Kapitel dreiundvierzig
Desrae hatte Cathy drei Valium gegeben, damit sie sich beruhigte. Jetzt saß sie apathisch im Wohnzimmer und starrte gegen die Wand.
Richard war schrecklich besorgt. Er hatte noch nie erlebt, dass sich eine Frau so veränderte. Es war, als hätte jemand die echte Cathy durch einen Schatten ihrer selbst ersetzt. Ihr Gesicht war gespenstisch fahl und schien nur noch aus weit aufgerissenen Augen zu bestehen, deren Blick ins Leere ging. Sogar ihr Haar schien alle Lebenskraft verloren zu haben, so strähnig schlaff hing es ihr über die Schultern.
»Ich bringe ihn um. Ich schwöre bei Gott, dass ich ihn umbringe, wenn er meinem Baby ein Haar krümmt.« Ihre Stimme klang leblos und monoton.
Richard drückte sie einen Moment fest an sich. »Wir werden sie finden, keine Sorge. Ich muss jetzt erstmal sehen, dass ich mehr herausbekomme. Okay? Ich suche Durrant und bitte ihn um Hilfe. Mach dir vorerst keine Sorgen. Campbell wird Kitty nicht wirklich etwas antun. Er spielt sich nur auf, will dich ängstigen und einschüchtern. Er würde nie wagen, sie anzufassen. Glaub mir, Cathy. Ich weiß, wovon ich rede.«
Das war eine reine Lüge, aber er wusste nicht, was er sonst sagen sollte.
Während er diese Worte aussprach, konnte Kitty das Vergewaltigungsopfer einer ganzen Bande geworden sein. Oder es konnte sogar Schlimmeres geschehen sein.
Er war erleichtert, als Susan P. in Begleitung ihres Beschützers Tulson ins Zimmer kam. Der war massig, groß und schweigsam - nach Susan P.s Geschmack der perfekte Mann. Er bewachte sie, behielt seine Meinung für sich und kassierte seinen Lohn ohne Kommentar.
Cathy warf sich in die Arme ihrer Freundin und fing wieder zu weinen an. Die Angst um ihr Kind raubte ihr den Verstand. »Wir müssen sie finden, Susan! Bevor er ihr etwas Schlimmes antut. Bevor er sie schändet. Kitty ist doch noch ein Kind, gerade vierzehn. Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn ihr etwas zustößt.«
Susan tätschelte sie, flüsterte ihr liebevolle Worte zu, versicherte ihr, dass alles gut ausgehen würde. Als Richard schließlich gegangen war, brachte sie Cathy dazu, sich hinzusetzen, sah ihr in die Augen und sagte energisch: »Reiß dich jetzt zusammen, Cathy. Es hilft doch nichts. Du musst stark sein, stärker als je zuvor. Kitty braucht dich, und wir brauchen dich. Wir werden sie finden. Okay?«
Cathy nickte, und langsam kam sie wieder zur Vernunft. Susan P.s besonnene Art zeigte Wirkung.
»Wenn du durchdrehst, dann fehlt uns jemand in unserer Truppe, verstehst du?« Susan P. öffnete ihre Handtasche, holte eine kleine Phiole mit weißem Pulver hervor und legte ein paar Linien auf der Glasplatte des Couchtisches aus. »Schnief den Koks. Ich weiß, du rührst das Zeug normalerweise nicht an, aber es bringt dich nach vorne, und heute Abend kannst du eine Extraportion Power gebrauchen.«
Cathy nahm den kleinen Strohhalm und zog sich das Kokain hastig in die Nase.
»Also, ich stehe mit allen unseren Kontaktleuten in Verbindung, und ich kann dir garantieren, dass wir eine Spur haben, bevor die Nacht vorüber ist. Wir brauchen nur einen kleinen Hinweis darauf, wohin er sie wahrscheinlich bringt. Sobald wir den kriegen, sind wir auch schon unterwegs.«
Dass sie Cathy etwas vormachte, wusste Susan sehr wohl. Ihr war nämlich klar, dass sie nur dann überhaupt eine Chance hatten, das Mädchen zu finden, wenn jemand ihnen genau sagen konnte, wohin sie verschleppt worden war.
In Anbetracht der Tatsache, dass Campbell sein infames Spiel so viele Jahre lang hatte treiben können, ohne sich zumindest eine Geldstrafe wegen Zuhälterei einzuhandeln, war die Hoffnung, er würde diesmal einen Fehler begehen, gewiss trügerisch. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, wie es so schön hieß, und Susan P. wusste, dass sie Cathy in ihrer Zuversicht bestärken musste.
 
Michaela saß bei Campbell im Wagen. Terry zahlte ihm die Belohnung aus, deren Höhe im Voraus vereinbart worden war. Michaela zählte nicht nach, denn er wusste, dass es stimmte, und ließ die zweitausend Pfund in seine Handtasche gleiten. »Du wirst ihr doch nicht wehtun, Terry? Sie ist ein gutes Kind, und ich wollte dir nur einen Gefallen tun.«
Terry lachte höhnisch. »Was ich mit ihr mache, ist allein meine Sache, verstanden? Ich hab meinen Teil der Abmachung erfüllt und du deinen. Das Mädchen gehört jetzt mir, und du hältst dich raus. Wenn du mir in die Quere kommst, reiß ich dir den Kopf ab, mitsamt Perücke und allem. Kapiert?«
Doch Michaela gab sich noch nicht zufrieden. »Ich hab sie unter der Voraussetzung geliefert, dass du ihr nichts tust. Hör mir zu, Terry - ihre Mutter wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie zu finden, und Richard Gates und Susan P. werden ihr helfen. Du hast versprochen, dass du sie nur als Druckmittel einsetzen willst …«
Terry Campbell grinste und sagte knapp: »Ich hab gelogen.« Michaela wurde blass. »Du Mistkerl! Du weißt genau, dass ich dir niemals geholfen hätte, wenn mir deine Absicht klar gewesen wäre. Warum hast du es dir anders überlegt?«
»Ihre Mutter ist in meinem Haus aufgetaucht, verdammt noch mal, in meinem Haus, in dem meine Kinder wohnen. Sie ist im Haus meiner Mutter aufgetaucht und hat sie bedroht! Hat meine Mutter bedroht!« Campbell holte tief Luft. »Niemand behelligt meine Familie und kommt ungeschoren davon. Das hier ist jetzt eine persönliche Angelegenheit. Die elende Schlampe braucht einen Denkzettel, und ich werde dafür sorgen, dass sie einen bekommt.«
Terry öffnete die Autotür und stieß ihn grob hinaus. »Verpiss dich, Schwuchtel. Ich hab, was ich wollte, und du hast es mir verschafft. Jetzt lass mich zufrieden und halt ja deine Fresse!«
Michaela wusste, wann es Zeit war, sich geschlagen zu geben. Er hatte sich alles verscherzt - konnte nicht mehr nach Hause, nicht mehr in den Club, nirgendwohin. Cathy würde schon bald wissen, wer ihre Tochter von der Schule abgeholt hatte. Wenn Kitty auch nur ein Haar gekrümmt würde, war er ein toter Mann. Er hätte fünftausend Pfund verlangen sollen. Aber zwei Mille waren zwei Mille, und er brauchte das Geld für Südamerika, für die große Operation, die sein Leben verändern würde.
Ein Mädel brauchte Ziele, besonders wenn das Mädel ein Mann war.
 
Louis Bardell war achtundzwanzig. Seine glatte olivbraune Haut, die dunkelgrünen Augen und sein volles schwarzes Haar ließen ihn auffallend attraktiv aussehen. Er wusste, dass die Leute ihm nachschauten, und genoss es. Er war zudem ein Homosexueller mit einer Vorliebe für kleine Jungs.
Als er und zwei Gleichgesinnte aus seiner Wohnung in Kensington kamen, sah Louis einen großen glatzköpfigen Schlägertyp an seinem dunkelblauen Mercedes lehnen. Er tauschte einen Blick mit seinen Kumpanen und herrschte den Mann an: »Weg da von meinem Wagen, bevor ich die Polizei hole!«
Der Mann richtete sich auf, und Louis sah, wie groß er wirklich war. Die beiden Freunde traten einen Schritt zurück.
»Ich bin die Polizei. Wollen wir reingehen? Ich muss mit dir reden.«
»Tut mir leid, aber ich muss …« Er sprach nicht mehr weiter, als Gates ihn drohend angrinste. »Gar nichts musst du. Also jetzt rein, alle Mann.«
In der Wohnung wartete Gates, bis Louis und seine Freunde sich im Salon gesetzt hatten.
»Hübsch hier.«
Louis schnaubte verächtlich. »Sieh dich gut um, Süßer, so was wirst du dir von deinem Hungerlohn nie leisten können.«
»Und wenn du nicht deine vorlaute Schnauze hältst, Süßer«, erwiderte Richard gelassen, »werde ich dafür sorgen, dass du die nächsten paar Tage in Brixton schmorst, um mir bei der Arbeit zu helfen - und da werden sie dir ganz nebenbei den Arsch aufreißen. Das würde mir gefallen. Obwohl ich persönlich schon die winzigsten Schmerzen hasse. Trotzdem hab ich einen Riesenspaß daran, anderen wehzutun. Ich könnte zum Beispiel mein Messer nehmen, dir die Ohren abschneiden und mich vor Lachen bepissen.«
Richard grinste Louis an.
»Aber da geht es dir nicht anders, oder? Du liebst es doch, anderen wehzutun, oder? Besonders gern vergreifst du dich an kleinen Jungs und Mädchen. Das weiß ich, weil ich ein Video gesehen habe, mit dir als Hauptdarsteller. Trevale verkauft nämlich diese Videos, die dich bei deiner Lieblingsbeschäftigung zeigen. So privat war die Party also nicht. Und du bist inzwischen die Nummer eins in den europäischen Pädophilen-Charts.«
Louis war aschfahl geworden. Er schüttelte verstört den Kopf. »Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden.«
»Deine grünen Augen sind kaum zu übersehen. Soviel ich weiß, hast du auch eine ziemlich ungewöhnliche Tätowierung auf der rechten Arschbacke: eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Willst du deine Hose runterlassen, um mir das Gegenteil zu beweisen? Nein? Dachte ich mir’s doch. Dir stehen lange Ferien hinter Gittern bevor, mein Sonnenschein.« Und dann fügte er noch hinzu: »So viel Geld kriegst du nicht zusammen, dass du dich freikaufen könntest.«
»Sie sollten lieber vorsichtig sein mit dem, was Sie sagen, Mr. …«
Richard lächelte. »Gates. Detective Inspector Gates. Hättest du meinen Namen gerne auf der anderen Arschbacke? Damit du ihn dir merken kannst?«
Die beiden anderen Männer, der eine Profifußballer und der andere Computerexperte, starrten Gates ungläubig und eingeschüchtert an.
»Was wollen Sie überhaupt?«, fragte der Computerexperte.
»Ich will wissen, wo Terry Campbells kleine Abendveranstaltung heute stattfindet. Ich hab läuten hören, dass er zu einer seiner Privatpartys einlädt. Na ja, privat müssen sie ja wohl sein, diese Partys, oder? Ich nehme an, zu so einem Freizeitspaß nimmt man ja nicht gerade die Schwester oder die Mutter mit.«
Der Fußballer, ein fünfundzwanzigjähriger Franzose, wirkte tatsächlich verlegen, und Richard wusste instinktiv, dass er seinen Mann gefunden hatte.
Er sah Richard an und sagte leise: »Niemand kennt den Ort bis eine Stunde vor Beginn. So war es bis jetzt immer.«
»Okay«, verkündete Richard, »wir werden gemeinsam hier sitzen bleiben, ein wenig plauschen, den einen oder anderen Scotch trinken und warten, bis der Ort der Party feststeht. Und dann komm ich mit euch mit und verderbe allen den Spaß.« Er rieb sich die Hände. »Wird mir ein großes Vergnügen sein!«
 
Kitty hatte schreckliche Angst. In der Schule hatte sie beim Anblick von Michaela zuerst angenommen, dass ihrer Mutter etwas passiert war. Aber dann hatte Michaela sie beruhigt und gesagt, dass Desrae eine Party feierte und sich Kitty als Gast wünschte.
Erst als sie in London in ein fremdes Haus gebracht wurde, ahnte Kitty, dass etwas nicht stimmte. Das erste Zusammentreffen mit Terry Campbell war furchtbar gewesen. Er hatte sie lange angesehen und ihr dann befohlen, die Arme über dem Kopf zu verschränken und sich langsam umzudrehen. Währenddessen hatte er sie prüfend gemustert.
Michaela war nirgends mehr zu sehen. Als Kitty zur Eingangstür gehen wollte, packte der Mann sie grob am Arm und stieß sie so heftig auf einen Stuhl, dass sie sich die Wirbelsäule stauchte. Sie war sich jetzt sicher, dass ihr Gefahr drohte, aber sie hatte nicht die geringste Ahnung, worauf alles hinauslaufen sollte. Was konnte der Mann nur von ihr wollen?
Dann legte er ein Video ein und befahl ihr hinzuschauen. Erst nachdem sie das Video betrachtet hatte, wurde ihr klar, was sie befürchten musste.
Trevale genoss jede Sekunde ihrer Qualen.
Dies würde seine Rache sein.
Wenn die Mutter dieser kleinen Schlampe glaubte, sein Heim schänden zu können, dann würde er ihr Fleisch und Blut schänden. Und wenn er mit der Tochter fertig war, dann würde er sich obendrein die Mutter vornehmen.
Er würde sie zwingen, sich das Video anzusehen, das zeigte, wie ihre Tochter zur Frau gemacht wurde.
 
Eddie Durrant war imponierend groß und sah gut aus. Er besaß die dunklen mandelförmigen Augen seines Vaters und makellos kaffeebraune Haut. Er war ein gewalttätiger Gangster und hasste seinen Halbbruder Trevale wie die Pest. Eddies Mutter war eine junge weiße Frau aus dem East End gewesen. Sie hieß Renee und hatte ihn mit sechzehn bekommen, und sein Vater hatte sie beide verlassen. Auf seinen Sohn hatte er jedoch immer ein Auge behalten.
Wie Trevale war auch Eddie seines Vaters Sohn.
Der hatte seine Söhne getrimmt, hart zu sein, tough zu sein, immer der Beste zu sein. Schon als Kinder hatte er sie gezwungen, gewalttätig zu werden und gegeneinander zu kämpfen. Den Sieger hatte er anschließend zum Lieblingssohn des Tages gemacht.
Eddie konnte nie verwinden, dass sein Vater seine Mutter verlassen hatte, um mit Trevales Mutter zusammenzuleben.
Als Erwachsener wies er dieselben Verhaltensmuster auf wie sein Halbbruder. Beide hielten Menschlichkeit für Charakterschwäche und respektierten nichts als Willensstärke und Körperkraft. Beide benutzten und missbrauchten alle und jeden. Beide betrachteten Geld als das einzige Gut und erachteten sexuelle Gewalt als ihr Recht. Als Eddie herausgefunden hatte, dass sein Bruder mit Sexfilmen ein kleines Vermögen verdiente, war er ins selbe Business eingestiegen, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Er hatte es nicht getan, weil er Geld brauchte oder einen neuen Geschäftszweig suchte, sondern einzig und allein, um Trevale eins auszuwischen. Dabei hatte sich Michaela erwartungsgemäß als Trumpfkarte erwiesen.
Als er von der jüngsten Entwicklung hörte, reagierte Eddie einerseits verärgert, aber andererseits auch hocherfreut.
»Du willst mir erzählen, dass mein Bruder die Tochter von Cathy Pasquale in seiner Gewalt hat und sie heute Abend bei einer seiner Partys benutzen will?«
Michaela nickte. Ihm war mulmig. Erst dieser Besuch bei Eddie machte ihm richtig bewusst, dass er ein doppeltes Spiel trieb, und das konnte leicht ins Auge gehen. Sehr leicht sogar. Aber er wollte noch etwas mehr Geld herausholen, bevor es nach Rio ging.
Er sah Eddie an wie ein verstörtes kleines Mädchen und hauchte: »Ich musste doch tun, was er verlangt hat, Eddie. Ich mein, wenn ich mich geweigert hätte, die Kleine abzuholen und zu ihm zu bringen, hätte er bestimmt was Übles mit mir angestellt, oder?«
Eddie war angewidert. »Diese Pasquale ist immer gut zu dir gewesen. Kennst du denn überhaupt keine Loyalität, Mickey?«
»Natürlich kenn ich die, aber gegen Terry komm ich nicht an, das weißt du auch. Sobald du wieder nach Südamerika gehst, muss ich sehen, wie ich allein zurechtkomme. Ich kann es mir nicht leisten, deinen Bruder zum Feind zu haben.«
Eddie lachte höhnisch. »Aber du kannst es dir leisten, Cathy Pasquale zur Feindin zu haben, was?«
Michaela war gar nicht erfreut darüber, welchen Lauf das Gespräch nahm. »Hör mal, Eddie, ich hab getan, was getan werden musste, okay? Es tut mir ja leid, ich mochte das Mädchen, ich mag Cathy - aber ich muss meinen Arsch retten. Und außerdem könnte diese Sache uns beiden was einbringen. Wenn wir Cathy sagen, dass wir ihre Tochter zurückholen, macht sie bestimmt ‘ne ganze Menge locker. Da bin ich sicher.«
»Was du nicht sagst.«
»Mindestens zehn Mille, wenn nicht mehr.«
Eddie winkte ab. »Du willst also mit dem Leben eines kleinen Mädchens handeln, der Tochter einer Frau, die sehr gut zu dir war. Die dir Geld für deine Brust-OP geliehen hat, die dir einen Job verschafft hat, als du einen brauchtest, die dich in ihren Club aufgenommen hat und, wie es sich anhört, wohl auch in ihre Familie. Ich fass es einfach nicht, wie tief jemand sinken kann! Ich hielt Trevale für ein Stück Scheiße, aber du, Michaela, bist wahrlich das Letzte.«
Mickey schmollte. »Ich hab mir den Arsch aufgerissen für Cathy in ihrem Club, Nacht für Nacht. Sie hat mir also nichts geschenkt. Klar, sie ist eine nette Frau, aber letztlich war sie immer nur meine Arbeitgeberin, und das hat mit Familie nichts zu tun, oder? Und sie schwimmt doch in Geld, ist stinkreich. Warum sollte ich davon nicht ein bisschen absahnen?«
»Du denkst also tatsächlich, es gibt eine Rechtfertigung für dein Verhalten?« Man hörte Eddie die Fassungslosigkeit an. »Hör zu - ich hab dich gebeten, mir dabei zu helfen, meinen Bruder reinzulegen. Das war eine persönliche Sache. Und was machst du? Hinter meinem Rücken handelst du einen völlig anderen Deal mit ihm aus. Anschließend - und das gefällt mir ganz besonders gut - meinst du, du kannst zu mir kommen und noch mehr Kohle machen, indem du mich dazu benutzt, eine Frau zu erpressen, die immer gut zu dir war und mir noch nie in die Quere gekommen ist. Ist es so - habe ich mich korrekt ausgedrückt?« Eddie stand auf. »Zieh deinen Mantel an. Wir beide werden der Dame einen kleinen Besuch abstatten.«
Michaela wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. »Wie bitte?«
»Du hast ganz richtig verstanden. Du wirst der Frau ins Gesicht sagen, was mit ihrer Tochter geschehen ist - und wenn sie sich entschließt, dich dafür fertigzumachen, werde ich sie nicht daran hindern, mein Zuckerschnäuzchen. Im Gegenteil, ich werde ihr dabei liebend gern helfen. Das einzig Gute an der ganzen Chose ist, dass ich meinen Bruder aus dem Weg räumen lassen kann, ohne selbst eine Hand zu rühren. Das hört sich für mich nach einem guten Geschäft an.«
Michaela war perplex. »Komm schon, Eddie, du wirst mich denen doch nicht ausliefern? Das kannst du mir doch nicht antun.«
Er strich sich über den kahlen Schädel und sagte lachend: »Und ob ich das kann! Pass mal auf.«
 
Eddie spürte Cathy schließlich im Club auf, wo sie mit Desrae und Susan P. darauf wartete, den Ort der Party zu erfahren. Als er in Begleitung von Michaela ins Büro kam, glaubten Susan und Desrae, Gespenster zu sehen.
»Eddie Durrant und die herzallerliebste Michaela - was verschafft uns das Vergnügen?« Susans Stimme triefte vor Bosheit.
»Lange nicht gesehen, Susan. Gut siehst du aus, Baby. Aber das war ja schon immer so.« Dann lächelte er Cathy zu und streckte eine perfekt manikürte Hand aus. »Mrs. Pasquale. Es ist mir ein Vergnügen.«
Erleichtert sah Cathy ihn an. Wenn das hier Trevales Bruder war, der Bruder, der ihn hasste, dann hatten sie vielleicht eine Chance. Im selben Moment registrierte sie, dass Michaela neben ihm stand. Michaela, die ihre über alles geliebte Tochter von der Schule abgeholt und dem Mann ausgeliefert hatte, der ihr auf ruchlose Weise die Unschuld rauben wollte.
Als Cathy auf Michaela zustürzte und ihm an die Gurgel ging, rührte niemand auch nur den kleinen Finger.
Cathy riss dem schlanken jungen Mann die Perücke vom Kopf und trommelte mit den Fäusten auf ihn ein, bis er zu Boden ging. Dann trat sie rasend vor Wut zu und wollte gar nicht von ihm ablassen. Schließlich packte sie sein schmales Gesicht, quetschte es zusammen und sah ihm in die Augen.
»Dafür wirst du sterben, du mieser Hund. Ich werde zusehen, wie du vor Schmerzen um Gnade flehst, und dir in deine Fratze lachen. Wenn ich mit dir fertig bin und du denkst, es ist vorüber, dann warte nur, bis die Mädels dich in die Finger kriegen.«
Als Michaela sich schluchzend herausreden wollte, sagte Eddie Durrant: »Vergiss es, Mickey.« Dann berichtete er Cathy und den anderen haarklein, was Michaela getan hatte. Und mit jedem seiner Worte sah Mickey seine Überlebenschancen weiter schwinden.
 
Im Club stieg langsam die Stimmung, und Red, eine irische Transe mit einem Lachen wie Danny La Rue und Klamotten wie Carmen Miranda, schmetterte gerade seine Eröffnungsnummer mit irisch-mexikanischem Akzent: »I, I, I, I, I love you very much.« Das kam wie immer mörderisch gut an.
Susan P. hörte mit einem Ohr hin und sagte: »Wo ist das Mädchen? Weißt du es?«
Eddie nickte vielsagend. »Aber ich will etwas dafür.«
Desrae fuhr ihn an. »Spuck’s aus, Nigger, wir haben nicht den ganzen Scheißabend Zeit.«
Eddie sah ihn an und lächelte überheblich. »Ich lass mich von niemandem Nigger schimpfen, und wenn ihr glaubt, dass ich auf Geld aus bin, irrt ihr euch. Mir geht es darum, dass meinem Bruder die Kraft ausgeht, noch länger Luft zu holen - wenn ihr mir folgen könnt.«
Cathy nickte. »Keine Sorge, denn wenn ich ihn zu fassen bekomme, hat er ohnehin seinen letzten Atemzug getan.«
Damit gab sich Eddie anscheinend zufrieden. »Das Haus befindet sich ganz in der Nähe der Kensington High Street«, verriet er. »Es ist das Haus meiner Halbschwester, aber die ist nicht da. Er hat sie heute mit den Kindern ausquartiert. Ich nehme an, kurz bevor die Party steigt, wird er Ihre Tochter dorthin schaffen.«
Er sah auf seine Uhr. »Es ist erst kurz nach halb zehn, und die Partys gehen gewöhnlich erst um elf, halb zwölf los. Die Helden trinken sich meistens vorher Mut an. Wir haben also Zeit genug, sie zu erwischen.«
»Und auf Trevale treffen wir dort auch, oder?«, fragte Cathy im Flüsterton.
»Natürlich.«
Alle machten sich zum Abmarsch bereit. Michaela lag noch auf dem Boden, blutend und völlig verängstigt. Cathy sah auf ihn hinunter. »Dich nehm ich mir später vor, Mickey.«
»Ich pass auf ihn auf«, versprach Eddie. »Sie machen sich auf den Weg, und hinterher berichten Sie mir.«
Cathy nickte düster. »Worauf Sie sich verlassen können, Mr. Durrant.«
Der große dunkelhäutige Mann grinste und breitete die Arme wie zu einem Willkommensgruß aus. »Bitte, nennen Sie mich Eddie. Das tun alle meine Freunde.«
Niemand antwortete, in aller Eile verließen sie das Büro. Eddie warf Michaela einen herausfordernden Blick zu. »Die Bar hier ist doch bestens bestückt, hättest du vielleicht Interesse an einem Drink?«
Michaela sah hinauf zu dem Mann, mit dem er unzählige Male geschlafen hatte, und sagte mit schwerer Zunge: »Du Bastard!«
»Na klar! Das weiß jeder, dass mein Papi meine Mami nie geheiratet hat«, sagte Eddie leutselig. »Ist die Wurzel aller meiner Probleme!«
Er schenkte sich einen doppelten Remy Martin ein und genoss dessen Geschmack in der Vorfreude auf die Nachricht vom Tod seines Halbbruders.
Die Aufsteigerin
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