Der Junge jedenfalls ist der
geborene Verbrecher. Je eher du das einsiehst, desto leichter wird
dein Leben. Glaub mir, ich weiß genau, wovon ich rede. Dein Kerl
ist kein Rotzlümmel mehr, sondern hat jetzt ein Gesicht, und ein
Gesicht wird hier in der Gegend ganz schnell mal zu Brei
geschlagen.
Lass dir das gesagt sein. Im Augenblick sind sie alle auf seiner
Seite. Aber das kann sich über Nacht ändern. Du weißt doch, wie’s
hier im East End zugeht. Dieser Carter-Bengel war Ire, und die Iren
halten zusammen. Die sind anders als die Londoner.«
Cathy ließ die Fingergelenke knacken, ein
deutliches Zeichen ihrer Anspannung. »Er ist auch Ire und alles,
Mom, weißt du noch? Solltest du eigentlich, denn mit seinem Vater
hast du’s doch lange genug getrieben.«
Madge grinste, und ihre gewohnt gute Laune kehrte
zurück. »Wir sitzen heute wohl auf einem besonders hohen Ross,
Fräulein, oder? Ist sowieso alles schnurz. Wenn die Schnüffler
aufkreuzen, werd ich mich vor den Jungen stellen, das weißt du. Ich
will nur nicht, dass du da zu sehr reingerätst. Ich weiß, dass ich
nicht gerade die Mutter des Jahres bin, aber ich mach mir doch
meine Gedanken um dich.«
Cathy hob ihre Teetasse und nahm einen Schluck. »Du
bist echt ulkig, Mom. Eigentlich müsste ich dich hassen. Das tu ich
manchmal auch, aber lange hält es nie an. Am Ende bringst du mich
immer wieder zum Lachen. Manchmal denk ich schon, ich bin die Mom
und du bist das Kind.«
Madge sah ihrer Tochter ins hübsche Gesicht und
lächelte. Es war ein echtes Lächeln, das ihre groben Züge sanfter
erscheinen ließ und die irischen Wangen rund und rosig
machte.
»Die tollste Kindheit hattest du gewiss nicht, das
weiß ich wohl, Süße. Aber ich bin nun mal, wie ich bin. Wie meine
alte Mom zu sagen pflegte: ›Ich werd mich niemals ändern, solange
ich ein Loch im Hintern hab.‹ Ich möchte ja nur, dass du weißt, wie
kompliziert das Leben sein kann. Es ist nicht alles
Zuckerschlecken.«
Jetzt musste Cathy lachen, und es war ein raues
Lachen, befreit von der nervlichen Anspannung, aber auch wirklich
belustigt. »Da hast du Recht, Mom. Wie sollte es auch, wenn man mit
dir zusammenlebt?«
Sie lachten gemeinsam, und es kehrte Frieden ein,
aber zum ersten Mal überhaupt hatte Madge Angst um ihre Tochter,
und das war ein komisches Gefühl. Ihr wurde bewusst, dass sie sich
bisher noch nicht ein einziges Mal um ihr Kind hatte kümmern
müssen. Umgekehrt hatte Cathy Connor, die jetzt vierzehn Jahre alt
wurde, sich immer um sie gekümmert.
Ein ernüchternder Gedanke.
Argwöhnisch betrachtete Eamonn den Mann vor sich.
Die Luft war geschwängert von intensivem Kampfergeruch, und bei dem
ungewohnten Gestank, der ihm in die Nase drang und sogar mit der
Zunge zu schmecken war, stieg Übelkeit in ihm auf. Der Mann
räusperte sich krampfhaft, streckte den Kopf unter dem Handtuch
hervor und rotzte in einen kleinen Napf neben sich.
»Ich fühl mich grottenschlecht! Das hat man vom
Rauchen, Junge, denk immer dran. Schon seit Monaten hol ich mir den
verschissenen Ruß aus den Lungen.«
Eamonn nickte, verzweifelt bemüht, das Frühstück
bei sich zu behalten. Als der Mann die Schüssel ungeduldig von sich
schob, schwappte das dampfende Wasser in alle Richtungen.
»Auf der Straße heißt es, du hast James Carter
kaltgemacht. Stimmt das?«
Eamonn blickte in das fleischige Gesicht und
überlegte, was er sagen wollte. Dann nickte er leicht.
»Ja, Mr. Dixon.«
Der Mann lachte, dann wischte er sich mit einem
blütenweißen Taschentuch den Schweiß vom Gesicht. »Du kleiner
Mistkerl! Kein Respekt vor nichts, was? Also, den Job kannst du
noch haben, wenn du willst. Ich hab mich schwer gewundert, als es
hieß, du bist noch keine siebzehn, aber das lass ich durchgehen bei
deiner Größe. Ich halt immer Ausschau nach neuen Gesichtern, nach
neuen Leuten. Frischer Wind kann nie schaden. Dem Verein tut es
gut, und meine Truppe wächst. Eins wäre da aber …«
Er beugte sich drohend über den Tisch.
»Komm ja nie auf den Gedanken, dich an meinem
Eigentum zu vergreifen, kapiert? Wenn ich dir sage, du sollst
rennen, dann rennst du. Wenn ich dir sage, lass die Hosen runter
und scheiß auf den Tisch, dann tust du es, kapiert? Was ich sage,
wird gemacht. Wenn du mit Disziplin nichts anfangen kannst, dann
sag es lieber gleich. Ich hab’s gar nicht gern, wenn mir jemand
dumm kommt.«
Eamonn nickte, froh, in der echten Ganovenwelt
angekommen zu sein, begeistert von der Aussicht, einer mit Gesicht
zu werden, einer von Dixons Gang. Ein Mann mit Namen.
»Und noch eins, Junge. Die Schmiere wird dir in den
nächsten Tagen auf den Pelz rücken. Spiel den Unschuldigen. Du
kannst dich auf die Mauer des Schweigens verlassen, weil du unter
meinem Schutz stehst. Piss mir nicht ins Bier. Sei freundlich zur
Schmiere, kooperativ. Erzähl denen so viel Scheiße, wie dir
einfällt, aber was immer sie sagen, leugne alles.«
Dixon steckte sich eine Zigarette an und hustete,
bis sein massiger Kopf rot anlief.
»Ich lass dich mit Schuldensachen anfangen. Okay?
Verstehst du, was es heißt, Schulden aufzukaufen?«
Eamonn schüttelte den Kopf. »Nein. Mr.
Dixon.«
Der Mann lächelte. Zigarettenrauch waberte zwischen
seinen gelben Zähnen hervor und kräuselte sich hinauf zu seinem
schlecht sitzenden Toupet. »Mr. Dixon, hm? Respekt weiß ich zu
schätzen. Respekt muss man sich verdienen, Junge, vergiss das nie.
Und den verdient man sich mit dem hier.«
Er spannte die Muskeln seines wuchtigen Arms an und
schüttelte die Faust. »Kein Kerl, der sie noch alle beisammen hat,
ist respektlos gegenüber Leuten, die ihm überlegen sind, ob nun an
Körperkraft oder an Köpfchen. Aber sei vorsichtig bei den
Giftzwergen, mit denen ist nicht zu spaßen. Weil diese Bekloppten
unberechenbar sind.« Er tippte sich an die Stirn, um seine Aussage
zu unterstreichen, bevor er mit seinem einlullenden Singsang
fortfuhr, als spräche er übers Wetter.
»Schön, kommen wir also zurück zu den Schulden.
Sagen wir, du schuldest jemandem fünf Riesen und zahlst sie nicht
zurück, und egal wie oft man dich aufgefordert hat, endlich zu
löhnen, du hast dich nicht drum gekümmert und ihnen sogar noch
gesagt, sie sollen sich verpissen. Die werden echt sauer und kommen
zu mir. Und ich kauf ihnen die Schulden ab, sagen wir mal für zwei
Riesen. Sie sind froh, weil zwei Riesen im Sack besser sind als
nichts, verstehst du? Du stehst also bei mir mit zwei Riesen in der
Kreide. Muss mir also einen Kopf machen wegen dir. Somit stehst du
auf meiner Liste, verstanden? Ich präsentier dir die Rechnung über
sieben Riesen - die fünf, die du den Blödmännern schuldest, und die
zwei, die ich freundlicherweise für dich ausgelegt hab. Also schick
ich jemand auf einen Plausch vorbei. Krieg ich die sieben Riesen
innerhalb von vierzehn Tagen, hast du gut lachen. Wenn nicht,
kommen jede Woche hundert drauf, als Zinsen. Es ist also nur zu
deinem Vorteil, wenn du mich bezahlst, denn nach zwei Wochen - und
hier kommst du ins Spiel, mein Sohn - werd ich langsam sauer. Und
ich schicke einen Freund vorbei, so zum Verhandeln. Kann passieren,
dass du einen Arm brechen musst oder ein Bein. In extremen Fällen
möchte ich vielleicht sogar, dass der Arsch eine Kugel verpasst
kriegt. Ich sag extrem, aber inzwischen ist so was schon an der
Tagesordnung. Mir gefällt das gar nicht, aber ich muss ein Exempel
statuieren, oder? Schließlich haben die Schuldner mich Geld
gekostet, und das wurmt mich mächtig … Geld ist Gott. Merk dir das,
Sohn. Es ist außerdem die Wurzel allen Übels, zum Glück, sonst
wären wir arme Leute!« Er lachte lauthals über seinen Scherz und
rief damit einen weiteren Hustenanfall hervor. »Also, hast du das
im Großen und Ganzen gerafft?«
Eamonn nickte. »Ja, Mr. Dixon.«
Der Mann grinste. »Also, wir wissen ja alle, dass
du bereits mit ‘ner Knarre umgehen kannst, da brauch ich mir wohl
keine Gedanken zu machen. Ich lass dich mit Marcus Devlin
zusammenarbeiten. Der verrückte Ire wird dir zeigen, wo’s langgeht.
Du fängst in vierzehn Tagen an. Gib der Schmiere erstmal die
Chance, dich ein bisschen abzuleuchten. Dass ich nicht fair wäre,
kann man mir als Letztes vorwerfen, oder?«
Eamonn nickte nochmals, fassungslos angesichts der
Selbstsicherheit und Freundlichkeit von Danny Dixon, Kuppler,
Bordellbesitzer und Schuldeneintreiber, um nur einige seiner
lukrativen Geschäftszweige zu nennen.
Dixon zog seine Brieftasche heraus, entnahm ihr
drei Zwanzigpfundnoten und legte sie vor dem Jungen auf den Tisch.
Er sagte selbstherrlich: »Dies Geld bedeutet, du gehörst mir. Bevor
du es nimmst, überleg es dir gut. Du gehörst mir, mit Haut und
Haaren.«
Eamonn nahm das Geld mit bebenden Händen und sah
dem Mann direkt ins Gesicht. »Danke, Mr. Dixon.«
Dixon schmunzelte. »Respekt und Manieren, eine gute
Kombination.« Er deutete auf das Geld. »Das da nennt man einen
Honorarvorschuss. Es bedeutet, dass du für mich arbeitest und sonst
für niemanden, okay? Und nun zieh ab, geh bumsen, mach, was du
willst. Aber sorg dafür, dass du zur Stelle bist, wenn ich dich
brauche.«
»Wie erfahr ich, wann Sie mich brauchen, Mr.
Dixon?«
Der Mann lachte. »Das wirst du schon sehen. Jetzt
schieb ab und warte, dass ich dich rufen lasse. Mit sechzig Pfund,
die ich mir aus dem Herzen gerissen habe, in der Tasche wirst du
schon früh genug von mir hören.«
Eamonn stand auf und streckte die Hand aus. »Es
gefällt mir gut, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Sir.«
Danny Dixon schüttelte den Kopf. »Noch haben wir
kein Geschäft gemacht, Junge.« Er deutete mit dem Finger auf
Eamonns Brust. »Du bist derjenige, der die Geschäfte machen wird,
Sohn. Meine Geschäfte. Aber jetzt zieh ab. Ich melde mich.«
Stolz wie ein Pfau spazierte Eamonn aus dem Zimmer.
Endlich war er jemand, endlich hatte er einen Ruf.
Grinsend wie die Cheshire-Katze verließ er das
kleine Haus
in Bethnal Green und genoss das Gefühl der Genugtuung. Dank James
Carter spielte er jetzt in der Oberliga, und er hatte vor, so lange
wie möglich dort mitzumischen. Carter war sein Sprungbrett ins gute
Leben gewesen. Er bereute den Mord nicht im Geringsten, und so wie
er es sah, hätte er zu keinem besseren Zeitpunkt geschehen
können.
Madge war bei der Arbeit, und Cathy gönnte sich
eine wohlverdiente Ruhepause, als mit Wucht an die Tür gehämmert
wurde. Der Lärm hallte so schrecklich laut in der kleinen Wohnung,
dass Cathy entsetzt aus dem Sessel sprang.
»Mach die Tür auf, Cathy! Lass mich rein,
Kleines!«
Sie seufzte erleichtert, als sie Eamonns Stimme
erkannte, lief zur Tür und öffnete sie mit einem erfreuten Lächeln.
»Ich dachte schon, es ist die Schmiere, und die treten mir die Tür
ein.«
Er hob sie hoch, schloss die Eingangstür mit einem
Fußtritt und presste das Mädchen ganz fest an sich, den vertrauten
Geruch von Rosenwasser und Max Factor in der Nase. Er trug sie
durchs Vorderzimmer, setzte sie auf dem Sofa ab, zwang sie, den
Mund zu öffnen, und erkundete ihn mit der Zunge. Cathy schmeckte
Whisky und roch Bier, als sie seine Küsse erwiderte. Sie drehte den
Kopf zur Seite und protestierte: »Du bist betrunken, Eamonn!«
Mit dem Knie spreizte er ihre Beine und schob sich
dazwischen, bevor er sie abermals fest an sich drückte und gierig
küsste. Er saugte sich an ihren Lippen fest, war mit Mund und
Händen überall.
»Oh, geliebte Cathy … Cathy.« Die Worte kamen tief
aus seinem Innern. Sie flehten und forderten zugleich.
Er schob ihr spitzenbesetztes Oberteil hoch,
klaubte nach ihren Brüsten und betatschte sie so grob, dass Cathy
versuchte, sich aus seiner Umklammerung zu lösen.
»Eamonn, meine Güte! Du tust mir weh.«
Weil es ihr peinlich war, ihm bei der grellen
Beleuchtung nachzugeben, versuchte sie nochmal, ihn
wegzustoßen.
»Nein, nein, das darfst du nicht, Cathy, nicht
heute Abend.« Seine Zunge war schwer vom Alkohol und von Geilheit.
»Heute Abend stößt du mich nicht weg.« Er griff ihr zwischen die
Beine, riss ihr Höschen herunter und drängte mit einem Finger in
sie. Dass sie trocken war und sich ihre Muskeln verkrampften,
störte ihn nicht.
»Entspann dich, Cathy, genieß es. Ganz ruhig,
Mädchen.«
Er trat zurück, kniete sich hin und drängte seinen
Kopf zwischen ihre Beine. Seine Zunge fand ihre Klitoris, leckte
sie nass. Als Cathy versuchte, ihn an den Haaren wegzuziehen,
drückte er ihr die Arme seitlich an den Körper und hielt sie mit
jener Kraft nieder, die aus unbedingter Entschlossenheit rührt. Als
er an ihr saugte, spürte sie erste Tränen. Mit einem verzweifelten
Stoß ihrer Hüften versuchte sie abermals, sich von ihm zu
befreien.
»Hör auf, Eamonn, du machst mir Angst. Du tust mir
weh.«
Er hob den Kopf und lächelte sie an. »Es wird dir
so gefallen wie mir. Ich liebe dich, Cathy, das weißt du. Entspann
dich, und wir machen es.«
Er öffnete die Hose und schob sie bis zu den Knien
hinunter. Cathy starrte ihn an, als hätte sie ihn noch nie gesehen.
Dieser Eamonn war ihr neu. Ein Eamonn, der ihr Furcht
einflößte.
»Bitte …«
Ihr Flehen verstummte, als er grob in sie eindrang.
Mitleidlos benutzte er sie, achtete nicht darauf, wie sie sich
unter ihm zur Wehr setzte, weil sie die unfassbaren Schmerzen kaum
ertrug. Er stieß noch wüster zu, und als er laut zu keuchen begann,
holte Cathy aus und zerkratzte ihm mit den Fingernägeln die
Wange.
Er stemmte sich hoch und sah ihr ins blasse
Gesicht. Dabei stieß er, so heftig er nur konnte, immer wieder in
sie hinein. Er sah ihr unentwegt in die Augen, missachtete ihr
inständiges Flehen, endlich aufzuhören und sie loszulassen. Als er
zum Orgasmus kam, spürte sie, wie sein Körper erstarrte, und die
Schmerzen an ihren Handgelenken waren nicht auszuhalten, weil er
sie fester und fester umklammerte. Er bewegte sich jetzt langsamer
in ihr. Sie spürte die heiße Flüssigkeit zwischen ihren Beinen
hinunterrinnen, und als sein Körper schließlich erschlaffte und wie
leblos auf sie fiel, schluchzte sie laut auf und stieß ihn von
sich.
Vor Schmerzen und Angst beinahe panisch, kamen ihr
die Tränen. Das Brennen zwischen ihren Beinen war kaum auszuhalten,
und ihre Handgelenke waren taub.
Eamonn, der sich langsam aufrichtete und dann über
ihr kniete, sah sie sekundenlang an, als könne er nicht glauben,
was er getan hatte. Cathy lag zusammengerollt auf dem Sofa. Ihm
offenbarte sich plötzlich, wie klein sie doch war, wie
zerbrechlich. Das verschmierte Blut zeichnete sich dunkelrot auf
dem Weiß ihrer Schenkel ab. Er legte ihr die Hand auf die Schulter
und sagte: »Cathy … es tut mir leid. Es tut mir ja so leid.«
Mit einem Blick über die Schulter fauchte sie:
»Raus mit dir, Eamonn. Geh weg von mir.«
Er wollte ihr Gesicht streicheln, aber sie zuckte
zurück und legte die Arme abwehrend über den Kopf. Die
Ungeheuerlichkeit dessen, was er getan hatte, wurde ihm schlagartig
bewusst. Angesichts des panischen Entsetzens, das jede Faser ihres
Körpers zittern ließ, überkam ihn die Ernüchterung. Er hob sie auf
wie ein Baby, wollte sie streicheln, versuchen, es
wiedergutzumachen, aber sie wehrte sich und fiel ihn an, mit Klauen
und Zähnen, trat um sich und trommelte mit den Fäusten auf ihn
ein.
»Du Schwein! Du dreckiges Schwein! Lass mich los!«
Sie kämpfte sich frei und rannte in ihr Schlafzimmer. Als er ihren
Arm packte, schrie sie.
Das laute Klopfen an der Wand ließ sie beide abrupt
verharren.
»Scheiße, seid endlich leise, ihr zwei. Ich brauch
meinen verschissenen Schlaf.«
Eamonn nahm sie in die Arme und hielt sie fest. Er
redete besänftigend und liebevoll auf sie ein, flüsterte in ihr
Haar, streichelte ihr Gesicht, bemüht, sie zu beruhigen. Bemüht zu
verstehen, was ihr geschehen war und was in ihn gefahren sein
mochte.
So wie sie weinte, wurde ihm klar, dass er ihr
etwas genommen hatte, das ganz allein ihr gehört hatte. Das begriff
er plötzlich, auch mit benebeltem Kopf. Und er wusste auch, dass
sie es ihm nie wirklich verzeihen würde.
Schließlich hob er sie hoch, trug sie ins
Schlafzimmer und legte sie sanft aufs Bett.
»Cathy, bitte hör auf zu weinen, Liebling. Es tut
mir doch leid, mein Liebes, okay? Es tut mir echt leid. Ich weiß
nicht, wie das geschehen konnte. Ich hatte solch einen tollen Tag
…« Er brabbelte nur noch vor sich hin und merkte es selbst. »Ich
hab heute einen Job gekriegt, Cathy, guck mal hier.«
Er zog den Rest des Geldes, das Dixon ihm gegeben
hatte, aus der Tasche und legte es aufs Bett. »Kannst du haben.
Sieh mal, Cathy, das sind noch über fünfzig Pfund. Nimm es, Cathy,
kauf dir davon was Schönes …«
Von Schluchzern heftig geschüttelt, stieß sie das
Geld vom Bett. »Geh, Eamonn. Bitte, geh weg. Lass mich
allein.«
Ihre Augen waren rot und geschwollen, ihre Haut war
fleckig, sogar ihr Haar sah leblos aus. Die Lippen, ebenfalls
angeschwollen und von seinen Küssen verletzt, entstellten ihr
Gesicht. Zum ersten Mal sah sie hässlich aus, und er wusste, dass
es seine Schuld war. Er hatte seine kleine Cathy innerlich wie
äußerlich beschmutzt.
»Ich will einfach nur allein sein. Bitte, lass mich
allein.«
Er schloss seinen Hosengürtel und hob das Geld vom
Fußboden auf. Er wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht und
entdeckte Blut. Einen Moment lang war er verwirrt, aber als er an
den Spiegel trat, sah er vier lange rote Schrammen und
fluchte.
»Scheiße, Cathy, wir kennen uns doch lange genug,
oder? Ich hab gesagt, es tut mir leid, Mädchen. Was willst du denn
noch?« Er wusste sehr wohl, dass es eine angeberische Pose war,
wusste, dass es ihm nur darum ging, sein Verhalten sich selbst
gegenüber zu rechtfertigen und natürlich auch ihr gegenüber.
Trotzdem fuhr er im selben anmaßenden Ton fort: »Nächstes Mal wird
es besser werden. Dann weißt du, was dich erwartet. Beim ersten Mal
ist es für euch Puppen eben immer hart, aber du wirst dich schon
daran gewöhnen …«
Dann flüsterte er nur noch: »Bitte, Cathy. Bitte
…«
Er konnte sich nicht mehr länger verstellen. Er
hatte etwas Unverzeihliches getan. Er hatte Cathy wehgetan. Aber
sie musste ihm verzeihen, unbedingt, oder sein Triumph bedeutete
nichts. Ohne sie war er wieder nur das geprügelte und
vernachlässigte Kind.
»Ich weiß nicht, was ich tun soll, Cathy. Bitte,
Liebling, sag mir, was ich machen soll.« An ihrem Bett kniend fing
er zu weinen an. Er presste das Gesicht in die Decke, und seine
Tränen tropften auf die muffige Matratze.
Nach einer Ewigkeit legte sie ihm die Hand auf den
Kopf. Er sah hinauf in ihr kreidebleiches Gesicht und hörte sie zu
seiner Verblüffung sagen: »Hör auf zu weinen, Eamonn. Geh einfach
nach Hause.«
Sie hatte ihn berührt. Der erste Schritt zur
Versöhnung, wie sie beide wussten. Nachdem er den Arm um ihre
Taille geschlungen hatte, um sie fest an sich zu drücken, lag er
still neben ihr und weinte wie sie. Und als sie ihn dann mit beiden
Armen an sich zog und genauso fest an sich presste, übermannte ihn
plötzlich immense Erleichterung.
Nachdem die Tränen verebbt waren, blieben sie eng
umschlungen liegen, und die Stille des Zimmers durchbrachen nur
ihrer beider Herzschlag und ihr leises Atmen. Als die Schatten an
den Wänden dunkel wurden, lagen sie noch immer beieinander.
Sie hatten an jenem Abend eine Grenze
überschritten, und das hatte sie nur noch fester
zusammengeschmiedet. Zwei Kinder aus zerrütteten Verhältnissen, die
sehr wohl wussten, dass sie nichts und niemanden je gehabt hatten
außer einander.
Cathy würde ihm letztlich alles vergeben. Das
wusste Eamonn jetzt. Und als er sie hielt, spürte er die Erregung
eines Mannes, der einen anderen Menschen ganz und gar
besitzt.
So wie Dixon ihn besaß, besaß er Cathy. Mit Haut
und Haaren.