Kapitel dreiundvierzig
Desrae hatte Cathy drei Valium gegeben, damit sie
sich beruhigte. Jetzt saß sie apathisch im Wohnzimmer und starrte
gegen die Wand.
Richard war schrecklich besorgt. Er hatte noch nie
erlebt, dass sich eine Frau so veränderte. Es war, als hätte jemand
die echte Cathy durch einen Schatten ihrer selbst ersetzt. Ihr
Gesicht war gespenstisch fahl und schien nur noch aus weit
aufgerissenen Augen zu bestehen, deren Blick ins Leere ging. Sogar
ihr Haar schien alle Lebenskraft verloren zu haben, so strähnig
schlaff hing es ihr über die Schultern.
»Ich bringe ihn um. Ich schwöre bei Gott, dass ich
ihn umbringe, wenn er meinem Baby ein Haar krümmt.« Ihre Stimme
klang leblos und monoton.
Richard drückte sie einen Moment fest an sich. »Wir
werden sie finden, keine Sorge. Ich muss jetzt erstmal sehen, dass
ich mehr herausbekomme. Okay? Ich suche Durrant und bitte ihn um
Hilfe. Mach dir vorerst keine Sorgen. Campbell wird Kitty nicht
wirklich etwas antun. Er spielt sich nur auf, will dich ängstigen
und einschüchtern. Er würde nie wagen, sie anzufassen. Glaub mir,
Cathy. Ich weiß, wovon ich rede.«
Das war eine reine Lüge, aber er wusste nicht, was
er sonst sagen sollte.
Während er diese Worte aussprach, konnte Kitty das
Vergewaltigungsopfer einer ganzen Bande geworden sein. Oder es
konnte sogar Schlimmeres geschehen sein.
Er war erleichtert, als Susan P. in Begleitung
ihres Beschützers
Tulson ins Zimmer kam. Der war massig, groß und schweigsam - nach
Susan P.s Geschmack der perfekte Mann. Er bewachte sie, behielt
seine Meinung für sich und kassierte seinen Lohn ohne
Kommentar.
Cathy warf sich in die Arme ihrer Freundin und fing
wieder zu weinen an. Die Angst um ihr Kind raubte ihr den Verstand.
»Wir müssen sie finden, Susan! Bevor er ihr etwas Schlimmes antut.
Bevor er sie schändet. Kitty ist doch noch ein Kind, gerade
vierzehn. Ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn ihr etwas
zustößt.«
Susan tätschelte sie, flüsterte ihr liebevolle
Worte zu, versicherte ihr, dass alles gut ausgehen würde. Als
Richard schließlich gegangen war, brachte sie Cathy dazu, sich
hinzusetzen, sah ihr in die Augen und sagte energisch: »Reiß dich
jetzt zusammen, Cathy. Es hilft doch nichts. Du musst stark sein,
stärker als je zuvor. Kitty braucht dich, und wir brauchen dich.
Wir werden sie finden. Okay?«
Cathy nickte, und langsam kam sie wieder zur
Vernunft. Susan P.s besonnene Art zeigte Wirkung.
»Wenn du durchdrehst, dann fehlt uns jemand in
unserer Truppe, verstehst du?« Susan P. öffnete ihre Handtasche,
holte eine kleine Phiole mit weißem Pulver hervor und legte ein
paar Linien auf der Glasplatte des Couchtisches aus. »Schnief den
Koks. Ich weiß, du rührst das Zeug normalerweise nicht an, aber es
bringt dich nach vorne, und heute Abend kannst du eine Extraportion
Power gebrauchen.«
Cathy nahm den kleinen Strohhalm und zog sich das
Kokain hastig in die Nase.
»Also, ich stehe mit allen unseren Kontaktleuten in
Verbindung, und ich kann dir garantieren, dass wir eine Spur haben,
bevor die Nacht vorüber ist. Wir brauchen nur einen kleinen Hinweis
darauf, wohin er sie wahrscheinlich bringt. Sobald wir den kriegen,
sind wir auch schon unterwegs.«
Dass sie Cathy etwas vormachte, wusste Susan sehr
wohl. Ihr
war nämlich klar, dass sie nur dann überhaupt eine Chance hatten,
das Mädchen zu finden, wenn jemand ihnen genau sagen konnte, wohin
sie verschleppt worden war.
In Anbetracht der Tatsache, dass Campbell sein
infames Spiel so viele Jahre lang hatte treiben können, ohne sich
zumindest eine Geldstrafe wegen Zuhälterei einzuhandeln, war die
Hoffnung, er würde diesmal einen Fehler begehen, gewiss trügerisch.
Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, wie es so schön hieß, und Susan
P. wusste, dass sie Cathy in ihrer Zuversicht bestärken
musste.
Michaela saß bei Campbell im Wagen. Terry zahlte
ihm die Belohnung aus, deren Höhe im Voraus vereinbart worden war.
Michaela zählte nicht nach, denn er wusste, dass es stimmte, und
ließ die zweitausend Pfund in seine Handtasche gleiten. »Du wirst
ihr doch nicht wehtun, Terry? Sie ist ein gutes Kind, und ich
wollte dir nur einen Gefallen tun.«
Terry lachte höhnisch. »Was ich mit ihr mache, ist
allein meine Sache, verstanden? Ich hab meinen Teil der Abmachung
erfüllt und du deinen. Das Mädchen gehört jetzt mir, und du hältst
dich raus. Wenn du mir in die Quere kommst, reiß ich dir den Kopf
ab, mitsamt Perücke und allem. Kapiert?«
Doch Michaela gab sich noch nicht zufrieden. »Ich
hab sie unter der Voraussetzung geliefert, dass du ihr nichts tust.
Hör mir zu, Terry - ihre Mutter wird Himmel und Hölle in Bewegung
setzen, um sie zu finden, und Richard Gates und Susan P. werden ihr
helfen. Du hast versprochen, dass du sie nur als Druckmittel
einsetzen willst …«
Terry Campbell grinste und sagte knapp: »Ich hab
gelogen.« Michaela wurde blass. »Du Mistkerl! Du weißt genau, dass
ich dir niemals geholfen hätte, wenn mir deine Absicht klar gewesen
wäre. Warum hast du es dir anders überlegt?«
»Ihre Mutter ist in meinem Haus aufgetaucht,
verdammt noch mal, in meinem Haus, in dem meine Kinder wohnen. Sie
ist im Haus meiner Mutter aufgetaucht und hat sie bedroht! Hat
meine Mutter bedroht!« Campbell holte tief Luft. »Niemand
behelligt meine Familie und kommt ungeschoren davon. Das hier ist
jetzt eine persönliche Angelegenheit. Die elende Schlampe braucht
einen Denkzettel, und ich werde dafür sorgen, dass sie einen
bekommt.«
Terry öffnete die Autotür und stieß ihn grob
hinaus. »Verpiss dich, Schwuchtel. Ich hab, was ich wollte, und du
hast es mir verschafft. Jetzt lass mich zufrieden und halt ja deine
Fresse!«
Michaela wusste, wann es Zeit war, sich geschlagen
zu geben. Er hatte sich alles verscherzt - konnte nicht mehr nach
Hause, nicht mehr in den Club, nirgendwohin. Cathy würde schon bald
wissen, wer ihre Tochter von der Schule abgeholt hatte. Wenn Kitty
auch nur ein Haar gekrümmt würde, war er ein toter Mann. Er hätte
fünftausend Pfund verlangen sollen. Aber zwei Mille waren zwei
Mille, und er brauchte das Geld für Südamerika, für die große
Operation, die sein Leben verändern würde.
Ein Mädel brauchte Ziele, besonders wenn das Mädel
ein Mann war.
Louis Bardell war achtundzwanzig. Seine glatte
olivbraune Haut, die dunkelgrünen Augen und sein volles schwarzes
Haar ließen ihn auffallend attraktiv aussehen. Er wusste, dass die
Leute ihm nachschauten, und genoss es. Er war zudem ein
Homosexueller mit einer Vorliebe für kleine Jungs.
Als er und zwei Gleichgesinnte aus seiner Wohnung
in Kensington kamen, sah Louis einen großen glatzköpfigen
Schlägertyp an seinem dunkelblauen Mercedes lehnen. Er tauschte
einen Blick mit seinen Kumpanen und herrschte den Mann an: »Weg da
von meinem Wagen, bevor ich die Polizei hole!«
Der Mann richtete sich auf, und Louis sah, wie groß
er wirklich war. Die beiden Freunde traten einen Schritt
zurück.
»Ich bin die Polizei. Wollen wir reingehen? Ich
muss mit dir reden.«
»Tut mir leid, aber ich muss …« Er sprach nicht
mehr weiter,
als Gates ihn drohend angrinste. »Gar nichts musst du. Also jetzt
rein, alle Mann.«
In der Wohnung wartete Gates, bis Louis und seine
Freunde sich im Salon gesetzt hatten.
»Hübsch hier.«
Louis schnaubte verächtlich. »Sieh dich gut um,
Süßer, so was wirst du dir von deinem Hungerlohn nie leisten
können.«
»Und wenn du nicht deine vorlaute Schnauze hältst,
Süßer«, erwiderte Richard gelassen, »werde ich dafür sorgen, dass
du die nächsten paar Tage in Brixton schmorst, um mir bei der
Arbeit zu helfen - und da werden sie dir ganz nebenbei den Arsch
aufreißen. Das würde mir gefallen. Obwohl ich persönlich schon die
winzigsten Schmerzen hasse. Trotzdem hab ich einen Riesenspaß
daran, anderen wehzutun. Ich könnte zum Beispiel mein Messer
nehmen, dir die Ohren abschneiden und mich vor Lachen
bepissen.«
Richard grinste Louis an.
»Aber da geht es dir nicht anders, oder? Du liebst
es doch, anderen wehzutun, oder? Besonders gern vergreifst du dich
an kleinen Jungs und Mädchen. Das weiß ich, weil ich ein Video
gesehen habe, mit dir als Hauptdarsteller. Trevale verkauft nämlich
diese Videos, die dich bei deiner Lieblingsbeschäftigung zeigen. So
privat war die Party also nicht. Und du bist inzwischen die Nummer
eins in den europäischen Pädophilen-Charts.«
Louis war aschfahl geworden. Er schüttelte verstört
den Kopf. »Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden.«
»Deine grünen Augen sind kaum zu übersehen. Soviel
ich weiß, hast du auch eine ziemlich ungewöhnliche Tätowierung auf
der rechten Arschbacke: eine Schlange, die sich in den Schwanz
beißt. Willst du deine Hose runterlassen, um mir das Gegenteil zu
beweisen? Nein? Dachte ich mir’s doch. Dir stehen lange Ferien
hinter Gittern bevor, mein Sonnenschein.« Und dann fügte er noch
hinzu: »So viel Geld kriegst du nicht zusammen, dass du dich
freikaufen könntest.«
»Sie sollten lieber vorsichtig sein mit dem, was
Sie sagen, Mr. …«
Richard lächelte. »Gates. Detective Inspector
Gates. Hättest du meinen Namen gerne auf der anderen Arschbacke?
Damit du ihn dir merken kannst?«
Die beiden anderen Männer, der eine Profifußballer
und der andere Computerexperte, starrten Gates ungläubig und
eingeschüchtert an.
»Was wollen Sie überhaupt?«, fragte der
Computerexperte.
»Ich will wissen, wo Terry Campbells kleine
Abendveranstaltung heute stattfindet. Ich hab läuten hören, dass er
zu einer seiner Privatpartys einlädt. Na ja, privat müssen sie ja
wohl sein, diese Partys, oder? Ich nehme an, zu so einem
Freizeitspaß nimmt man ja nicht gerade die Schwester oder die
Mutter mit.«
Der Fußballer, ein fünfundzwanzigjähriger Franzose,
wirkte tatsächlich verlegen, und Richard wusste instinktiv, dass er
seinen Mann gefunden hatte.
Er sah Richard an und sagte leise: »Niemand kennt
den Ort bis eine Stunde vor Beginn. So war es bis jetzt
immer.«
»Okay«, verkündete Richard, »wir werden gemeinsam
hier sitzen bleiben, ein wenig plauschen, den einen oder anderen
Scotch trinken und warten, bis der Ort der Party feststeht. Und
dann komm ich mit euch mit und verderbe allen den Spaß.« Er rieb
sich die Hände. »Wird mir ein großes Vergnügen sein!«
Kitty hatte schreckliche Angst. In der Schule
hatte sie beim Anblick von Michaela zuerst angenommen, dass ihrer
Mutter etwas passiert war. Aber dann hatte Michaela sie beruhigt
und gesagt, dass Desrae eine Party feierte und sich Kitty als Gast
wünschte.
Erst als sie in London in ein fremdes Haus gebracht
wurde, ahnte Kitty, dass etwas nicht stimmte. Das erste
Zusammentreffen mit Terry Campbell war furchtbar gewesen. Er hatte
sie lange angesehen und ihr dann befohlen, die Arme über dem Kopf
zu verschränken und sich langsam umzudrehen. Währenddessen hatte
er sie prüfend gemustert.
Michaela war nirgends mehr zu sehen. Als Kitty zur
Eingangstür gehen wollte, packte der Mann sie grob am Arm und stieß
sie so heftig auf einen Stuhl, dass sie sich die Wirbelsäule
stauchte. Sie war sich jetzt sicher, dass ihr Gefahr drohte, aber
sie hatte nicht die geringste Ahnung, worauf alles hinauslaufen
sollte. Was konnte der Mann nur von ihr wollen?
Dann legte er ein Video ein und befahl ihr
hinzuschauen. Erst nachdem sie das Video betrachtet hatte, wurde
ihr klar, was sie befürchten musste.
Trevale genoss jede Sekunde ihrer Qualen.
Dies würde seine Rache sein.
Wenn die Mutter dieser kleinen Schlampe glaubte,
sein Heim schänden zu können, dann würde er ihr Fleisch und Blut
schänden. Und wenn er mit der Tochter fertig war, dann würde er
sich obendrein die Mutter vornehmen.
Er würde sie zwingen, sich das Video anzusehen, das
zeigte, wie ihre Tochter zur Frau gemacht wurde.
Eddie Durrant war imponierend groß und sah gut
aus. Er besaß die dunklen mandelförmigen Augen seines Vaters und
makellos kaffeebraune Haut. Er war ein gewalttätiger Gangster und
hasste seinen Halbbruder Trevale wie die Pest. Eddies Mutter war
eine junge weiße Frau aus dem East End gewesen. Sie hieß Renee und
hatte ihn mit sechzehn bekommen, und sein Vater hatte sie beide
verlassen. Auf seinen Sohn hatte er jedoch immer ein Auge
behalten.
Wie Trevale war auch Eddie seines Vaters
Sohn.
Der hatte seine Söhne getrimmt, hart zu sein, tough
zu sein, immer der Beste zu sein. Schon als Kinder hatte er sie
gezwungen, gewalttätig zu werden und gegeneinander zu kämpfen. Den
Sieger hatte er anschließend zum Lieblingssohn des Tages
gemacht.
Eddie konnte nie verwinden, dass sein Vater seine
Mutter verlassen hatte, um mit Trevales Mutter
zusammenzuleben.
Als Erwachsener wies er dieselben Verhaltensmuster
auf wie sein Halbbruder. Beide hielten Menschlichkeit für
Charakterschwäche und respektierten nichts als Willensstärke und
Körperkraft. Beide benutzten und missbrauchten alle und jeden.
Beide betrachteten Geld als das einzige Gut und erachteten sexuelle
Gewalt als ihr Recht. Als Eddie herausgefunden hatte, dass sein
Bruder mit Sexfilmen ein kleines Vermögen verdiente, war er ins
selbe Business eingestiegen, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen.
Er hatte es nicht getan, weil er Geld brauchte oder einen neuen
Geschäftszweig suchte, sondern einzig und allein, um Trevale eins
auszuwischen. Dabei hatte sich Michaela erwartungsgemäß als
Trumpfkarte erwiesen.
Als er von der jüngsten Entwicklung hörte,
reagierte Eddie einerseits verärgert, aber andererseits auch
hocherfreut.
»Du willst mir erzählen, dass mein Bruder die
Tochter von Cathy Pasquale in seiner Gewalt hat und sie heute Abend
bei einer seiner Partys benutzen will?«
Michaela nickte. Ihm war mulmig. Erst dieser Besuch
bei Eddie machte ihm richtig bewusst, dass er ein doppeltes Spiel
trieb, und das konnte leicht ins Auge gehen. Sehr leicht sogar.
Aber er wollte noch etwas mehr Geld herausholen, bevor es nach Rio
ging.
Er sah Eddie an wie ein verstörtes kleines Mädchen
und hauchte: »Ich musste doch tun, was er verlangt hat, Eddie. Ich
mein, wenn ich mich geweigert hätte, die Kleine abzuholen und zu
ihm zu bringen, hätte er bestimmt was Übles mit mir angestellt,
oder?«
Eddie war angewidert. »Diese Pasquale ist immer gut
zu dir gewesen. Kennst du denn überhaupt keine Loyalität,
Mickey?«
»Natürlich kenn ich die, aber gegen Terry komm ich
nicht an, das weißt du auch. Sobald du wieder nach Südamerika
gehst, muss ich sehen, wie ich allein zurechtkomme. Ich kann es mir
nicht leisten, deinen Bruder zum Feind zu haben.«
Eddie lachte höhnisch. »Aber du kannst es dir
leisten, Cathy Pasquale zur Feindin zu haben, was?«
Michaela war gar nicht erfreut darüber, welchen
Lauf das Gespräch nahm. »Hör mal, Eddie, ich hab getan, was getan
werden musste, okay? Es tut mir ja leid, ich mochte das Mädchen,
ich mag Cathy - aber ich muss meinen Arsch retten. Und außerdem
könnte diese Sache uns beiden was einbringen. Wenn wir Cathy sagen,
dass wir ihre Tochter zurückholen, macht sie bestimmt ‘ne ganze
Menge locker. Da bin ich sicher.«
»Was du nicht sagst.«
»Mindestens zehn Mille, wenn nicht mehr.«
Eddie winkte ab. »Du willst also mit dem Leben
eines kleinen Mädchens handeln, der Tochter einer Frau, die sehr
gut zu dir war. Die dir Geld für deine Brust-OP geliehen hat, die
dir einen Job verschafft hat, als du einen brauchtest, die dich in
ihren Club aufgenommen hat und, wie es sich anhört, wohl auch in
ihre Familie. Ich fass es einfach nicht, wie tief jemand sinken
kann! Ich hielt Trevale für ein Stück Scheiße, aber du, Michaela,
bist wahrlich das Letzte.«
Mickey schmollte. »Ich hab mir den Arsch
aufgerissen für Cathy in ihrem Club, Nacht für Nacht. Sie hat mir
also nichts geschenkt. Klar, sie ist eine nette Frau, aber
letztlich war sie immer nur meine Arbeitgeberin, und das hat mit
Familie nichts zu tun, oder? Und sie schwimmt doch in Geld, ist
stinkreich. Warum sollte ich davon nicht ein bisschen
absahnen?«
»Du denkst also tatsächlich, es gibt eine
Rechtfertigung für dein Verhalten?« Man hörte Eddie die
Fassungslosigkeit an. »Hör zu - ich hab dich gebeten, mir dabei zu
helfen, meinen Bruder reinzulegen. Das war eine persönliche
Sache. Und was machst du? Hinter meinem Rücken handelst du einen
völlig anderen Deal mit ihm aus. Anschließend - und das gefällt mir
ganz besonders gut - meinst du, du kannst zu mir kommen und noch
mehr Kohle machen, indem du mich dazu benutzt, eine Frau zu
erpressen, die immer gut zu dir war und mir noch nie in
die Quere gekommen ist. Ist es so - habe ich mich korrekt
ausgedrückt?« Eddie stand auf. »Zieh deinen Mantel an. Wir beide
werden der Dame einen kleinen Besuch abstatten.«
Michaela wäre beinahe in Ohnmacht gefallen. »Wie
bitte?«
»Du hast ganz richtig verstanden. Du wirst der Frau
ins Gesicht sagen, was mit ihrer Tochter geschehen ist - und wenn
sie sich entschließt, dich dafür fertigzumachen, werde ich sie
nicht daran hindern, mein Zuckerschnäuzchen. Im Gegenteil, ich
werde ihr dabei liebend gern helfen. Das einzig Gute an der ganzen
Chose ist, dass ich meinen Bruder aus dem Weg räumen lassen kann,
ohne selbst eine Hand zu rühren. Das hört sich für mich nach
einem guten Geschäft an.«
Michaela war perplex. »Komm schon, Eddie, du wirst
mich denen doch nicht ausliefern? Das kannst du mir doch nicht
antun.«
Er strich sich über den kahlen Schädel und sagte
lachend: »Und ob ich das kann! Pass mal auf.«
Eddie spürte Cathy schließlich im Club auf, wo sie
mit Desrae und Susan P. darauf wartete, den Ort der Party zu
erfahren. Als er in Begleitung von Michaela ins Büro kam, glaubten
Susan und Desrae, Gespenster zu sehen.
»Eddie Durrant und die herzallerliebste Michaela -
was verschafft uns das Vergnügen?« Susans Stimme triefte vor
Bosheit.
»Lange nicht gesehen, Susan. Gut siehst du aus,
Baby. Aber das war ja schon immer so.« Dann lächelte er Cathy zu
und streckte eine perfekt manikürte Hand aus. »Mrs. Pasquale. Es
ist mir ein Vergnügen.«
Erleichtert sah Cathy ihn an. Wenn das hier
Trevales Bruder war, der Bruder, der ihn hasste, dann hatten sie
vielleicht eine Chance. Im selben Moment registrierte sie, dass
Michaela neben ihm stand. Michaela, die ihre über alles geliebte
Tochter von der Schule abgeholt und dem Mann ausgeliefert hatte,
der ihr auf ruchlose Weise die Unschuld rauben wollte.
Als Cathy auf Michaela zustürzte und ihm an die
Gurgel ging, rührte niemand auch nur den kleinen Finger.
Cathy riss dem schlanken jungen Mann die Perücke
vom Kopf und trommelte mit den Fäusten auf ihn ein, bis er zu Boden
ging. Dann trat sie rasend vor Wut zu und wollte gar nicht von ihm
ablassen. Schließlich packte sie sein schmales Gesicht, quetschte
es zusammen und sah ihm in die Augen.
»Dafür wirst du sterben, du mieser Hund. Ich werde
zusehen, wie du vor Schmerzen um Gnade flehst, und dir in deine
Fratze lachen. Wenn ich mit dir fertig bin und du denkst, es ist
vorüber, dann warte nur, bis die Mädels dich in die Finger
kriegen.«
Als Michaela sich schluchzend herausreden wollte,
sagte Eddie Durrant: »Vergiss es, Mickey.« Dann berichtete er Cathy
und den anderen haarklein, was Michaela getan hatte. Und mit jedem
seiner Worte sah Mickey seine Überlebenschancen weiter
schwinden.
Im Club stieg langsam die Stimmung, und Red, eine
irische Transe mit einem Lachen wie Danny La Rue und Klamotten wie
Carmen Miranda, schmetterte gerade seine Eröffnungsnummer mit
irisch-mexikanischem Akzent: »I, I, I, I, I love you very
much.« Das kam wie immer mörderisch gut an.
Susan P. hörte mit einem Ohr hin und sagte: »Wo ist
das Mädchen? Weißt du es?«
Eddie nickte vielsagend. »Aber ich will etwas
dafür.«
Desrae fuhr ihn an. »Spuck’s aus, Nigger, wir haben
nicht den ganzen Scheißabend Zeit.«
Eddie sah ihn an und lächelte überheblich. »Ich
lass mich von niemandem Nigger schimpfen, und wenn ihr glaubt, dass
ich auf Geld aus bin, irrt ihr euch. Mir geht es darum, dass meinem
Bruder die Kraft ausgeht, noch länger Luft zu holen - wenn ihr mir
folgen könnt.«
Cathy nickte. »Keine Sorge, denn wenn ich ihn zu
fassen bekomme, hat er ohnehin seinen letzten Atemzug getan.«
Damit gab sich Eddie anscheinend zufrieden. »Das
Haus befindet sich ganz in der Nähe der Kensington High Street«,
verriet er. »Es ist das Haus meiner Halbschwester, aber die ist
nicht da. Er hat sie heute mit den Kindern ausquartiert. Ich nehme
an, kurz bevor die Party steigt, wird er Ihre Tochter dorthin
schaffen.«
Er sah auf seine Uhr. »Es ist erst kurz nach halb
zehn, und die Partys gehen gewöhnlich erst um elf, halb zwölf los.
Die Helden trinken sich meistens vorher Mut an. Wir haben also Zeit
genug, sie zu erwischen.«
»Und auf Trevale treffen wir dort auch, oder?«,
fragte Cathy im Flüsterton.
»Natürlich.«
Alle machten sich zum Abmarsch bereit. Michaela lag
noch auf dem Boden, blutend und völlig verängstigt. Cathy sah auf
ihn hinunter. »Dich nehm ich mir später vor, Mickey.«
»Ich pass auf ihn auf«, versprach Eddie. »Sie
machen sich auf den Weg, und hinterher berichten Sie mir.«
Cathy nickte düster. »Worauf Sie sich verlassen
können, Mr. Durrant.«
Der große dunkelhäutige Mann grinste und breitete
die Arme wie zu einem Willkommensgruß aus. »Bitte, nennen Sie mich
Eddie. Das tun alle meine Freunde.«
Niemand antwortete, in aller Eile verließen sie das
Büro. Eddie warf Michaela einen herausfordernden Blick zu. »Die Bar
hier ist doch bestens bestückt, hättest du vielleicht Interesse an
einem Drink?«
Michaela sah hinauf zu dem Mann, mit dem er
unzählige Male geschlafen hatte, und sagte mit schwerer Zunge: »Du
Bastard!«
»Na klar! Das weiß jeder, dass mein Papi meine Mami
nie geheiratet hat«, sagte Eddie leutselig. »Ist die Wurzel
aller meiner Probleme!«
Er schenkte sich einen doppelten Remy Martin ein
und genoss dessen Geschmack in der Vorfreude auf die Nachricht vom
Tod seines Halbbruders.